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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 06.12.2007
Aktenzeichen: B 14/7b AS 22/06 R
Rechtsgebiete: SGB II


Vorschriften:

SGB II § 11
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

in dem Rechtsstreit

Az: B 14/7b AS 22/06 R

Der 14. Senat des Bundessozialgerichts hat ohne mündliche Verhandlung am 6. Dezember 2007 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Udsching, die Richterinnen Knickrehm und Dr. Düring sowie den ehrenamtlichen Richter Liedtke und die ehrenamtliche Richterin Herbst für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. Mai 2006 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe:

I

Streitig ist die Höhe der dem Kläger im Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Mai 2005 zustehenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der Kosten der Unterkunft nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), unter Berücksichtigung einer Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach dem Siebten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) als Einkommen.

Der 1952 geborene Kläger erhielt bis zum 4. November 2001 Arbeitslosengeld (Alg) und anschließend bis zum 31. Dezember 2004 Anschlussarbeitslosenhilfe. Er bezieht eine Verletztenrente von der Süddeutschen Metall-Berufsgenossenschaft (Mainz) nach einem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 40 vH, die sich im streitigen Zeitraum auf 341,88 € monatlich belief (Anpassung zum 1. Juli 2003).

Durch Bescheid vom 14. Dezember 2004 bewilligte die Beklagte dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der Kosten der Unterkunft für den Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Mai 2005 in Höhe von zunächst monatlich 127,36 €. Die Verletztenrente des Klägers berücksichtigte sie als Einkommen iS des § 11 SGB II. Diesen Bescheid änderte sie durch Bescheid vom 24. Januar 2005 und setzte die Leistungshöhe nunmehr auf 157,36 € fest (Regelleistung: 345 € plus Kosten der Unterkunft einschließlich Heizkosten <KdU>: 124,24 € minus Verletztenrente: 341,88 € abzüglich einer Versicherungspauschale: 30 €). Den Widerspruch des Klägers insbesondere wegen der Berücksichtigung der Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung als Einkommen wies sie durch Widerspruchsbescheid vom 14. Februar 2005 zurück.

Mit seiner Klage vor dem Sozialgericht Reutlingen und der Berufung gegen dessen Urteil vom 24. Februar 2005 ist der Kläger erfolglos geblieben. Das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) führt zur Begründung seines Urteils vom 16. Mai 2006 aus: Dem Kläger stünden keine höheren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu, insbesondere sei die Verletztenrente bei der Berechnung der SGB II-Leistungen als Einkommen zu berücksichtigen. Die Verletztenrente stelle eine Einnahme in Geld dar. Eine Privilegierung der Unfallrente könne dem Gesetz nicht entnommen werden. Weder liege hier eine Entschädigung nach § 253 Abs 2 BGB vor, noch handele es sich bei der Verletztenrente um eine zweckbestimmte Leistung iS des § 11 Abs 3 Nr 1 Buchstabe a SGB II. Die Verletztenrente diene einem allgemeinen und nicht einem bestimmten Zweck. Der Gesetzgeber habe sich bei der Regelung des § 11 SGB II am Sozialhilferecht orientieren wollen. Nach § 76 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) sei die Verletztenrente als Einkommen auf die Fürsorgeleistung anzurechnen gewesen. Die Regelung des § 2 Satz 1 Nr 2 Arbeitslosenhilfe-Verordnung (AlhiV) vom 13. Dezember 2001 (BGBl I 3734) sei hingegen nicht auf das SGB II übertragen worden. In der auf Grund von § 13 SGB II erlassenen Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung (Alg II-V) vom 20. Oktober 2004 (BGBl I 2622) idF der Alg II-V vom 22. August 2005 (BGBl I 2499) werde die Verletztenrente nicht als nicht zu berücksichtigendes Einkommen benannt. Ein Verstoß gegen Art 14 Grundgesetz (GG) liege nicht vor. Die Leistungen nach dem SGB II seien steuerfinanziert und enthielten kein eigentumsspezifisches Merkmal der einkommensbezogenen Eigenleistung. Ebenso wenig sei der allgemeine Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG tangiert. Dem Gesetzgeber komme im Bereich der gewährenden Staatstätigkeit ein weiter Gestaltungsspielraum zu, den dieser beim SGB II wie bei der Sozialhilfe ohne durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken im Sinne der Berücksichtigung der Verletztenrente als Einkommen genutzt habe. Insoweit habe er gerade eine Gleichbehandlung zwischen den Beziehern von Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) und Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II hergestellt.

Der Kläger hat die vom LSG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassene Revision beim Bundessozialgericht (BSG) eingelegt. Er rügt eine rechtsfehlerhafte Berücksichtigung der Verletztenrente als Einkommen iS des § 11 SGB II. Die Verletztenrente sei dem Kläger in vollem Umfang, hilfsweise in Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG), neben den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu belassen. Die Verletztenrente habe nicht nur Lohnersatzfunktion. Bei der Arbeitslosenhilfe, die der Kläger bis zum Inkrafttreten des SGB II bezogen habe, sei die Verletztenrente nicht zur Anrechnung gelangt. Dieser Zustand müsse angesichts der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe im SGB II - zur Wahrung des Sozialstaatsprinzips - aufrecht erhalten bleiben.

Der Kläger beantragt,

die Urteile des Landessozialgericht Baden-Württemberg vom 16. Mai 2006 und des Sozialgerichts Reutlingen vom 15. Dezember 2005 aufzuheben sowie die Bescheide der Beklagten vom 14. Dezember 2004 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 24. Januar 2005, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Februar 2005 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen dem Kläger im Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Mai 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ohne Berücksichtigung der Verletztenrente als Einkommen zu gewähren, hilfsweise diese bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem BVG unberücksichtigt zu lassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Ausführungen im Urteil des LSG für zutreffend.

II

Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet.

Das Urteil des LSG ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Dem Kläger stehen im Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Mai 2005 keine höheren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu, als von der Beklagten bewilligt. Die Beklagte hat die Höhe der dem Kläger zu gewährenden Regelleistung, einschließlich der Kosten der Unterkunft, unter Berücksichtigung der Verletztenrente als Einkommen, zutreffend ermittelt.

Streitgegenstand des Revisionsverfahrens sind die Bescheide der Beklagten vom 14. Dezember 2004 in der Fassung vom 24. Januar 2005, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Februar 2005. Da die Leistungsbewilligung in diesen Bescheiden auf den Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Mai 2005 begrenzt worden ist, ist auch nur die Leistungsgewährung für diesen Zeitraum streitbefangen. Die Ausdehnung des Klagegegenstandes auf Bewilligungsbescheide für Folgezeiträume kommt beim Alg II regelmäßig nicht in Betracht (s dazu näher Urteile des BSG vom 7. November 2006 - B 7b AS 14/06 R - SozR 4-4200 § 20 Nr 1; 23. November 2006 - B 11b AS 1/06 R - SozR 4-4200 § 20 Nr 3; 29. März 2007 - B 7b AS 4/06 R).

Die Leistungsansprüche des Klägers sind im Rahmen der erhobenen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt zu überprüfen. Die Begrenzung in Revisionsantrag und -begründung auf die - nach Auffassung des Klägers rechtswidrige - Berücksichtigung der Verletztenrente als Einkommen, ändert hieran nichts. Bei einem Streit um höhere Leistungen nach dem SGB II sind grundsätzlich alle Anspruchsvoraussetzungen dem Grunde und der Höhe nach zu prüfen (s BSG Urteile vom 7. November 2006 - B 7b AS 14/06 R aaO; 23. November 2006 - B 11b AS 9/06 R - SozR 4-4300 § 428 Nr 3 und 16. Mai 2007 - B 11b AS 29/06 R). Für den vorliegenden Fall gilt nichts anderes. Abstrakt wird das Klagebegehren bestimmt durch den konkreten Sachverhalt und die auf Grund dessen an das Gericht gerichtete Klage sowie den Klagegrund, aus dem sich die Rechtsfolge ergeben soll (stRspr, vgl BSG vom 31. Juli 2002 - B 4 RA 113/00 R; SozR 4-2600 § 237 Nr 2). Im konkreten Fall begehrt der Kläger mit dem Antrag auf Nichtberücksichtung der Verletztenrente letztendlich höheres Alg II. Insoweit greift jedoch der im Arbeitsförderungsrecht entwickelte "Meistbegünstigungsgrundsatz" (BSG SozR 3-6050 Art 71 Nr 11 S 57; SozR 3-4100 § 104 Nr 11 S 47 mwN; siehe auch Eicher, in Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 40 RdNr 16 mwN), nach dem im Zweifel davon auszugehen ist, dass ein Kläger mit seiner Klage ohne Rücksicht auf den Wortlaut des Antrags das begehrt, was ihm den größten Nutzen bringen kann (§ 123 Sozialgerichtsgesetz <SGG>).

(1) Nach den von den Beteiligten nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) bestehen keine Zweifel, dass der Kläger Anspruch auf Alg II hat. Er erfüllt die Voraussetzungen des § 7 Abs 1 SGB II. Er hat das 15. Lebensjahr vollendet, das 65. jedoch noch nicht, ist erwerbsfähig und hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Zudem liegt auch Hilfebedürftigkeit iS des § 9 Abs 1 SGB II vor. Diesen Tatbestand erfüllt, wer seinen Lebensunterhalt ... nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht 1. durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, 2. aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält.

Die Beklagte hat das Alg II des Klägers in den angefochtenen Bescheiden zutreffend wie folgt berechnet: Sie ist von der Regelleistung nach § 20 Abs 2 SGB II (hier in der Fassung des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003, BGBl I 2954) für einen Alleinstehenden in Höhe von 345 € ausgegangen. Als Kosten der Unterkunft iS des § 22 SGB II hat sie zusammen 124,24 € angesetzt. Von diesen insgesamt 469,24 € hat sie die Verletztenrente als Einkommen in Höhe von 341,88 € monatlich, gemindert um 30 € (§ 11 Abs 2 Nr 3 iVm § 13 Nr 3 SGB II iVm § 3 Nr 1 Alg II-V vom 20. Oktober 2004 <BGBl I 2622>) = 311,88 € abgezogen. Hieraus ergibt sich der von der Beklagten rechtmäßig festgesetzte Zahlbetrag an Alg II und Kosten der Unterkunft in Höhe von 157,36 €.

Entgegen der vom Kläger vertretenen Auffassung ist die Verletztenrente als Einkommen iS des § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II bei der Berechnung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu berücksichtigen (a). § 11 Abs 1 Satz 1 Halbsatz 2 SGB II kann nicht analog auf die Verletztenrente angewendet werden (b). Ebenso wenig handelt es sich um eine von der Einkommensberücksichtigung auszunehmende zweckgebundene Einnahme iS des § 11 Abs 3 Nr 1 lit a SGB II (c) oder ist sie wie eine Entschädigung iS des § 11 Abs 3 Nr 2 SGB II zu behandeln (d). Aus der leistungsmindernden Berücksichtigung der Verletztenrente folgt zuletzt keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung nach Art 3 Abs 1 GG (e).

(a) Nach § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II sind als Einkommen zu berücksichtigen, Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach dem SGB II, der Grundrente nach dem BVG und nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des BVG vorsehen und Renten oder Beihilfen, die nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schaden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit erbracht werden, bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem BVG. Der Wortlaut des § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II erfasst die Verletztenrente mithin eindeutig nicht als Ausnahme von den zu berücksichtigenden Einnahmen in Geld oder Geldeswert. Aber auch Gesetzesbegründung und systematischer Zusammenhang sprechen gegen die "Nichtberücksichtigung" der Verletztenrente als Einkommen iS des § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II. Der Gesetzgeber hat bewusst § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II an den Wortlaut des § 82 Abs 1 Satz 1 SGB XII angeknüpft (vgl BT-Drucks 15/1514 S 65 - zu § 77 <= § 82 SGB XII> BT-Drucks 15/1516 S 53 zu § 11 SGB II). Er greift auch insoweit auf den Gleichklang mit dem Sozialhilferecht als dem Referenzsystem des SGB II zurück (vgl BT-Drucks 15/1514, S 1). Weder nach § 82 Abs 1 Satz 1 SGB XII, noch dem bisherigen § 76 Abs 1 BSHG ist die Verletztenrente nicht zu berücksichtigendes Einkommen. In diesem Sinne hat auch der 2. Senat des BSG in seiner Entscheidung vom 3. Dezember 2002 (BSGE 90, 172 ff = SozR 3-5910 § 76 Nr 4) zum Verhältnis von § 76 Abs 1 BSHG und Verletztenrente ausgeführt, der Gesetzgeber des Sozialhilferechts habe gezielt nur bestimmte -im Gesetz aufgezählte - Leistungen von der Einkommensanrechnung ausgenommen. Hierzu zähle nicht die Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung.

(b) Eine analoge Anwendung des § 11 Abs 1 Satz 1 Halbsatz 2 SGB II, also eine Übertragung der für Grundrenten nach dem BVG geltenden Regelung auf die Verletztenrente kommt nicht in Betracht. Abgesehen davon, dass Gesetzesbegründung und Wortlaut des § 11 Abs 1 Satz 1 Halbsatz 2 SGB II bereits gegen eine planwidrige Lücke sprechen, folgt dieses auch aus dem systematischen Zusammenhang der §§ 11 SGB II und 58 Abs 1 Sätze 1 und 2 SGB VII. Der Gesetzgeber hat das Verhältnis zwischen Verletztenrente und Alg II durchaus bedacht und geregelt. Zeitgleich mit der Einführung des SGB II ist eine Änderung der Sätze 1 und 2 in § 58 SGB VII erfolgt (Viertes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003, BGBl I 2954). Danach wird die Rente längstens für zwei Jahre nach ihrem Beginn um den Unterschiedsbetrag erhöht, solange Versicherte infolge des Versicherungsfalls ohne Anspruch auf Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen sind und die Rente zusammen mit dem Alg oder dem Alg II nicht den sich aus § 46 Abs 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) ergebenden Betrag des Übergangsgeldes erreicht. Der Unterschiedsbetrag wird bei dem Alg II nicht als Einkommen berücksichtigt. Der Gesetzgeber hat mithin zur Harmonisierung der Leistungen nach dem SGB II und dem SGB VII (vgl BT-Drucks 15/1516 S 28) Regelungen geschaffen, insbesondere zum Verhältnis von Verletztenrente zu Alg II. Hierbei hat er ausdrücklich normiert, in welchem Fall die Verletztenrente als Einkommen bei der Berechnung des Alg II außer Betracht zu bleiben hat.

(c) Bei der Verletztenrente handelt es sich auch nicht um eine von der Einkommensberücksichtigung auszunehmende zweckgebundene Einnahme iS des § 11 Abs 3 Nr 1 Buchstabe a SGB II. Nach § 11 Abs 3 Nr 1 Buchstabe a SGB II sind nicht als Einkommen zu berücksichtigen

1. Einnahmen, soweit sie als

a) zweckbestimmte Einnahmen, einem anderen Zweck als die Leistungen nach diesem Buch dienen und die Lage des Empfängers nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach diesem Buch nicht gerechtfertigt wären. Die Verletztenrente nach dem SGB VII ist keine Einnahme, die wegen ihres Charakters und ihrer Zweckbestimmung aus der Einkommensberechnung auszunehmen ist (vgl BSG vom 5. September 2007 - B 11b AS 15/06 R, zur Veröffentlichung vorgesehen). Der Senat folgt insoweit dem 11b. Senat des BSG. Dieser nimmt Bezug auf die Entscheidung des 2. Senats des BSG (BSGE 90, 172, 175 = SozR 3-5910 § 76 Nr 4 S 12; ebenso VGH Hessen FEVS 43, 195 ff) zu der vergleichbaren Vorschrift des § 77 Abs 1 und Abs 2 BSHG.

Sinn des § 11 Abs 3 Nr 1 Buchstabe a SGB II ist es, eine Leistung, die zu einem ausdrücklich genannten Zweck gewährt wird, nur soweit als Einkommen zu berücksichtigen, als die SGB II-Leistung im Einzelfall demselben Zweck dient. Es soll mit § 11 Abs 3 Nr 1 SGB II einerseits vermieden werden, dass die besondere Zweckbestimmung einer Leistung durch die Berücksichtigung im Rahmen des SGB II verfehlt wird. Andererseits soll die Vorschrift aber auch verhindern, dass für einen identischen Zweck Doppelleistungen erbracht werden. Die Regelung des § 11 Abs 3 Nr 1 Buchstabe a SGB II folgt den Regelungen der § 77 Abs 1 Satz 1 und § 78 BSHG. Diesen entsprechen die § 83 Abs 1 und § 84 Abs 1 SGB XII (vgl daher insoweit zu den BSHG-Vorschriften: BVerwGE 45, 157, 160; BSGE 90, 172, 175 = SozR 3-5910 § 76 Nr 4 S 12 mwN). Für § 77 Abs 1 BSHG war angenommen worden, eine genügende Zweckbestimmung der betreffenden Leistung sei dann gegeben, wenn sich dieser Zweck aus der jeweiligen gesetzlichen Vorschrift eindeutig ergebe. Letzteres ist bei der Verletztenrente, die durchaus verschiedene Funktionen hat (Einkommensersatz, Kompensation immaterieller Schäden, Mehrbedarfsausgleich), gerade nicht der Fall - wie bereits der 2. Senat des BSG in der genannten Entscheidung vom 3. Dezember 2002 (BSGE aaO, S 176; ebenso zum Wohngeldrecht BVerwGE 101, 86, 89 f) zu § 77 Abs 1 BSHG ausgeführt hat. Mit Ausnahme der Einkommensersatzfunktion, anknüpfend an die maßgeblichen Berechnungsfaktoren (MdE bzw Jahresarbeitsverdienst), ergibt sich aus dem Gesetz selbst keine klare Zweckbestimmung. Im Hinblick auf die Lohnersatzfunktion (vgl bereits BSGE 90, 172, 176 = SozR 3-5910 § 76 Nr 4 S 14; vgl zur Lohnersatzfunktion auch BSG, Urteil vom 24. Januar 2007 - B 12 KR 28/05 R -SozR 4-2500 § 240 Nr 9; BGHZ 153, 113 ff mwN) ist sie jedoch zweckidentisch mit den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.

Der unterschiedliche Wortlaut von § 77 Abs 1 Satz 1 BSHG bzw § 83 Abs 1 SGB XII und § 11 Abs 3 Nr 1 Buchstabe a SGB II lässt sich dem nicht entgegenhalten. Die Abweichung besteht darin, dass die nach sozialhilferechtlichen Vorschriften anzurechnenden Leistungen auf Grund "öffentlich-rechtlicher Vorschriften" zu einem "ausdrücklich genannten" Zweck gewährt sein mussten und müssen, während diese Erfordernisse in § 11 Abs 3 Nr 1 SGB II nicht genannt werden (so aber Hänlein in Gagel, SGB III mit SGB II, § 11 SGB II RdNr 62; Koch, NZS 2006, 480, 481). Die demgegenüber weitere Gesetzesfassung des § 11 Abs 3 Nr 1 Buchstabe a SGB II erklärt sich aus dem Bestreben, zweckidentische Leistungen unabhängig von ihrer Bezeichnung und ihrem Rechtscharakter zu erfassen. Es kommt also darauf an, ob die in Frage stehende Leistung ebenso wie die Leistungen nach dem SGB II der Existenzsicherung des Begünstigten dient. Dieses ist, wie oben dargelegt, bei Verletztenrente und Alg II der Fall. Die Verletztenrente hat zumindest auch einkommenssichernde Funktion.

Der Gesetzgeber will im Rahmen der Berücksichtigung von Einkommen nach dem SGB II auch grundsätzlich sämtliche Zahlungen mit Entgeltfunktion erfassen. § 11 Abs 1 Satz 1 2. Halbsatz SGB II zeigt dieses deutlich. Für die dort aufgeführten Renten und Beihilfen gilt: Es werden nur die Grundrenten von einer Einkommensanrechnung ausgenommen, nicht aber die nach den genannten Gesetzen zu zahlenden weiteren Leistungen, also solche, die - abstellend auf die betreffende Einkommensminderung - ihrerseits erkennbar Entgeltersatzfunktion haben.

Der Gesetzgeber hat durch die Verwendung des Wortes "soweit" in § 11 Abs 3 Nr 1 SGB II auch nicht selbst zum Ausdruck gebracht, dass zweckbestimmte Einnahmen zu dem Teil von der Berücksichtigung als Einkommen auszunehmen sind, zu dem sie anderen Zwecken als die Leistungen nach dem SGB II dienen. Allein der Verweis auf das Referenzsystem "Sozialhilfe" und den dortigen gleich lautenden § 77 Abs 1 BSHG vermag zwar nicht zu überzeugen (s Urteil des BSG vom 5. September 2007 - B 11b AS 15/06 R, RdNr 28; aA Mecke in Eicher/Spellbrink, SGB II, 1. Auflage, 2005, § 11 RdNr 77). Die obigen Ausführungen zu § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II zeigen jedoch, dass der Gesetzgeber die Verletztenrente bewusst - anders als noch in § 2 Nr 2 AlhiV 2002 vom 13. Dezember 2001 (BGBl I 3734) - von der Privilegierung als nicht zu berücksichtigendes Einkommen vollständig ausgenommen hat (aA SG Hamburg, Beschluss vom 24. Januar 2006 - S 55 AS 1404/05 ER; Grimmke, juris PraxisReport, SozR 23/2004, Anm 3; Koch, NZS 2006, 408, 410; zustimmend Hänlein in Gagel, SGB III mit SGB II, § 11 SGB II RdNr 62; Söhngen in jurisPK-SGB II, 2. Aufl 2007, § 11 RdNr 62; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, § 11 RdNr 252). Er hat eindeutig den Fall geregelt, wann sie als Einkommen iS des § 11 SGB II unberücksichtigt bleiben soll und hat die noch für das Arbeitslosenhilferecht geltende, darüber hinaus gehende Privilegierung für das SGB II nicht wiederholt. Aus der Verwendung des Wortes "soweit" kann mithin bereits aus systematischen Gründen für die Verletztenrente keine, auch nicht teilweise, Ausnahme von der Anrechenbarkeit auf das Alg II folgen.

(d) Die Verletztenrente ist auch nicht als eine Entschädigung iS des § 11 Abs 3 Nr 2 SGB II zu behandeln. Der Senat folgt insoweit ebenfalls dem Ergebnis des 11b. Senats in seiner Entscheidung vom 5. September 2007 (B 11b AS 15/06 R).

(e) Aus der leistungsmindernden Berücksichtigung der Verletztenrente folgt zuletzt keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung nach Art 3 Abs 1 GG. Art 3 Abs 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Dieses Grundrecht ist daher vor allem dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art oder solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können (vgl BVerfG SozR 3-5755 Art 2 § 27 Nr 1 mwN). Der Gesetzgeber hat aber gerade bei der Gewährung von Sozialleistungen, die - wie hier bei den Leistungen zur Grundsicherung - an die Bedürftigkeit des Empfängers anknüpfen, grundsätzlich einen weiten Spielraum, wenn er Regelungen darüber trifft, ob und in welchem Umfang das Einkommen des Empfängers auf den individuellen Bedarf angerechnet wird (BVerfGE 100, 165, 205; BSGE 90, 172, 178 = SozR 3-5910 § 76 Nr 4). Insofern besteht hier eine andere Situation als im Arbeitsförderungs- und Rentenrecht.

Soweit § 11 SGB II im Rahmen der Gewährung von Leistungen demgegenüber nach wie vor die Empfänger von Leistungen für ein erlittenes so genanntes "Sonderopfer" bevorzugt, knüpft die Ungleichbehandlung an ein sachgerechtes Unterscheidungskriterium an und rechtfertigt damit die unterschiedliche Behandlung (BSGE aaO; zum Wohngeldrecht BVerwGE 101, 86, 97 f). Das Gleiche gilt für Leistungen nach § 11 Abs 3 Nr 1 Buchstabe a SGB II, die einen mit den Zielen des § 11 SGB II nicht identischen Zweck verfolgen, dh über die reine Sicherung des Lebensunterhalts hinausgehen. Zur Begründung im Einzelnen wird auf die Entscheidung des 11b. Senats vom 5. September 2007 (B 11b AS 15/06 R) verwiesen.

Ebenfalls zu folgen ist dem 11b. Senat soweit er ausführt, es begegne keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass die Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen gemäß § 11 SGB II für die betroffenen Arbeitsuchenden ungünstiger als die bis Ende 2004 für die Bezieher von Alhi geltenden Bestimmungen sind (BSG, Urteil vom 23. November 2006 - B 11b AS 1/06 R - SozR 4-4200 § 20 Nr 3, RdNr 55 - auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen). Wegen der Andersartigkeit des SGB II als existenzsichernde Leistung im Vergleich zur bisherigen Alhi ist es auch nicht zu beanstanden, dass das SGB III iVm § 2 Nr 1 AlhiV 2002 - wie schon § 11 Nr 4 AlhiV vom 7. August 1974 (BGBl I 1929) - für die Gewährung der ebenfalls bedürftigkeitsabhängigen Alhi eine Freistellung der Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung bis zur Höhe der Grundrente nach dem BVG vorsah. Die Alhi orientierte sich zumindest am zuletzt bezogenen Arbeitsentgelt (zu dem für die Alhi geltenden "Entgeltersatzprinzip" vgl Voelzke in Hauck/Noftz, SGB II, E 010 Rz 43 ff), während die Leistungen des SGB II ausschließlich bedürftigkeitsabhängig sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ende der Entscheidung

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