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Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 19.09.2008
Aktenzeichen: B 14 AS 56/07 R
Rechtsgebiete: SGB II, Alg II-V
Vorschriften:
SGB II § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 3 | |
SGB II § 13 Satz 1 Nr 3 | |
Alg II-V § 3 Abs 1 Nr 1 |
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil
in dem Rechtsstreit
Az: B 14 AS 56/07 R
Der 14. Senat des Bundessozialgerichts hat am 19. September 2008 ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Udsching, den Richter Dr. Spellbrink und die Richterin Dr. Düring sowie die ehrenamtliche Richterin Dörr und den ehrenamtlichen Richter Wirsam für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 24. Juli 2007 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückverwiesen.
Gründe:
I
Die Beklagte wendet sich mit ihrer Sprungrevision dagegen, dass sie vom Sozialgericht Detmold (SG) verurteilt worden ist, einen Pauschbetrag in Höhe von 30 Euro vom Einkommen des Klägers abzusetzen, ohne dass der Kläger den Abschluss von Versicherungen und die Zahlung von Beiträgen nachzuweisen hätte.
Der Kläger steht seit 1. Januar 2005 im Leistungsbezug bei der Beklagten. Er geht an zwei Tagen in der Woche einer Beschäftigung in einem 13 km von seinem Wohnort entfernten Supermarkt nach. Der schwerbehinderte Kläger wird von seinem Vater in dessen Pkw zur Arbeitsstätte gefahren. Aus der Beschäftigung erzielt er monatliche Einnahmen in Höhe von 168,63 Euro.
Die Beklagte bewilligte durch Bescheid vom 23. Dezember 2004 dem Kläger für den Monat Januar 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 513,96 Euro. Das monatliche Erwerbseinkommen wurde in Höhe von 117,04 Euro als Einkommen berücksichtigt. Ein Pauschbetrag für öffentliche und private Versicherungen wurde nicht in Abzug gebracht. Der Kläger legte hiergegen im Januar 2005 Widerspruch ein, mit dem er ua höhere Fahrtkosten und die Anerkennung der Versicherungspauschale in Höhe von 30 Euro beantragte. Durch gleichlautende Bescheide vom 27. Januar 2005 und 24. Februar 2005 bewilligte die Beklagte sodann dem Kläger für den Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis 31. Mai 2005 weiterhin Leistungen in Höhe von 513,96 Euro monatlich.
Durch Widerspruchsbescheid vom 30. November 2005 wurde dem Widerspruch des Klägers hinsichtlich der Fahrtkosten insoweit abgeholfen, als hierfür nunmehr monatlich 50 Euro bewilligt wurden.
Auf die Klage hat das SG durch Urteil vom 24. Juli 2007 den Bescheid vom 23. Dezember 2004 idF der Änderungsbescheide vom 27. Januar 2005 und 24. Februar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. November 2005 geändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) unter Berücksichtigung einer Pauschale für öffentliche und private Versicherungen zu zahlen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, die angefochtenen Bescheide erwiesen sich insoweit als rechtswidrig, als die Beklagte den Abzug einer Pauschale "für öffentliche und private" Versicherungen in Höhe von 30 Euro versagt habe. Gemäß § 3 Nr 1 der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung (Alg II-V) habe eine Absetzung des Pauschbetrags unabhängig davon zu erfolgen, ob die Versicherungsbeiträge bei einem Hilfebedürftigen auch tatsächlich angefallen seien. Mit der Pauschalierung in § 3 Nr 1 Alg II-V habe der Verordnungsgeber der Tatsache Rechnung getragen, dass bei einer Vielzahl der Hilfebedürftigen anerkennenswerte Versicherungen iS des § 11 Abs 2 Nr 3 SGB II bestünden. Um aufwendige Ermittlungen im Rahmen einer Massenverwaltung zu vermeiden und damit eine Verwaltungsvereinfachung und Beschleunigung herbeizuführen, sei der angemessene anerkennenswerte Betrag in § 3 Nr 1 Alg II-V pauschaliert worden. Das Ziel der Verwaltungsvereinfachung und Beschleunigung werde verfehlt, wenn jeweils eine Prüfung erfolge, ob überhaupt anerkennenswerte Versicherungen bei dem Hilfebedürftigen bestünden. Soweit der Kläger höhere Fahrtkosten gemäß § 11 Abs 1 Nr 5 SGB II begehre, sei die Klage unbegründet. Unter Berücksichtigung des § 3 Nr 3a bb Alg II-V sei bei einer Entfernung von 13 km zur Arbeitsstätte und unter Berücksichtigung der Anzahl der Arbeitstage der Betrag von 50 Euro angemessen gewesen.
Durch Beschluss vom 17. September 2007 hat das SG die Sprungrevision zugelassen, die die Beklagte eingelegt hat. Sie rügt eine Verletzung des § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB II iVm § 13 Satz 1 Nr 3 SGB II und § 3 Abs 1 Nr 1 Alg II-V. Entgegen der Auffassung des SG sei es nicht Ziel des Gesetzgebers gewesen, mit der Pauschalierung in § 3 Abs 1 Nr 1 Alg II-V die Verwaltung von der Prüfung, ob die von einem Hilfebedürftigen zu zahlenden Versicherungsbeiträge auch tatsächlich anfielen, zu entlasten. Zwar sollten mit der Festsetzung von Pauschbeträgen regelmäßig zeitraubende Ermittlungen im Rahmen der Massenverwaltung vermieden werden. Zu beachten sei aber, dass die Erreichung dieses Ziels nicht dazu führen dürfe, dass der Pauschbetrag nach § 3 Abs 1 Nr 1 Alg II-V zu einer zusätzlichen, den Bedarf erhöhenden Leistung - unabhängig von einer insoweit tatsächlich bestehenden Belastung auf Seiten des Hilfebedürftigen - führe. Hierzu verweist die Beklagte auf ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 7. November 2006 (B 7b AS 18/06 R). Da der Kläger in dem vorliegenden Verfahren das Bestehen von Versicherungen nicht nachgewiesen habe, sei sie berechtigt gewesen, den Abzug einer Pauschale in Höhe von monatlich 30 Euro zu versagen.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
das Urteil des SG Detmold vom 24. Juli 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er beruft sich auf den Inhalt des angefochtenen Urteils. Ergänzend weist er darauf hin, dass nach dem Wortlaut des § 3 Abs 1 Nr 1 Alg II-V Pauschbeträge abzusetzen "sind". Der Gesetzgeber habe mit diesem Wortlaut der Regelung eindeutig zu erkennen gegeben, dass der Pauschbetrag regelmäßig anzuerkennen ist. Schließlich zeige auch die Neuregelung in § 11 Abs 2 Satz 2 SGB II, wonach anstelle der Beträge nach § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 3 bis 5 SGB II ein Betrag von insgesamt 100 Euro monatlich vom Einkommen abzusetzen sei, dass dieser Abzug pauschal und ohne jede inhaltliche Prüfung erfolgen solle. Dies werde im Übrigen von der Beklagten ebenso gehandhabt. In dieser Regelung drücke sich ebenfalls eindeutig der Wille des Gesetzgebers aus, durch die Pauschalierung zur Vereinfachung des Verwaltungsverfahrens beizutragen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes <SGG>) einverstanden erklärt.
II
Die zulässige und statthafte Sprungrevision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das SG begründet (§ 170 Abs 2 SGG). Auf Grund der tatsächlichen Feststellungen des SG kann nicht beurteilt werden, ob und für welchen Zeitraum dem Kläger (höhere) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gemäß §§ 19 ff SGB II zustehen. Zu Recht hat das SG allerdings entschieden, dass der Pauschbetrag in Höhe von 30 Euro gemäß § 3 Nr 1 Alg II-V (hier idF vom 20. Oktober 2004, BGBl I 2622) für die Beiträge zu privaten Versicherungen, die nach Grund und Höhe angemessen sind, vom Einkommen des Hilfebedürftigen abzusetzen ist, ohne dass dieser im Einzelnen die tatsächliche Zahlung solcher Beiträge nachweisen muss.
Die Beklagte wendet sich mit ihrer Sprungrevision dagegen, dass sie vom SG dazu verurteilt worden ist, den Pauschbetrag in Höhe von 30 Euro gemäß § 3 Nr 1 Alg II-V ohne konkrete Nachweise seitens des Hilfebedürftigen zu berücksichtigen. Bei einem Streit um höhere Leistungen nach dem SGB II sind grundsätzlich alle Anspruchsvoraussetzungen dem Grund und der Höhe nach zu prüfen (vgl nur BSG, Urteile vom 7. November 2006 - B 7b AS 14/06 R - BSGE 97, 242 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1; 23. November 2006 - B 11b AS 9/06 R - SozR 4-4300 § 428 Nr 3 und 16. Mai 2007 - B 11b AS 29/06 R). Das Vorgehen der Beklagten, lediglich eine isolierte Rechtsfrage (Berücksichtigung des Pauschbetrages in Höhe von 30 Euro gemäß § 3 Nr 1 Alg II-V) zur Überprüfung durch das Revisionsgericht zu stellen, ist nicht statthaft.
Auf Grund der tatsächlichen Feststellungen des SG kann bereits nicht überprüft werden, inwieweit der Kläger überhaupt erwerbsfähiger Hilfebedürftiger iS des § 7 SGB II ist. Es fehlt an Feststellungen zu sämtlichen Tatbestandsvoraussetzungen gemäß § 7 Abs 1 Nr 1 bis 4 SGB II. Ebenso fehlt es an Feststellungen zur Beurteilung des zu berücksichtigenden Einkommens des Klägers gemäß §§ 11, 30 SGB II. Weiterhin sind auch die Kosten der Unterkunft gemäß § 22 Abs 1 SGB II nicht nachvollziehbar. Anhaltspunkte für eine insofern zulässige Beschränkung des Streitgegenstands sind ebenfalls nicht erkennbar. Auf Grund des Tenors und der Entscheidungsgründe des SG ist auch nicht klar, für welchen streitigen Zeitraum das SG die Berücksichtigung einer Pauschale in Höhe von 30 Euro ausurteilen wollte. Streitig dürfte hier auf Grund des Inhalts des Widerspruchsbescheids lediglich der Monat Januar 2005 sein. Schließlich hat das SG die Höhe des Pauschbetrags mit 30 Euro nicht in seinem Tenor ausgewiesen. Dem Senat ist es mithin nicht möglich, den gesamten Anspruch des Klägers unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt zu beurteilen. Allein auf Grund dieses Vorgehen könnte entschieden werden, ob der Beklagten zu ihrem Klageziel - Aufhebung des Urteils des SG und Abweisung der Klage insgesamt - zu verhelfen wäre.
Das SG ist allerdings zu Recht davon ausgegangen, dass der Pauschbetrag nach § 3 Nr 1 Alg II-V (in Höhe von 30 Euro) vom Einkommen des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen abzuziehen ist, ohne dass entsprechende Beiträge tatsächlich gezahlt bzw nachgewiesen werden müssen. Der erkennende Senat hat in seiner Rechtsprechung mehrfach zu erkennen gegeben, dass die Pauschalierung unabhängig von einem Nachweis der Entrichtung von Beiträgen von jedem Einkommen abzuziehen ist (so ausdrücklich Urteil vom 18. Juni 2008 - B 14 AS 55/07 R, RdNr 42; vgl auch zuletzt hinsichtlich der Berücksichtigung der Pauschale bei der Berücksichtigung von Krankenhauskost als Einnahme; BSG, Urteil vom 18. Juni 2008 - B 14 AS 22/07 R) Dies ergibt sich auch aus dem von der Beklagten angeführten Urteil vom 7. November 2006 (B 7b AS 18/06 R - BSGE 97, 254 = SozR 4-4200 § 22 Nr 3). Der Senat beschäftigte sich dort (RdNr 26 ff) lediglich mit der Frage, ob die Pauschale in Höhe von 30 Euro zu niedrig bemessen sei bzw ob diese auch von anderen als den in § 3 Nr 1 Alg II-V genannten Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft geltend gemacht werden könne. Mithin ist davon auszugehen, dass die Pauschale in Höhe von 30 Euro gemäß § 3 Nr 1 Alg II-V ohne jeden Nachweis und von jedem erzielten Einkommen abzuziehen ist. Hierfür spricht auch - was der Revisionsbeklagte zutreffend ausführt - der unbedingt formulierte Wortlaut des § 3 Nr 1 Alg II-V, nach dem die Pauschbeträge abzusetzen "sind". Ein Vergleich mit den Regelungen in anderen Rechtsgebieten, wie etwa dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch oder dem Steuerrecht, zeigt, dass auch dort das Wesen von Pauschalen (wie etwa der Werbungskostenpauschalen für Arbeitnehmer) gerade darin besteht, dass diese ohne jeden weiteren Nachweis vom Finanzamt bzw zuständigen Leistungsträger zu berücksichtigen sind.
Dieses Ergebnis entspricht - soweit ersichtlich - der bundeseinheitlichen Praxis sämtlicher Träger der Grundsicherung. Es ist auch in der Literatur (vgl Brühl in Münder, SGB II LPK, 2. Aufl 2006, § 11 RdNr 34; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, K § 13 RdNr 83, Stand: Juni 2008; sinngemäß Haske in Estelmann, SGB II, § 11 RdNr 69, Stand: April 2008) ernsthaft nie in Zweifel gezogen worden.
Ende der Entscheidung
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