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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 24.02.2004
Aktenzeichen: B 2 U 13/03 R
Rechtsgebiete: RVO


Vorschriften:

RVO § 551 Abs 1 Satz 1
RVO § 539
RVO § 540
RVO § 543
RVO § 544
RVO § 545
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

in dem Rechtsstreit

Az: B 2 U 13/03 R

Der 2. Senat des Bundessozialgerichts hat ohne mündliche Verhandlung am 24. Februar 2004 durch den Vorsitzenden Richter Steege, die Richter Mütze und Kruschinsky sowie die ehrenamtlichen Richter Schneidinger und Lippert

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 15. Oktober 2002 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe:

I

Streitig ist die Anerkennung der bei der Klägerin bestehenden Erkrankung an Hepatitis B als Berufskrankheit (BK) nach Nr 3101 (im Folgenden BK Nr 3101) der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV).

Die im Jahre 1959 in Rumänien geborene und dort in der allgemeinen Krankenpflege ausgebildete Klägerin war nach ihrer Übersiedelung in die Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1981 zunächst von 1983 bis 1988 in der Säuglings- und Isolierstation des N. -Krankenhauses in P. und anschließend nach Übernahme des Personals dieser Einrichtung durch das S. Krankenhaus P. als Teilzeitkraft in dessen Pädiatrischer Abteilung tätig. Zu ihren Aufgaben gehörte das Füttern und Wickeln der Säuglinge, die Assistenz beim Anlegen von Infusionen und das Anreichen und Abnehmen von Tupfern und Blutentnahmeröhrchen sowie gelegentlich das Entsorgen von Kanülen. Eine Einstellungsuntersuchung hatte nicht stattgefunden. Bei einer betriebsärztlichen Untersuchung im April 1989 wurde bei ihr eine Hepatitis-B-Infektion nachgewiesen; im März 1996 zeigte der Betriebsarzt den Verdacht auf das Vorliegen einer BK an.

Befragungen der Beklagten im S. Krankenhaus P. ergaben, dass bei den dort seit 1983 behandelten Kindern keine Hepatitis-B-Fälle bekannt geworden waren. In den von Prof. Dr. G. , Prof. Dr. S. sowie dem Staatlichen Gewerbearzt Dr. N. eingeholten Gutachten bzw gutachtlichen Stellungnahmen wurde die Anerkennung einer BK empfohlen. Die Beklagte lehnte die Anerkennung der Hepatitiserkrankung der Klägerin als BK Nr 3101 indes ab, weil ein spezielles Infektionsereignis nicht mit der geforderten an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden könne und es auch im Rahmen der bestehenden Beweiserleichterungen nicht hinreichend wahrscheinlich zu machen sei, dass die Klägerin bei den von ihr ausgeübten Tätigkeiten in Kontakt mit nachweislich infektiösem Material oder infektiösen Personen gekommen und eine Infektion dabei möglich gewesen sei (Bescheid vom 8. März 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. August 2000).

Das Sozialgericht Speyer (SG) hat ein Gutachten des Chefarztes der Pädiatrischen Abteilung des Krankenhauses der Ev. Diakonissenanstalt S. Dr. Z. eingeholt, der von einem erhöhten, dem einer Krankenschwester in einer Infektionsabteilung gleichzustellenden Infektionsrisiko für Kinderkrankenschwestern angesichts einer Prävalenz (Anzahl der Erkrankungsfälle einer bestimmten Erkrankung bzw Häufigkeit eines bestimmten Merkmals zu einem bestimmten Zeitpunkt oder innerhalb einer bestimmten Zeitperiode) von mindestens 1 bis 3 Promille aller Neugeborenen in Deutschland und der Art dieser Tätigkeit ausging. Unter Hinweis auf diese Ausführungen hat das SG die Beklagte unter Aufhebung der ablehnenden Bescheide verurteilt, eine Hepatitis-B-Erkrankung als BK Nr 3101 anzuerkennen, da die Klägerin durch ihre langjährige Tätigkeit in besonderem Maße einer Infektionsgefahr ausgesetzt gewesen sei (Urteil vom 25. September 2001).

Das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 15. Oktober 2002). Die Voraussetzungen einer BK Nr 3101 seien bei der Klägerin erfüllt. Der ursächliche Zusammenhang zwischen ihrer versicherten Tätigkeit und der Erkrankung sei wahrscheinlich. Nach den von der Rechtsprechung und Literatur entwickelten Beweiserleichterungen könne unter bestimmten Umständen ein wahrscheinlicher Ursachenzusammenhang sogar dann bejaht werden, wenn - wie hier - eine konkrete Infektionsquelle nicht bekannt sei, aber eine besondere Gefährdung in Bezug auf die betreffende Infektionskrankheit bestehe. Eine solche Gefährdung hinsichtlich Hepatitis B werde hiernach bejaht, wenn regelmäßig ein gewisser Prozentsatz der Patienten unerkannt daran erkrankt sei (Hinweis auf Bundessozialgericht <BSG> Urteil vom 30. Mai 1988 - 2 RU 33/87 = NZA 1988, 823). Ausgehend von einer Prävalenzrate Hepatitis-B-infektiöser Patienten in der allgemeinen Bevölkerung von 1 bis 6 Promille ergebe sich, dass im Arbeitsbereich auf einer Krankenhausstation, zB auch in einer pädiatrischen Abteilung, nur gelegentlich - nicht regelmäßig - Kontakt mit Hepatitis-B-infektiösen Patienten zu erwarten sei. Ein besonderes Infektionsrisiko könne indes schon dann gegeben sein, wenn unter Berücksichtigung der Prävalenzrate sowie der zu schätzenden Zahl von betreuten Patienten ein - gelegentlicher - Kontakt mit infizierten Personen nach statistischen Maßstäben zu erwarten sei (Hinweis - auch zum Folgenden - auf Mehrtens/Perlebach, BKV, M 3101, RdNr 10.2), da sonst nicht genügend berücksichtigt würde, dass der Betroffene im privaten Bereich nicht in gleicher Weise wie in Krankenhäusern dem unmittelbaren Kontakt mit Blut und anderen Körpersekreten ausgesetzt sei. Daher könne eine höhere Gefährdung des Betroffenen auch dann angenommen werden, wenn die Durchseuchung in der Klinik geringer sei als bei der Normalbevölkerung.

Ob eine zur Bejahung der Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs ausreichende Gefährdung im Einzelfall vorliege, hänge davon ab, in welchem Umfang aufgrund der verrichteten Tätigkeit eine Gefährdung durch Kontakte mit Blut oder anderen Körperflüssigkeiten von Patienten bestanden habe. Die über das normale Maß hinausgehende Hepatitisgefährdung könne begründet sein durch ein besonders hohes Risiko eines unmittelbaren Kontaktes mit Blut oder anderen Körperflüssigkeiten aufgrund der Häufigkeit gefährdender Tätigkeiten oder eines besonders hohen Verletzungsrisikos dabei oder durch generelle, insbesondere statistische Erkenntnisse über ein erhöhtes Infektionspotential im Arbeitsumfeld des Versicherten. In solchen Fällen sei zusätzlich zu prüfen, ob Umstände aus dem privaten Lebensbereich trotz des besonderen beruflichen Infektionsrisikos gegen die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs sprächen. Bei Mehrtens/Perlebach sei ausdrücklich festgehalten, dass bei medizinischem Hilfspersonal in Geburtskliniken ein besonderes Infektionsrisiko in Betracht zu ziehen sei, wenn regelmäßig und häufig Tätigkeiten ausgeübt würden, die erfahrungsgemäß mit einem unmittelbaren Kontakt mit Patienten und verunreinigten Gegenständen oder Körperflüssigkeiten verbunden seien.

Ausgehend von diesen Grundsätzen seien hier die Voraussetzungen einer BK Nr 3101 erfüllt; diese Überzeugung des Senats stütze sich auf die Gutachten von Prof. Dr. G. und Dr. Z. sowie die Stellungnahmen von Prof. Dr. S. und Dr. N. . Bei der Klägerin habe ein besonderes Infektionsrisiko bestanden, da nach Dr. Z. 1,3 Promille aller Neugeborenen an einer frischen Hepatitis-B-Infektion litten, die Klägerin bis zum Nachweis der Hepatitis-B-Infektion fünf Jahre lang in Kontakt mit potenziell infizierten Kindern gewesen sei und die Art der notwendigen Pflege einen intensiven Kontakt mit allen Körperausscheidungen notwendig gemacht habe. Es könne offen bleiben, ob dies für sich allein genüge, um von einer hinreichenden besonderen Hepatitisgefährdung der Klägerin auszugehen und es brauche auch nicht näher festgestellt zu werden, ob - wie Dr. Z. meine - bei Kinderkrankenschwestern eine der Tätigkeit in einer Infektionsabteilung vergleichbare Gefährdung gegeben sei, wogegen erhebliche Zweifel angebracht seien. Denn entscheidend sei der bei der Klägerin hinzukommende besondere Risikofaktor, dass sie häufig rissige Hände habe, wodurch - worauf Prof. Dr. G. und Prof. Dr. S. hingewiesen hätten - ein hohes Risiko für das (für die Ansteckung notwendige) Eindringen von Hepatitiserregern in die Blutbahn bestanden habe. Sie habe glaubhaft versichert, bei ihren Tätigkeiten in nicht unerheblichem Umfang in direkten Kontakt mit dem Blut gekommen zu sein. Bei dieser Sachlage habe speziell bei ihr - auch im Verhältnis zu anderem Personal in der Pädiatrischen Abteilung der Klinik - ein weitaus erhöhtes Risiko einer Hepatitis-B-Infektion bestanden. Ein besonderes Infektionsrisiko aus dem privaten Bereich habe bei ihr nicht vorgelegen.

Mit ihrer - vom BSG zugelassenen - Revision rügt die Beklagte eine Verletzung materiellen Rechts. Das LSG sei bei seiner Entscheidung von anderen Voraussetzungen ausgegangen als das BSG in seinem Urteil vom 30. Mai 1988 - 2 RU 33/87 - (NZA 1988, 823 = HV-Info 1988, 1798), das bei der Beurteilung, ob eine über das normale Maß hinausgehende Hepatitisgefährdung vorliege, ersichtlich auf die Höhe der Morbidität in der Wohnbevölkerung abstelle. Das LSG habe ersichtlich falsch die Prävalenzrate Hepatitis-B-infektiöser Patienten in der allgemeinen Bevölkerung mit 1 bis 6 Promille angenommen; diese werde von Prof. Dr. S. vielmehr mit 7,4 Prozent - nicht Promille - angegeben. Abgesehen davon habe das LSG mit dem Wert von 1,3 Promille für Neugeborene keinen im Vergleich zur Normalbevölkerung erhöhten Wert festgestellt. Die vom LSG daraus gezogene Schlussfolgerung sei insofern unrichtig, als es die Beweiserleichterung auch auf die Fälle erstrecke, in denen nach statistischen Maßstäben ein nur vergleichsweise gelegentlicher Kontakt zu erwarten sei und so eine höhere Gefährdung des Betroffenen auch bei einer geringeren Durchseuchung in der Klinik als bei der Normalbevölkerung angenommen werden könne. Demgegenüber fordere das BSG ersichtlich ein signifikant erhöhtes Risiko als Grundvoraussetzung für die weitere Prüfung, ob die Tätigkeit geeignet gewesen sei, die Infektion herbeizuführen. Ohne eine gefährdete Einrichtung vorauszusetzen schließe das LSG die Prüfung an, ob auch die Art der von der Klägerin verrichteten Tätigkeiten die haftungsbegründende Kausalität hergebe und schließe dann entgegen der Rechtsprechung des BSG allein aus der Art der Tätigkeit auf die Infektionsgefährdung. Dies widerspreche der vom BSG eingehaltenen und auch medizinisch anerkannten Prüfungsreihenfolge, nach der (nacheinander) zu untersuchen sei, ob Kontakt mit einem nachweislich an Hepatis-B erkranktem Patienten bestanden habe, ob die versicherte Tätigkeit in einer generell gefährdeten Einrichtung aufgrund einer im Vergleich zur Normalbevölkerung erhöhten Durchseuchung stattgefunden habe, ob ein gewisser Prozentsatz der Patienten in der konkreten Einrichtung regelmäßig an Hepatitis B leide und schließlich, ob die Tätigkeit für eine Infektion geeignet gewesen sei.

Anhaltspunkte für eine gegenüber vergleichbaren Einrichtungen erhöhte Infektionsgefährdung der Arbeitsstelle der Klägerin hätten nicht bestanden; auch sei ihre Tätigkeit nicht von der in anderen Kinderkliniken abgewichen. Abgesehen davon, dass es auf den vom LSG als entscheidend angesehenen Risikofaktor der rissigen Hände mangels einer hepatitisgefährdeten Einrichtung und mangels hepatitisgefährdender Art ihrer Tätigkeit nicht entscheidend ankommen könne, seien rissige Hände allein nicht geeignet, einen besonderen Infektionsweg zu eröffnen, weil lediglich die Möglichkeit, nicht jedoch eine Wahrscheinlichkeit dafür bestehe, dass so ein Kontakt zur Blutbahn hergestellt werde. Die rissigen Hände wären letztlich auch der geeignete Weg für alle ubiquitär vorkommenden Infektionsquellen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 15. Oktober 2002 sowie das Urteil des SG Speyer vom 25. September 2001 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

II

Die Revision der Beklagten ist iS der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet. Die vom LSG festgestellten Tatsachen reichen für die abschließende Entscheidung über den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch nicht aus.

Der Anspruch der Klägerin richtet sich noch nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO), weil die von der Klägerin geltend gemachte BK spätestens im April 1989, also vor In-Kraft-Treten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) am 1. Januar 1997, aufgetreten ist (Art 36 des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes, § 212 SGB VII).

Nach § 551 Abs 1 Satz 1 RVO gilt als Arbeitsunfall auch eine BK. BKen sind Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet (§ 551 Abs 1 Satz 2 RVO). Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht worden sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (§ 551 Abs 1 Satz 3 RVO). Hiervon hat sie mit der BKV Gebrauch gemacht.

Nach Nr 3101 der Anlage zur BKV ist eine Infektionskrankheit dann eine BK, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war.

Die Klägerin war während Ihrer Tätigkeit als Kinderkrankenschwester im N. -Krankenhaus und in der Pädiatrischen Abteilung des S. Krankenhauses P. in der gesetzlichen Unfallversicherung gegen Arbeitsunfall und BK versichert (§ 539 Abs 1 Nr 1 RVO). Sie war nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) auch im Zeitpunkt einer möglichen Infektion im Gesundheitswesen tätig; Hepatitis-B ist eine Infektionskrankheit.

Weitere Voraussetzung für das Vorliegen eines Versicherungsfalles einer solchen BK ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der Infektionskrankheit (vgl etwa BSG Urteile vom 30. Mai 1988 - 2 RU 33/87 = USK 8887 und vom 18. November 1997 - 2 RU 15/97 = USK 97103 mwN). Die zumindest erforderliche Wahrscheinlichkeit eines solchen ursächlichen Zusammenhangs ist bei einer BK Nr 3101 gegeben, wenn nachgewiesen ist, dass der Versicherte bei der Berufstätigkeit - sei es durch einen Patienten, einen Mitarbeiter oder auf sonstige Weise - einer besonderen, über das normale Maß hinausgehenden Ansteckungsgefahr ausgesetzt gewesen ist (BSG aaO mwN; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl, S 491n). Bei diesem Nachweis kann dann in der Regel auch davon ausgegangen werden, dass sich der Versicherte die bei ihm aufgetretene Infektionskrankheit durch seine besondere berufliche Exposition zugezogen hat (BSG aaO mwN).

Eine Anerkennung der bei der Klägerin seit spätestens April 1989 vorliegenden Hepatitis B als BK setzt somit voraus, dass ihre Tätigkeit als Kinderkrankenschwester in den genannten Einrichtungen mit besonderen, über das normale Maß hinausgehenden Gefahren verbunden war, an Hepatitis B zu erkranken. Die Annahme, dass die Klägerin bei dieser Tätigkeit einer Hepatitis-B-Exposition besonders ausgeliefert war, erfordert unter Berücksichtigung des Beginns ihrer Erkrankung spätestens im April 1989 den Nachweis, dass entweder (a) ein unmittelbarer oder mittelbarer beruflicher Kontakt mit an Hepatitis B erkrankten Personen bestanden hat oder (b) der prozentuale Anteil Hepatitis-B-infektiöser Patienten in den beiden bzw in einer der Einrichtungen, in denen die Klägerin tätig war, deutlich höher war als in der Normalbevölkerung oder (c) die Art der Tätigkeit als Kinderkrankenschwester in der Säuglingsstation einer Klinik oder der Pädiatrischen Abteilung eines Krankenhauses als solche besonders hepatitisgefährdend war.

(a) Aus den auch insoweit nicht mit zulässigen und begründeten Rügen angefochtenen und daher bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG folgt zumindest mittelbar, dass im Arbeitsbereich der Klägerin während der gesamten Zeit ihrer Tätigkeit keine nachweislich hieran erkrankten Patienten, mit denen die Klägerin auch nur Kontakt gehabt haben könnte, in Erscheinung getreten sind.

(b) Ohne den Nachweis eines unmittelbaren oder mittelbaren beruflichen Kontakts mit mindestens einer an Hepatitis B erkrankten Person während der Ansteckungszeit darf eine besondere, über das normale Maß hinausgehende Hepatitisgefährdung nur dann als gegeben angesehen werden, wenn davon ausgegangen werden kann, dass jedenfalls regelmäßig ein gewisser gegenüber der Normalbevölkerung erhöhter Prozentsatz der Patienten unerkannt an Hepatitis B erkrankt ist (vgl BSG aaO mwN). Auch dies war hier nicht der Fall. Nach den vom LSG angenommenen Daten beträgt die Prävalenzrate Hepatitis-B-infektiöser Patienten in der allgemeinen Bevölkerung 1 bis 6 Promille, während sie bei den im Arbeitsbereich der Klägerin zu betreuenden Säuglingen lediglich 1,3 Promille betrug, also im untersten Bereich der angenommenen Spanne lag; nach dem Vortrag der Beklagten (Prävalenzrate in der allgemeinen Bevölkerung 7,4 Prozent) läge dieser Wert sogar deutlich unter der in der allgemeinen Bevölkerung anzutreffenden Prävalenzrate. Damit war die Prävalenzrate im Arbeitsbereich der Klägerin eher niedriger als in der allgemeinen Bevölkerung, so dass - wie das LSG insoweit auch zutreffend geschlossen hat - nur gelegentlich, nicht aber - wie gefordert - regelmäßig ein Kontakt mit einem Hepatitis-B-infektiösen Patienten zu erwarten war.

(c) Ob die Art der Tätigkeit einer Kinderkrankenschwester in einer Säuglingsabteilung einer Kinderklinik oder der Pädiatrischen Abteilung eines Krankenhauses eine besondere Hepatitisgefährdung birgt wie etwa die in einer Infektionsabteilung eines Krankenhauses und deshalb eine besondere Infektionsgefährdung bei der Klägerin bestand, hat das LSG ausdrücklich offen gelassen.

Lediglich aufgrund der - hinsichtlich Art und Umfang jedoch nicht festgestellten - tätigkeitsbedingten Kontakte der Klägerin mit Blut und anderen Körperflüssigkeiten iVm mit dem durch ihre häufig rissigen Hände bedingten Risiko des Eindringens von Hepatitiserregern in die Blutbahn hat das LSG eine besondere Infektionsgefährdung angenommen. Dem kann indes aus rechtlichen Gründen nicht gefolgt werden. Die individuelle gesundheitliche Disposition - wie die der rauen Hände der Klägerin - kann für die rechtliche Beurteilung nur dann Bedeutung erlangen, wenn überhaupt erst einmal eine berufsbedingt erhöhte Infektionsgefährdung durch eine entsprechende Exposition iS der aufgeführten Möglichkeiten (s.o. a-c) gegeben ist. Allein reicht sie nicht aus, da es so an dem für die Annahme der Wahrscheinlichkeit des Kausalzusammenhangs erforderlichen Bezug auf die versicherte Tätigkeit mangelt, zumal sonst auch nicht beruflich bedingte Infektionsmöglichkeiten berücksichtigt würden, die für die Annahme einer BK außer Betracht zu bleiben haben.

Damit kann die Sache indes vom Senat noch nicht endgültig entschieden werden, weil bindende Feststellungen dazu fehlen, ob die Tätigkeit einer Kinderkrankenschwester in einer Pädiatrischen Abteilung bzw Kinderklinik eine besonders hohe Hepatitisgefährdung birgt, wovon etwa der Sachverständige Dr. Z. ausging. Das LSG hat hierzu ausdrücklich keine "näheren Feststellungen" getroffen, sondern lediglich "erhebliche Zweifel" erhoben und die Frage offen gelassen. Da der Senat zur Anstellung entsprechender Ermittlungen außerstande ist (§ 163 SGG), war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG), damit die noch notwendigen Feststellungen nachgeholt werden können.

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.



Ende der Entscheidung

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