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Gericht: Bundessozialgericht
Beschluss verkündet am 27.08.2009
Aktenzeichen: B 13 RS 9/09 B
Rechtsgebiete: GG, SGG
Vorschriften:
GG Art 103 Abs 1 | |
SGG § 62 | |
SGG § 153 Abs 4 Satz 2 |
BUNDESSOZIALGERICHT Beschluss
in dem Rechtsstreit
Az: B 13 RS 9/09 B
Der 13. Senat des Bundessozialgerichts hat am 27. August 2009 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Steinwedel, den Richter Kaltenstein und die Richterin Dr. Oppermann sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. Andresen und Hannig
beschlossen:
Tenor:
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 14. Januar 2009 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Gründe:
I
Der Kläger begehrt in der Hauptsache von der Beklagten die Feststellung der Zeiten vom 1.4.1976 bis 31.12.1977 und vom 27.12.1978 bis 30.6.1990 als solche der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech) sowie der dabei erzielten Arbeitsentgelte.
Der 1946 geborene Kläger erwarb im Juli 1972 die Berechtigung, die Bezeichnung Ingenieur der Fachrichtung Gastechnik zu führen. Er war vom 1.9.1972 bis 31.8.1973 als Betriebsingenieur bei dem Volkseigenen Betrieb (VEB) E. und anschließend bis 31.3.1976 als Schichtingenieur bei dem VEB V. beschäftigt. Vom 1.4.1976 bis 26.12.1978 arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei dem Ingenieurbüro für R., das zum 1.1.1978 dem Institut für E. angegliedert wurde. Schließlich war er vom 27.12.1978 bis 30.6.1990 als Objektbauleiter, Erster Entwurfs-Ingenieur und zuletzt als Gruppenleiter Planung und Projektierung bei dem VEB W. - tätig.
Insoweit hat die Beklagte anerkannt, dass der Kläger die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes erfüllt und dass die Zeiten vom 1.9.1972 bis 31.3.1976 sowie vom 1.1. bis 26.12.1978 als Zeiten der Zugehörigkeit zur AVItech festzustellen sind. Die darüber hinausgehende Klage hat das Sozialgericht Berlin (SG) mit Urteil vom 5.12.2006 abgewiesen.
Hiergegen hat der Kläger am 26.3.2007 Berufung beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (LSG) eingelegt.
Mit Schreiben vom 26.5.2008 hat das LSG mitgeteilt, dass es beabsichtige, die Berufung gemäß § 153 Abs 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch Beschluss zurückzuweisen.
Daraufhin hat der Kläger die Berufung begründet. Nachdem das LSG mit weiterem Schreiben vom 17.10.2008 nochmals auf seine Absicht hingewiesen hatte, die Berufung nach § 153 Abs 4 SGG durch Beschluss zurückzuweisen, hat der Kläger mit Schriftsatz vom 12.11.2008 Fristverlängerung für weiteren Vortrag bis einschließlich Dezember 2008 beantragt. Mit Schreiben vom 26.11.2008 hat das Berufungsgericht die beantragte Fristverlängerung mit dem Hinweis gewährt, dass danach - wie bereits angekündigt - mit einer sofortigen Entscheidung des Gerichts durch Beschluss zu rechnen sei.
Mit Schriftsatz vom 2.1.2009 hat der Kläger weiter vorgetragen und beantragt, Prof. Dr. J. R. als Zeugen zur Bestimmung des Begriffs "Produktion" iS des § 1 Abs 1 iVm Abs 2 der Zweiten Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben (2. DB) zu vernehmen.
Mit Schreiben vom 13.1.2009, den Prozessbevollmächtigten des Klägers per Telefax am selben Tag zugegangen, hat das LSG mitgeteilt, dass es auch unter Berücksichtigung des weiteren Vorbringens des Klägers beabsichtige, durch Beschluss gemäß § 153 Abs 4 SGG zu entscheiden. Wegen des Antrags, Prof. Dr. R. als Zeugen zu hören, werde auf den seinen Prozessbevollmächtigten bekannten Beschluss des Bundessozialgerichts (BSG) vom 13.10.2008 (B 13 RS 56/08 B) verwiesen.
Mit Beschluss vom 14.1.2009, den Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellt am 15.1.2009, hat das LSG die Berufung zurückgewiesen.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Beschluss hat der Kläger beim BSG Beschwerde eingelegt. Er rügt die Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör.
II
Die Beschwerde des Klägers ist zulässig und begründet. Der gerügte Verfahrensmangel einer Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 des Grundgesetzes [GG], § 62 SGG iVm § 153 Abs 4 Satz 2 SGG) liegt vor. Denn das LSG hat bei seiner Entscheidung durch Beschluss dem in § 153 Abs 4 Satz 2 SGG gesondert geregelten Anhörungsgebot nicht hinreichend Rechnung getragen.
Nach § 153 Abs 4 Satz 1 SGG kann das LSG die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, falls die mit dem Rechtsmittel angefochtene Entscheidung des SG kein Gerichtsbescheid (§ 105 Abs 2 Satz 1 SGG) ist. Nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG sind die Beteiligten vorher zu hören. Diese Anhörungspflicht ist Ausdruck des verfassungsrechtlichen Gebots rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG), das im Beschlussverfahren nicht verkürzt werden darf. Ihm ist nur Genüge getan, wenn den Beteiligten Gelegenheit sowohl zur Äußerung von etwaigen Bedenken, die sie gegen eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (und ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter) haben, als auch zur Stellungnahme in der Sache selbst eingeräumt wird (BSG vom 9.4.2003, B 5 RJ 140/02 B, Juris RdNr 8). Daran fehlt es hier, weil das LSG dem Kläger auf die Anhörungsmitteilung vom 13.1.2009 keine angemessene Frist zur Äußerung vor seiner am 14.1.2009 getroffenen und am 15.1.2009 zugestellten Entscheidung eingeräumt hat.
Wird nach einer (ersten) Anhörungsmitteilung weiter vorgetragen und werden formelle Beweisanträge gestellt, muss eine neue Anhörungsmitteilung nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG mit Äußerungsmöglichkeit ergehen, wenn das Berufungsgericht auch unter Würdigung des neuen Vorbringens an seiner Absicht festhalten will, über die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden und den Beweisanträgen nicht nachzugehen (Senatsbeschluss vom 31.1.2008, B 13 R 433/07 B, Juris RdNr 8; BSG vom 20.10.1999, SozR 3-1500 § 153 Nr 8 S 24; BSG vom 17.9.1997, SozR 3-1500 § 153 Nr 4 S 12 f). Denn nur so erlangt ein Beteiligter hinreichende Kenntnis davon, dass das Berufungsgericht trotz neuen Sachvortrags an der Wahl des vereinfachten Verfahrens festhalten und nicht mündlich verhandeln will; nur so kann er erneut auf das Berufungsgericht einwirken und dieses ggf dazu veranlassen, seinem Berufungsvortrag nachzugehen und zumindest eine mündliche Verhandlung anzuberaumen. Einer erneuten Anhörungsmitteilung in diesem Sinne bedarf es nur dann nicht, wenn das neue Vorbringen nicht entscheidungserheblich oder unsubstantiiert ist, neben der Sache liegt oder früheren Vortrag lediglich wiederholt (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG-Komm, 9. Aufl 2008, § 153 RdNr 20 mwN). Vorliegend ist einer dieser Ausnahmefälle jedoch nicht gegeben. Insoweit folgerichtig hat das LSG auch auf den Vortrag des Klägers mit Schriftsatz vom 2.1.2009 und den dort gestellten Antrag auf Vernehmung des Prof. Dr. R. mit einer erneuten Anhörungsmitteilung vom 13.1.2009 reagiert. Es hat jedoch zu früh - dh ohne Abwarten angemessener Zeit für eine eventuelle Stellungnahme des Klägers - entschieden.
Zwar schreibt § 153 Abs 4 Satz 2 SGG nicht vor, dass das Gericht eine Frist zur Stellungnahme zu bestimmen hat und welche Frist zumindest einzuräumen wäre (BSG vom 29.11.2006, SozR 4-1500 § 153 Nr 3 RdNr 6; BSG vom 12.2.2009, B 5 R 386/07 B, Juris RdNr 12). Bei einer Anhörungsmitteilung ohne Fristsetzung hat das BSG in Anlehnung an eine Reihe von Verfahrensvorschriften einen Verfahrensfehler verneint, wenn den Beteiligten tatsächlich ein Monat für eine eventuelle Stellungnahme zur Verfügung gestanden hat (BSG vom 29.11.2006, SozR 4-1500 § 153 Nr 3 RdNr 8; vgl aber BSG vom 31.3.2004, SozR 4-1500 § 153 Nr 6 RdNr 9: "regelmäßig 4 Wochen"; BSG vom 22.6.1998, B 12 KR 85/97 B, Juris RdNr 14: "über drei Wochen"), was vorliegend aber offensichtlich nicht der Fall war. Ob bei einer Zurückweisung der Berufung durch Beschluss ohne Fristsetzung für eine eventuelle Stellungnahme in Anlehnung an die Rechtsprechung zum Verwaltungsverfahren nach § 24 Abs 1 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (vgl BSG vom 6.8.1992, BSGE 71, 104, 106 f = SozR 3-1300 § 24 Nr 7 S 22 f) auch im Rahmen der Anhörungspflicht nach § 153 Abs 4 Satz 2 SGG zumindest eine Frist von zwei Wochen zuzüglich Postlaufzeiten einzuräumen ist (bejahend für den Fall einer Anhörungsmitteilung mit Fristsetzung: BSG vom 12.2.2009, B 5 R 386/07 B, Juris RdNr 15; im Ergebnis ebenso BSG vom 31.3.2004, SozR 4-1500 § 153 Nr 6 RdNr 9) braucht der Senat nicht zu entscheiden. Denn auch diese Frist stand dem Kläger für eine Stellungnahme auf die seinen Prozessbevollmächtigten am 13.1.2009 per Telefax zugegangene Anhörungsmitteilung nicht zur Verfügung. Der am 14.1.2009 gefasste Beschluss ist nämlich bereits am 15.1.2009 zugestellt worden.
Der die Berufung des Klägers zurückweisende Beschluss des LSG kann auch auf der Verletzung des rechtlichen Gehörs beruhen. Es ist nicht auszuschließen, dass der Kläger bei ordnungsgemäßer Anhörung noch Gründe vorgetragen hätte, die dem LSG zumindest Veranlassung gegeben hätten, seinem Vortrag weiter nachzugehen, und dass es - ggf auch nach Anberaumung einer mündlichen Verhandlung - aufgrund neuer Erkenntnisse zu einem für den Kläger günstigeren Ergebnis gekommen wäre.
Zur Vermeidung weiterer Verfahrensverzögerungen hat der Senat die Sache im Beschlusswege nach § 160a Abs 5 SGG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Ende der Entscheidung
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