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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 27.06.2000
Aktenzeichen: B 2 U 25/99 R
Rechtsgebiete: RVO


Vorschriften:

RVO § 548 Abs 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

in dem Rechtsstreit

Az: B 2 U 25/99 R

Kläger und Revisionsbeklagter,

Prozeßbevollmächtigte:

gegen

Holz-Berufsgenossenschaft, Am Knie 6, 81241 München,

Beklagte und Revisionsklägerin.

Der 2. Senat des Bundessozialgerichts hat ohne mündliche Verhandlung am 27. Juni 2000 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Burchardt, die Richter Mütze und Kruschinsky sowie die ehrenamtlichen Richter Brüning und Kingler

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 5. Mai 1999 aufgehoben. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 8. Oktober 1998 wird zurückgewiesen.

Kosten sind in allen Rechtszügen nicht zu erstatten.

Gründe:

I

Der Kläger beansprucht Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen der Folgen des Unfalles vom 10. August 1994.

Der im Jahre 1957 geborene Kläger war als Tischler und Schreiner bei der Firma Holzverarbeitung K. in W. beschäftigt. Am 10. August 1994 nahm er an einem von seinem Arbeitgeber für alle Mitarbeiter veranstalteten Grillabend an einer auf dem Betriebsgelände gelegenen Grillhütte teil. Diese ohne festes Programm ablaufende Veranstaltung begann im Anschluß an die bis ca 17.00 Uhr dauernde Arbeit. An das Betriebsgrundstück der Firma K. grenzt ein dem Vater des Klägers gehörendes, durch einen Lattenzaun abgegrenztes Wiesengrundstück, auf dem am Unfalltag ein Haflinger Pferd graste. Gegen 20.30 Uhr begab sich der Kläger über den Zaun und bestieg das Pferd ohne Sattel und Zaumzeug, um einem Kollegen zu zeigen, wie das gemacht werde. Da das Tier weglaufen wollte, sprang der Kläger ab und verletzte sich dabei erheblich.

Mit Bescheid vom 11. April 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. September 1995 lehnte die Beklagte die Gewährung von Entschädigungsleistungen ab, weil der Unfall kein versicherter Arbeitsunfall sei. Das Betreten der benachbarten Weide und das Aufsitzen auf dem Pferd hätten nicht zum vorgesehenen Ablauf des Betriebsfestes gehört.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 8. Oktober 1998). Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG und den angefochtenen Bescheid aufgehoben und die Beklagte zur Entschädigung verurteilt (Urteil vom 5. Mai 1999). Der Grillabend habe als betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung unter Unfallversicherungsschutz gestanden. Im Rahmen derartiger Veranstaltungen seien auch Tätigkeiten versichert, die anderenfalls unversichert wären, soweit sie als solche Bestandteil der betrieblichen Zusammenkunft seien. Das gelte zB auch für Spiele und sportliche Betätigungen sowie alle sonstigen Tätigkeiten, die mit dem Gesamtzweck der Veranstaltung vereinbar seien. Dabei komme es entscheidend auf die Handlungstendenz und das Bewußtsein des Versicherten an. Der Kläger habe davon ausgehen dürfen, daß sich die unfallbringende Tätigkeit noch innerhalb des sachlichen Bereichs der Gemeinschaftsveranstaltung gehalten habe. Hierfür entscheidend sei, daß es für den Grillabend kein Programm gegeben habe und bei vergleichbaren früheren Festen zB Fußball oder Dart gespielt worden sei. Sei beim Fußballspiel der Ball auf das Nachbargrundstück gefallen, habe er von dort zurückgeholt werden müssen. In Anbetracht dieser Umstände habe das Besteigen des Pferdes den Rahmen des Grillfestes nicht überschritten. Da es sich auch nicht um eine außergewöhnlich gefährliche Unternehmung gehalten habe, sei der Versicherungsschutz deswegen nicht entfallen.

Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 548 Abs 1 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Zwar habe es sich bei dem veranstalteten Grillabend um eine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gehandelt. Indessen sei die ohne Genehmigung des Unternehmers erfolgte Unterbrechung der Gemeinschaftsveranstaltung und das Verlassen des Grundstücks durch den Kläger tatsächlich mit dem Gesamtzweck der Veranstaltung nicht mehr vereinbar gewesen, so daß der Unfallversicherungsschutz entfallen sei.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 5. Mai 1999 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 8. Oktober 1998 zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes <SGG>).

II

Die Revision der Beklagten ist begründet. Entgegen der Auffassung des LSG hat der Kläger am 10. August 1994 keinen Arbeitsunfall erlitten, als er von dem Pferd absprang, denn er stand zu diesem Zeitpunkt nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.

Der geltend gemachte Anspruch des Klägers richtet sich noch nach den Vorschriften der RVO, da sich der Unfall am 10. August 1994 und damit vor Inkrafttreten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) am 1. Januar 1997 ereignet hat (Art 36 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes, § 212 SGB VII).

Nach § 548 Abs 1 Satz 1 RVO ist Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 genannten und danach versicherten Tätigkeiten erleidet. Dazu ist in der Regel erforderlich, daß das Verhalten, bei dem sich der Unfall ereignet hat, einerseits der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist und daß diese Tätigkeit andererseits den Unfall herbeigeführt hat (BSGE 61, 127, 128 = SozR 2200 § 548 Nr 84). Zunächst muß also eine sachliche Verbindung mit der im Gesetz genannten versicherten Tätigkeit bestehen, der sog innere Zusammenhang, der es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen (st Rspr BSGE 63, 273, 274 = SozR 2200 § 548 Nr 92; BSG SozR 2200 § 548 Nrn 82, 95, 97; BSG SozR 3-2200 § 548 Nr 27; BSG SozR 3-2200 § 539 Nr 38). Der innere Zusammenhang ist wertend zu ermitteln, indem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu welcher Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht (BSGE 58, 76, 77 = SozR 2200 § 548 Nr 70; BSGE 61, 127, 128 = SozR 2200 § 548 Nr 84; BSG SozR 3-2200 § 548 Nr 32).

In innerem Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehen auch betriebliche Gemeinschaftsveranstaltungen. Auch diese sind unfallversicherungsrechtlich geschützt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) und der einhelligen Auffassung der Literatur kann die Teilnahme von Beschäftigten etwa an Betriebsfesten, Betriebsausflügen oder ähnlichen Gemeinschaftsveranstaltungen dem Unternehmen zugerechnet und der versicherten Tätigkeit gleichgesetzt werden. Voraussetzung hierfür ist, daß die Zusammenkunft der Pflege der Verbundenheit zwischen der Unternehmensleitung und der Belegschaft sowie der Betriebsangehörigen untereinander durch die Teilnahmemöglichkeit möglichst aller Betriebsangehörigen dient und deshalb grundsätzlich allen Arbeitnehmern - bei Großbetrieben mindestens allen Arbeitnehmern einzelner Abteilungen oder anderer betrieblicher Einheiten - offenstehen soll, und daß sie von der Unternehmensleitung selbst veranstaltet oder zumindest gebilligt oder gefördert und von ihrer Autorität als betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung getragen wird (s ua BSGE 1, 179, 182; 17, 280, 281 = SozR Nr 56 zu § 542 RVO; BSG SozR 2200 § 548 Nr 30; BSG SozR 3-2200 § 548 Nr 21; Brackmann/Krasney, Handbuch der Sozialversicherung, 12. Aufl, § 8 RdNrn 118 mwN, 119; Kater-Leube, SGB VII, § 2 RdNrn 94 bis 97; Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, 5. Aufl, § 8 RdNrn 7.20 bis 7.20.4). Nach diesen Grundsätzen waren, wie das LSG zutreffend erkannt hat, alle betriebsangehörigen Teilnehmer an dem vom Betriebsinhaber am 10. August 1994 ab 17.00 Uhr veranstalteten Grillfest versichert.

Entgegen der Auffassung des LSG gilt dies indessen nicht für das vom Kläger allein unternommene Betreten des Nachbargrundstücks und das Besteigen des dort grasenden Pferdes. Unter Versicherungsschutz stehen die Teilnehmer an einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung nämlich nur bei den Tätigkeiten, die mit dem Gesamtzweck der Veranstaltung, der sich auch auf die körperliche Entspannung und Erholung erstreckt, vereinbar bzw vorgesehen oder üblich sind (Brackmann/Krasney, aaO, RdNr 133 mwN, Kater-Leube, aaO, RdNr 99; Mehrtens, aaO, RdNr 7.20.6; Schulin, HS-UV, § 30 RdNr 78; vgl auch BSG SozR 3-2200 § 548 Nr 27). Auch sportliche Betätigungen mit spielerischem Charakter sind unter diesen Voraussetzungen versichert. Dabei ist nicht unbedingt erforderlich, daß diese Tätigkeiten vom Veranstalter geplant und organisiert sind; der Versicherungsschutz kann auch während einer auf Initiative eines oder einiger Teilnehmer während der Veranstaltung veranlaßten sportlichen Betätigung bestehen, wobei unerheblich ist, ob nur einer oder mehrere Betriebsangehörige die ihnen gebotene Gelegenheit wahrgenommen haben. Allerdings kann das Ausscheiden kleinerer Gruppen während zB eines Betriebsausfluges den inneren Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit lösen (vgl insgesamt Brackmann/Krasney, aaO, mwN). Entscheidendes Kriterium für die Unterbrechung oder die Beendigung des inneren Zusammenhangs kann dabei nur sein, ob die Teilnahme an der zu beurteilenden besonderen Aktivität während der Gemeinschaftsveranstaltung allen Teilnehmern dieser Veranstaltung möglich war, oder nicht. Weil für die Frage, ob eine Gemeinschaftsveranstaltung selbst unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung steht, die Möglichkeit der Teilnahme für alle Betriebsangehörigen bestehen muß, kann es für die Frage des Versicherungsschutzes bei besonderen Aktivitäten während einer derartigen Gemeinschaftsveranstaltung nur darauf ankommen, ob auch sie allen Teilnehmern offensteht. Nur in diesem Falle kann dem erforderlichen Zweck der Gemeinschaftsveranstaltung, nämlich der Förderung bzw Pflege der Verbundenheit der Betriebsangehörigen untereinander, gedient werden. Dies setzt ein gewisses Maß an Planung und Publikation unter den Teilnehmern der Gemeinschaftsveranstaltung voraus. Zum Beispiel wären bei einem Betriebsausflug an einen See, in dessen Rahmen allen Teilnehmern wiederum die Beteiligung an besonderen Aktivitäten wie Schwimmen im See, Schiffstour oder Minigolf am Seeufer angeboten werden, die Teilnehmer aller drei Gruppen versichert. Hingegen entfiele der Versicherungsschutz für eine Gruppe von Teilnehmern, die sich "intern", also unter Ausschluß der übrigen Teilnehmer, gebildet hatte, um eine Wanderung um den See herum zu unternehmen. Ebenso kann, gerade weil nicht alle Teilnehmer des Betriebsausfluges daran teilnehmen können, die Betätigung einzelner oder einiger Teilnehmer, die sich für sich allein oder auch vor den anderen Teilnehmern in irgendeiner Weise produzieren und Tätigkeiten entfalten, zu denen nur sie in der Lage sind oder sich für befähigt halten, nicht mehr als versichert angesehen werden. Diese Aktivitäten dienen nicht der Förderung des Gemeinsinns oder des Zusammengehörigkeitsgefühls aller Betriebsangehörigen, sondern allein dem persönlichen Interesse des Betroffenen. Dabei spielt es wiederum keine Rolle, ob der oder die Teilnehmer die besondere Aktivität allein bzw unter sich entfalten oder ob sie ihre besonderen Fähigkeiten etwa einzelnen, einigen oder gar allen anderen Teilnehmern der Gemeinschaftsveranstaltung vorführen oder vorführen wollen. Allein wenn eine derartige Vorführung zur Unterhaltung oder Belustigung aller übrigen Teilnehmer als Teil der Gemeinschaftsveranstaltung vorgesehen oder üblich war, kann sie als der Gemeinschaftspflege dienend in innerem Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehend beurteilt werden.

Nach diesen Maßstäben stand der Kläger im Unfallzeitpunkt nicht gemäß § 539 Abs 1 Nr 1 RVO unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Nach den tatsächlichen, den Senat gem § 163 SGG bindenden, Feststellungen des LSG war eine Vorführung des reiterlichen Könnens des Klägers als Teil des Grillfestes mit der Möglichkeit des Zuschauens für alle übrigen Teilnehmer nicht vorgesehen. Aus den Feststellungen des LSG ist ferner zu entnehmen, daß allein das gemeinsame Spielen von Fußball oder Dart nach dem Ablauf der bisherigen Grillabende der Firma K. als übliche Betätigung der Teilnehmer angesehen werden kann, nicht jedoch das Reiten auf dem Nachbargrundstück. Ein innerer Zusammenhang mit der Gemeinschaftsveranstaltung und damit mit der versicherten Tätigkeit des Klägers als Schreiner bestand nach alledem nicht.

Auf die Revision der Beklagten war daher das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ende der Entscheidung

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