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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 29.03.2006
Aktenzeichen: B 13 RJ 7/05 R
Rechtsgebiete: SGB VI, SGB X, WGSVG, BEG, RVO


Vorschriften:

SGB VI § 250 Abs 1 Nr 4
SGB X § 44 Abs 1 S 1
WGSVG § 18
BEG § 1
RVO § 1251 Abs 1 Nr 4

Entscheidung wurde am 31.05.2006 korrigiert: die Rechtsgebiete, die Vorschriften und der Verfahrensgang wurden geändert, Stichworte und ein amtlicher Leitsatz wurden hinzugefügt
Auch einem Versicherten, der erst durch Eingliederung seines Heimatgebiets in das Deutsche Reich in den Geltungsbereich der Reichsversicherungsgesetze gelangt war und nach dem Ende der Verfolgungsmaßnahmen - nach zwischenzeitlicher Begründung gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland - ausgewandert ist, ist die Folgezeit bis Ende 1949 als Verfolgungsersatzzeit iS einer rentenunschädlichen "Überlegungsfrist" anzurechnen.
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

in dem Rechtsstreit

Verkündet am 29. März 2006

Az: B 13 RJ 7/05 R

Der 13. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 29. März 2006 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Steinwedel, die Richter Dr. Fichte und Dr. Terdenge sowie die ehrenamtlichen Richter Hannig und Winnefeld

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 17. November 2004 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin auch deren außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Gründe:

I

Die Beteiligten streiten über den Anspruch der Klägerin auf Neuberechnung der ihr gewährten Regelaltersrente (RAR) unter Berücksichtigung einer weiteren Ersatzzeit von November 1946 bis Dezember 1949.

Die 1929 in Lodz/Polen geborene Klägerin jüdischer Herkunft ist als Verfolgte anerkannt und entschädigt worden. Sie war von November 1939 bis zu ihrer Befreiung in Lodz im Januar 1945 nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt. Nach ihrer Befreiung hielt sie sich zunächst bis Dezember 1945 weiterhin in Lodz auf, bevor sie als Mitglied eines Kibbuz nach Leipheim/Bayern kam und von April 1946 an in einem Lager für "Displaced Persons" (DP-Lager) lebte, von wo aus sie ihre Ausreise nach Palästina im Herbst 1946 vorbereitete. Seit Januar 1948 lebt die Klägerin in Israel; sie besitzt die israelische Staatsangehörigkeit.

Seit Januar 1995 bezieht die Klägerin von der Beklagten RAR. Ihren im April 1999 gestellten Antrag auf deren Neuberechnung unter Berücksichtigung weiterer Ersatzzeiten wegen "einer verfolgungsbedingten Arbeitsunfähigkeit bis 1946" und daran anschließend wegen verfolgungsbedingten Auslandsaufenthalts bis zum 31. Dezember 1949 konkretisierte die Klägerin später iS der Anerkennung des verfolgungsbedingten Auslandsaufenthalts. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 15. Juli 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. November 1999 ab, weil ein Ursachenzusammenhang zwischen der Ausreise der Klägerin und nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen nicht zu erkennen sei.

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte zur Neuberechnung der RAR der Klägerin unter Berücksichtigung einer weiteren Ersatzzeit vom 1. November 1946 bis 31. Dezember 1949 verurteilt (Urteil vom 9. September 2003); das Landessozialgericht (LSG) hat die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten mit Urteil vom 17. November 2004 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Über § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) habe die Klägerin Anspruch auf Neuberechnung ihrer RAR. Denn für den Zeitraum von November 1946 bis Dezember 1949 habe die Beklagte zu Unrecht keine Ersatzzeit angerechnet. Die Klägerin erfülle die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 250 Abs 1 Nr 4 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI), weil der auf sie ausgeübte Verfolgungsdruck auch nach dem 30. Juni 1945 ursächlich für das Verlassen des Heimatgebiets gewesen sei. Unerheblich sei dabei, dass die Klägerin erst im Dezember 1945 - und damit zu einer Zeit, in der die Reichsversicherungsgesetze in diesem Gebiet nicht mehr gegolten hätten - Lodz verlassen und erstmalig in deutsches Staatsgebiet eingereist sei. Denn nach Sinn und Zweck des § 250 Abs 1 Nr 4 SGB VI könne nicht dem Versicherten, der bis zum Kriegsende und darüber hinaus in seinem Heimatland verblieben sei, die Möglichkeit genommen werden, Verfolgungsersatzzeiten angerechnet zu erhalten. Auch dieser habe Anspruch auf die Inanspruchnahme einer "Überlegungsfrist", ob er Deutschland aus Verfolgungsgründen dauerhaft den Rücken kehren wolle. Die Klägerin sei nur deshalb - mit ihrem Kibbuz - nach Israel ausgewandert, weil sie als einzig Übriggebliebene ihrer Familie keinen Halt in Polen und ebenso wenig in Deutschland gefunden habe. Hierin lägen die insoweit nach der Rechtsprechung erforderlichen objektiven Gründe für eine verfolgungsbedingte Auswanderung. Zu diesem Ergebnis gelange man "erst recht", wenn man mit dem 4. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in seiner Entscheidung vom 29. August 1996 (4 RA 85/95 - BSGE 79, 113 = SozR 3-5070 § 18 Nr 2 - hier: zu § 18 Abs 2 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung <WGSVG>) davon ausgehe, dass für die Fälle des Verlassens des Reichsgebiets nach dem 8. Mai 1945 eine Beweislastregelung zugunsten der Betroffenen anzunehmen sei. Der Rechtsbegriff des "verfolgungsbedingten Auslandsaufenthalts" könne in § 18 WGSVG und § 250 Abs 1 Nr 4 SGB VI nur einheitlich ausgelegt werden. Die beweisbelastete Beklagte habe weder dargelegt noch unter Beweis gestellt, dass die Klägerin nicht verfolgungsbedingt ausgewandert sei.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung des § 250 Abs 1 Nr 4 SGB VI und führt zur Begründung im Wesentlichen aus: § 250 Abs 1 Nr 4 SGB VI liege der Gedanke zugrunde, dass es den (deutschen) Verfolgten nach der Verfolgung nicht mehr zumutbar gewesen sei, in Deutschland zu verbleiben und (weitere) deutsche Beitragszeiten zu erwerben. Dies müsse auch für die (ausländischen) Verfolgten gelten, die nach Deutschland verschleppt und in Deutschland befreit worden seien, nicht hingegen für diejenigen (ausländischen) Verfolgten, die in ihren jeweiligen Heimatgebieten der NS-Verfolgung ausgesetzt und dort befreit worden seien und sich erst anschließend zur Auswanderung nach Palästina entschlossen hätten. Für diesen Personenkreis, der sich - mit Ausnahme der Zeit der Verfolgung im eingegliederten Gebiet - nie in Deutschland aufgehalten habe, habe keine iS des § 250 Abs 1 Nr 4 SGB VI schutzwürdige Veranlassung bestanden, eine eventuelle Rückkehr nach Deutschland zu überdenken. Hätte die Klägerin - ohne den Umweg über ein DP-Lager in Deutschland zu nehmen - ihre Auswanderung direkt aus Polen betrieben, so wäre für die Anerkennung einer Ersatzzeit in der deutschen Rentenversicherung ohnehin kein Raum. Ein Zusammenhang zwischen § 18 WGSVG und § 250 Abs 1 Nr 4 SGB VI könne nicht hergestellt werden. Denn § 18 Abs 1 WGSVG sei eine Vorschrift, die ausschließlich den durch mittelbare Nachwirkungen nationalsozialistischer Verfolgungsmaßnahmen eingetretenen Schaden regele; § 250 Abs 1 Nr 4 SGB VI hingegen komme - zumindest teilweise - ein haftungsbegründender Charakter zu, weil diese Vorschrift Beitragszeiten ersetzen solle und insofern einen rentenversicherungsrechtlichen Vorteil gewähre.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 17. November 2004 sowie das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 9. September 2003 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

II

Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte Anspruch auf Anrechnung einer weiteren Ersatzzeit von November 1946 bis Dezember 1949. Denn nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG hat sie infolge Verfolgungsmaßnahmen ihren Wohnsitz außerhalb des Geltungsbereichs der Reichsversicherungsgesetze genommen.

Gemäß § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit bei dessen Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Das LSG hat im angefochtenen Urteil festgestellt, dass im Bescheid der Beklagten vom 18. Juni 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Oktober 1998 das Recht unrichtig angewandt worden ist, so dass der ablehnende Überprüfungsbescheid vom 15. Juli 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. November 1999 die Klägerin in ihren Rechten verletzt.

Nach der hier allein in Betracht kommenden letzten Alternative des § 250 Abs 1 Nr 4 SGB VI sind Ersatzzeiten Zeiten vor dem 1. Januar 1992, in denen Versicherungspflicht nicht bestanden hat und Versicherte nach vollendetem 14. Lebensjahr infolge Verfolgungsmaßnahmen

a)

...

b)

bis zum 30. Juni 1945 ihren Aufenthalt in Gebieten außerhalb des jeweiligen Geltungsbereichs der Reichsversicherungsgesetze oder danach in Gebieten außerhalb des Geltungsbereichs der Reichsversicherungsgesetze nach dem Stand vom 30. Juni 1945 genommen oder einen solchen beibehalten haben, längstens aber die Zeit bis zum 31. Dezember 1949, wenn sie zum Personenkreis des § 1 des Bundesentschädigungsgesetzes gehören (Verfolgungszeit).

Diese tatbestandsmäßigen Voraussetzungen sind erfüllt. Die Klägerin, Verfolgte iS des § 1 des Bundesentschädigungsgesetzes, hat "danach" (nach dem 30. Juni 1945) "ihren Aufenthalt ... in Gebieten außerhalb des Geltungsbereichs der Reichsversicherungsgesetze nach dem Stand vom 30. Juni 1945 genommen". Denn sie ist im Herbst 1946 aus Bayern (also aus dem Geltungsbereich der Reichsversicherungsgesetze nach dem Stand vom 30. Juni 1945) nach Palästina (also in ein Gebiet außerhalb dieses Geltungsbereichs) ausgewandert. Dies geschah nicht nur "nach vollendetem 14. Lebensjahr", sondern auch "infolge Verfolgungsmaßnahmen".

Denn das LSG hat festgestellt, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den durch die Klägerin erlittenen Verfolgungsmaßnahmen und dem ab Herbst 1946 gewählten Auslandsaufenthalt in Palästina bestand. Zutreffend geht es davon aus, dass nach der Kausalitätstheorie der "wesentlichen Bedingung" jede Bedingung ursächlich ist, die nach der Auffassung des praktischen Lebens wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat (vgl grundlegend BSGE 13, 175 = SozR Nr 32 zu § 542 RVO). Ebenfalls zu Recht hat das LSG angenommen, dass auch über das Kriegsende hinaus fortdauernde und erst später eingetretene Nachwirkungen nationalsozialistischer Verfolgungsmaßnahmen in den Nachkriegsjahren den Anlass zur Auswanderung gegeben haben können (vgl BSG SozR Nr 46 zu § 1251 RVO). Es hat - iS der bisherigen Rechtsprechung des BSG - die Verfolgungsbedingtheit des Auslandsaufenthalts auch nicht (wie bei einer Auswanderung zwischen 1933 und Kriegsende - hierzu BSG SozR Nr 46 zu § 1251 RVO; Urteil vom 17. Dezember 1986 - 11a RA 44/85 - veröffentlicht bei Juris) unterstellt, sondern ausdrücklich festgestellt, dass die Klägerin als einzig Überlebende des Holocaust aus ihrer Familie keinen Halt im Herkunftsgebiet und ebenso wenig in Deutschland gefunden habe (zu nachwirkenden verfolgungsbedingten Gründen für ein Verlassen Deutschlands vgl BSG SozR Nr 46 zu § 1251 RVO und SozR 2200 § 1251 Nr 106). Es ist damit von einer den Auswanderungswunsch prägenden Motivlage bei der Klägerin ausgegangen und hat die kausale Verknüpfung von nachwirkenden nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen und Auswanderung anhand objektiver Umstände festgestellt (vgl BSG SozR 2200 § 1251 Nr 106 S 299); andere Gründe seien weder ersichtlich noch von der Beklagten vorgetragen worden.

Mangels erheblicher Rügen der Beklagten ist der Senat an diese Feststellungen des LSG gebunden (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes <SGG>).

Die Beklagte wendet sich insoweit lediglich gegen die unter Hinweis auf das Urteil des 4. Senats des BSG vom 29. August 1996 (4 RA 85/95 - BSGE 79, 113 = SozR 3-5070 § 18 Nr 2 zu § 18 Abs 2 WGSVG) ergänzend ("... erst recht ...") angestellten Erwägungen des LSG, dass für die Fälle des Verlassens des Reichsgebiets nach dem 8. Mai 1945 eine Beweislastregelung zugunsten der Betroffenen angenommen werden könne, weil möglicherweise der Rechtsbegriff des "verfolgungsbedingten Auslandsaufenthalts" in § 18 WGSVG und § 250 Abs 1 Nr 4 SGB VI einheitlich auszulegen sei. Die Formulierung "erst recht" zeigt indes, dass das LSG tragend nur auf die tatsächlichen Feststellungen zur kausalen Verknüpfung nachwirkender nationalsozialistischer Verfolgung und Auswanderung abgestellt hat. Die ergänzenden Erwägungen sollten dieses Ergebnis bestärken, tragen die angefochtene Entscheidung jedoch nicht.

Weiterhin schließt der Umstand, dass die Klägerin - außer während ihrer Verfolgungszeit - einen Bezug zur deutschen Rentenversicherung zu keinem weiteren Zeitpunkt aufweist, ihren Anspruch auf Anrechnung von Verfolgungsersatzzeiten grundsätzlich nicht aus. Denn allein mit Zurücklegung dieser Zeiten ist ein Tatbestand gesetzt worden, der - in Verbindung mit der Verfolgteneigenschaft - das Geltendmachen einer Ersatzzeit iS von § 250 Abs 1 Nr 4 SGB VI ermöglicht. Dass es sich bei der Klägerin um eine Versicherte handelt, die Beitragszeiten nur im (damals) eingegliederten Gebiet geltend machen konnte, ist unmaßgeblich. Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt es daher nicht darauf an, dass die Klägerin Beitragszeiten im Staatsgebiet des Deutschen Reiches nach dem Stand vom 30. Juni 1945 nicht zurückgelegt hat, sondern nach den Feststellungen des LSG (mit ihrem Kibbuz) den Weg über Deutschland zur Ausreise nach Palästina/Israel gewählt hat.

Zutreffend führt das LSG aus, dass auch Sinn und Zweck der Vorschrift des § 250 Abs 1 Nr 4 SGB VI einer Anerkennung der geltend gemachten Ersatzzeit der Klägerin nicht entgegenstehen. Mit der Regelung wurde Versicherten während eines verfolgungsbedingten Auslandsaufenthaltes (nicht etwa also während eines Aufenthalts in Deutschland: vgl BSG SozR 2200 § 1251 Nr 120) längstens bis zum 31. Dezember 1949 eine "Überlegungsfrist" gewährt, ob sie dem Land, von dem die Verfolgungsmaßnahmen ausgingen, dauerhaft den Rücken kehren wollten, ohne dabei Schaden in der Rentenversicherung zu nehmen (vgl BSG SozR Nr 46 zu § 1251 RVO und SozR 2200 § 1251 Nr 120).

Grundsätzlich sind auch diejenigen Versicherten vom Anwendungs- und Schutzbereich der genannten Norm erfasst, die erst durch Eingliederung ihrer Heimatgebiete in das Deutsche Reich in den Geltungsbereich der Reichsversicherungsordnung (RVO) gelangt und nach Rückgängigmachung dieser Eingliederung wieder ausgeschieden sind. Einmal eingegliedert in den Bereich des deutschen Rentenversicherungsrechts kann ihnen - anders als Versicherten, die nur die reine "Möglichkeit" einer Auswanderung nach Deutschland für sich in Anspruch nehmen (vgl Senatsurteil vom 8. September 2005 - B 13 RJ 20/05 R - veröffentlicht bei Juris) - ein Schaden in der deutschen Rentenversicherung (vgl hierzu auch Senatsurteil vom 14. August 2003 - B 13 RJ 27/02 R - SozR 4-2200 § 1251 Nr 1) entstanden sein.

Anderenfalls bliebe es - worauf das LSG zutreffend hinweist - dem Zufall überlassen, ob einem Versicherten die durch § 250 Abs 1 Nr 4 SGB VI eröffnete "Bedenkzeit" eingeräumt würde oder nicht. Das Einräumen der "Überlegungsfrist" kann nicht von der Zufälligkeit abhängig gemacht werden, ob ein Versicherter das Kriegsende im "Kerngebiet" des Deutschen Reichs erlebt hat oder aber in angegliederten Gebieten, in denen die Reichsversicherungsgesetze in gleicher Weise galten. Auch bei einer Ausreise aus einem angegliederten Gebiet mit dem Ziel der Auswanderung über die "Zwischenstation" des deutschen Staatsgebiets nach dem 30. Juni 1945 - wie im vorliegenden Fall - muss grundsätzlich die Möglichkeit eröffnet sein, bis zum 31. Dezember 1949 einen Nachteil in der Versicherungsbiografie der Rentenversicherung über § 250 Abs 1 Nr 4 SGB VI auszugleichen (ebenso: Joswig, MittLVA Rheinpr 2002, 28, 29).

Dies gilt jedenfalls dann, wenn Deutschland nicht lediglich kurzfristige Zwischenstation bei der Ausreise war, sondern hier ein gewöhnlicher Aufenthalt begründet worden ist. Das ist bei einem Aufenthalt in einem DP-Lager in Deutschland - wie bei der Klägerin - grundsätzlich auch dann der Fall, wenn die konkrete Absicht bestand, nach Palästina auszuwandern (BSG SozR 3-1200 § 30 Nr 21 S 46 mwN).

Die Anrechnung der Verfolgungsersatzzeit ist schließlich unabhängig davon, ob die Klägerin nach ihrer Einreise in Israel ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis eingegangen ist und dort ggf zeitgleich Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet hat. § 250 Abs 1 Nr 4 SGB VI hat - wie die Vorgängervorschrift des § 1251 Abs 1 Nr 4 RVO - den Sinn, den Verfolgten dafür zu entschädigen, dass allein der (erzwungene) Aufenthalt im Ausland dem Erwerb inländischer Versicherungszeiten entgegenstand (BSG SozR 2200 § 1251 Nr 116, 120). Die Vorschrift sieht die Anrechnung von Ersatzzeiten bis zum 31. Dezember 1949 allein aufgrund der Tatsache vor, dass der Verfolgte sich infolge Verfolgungsmaßnahmen im Ausland aufgehalten hat (vgl BSG SozR 2200 § 1251 Nr 49, 106; SozR Nr 61 zu § 1251 RVO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.

Ende der Entscheidung

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