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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 09.12.2003
Aktenzeichen: B 2 U 54/02 R
Rechtsgebiete: RVO, SGB VII


Vorschriften:

RVO § 730
SGB VII § 157
SGB VII § 160
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

in dem Rechtsstreit

Az: B 2 U 54/02 R

Der 2. Senat des Bundessozialgerichts hat ohne mündliche Verhandlung am 9. Dezember 2003 durch den Vorsitzenden Richter Steege, die Richter Mütze und Dr. Becker sowie die ehrenamtlichen Richter Kleemann und Lazar

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Klägers werden das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 23. Juli 2002, das Urteil des Sozialgerichts München vom 25. Januar 2001 sowie der Bescheid der Beklagten vom 17. August 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Januar 1999 aufgehoben.

Im Übrigen wird die Klage als unzulässig abgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten des Verfahrens in allen Rechtszügen zu erstatten.

Gründe:

I

Die Beteiligten streiten um die Änderung der Veranlagung des Unternehmens des Klägers zum Gefahrtarif der Beklagten und die sich daraus ergebenden höheren Beiträge des Klägers zur Beklagten.

Der Kläger ist Fachtierarzt für Pathologie und betreibt ein tierärztliches Labor. Sein Unternehmen ist seit dem 1. April 1985 bei der Beklagten versichert. Diese hatte damals noch ihre Mitgliedsunternehmen in neun Abteilungen eingeteilt, ua die Abteilungen 3 Ärzte, Abteilung 6 Tierärzte, Abteilung 9 übrige Unternehmen, und erhob Kopfbeiträge nach dem Grad der Unfallgefahr in der jeweiligen Abteilung. Das Unternehmen des Klägers war als "tierärztliches Labor" der Abteilung 9 zugeordnet. Zum 1. Januar 1996 führte die Beklagte erstmals einen nach Gewerbezweigen gegliederten Gefahrtarif mit Gefahrtarifstellen und Gefahrklassen ein (im Folgenden: Gefahrtarif 1996), der bis zum 31. Dezember 2000 galt und ua folgende Gefahrtarifstellen vorsah:

 GefahrtarifstelleGewerbszweigeGefahrklasse
2Ambulante Einrichtungen der ärztlichen Versorgung (z.B. Arztpraxen, Notfalldienste, Apparategemeinschaften); Medizinische Dienste der Sozialversicherungsträger, Blutspendedienste, Vorsorgeeinrichtungen, Dialysezentren und dgl.; Laboratorien und Forschungsvorhaben mit überwiegend medizinischer Ausrichtung (einschl. Pathologie-, Hygieneinstitute, Druckkammerbehandlungs-, Lebensmitteluntersuchungsstellen und dgl.); Sonstige ärztliche Unternehmen, soweit nicht zu Ziffer 1 gehörig (z.B. Beratung, Gutachten)2,1
5Tierarztpraxen, tierärztliche Kliniken und Hausapotheken einschl. sonstiger tierärztlicher Unternehmen (z.B. Beratung, Gutachten); Laboratorien und Forschungsvorhaben mit überwiegend veterinärmedizinischer Ausrichtung; Tierbehandler; Schädlingsbekämpfer, Hygiene-, Desinfektionsunternehmen12,3

Mit Bescheid vom 28. Juni 1996 veranlagte die Beklagte den Kläger zur Gefahrtarifstelle 2 mit der Gefahrklasse 2,1. Mit Schreiben vom 11. August 1998 teilte die Beklagte dem Kläger mit, sie habe seine Einstufung zum Gefahrtarif noch einmal überprüft und sei der Auffassung, als Fachtierarzt für Pathologie sei er der Gefahrtarifstelle 5 mit der Gefahrklasse 12,3 zuzuordnen. Mit Bescheid vom 17. August 1998 und unter Hinweis auf §§ 159 Abs 1, 160 des Siebten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VII) sowie § 28 der Satzung der Beklagten wurde das Unternehmen des Klägers ab 1. September 1998 zur Gefahrtarifstelle 5 veranlagt. Der Widerspruch wurde zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 28. Januar 1999).

Das Sozialgericht (SG) hat die allein gegen die Veranlagung gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 25. Januar 2001). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 23. Juli 2002) und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Veranlagung des Klägers zur Gefahrtarifstelle 5 stehe mit der Rechtslage noch in Einklang. Die gemäß § 96 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Gegenstand des Verfahrens gewordenen Beitragsbescheide vom 20. Mai 1999 und 26. April 2000 entsprächen den gesetzlichen Bestimmungen. Der Gefahrtarif 1996 der Beklagten sei ordnungsgemäß zu Stande gekommen, die Einführung eines Gewerbezweig-Gefahrtarifs und seine Gliederung nach Gewerbezweigen ständen mit den hier noch maßgebenden §§ 725 Abs 1, 730 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in Einklang. Die Zuordnung des Unternehmens des Klägers zur Gefahrtarifstelle 5 sei angesichts deren Definition, die auch "sonstige tierärztliche Unternehmen" umfasse, zwischen den Beteiligten nicht umstritten und in der Sache nicht zu beanstanden.

Die zunächst durch den Veranlagungsbescheid vom 28. Juni 1996 zu Unrecht erfolgte Veranlagung des Unternehmens des Klägers zur Gefahrtarifstelle 2 habe die Beklagte gemäß § 160 Abs 3 SGB VII mit Beginn des Monats, der auf die Bekanntgabe des Änderungsbescheides vom 17. August 1998 folgte, also ab dem 1. September 1998, ändern dürfen. § 160 SGB VII sei eine die §§ 44, 45, 48 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) verdrängende Sonderregelung.

Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts und macht geltend: Der Gefahrtarif 1996 der Beklagten sei rechtswidrig und nicht sachgerecht aufgestellt worden. Hinsichtlich seiner Rechtsgrundlagen in § 730 RVO bzw § 157 SGB VII beständen verfassungsrechtlich Bedenken (Hinweis auf Papier/Möller, SGb 1998, 337 ff). Im Übrigen sei § 160 SGB VII verletzt und er genieße aufgrund seiner früheren Zuordnung zu humanmedizinischen Laboratorien Vertrauensschutz.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 23. Juli 2002 und das Urteil des Sozialgerichts München vom 25. Januar 2001 sowie den Bescheid der Beklagten vom 17. August 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Januar 1999 und die Beitragsbescheide vom 20. Mai 1999 und 26. April 2000 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).

II

Die Revision des Klägers hat Erfolg, soweit sie die Änderung der Veranlagung und die Einstufung seines Unternehmens in eine höhere Gefahrklasse betrifft. Hinsichtlich der angefochtenen Beitragsbescheide erweist sie sich als unbegründet; die dagegen gerichteten Klagen hat das Berufungsgericht im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

Die Klagen gegen die Beitragsbescheide vom 20. Mai 1999 und vom 26. April 2000 sind unzulässig, weil sie nicht innerhalb der Frist von einem Monat nach Bekanntgabe der Verwaltungsakte (§ 87 Abs 1 SGG) erhoben worden sind. Angesichts dessen kann auf sich beruhen, ob in Anbetracht des bereits anhängigen Klageverfahrens gegen den Veranlagungsbescheid ausnahmsweise eine Einbeziehung dieser Bescheide im Wege der Klageerweiterung ohne Durchführung des an sich gemäß § 78 Abs 1 Satz 1 SGG obligatorischen Widerspruchsverfahrens zulässig gewesen wäre (zu dieser Möglichkeit: BSG SozR 3-2500 § 85 Nr 12). Der Auffassung des LSG, die Bescheide seien gemäß § 96 Abs 1 SGG ohne gesonderte Anfechtung kraft Gesetzes Gegenstand des gegen den Veranlagungsbescheid vom 17. August 1998 anhängigen Klageverfahrens geworden, ist nicht zu folgen. Durch die auf der Veranlagung beruhenden Beitragsbescheide wird der Veranlagungsbescheid selber weder geändert noch ersetzt. Wie der Senat entschieden hat, kann die Einbeziehung der Beitragsbescheide auch nicht auf eine analoge oder entsprechende Anwendung des § 96 Abs 1 SGG gestützt werden, weil dadurch der Streitstoff erweitert würde und Erwägungen der Prozessökonomie ein solches Ergebnis nicht rechtfertigen (Urteil vom 24. Juni 2003 - BSGE 91, 128 = SozR 4-2700 § 157 Nr 1, jeweils RdNr 8).

Die fehlerhafte Einbeziehung der Beitragsbescheide ist auch nicht durch rügelose Einlassung der Beteiligten "geheilt" worden. Ob neben dem Ausgangsbescheid weitere, nach Klageerhebung ergangene Verwaltungsakte gemäß § 96 Abs 1 SGG Gegenstand des Gerichtsverfahrens geworden sind und das Berufungsgericht über sie entscheiden durfte, ist in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu prüfen. Denn es geht dabei um die Zulässigkeit der gegen die Folgebescheide gerichteten Klage, und damit um das Vorliegen von Prozessvoraussetzungen, die in jeder Lage des Verfahrens gegeben sein müssen und nicht zur Disposition der Beteiligten stehen (siehe dazu BSGE 67, 190, 191 = SozR 3-2200 § 1248 Nr 2 S 9 mwN).

An dieser rechtlichen Beurteilung sieht sich der Senat durch das Urteil des 12. Senats des BSG vom 26. März 1996 - 12 RK 5/95 - (SozR 3-2500 § 5 Nr 26 S 90 f) nicht gehindert. In diesem Urteil wird es abgelehnt, die Rechtmäßigkeit der Einbeziehung von Folgebescheiden durch das LSG zu überprüfen, weil eine Verletzung des § 96 SGG im Revisionsverfahren nur auf Rüge eines Beteiligten zu beachten sei. Insoweit wird ohne eigene nähere Begründung auf Urteile des 1. Senats vom 22. September 1981 (SozR 1500 § 53 Nr 2) und des 3. Senats vom 25. Oktober 1994 (SozR 3-2500 § 57 Nr 4) verwiesen. Beide genannten Entscheidungen beziehen die Rechtsaussage jedoch nicht auf den Fall einer fehlerhaften Einbeziehung nachgehender Verwaltungsakte, sondern vielmehr auf den umgekehrten Fall, in dem die Vorinstanzen solche Bescheide zu Unrecht nicht in das Verfahren einbezogen hatten. Bei dieser Konstellation ist auch nach Auffassung des erkennenden Senats der Verfahrensmangel vom Revisionsgericht nur zu berücksichtigen, wenn er ordnungsgemäß gerügt wurde; denn darüber, ob und in welchem Umfang eine zulässig erhobene oder kraft Gesetzes erweiterte Klage weiterverfolgt werden soll, können die Beteiligten im Rahmen ihrer prozessualen Dispositionsbefugnis frei entscheiden. Für die Frage, ob überhaupt und in welchem Umfang eine zulässige Klage anhängig geworden ist, gilt das jedoch nicht, so dass der Fall der rechtswidrigen Nichteinbeziehung eines nachgehenden Verwaltungsaktes revisionsrechtlich anders zu beurteilen ist als der Fall seiner fehlerhaften Einbeziehung (so ausdrücklich auch die zitierte Entscheidung BSG SozR 3-2500 § 57 Nr 4).

Einer Ausräumung der geschilderten Divergenz im Verfahren nach § 41 Abs 2 und 3 SGG bedarf es nicht. Der 12. Senat hat in einem neueren Urteil vom 23. September 2003 - B 12 RJ 3/01 R - selbst von Amts wegen geprüft, ob ein während des Klageverfahrens ergangener Bescheid Gegenstand des Rechtsstreits geworden und von den Vorinstanzen zu Recht in die Entscheidung einbezogen worden war. Er hat dabei seine frühere Rechtsprechung zwar nicht ausdrücklich aufgegeben; doch kann aufgrund des jetzigen Urteils davon ausgegangen werden, dass er an ihr nicht mehr festhalten will. Eine Abweichung im Sinne von § 41 Abs 2 und 3 SGG liegt danach nicht (mehr) vor.

Die Revision ist insoweit begründet, als die Urteile des LSG und des SG sowie der Bescheid der Beklagten vom 17. August 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Januar 1999 über die Änderung der Veranlagung des Unternehmens des Klägers aufzuheben sind, so dass der ursprüngliche Bescheid der Beklagten vom 28. Juni 1996 über die Veranlagung des Unternehmens des Klägers zur Gefahrtarifstelle 2 mit der Gefahrklasse 2,1, vorbehaltlich sonstiger Änderungen, bis zum Ende der Tarifzeit des Gefahrtarif 1996, also bis zum 31. Dezember 2000, fortgalt.

Der Bescheid der Beklagten vom 17. August 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Januar 1999 über die Änderung der Veranlagung des Unternehmens des Klägers ist aufzuheben, weil die Voraussetzungen für eine Änderung der Veranlagung eines Unternehmens während des Laufs eines Gefahrtarifs im Unternehmen des Klägers nach den für den Senat bindenden (§ 163 SGG) tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht vorlagen.

Die Beklagte stützt die Aufhebung des ursprünglichen Veranlagungsbescheides vom 28. Juni 1996 durch den neuen Veranlagungsbescheid vom 17. August 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Januar 1999 zu Unrecht alleine auf § 160 SGB VII. Dass für diese Änderung im Jahre 1998 grundsätzlich das Recht des SGB VII anzuwenden war, folgt aus § 219 Abs 1 Satz 1 SGB VII, nach dem die Vorschriften über die Aufbringung der Mittel, zu denen auch § 160 SGB VII gehört, erstmals für das Haushaltsjahr 1997 anzuwenden sind.

§ 160 Abs 1 SGB VII regelt die Aufhebung der Veranlagung beim Eintritt von Änderungen im Unternehmen für die Zukunft und § 160 Abs 2 SGB VII, wenn der Unternehmer seinen Mitteilungspflichten nicht, nicht rechtzeitig oder unrichtig bzw unvollständig nachgekommen ist, auch für die Vergangenheit. Die Voraussetzungen dieser beiden Absätze sind unstreitig nicht erfüllt.

In allen übrigen Fällen wird nach § 160 Abs 3 SGB VII ein Veranlagungsbescheid mit Beginn des Monats, der der Bekanntgabe des Änderungsbescheides folgt, aufgehoben.

Nach den Gesetzesmaterialien (BT-Drucks 13/2204 S 112) regelt § 160 SGB VII in seinem Abs 1 die Aufhebung des Veranlagungsbescheides bei Unternehmensänderungen und übernimmt damit im Wesentlichen das bisher geltende Recht des § 734 Abs 2 RVO. Auch für Abs 2 wird auf § 734 Abs 2 verwiesen, er führe die Fälle auf, in denen ein Veranlagungsbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben werde und sei lex specialis zu §§ 44 ff SGB X. § 160 Abs 3 SGB VII bestimme das Wirksamwerden der Aufhebung eines Veranlagungsbescheides in den von Abs 1 und 2 abweichenden Fällen.

Sowohl nach dem Wortlaut des § 160 Abs 3 SGB VII als auch den Gesetzesmaterialien enthält dieser Absatz keine Vorgaben über die Voraussetzungen, wann ein Veranlagungsbescheid in den "übrigen Fällen" aufgehoben oder geändert werden kann, sondern nur über den Zeitpunkt. Soweit in der Literatur (KassKomm-Ricke, Stand: 2000, § 160 SGB VII RdNr 2; Schulz in Wannagat, Stand: 1998, SGB VII, § 160 RdNr 14) vertreten wird, auch § 160 Abs 3 SGB VII sei eine abschließende Spezialregelung zu §§ 44 ff SGB X, finden sich keine näheren Voraussetzungen für seine Anwendung. Auch Bigge (BG 1997, 376, 377) geht von einer uneingeschränkten Möglichkeit der Unfallversicherungsträger aus, Veranlagungsbescheide für die Zukunft abzuändern. § 45 SGB X sei für das Leistungsrecht konzipiert und, da es nur um Aufhebungen für die Zukunft gehe, bestehe kein Bedürfnis für Vertrauensschutzregelungen. Dies überzeugt nicht, weil auch bei in die Zukunft reichenden Sachverhalten unter bestimmten Umständen ein Vertrauensschutz notwendig ist, wie § 45 SGB X allgemein zeigt und aus verfassungsrechtlichen Überlegungen folgt: Wenn auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft eingewirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsbeziehung nachträglich entwertet wird, also keine echte, sondern eine sog unechte Rückwirkung vorliegt, können aufgrund des aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art 20 Abs 3 GG abzuleitenden verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes Übergangsregelungen bei der Veränderung geschützter Rechtspositionen erforderlich sein (BVerfGE 21, 173, 183; 43, 242, 288; 67, 1, 15; 76, 256, 359 f). Dass ein derartiger Vertrauensschutz nicht nur für Versicherte im Leistungsrecht, sondern auch für Unternehmer hinsichtlich der von ihnen zu zahlenden Beiträge gilt, bedarf keiner weiteren Erörterung.

In dem nicht in § 160 Abs 1 und 2 SGB VII geregelten übrigen Fällen des § 160 Abs 3 SGB VII, in denen der Veranlagungsbescheid aufgehoben werden soll, ist daher auf die allgemeinen Regelungen in §§ 44 ff SGB X, insbesondere § 45 SGB X, zurückzugreifen (ebenso: Erstkommentierung des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes, hrsg v Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften, 1996, S 428 f; Freischmidt in: Hauck, SGB VII, Stand: 1998, § 160 RdNr 5, 12). Der Zeitpunkt der Wirksamkeit der Änderung ergibt sich dann aus § 160 Abs 3 SGB VII: Mit Beginn des Monats, der auf die Bekanntgabe des Änderungsbescheides folgt. Die gegenteilige Auffassung berücksichtigt nicht den unterschiedlichen Wortlaut der verschiedenen Absätze des § 160 SGB VII sowie die oben wiedergegebenen Gesetzesmaterialien. Nach letzteren ist die Anwendung der §§ 44 ff SGB VII nur im Fall des § 160 Abs 2 SGB VII ausgeschlossen und § 160 Abs 3 SGB VII regelt nur das Wirksamwerden der Änderung in den übrigen Fällen. Bei einer anderen Auslegung wäre die Aufhebung in den "übrigen Fällen" an keinerlei Voraussetzung geknüpft und § 160 Abs 1 SGB VII wäre abgesehen vom Änderungszeitpunkt weitgehend überflüssig. Nur diese Auslegung trägt der Tatsache Rechnung, dass nach den Gesetzesmaterialien § 160 SGB VII im Wesentlichen § 734 Abs 2 RVO übernehmen wollte, der Änderungen in der Tarifzeit nur bei unrichtigen Angaben des Unternehmens oder Änderungen im Unternehmen zuließ - also nach einer einmal erfolgten Veranlagung zu einem gewissen Vertrauensschutz des Unternehmens für die Tarifzeit führte.

Aus dem für die gegenteilige Auffassung angeführten Argument des "systematischen Zusammenhangs" der drei Absätze (so Schulz in Wannagat, SGB VII, Stand: 1998, § 160 RdNr 14) folgt nichts Anderes, weil aus diesem Gesichtspunkt ebenso das Gegenteil, nämlich eine getrennte Betrachtung der drei Absätze, hergeleitet werden kann. Auch gibt es kein generelles System des Regel-Ausnahme-Verhältnisses zwischen §§ 44 ff SGB X sowie Vorschriften in den besonderen Teilen des SGB und die Gesetzesmaterialien sind, wie schon ausgeführt, eindeutig. Im Übrigen ist neben der durch die Tarifzeit begrenzten Wirkung zu beachten, dass es sich nur um selten auftretende Fälle ohne größere, nachteilige Auswirkungen auf die Praxis handeln dürfte (so Schulz, SGb 1996, 571, 575, wo er noch der hier vertretenen Auffassung folgt).

Ein typischer Fall für eine Änderung nach § 160 Abs 3 SGB VII ist die fehlerhafte Veranlagung eines Unternehmens zu einer zu niedrigen Gefahrklasse, die nicht auf einen Verstoß des Unternehmens gegen seine Mitteilungspflicht zurückzuführen ist, sondern beispielsweise auf einen Anwendungsfehler hinsichtlich des Gefahrtarifs beim Unfallversicherungsträger. In diesem Fall ist die Rücknahme des früheren für das Unternehmen günstigeren Veranlagungsbescheides und der Erlass eines neuen ungünstigeren Veranlagungsbescheides nur unter den einschränkenden Voraussetzungen des § 45 SGB X und insbesondere dessen Fristenregelung in Abs 3 zulässig. Dieser (vorübergehende) Vertrauensschutz ist auch deswegen hinnehmbar, weil die Wirkung eines falschen Veranlagungsbescheides zugunsten eines Unternehmens auf die Tarifzeit des jeweiligen Gefahrtarifs beschränkt ist, da anschließend unter dem neuen Gefahrtarif eine neue zutreffende Veranlagung erfolgen kann, und es sich somit um eine typische, verfassungsrechtlichen Anforderungen Rechnung tragende Übergangsregelung handelt.

Dass vorliegend nicht die Voraussetzungen des § 45 SGB X erfüllt sind, folgt schon daraus, dass nach den nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angegriffenen und daher für den Senat bindenden (§ 163 SGG) tatsächlichen Feststellungen des LSG die Zwei-Jahres-Frist des § 45 Abs 3 Satz 1 SGB X zum Zeitpunkt des Änderungsbescheides vom 11. August 1998 verstrichen war, weil der Veranlagungsbescheid vom 28. Juni 1996 datierte, und die Voraussetzungen für eine Ausnahme, zB unrichtige Angaben des Unternehmens oä, nicht zu erkennen sind.

Auf die weitere Prüfung der Vereinbarkeit der Rechtsgrundlagen für die Bildung von Gefahrtarifen mit dem Grundgesetz, der Rechtmäßigkeit des Gefahrtarifs der Beklagten und der Zuordnung des Klägers zur Gefahrtarifstelle 5 dieses Gefahrtarifs kommt es nicht mehr an, da der Klage schon aus dem genannten Grund stattzugeben war.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden Fassung.

Ende der Entscheidung

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