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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Beschluss verkündet am 07.10.2004
Aktenzeichen: B 3 KR 14/04 R
Rechtsgebiete: SGG, ZPO


Vorschriften:

SGG § 164 Abs 2
SGG § 67
SGG § 169 Satz 2
SGG § 169 Satz 3
SGG § 135
SGG § 63 Abs 2
ZPO § 175
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Beschluss

in dem Rechtsstreit

Az: B 3 KR 14/04 R

Der 3. Senat des Bundessozialgerichts hat am 7. Oktober 2004 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Ladage sowie die Richter Dr. Hambüchen und Schriever beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Revisionsbegründung wird abgelehnt.

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 12. Dezember 2003 wird als unzulässig verworfen.

Die Klägerin hat die außergerichtlichen Kosten der Beklagten im Beschwerdeverfahren zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Gründe:

I

Die Klägerin begehrt von den beklagten Krankenkassen die Zulassung zur Versorgung der Versicherten mit physiotherapeutischen Leistungen, die sie ausschließlich im Wege von Hausbesuchen erbringen möchte. Die Beklagten haben den Antrag abgelehnt, weil die Zulassung als Heilmittelerbringer nach § 124 Abs 2 Satz 1 Nr 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) eine Praxisausstattung erfordere, die eine zweckmäßige und wirtschaftliche Leistungserbringung gewährleiste, was das Vorhandensein von Praxisräumen voraussetze, in denen die Leistungen erbracht werden; auf derartige Räumlichkeiten könne entgegen der Ansicht der Klägerin nicht verzichtet werden. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Gegen das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) vom 12. Dezember 2003 richtet sich die Revision der Klägerin.

Das LSG hat der Klägerin das Urteil im Postwege durch Einschreiben mit Rückschein gemäß § 63 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) iVm § 175 Zivilprozessordnung (ZPO) zugestellt. Der volljährigen, im elterlichen Haushalt lebenden Tochter der Klägerin A. H. (AH) ist das Urteil am 6. März 2004 ausgehändigt worden, weil der Postmitarbeiter die Klägerin an diesem Tag nicht angetroffen hatte. Die Revision ist am 24. März 2004 beim Bundessozialgericht (BSG) eingelegt und mit Schriftsatz vom 6. Mai 2004, der am 12. Mai 2004 beim BSG eingegangen ist, begründet worden.

Auf den Hinweis des Berichterstatters, die - mangels Antrag nicht verlängerte (§ 164 Abs 2 Satz 2 SGG) - zweimonatige Frist zur Begründung der Revision (§ 164 Abs 2 Satz 1 SGG) sei am 6. Mai 2004 abgelaufen, sodass die erst am 12. Mai 2004 eingegangene Revisionsbegründung verspätet sei, macht die Klägerin geltend, die Zustellung des Berufungsurteils leide an Formfehlern, sodass die Zustellung jedenfalls nicht vor dem 13. März 2004, dem von ihr "angenommenen" und ihrem Prozessbevollmächtigten so mitgeteilten Tag des Zugangs, wirksam geworden sei (§ 189 ZPO). Sollte die Zustellung am 6. Mai 2004 wirksam erfolgt sein, müsse ihr aber jedenfalls Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen nicht zurechenbarer Versäumung der Revisionsbegründungsfrist (§ 67 SGG) gewährt werden. Da dem BSG die LSG-Akten schon am 1. April 2004 vorgelegen hätten, hätte die fehlerhafte Angabe des Zustellungsdatums noch weit vor dem 6. Mai 2004 auffallen müssen; durch einen rechtzeitigen Hinweis des Gerichts wäre die Fristüberschreitung zu vermeiden gewesen.

II

Die Klägerin hat die Frist zur Begründung der Revision (§ 164 Abs 2 SGG) nicht eingehalten. Die Frist konnte auch nicht im Wege der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 67 SGG) fiktiv als gewahrt angesehen werden. Die Revision der Klägerin musste daher nach § 169 Satz 2 SGG als unzulässig verworfen werden, und zwar durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter (§ 169 Satz 3 SGG).

1) Das Urteil des LSG vom 12. Dezember 2003 ist der Klägerin am 6. März 2004 zugestellt (§ 135 SGG) worden. Die Zustellung ist in wirksamer Form erfolgt; der Wirksamkeit entgegenstehende Formmängel sind nicht ersichtlich.

Nach § 63 Abs 2 SGG iVm § 175 ZPO (idF durch das Zustellungsreformgesetz vom 25. Juni 2001 - BGBl I 1206) kann einem Prozessbeteiligten ein Urteil durch Einschreiben mit Rückschein zugestellt werden; zum Nachweis der Zustellung genügt dann der Rückschein. Diese Zustellungsart hat das LSG im vorliegenden Fall gewählt.

Der Umstand, dass der Postmitarbeiter das Urteil nicht der Klägerin persönlich, sondern der bei ihr wohnenden volljährigen Tochter AH übergeben hat, steht der Wirksamkeit der Zustellung nicht entgegen. Dies ergibt sich allerdings nicht bereits aus den Vorschriften der ZPO selbst. So ist zunächst § 178 Abs 1 Nr 1 ZPO nicht einschlägig, wonach ein Schriftstück bei Abwesenheit des Zustellungsadressaten auch einem in der Wohnung angetroffenen erwachsenen Familienangehörigen zugestellt werden kann. Denn die Regelungen über die Möglichkeiten der Ersatzzustellung (§§ 178 bis 181 ZPO) gelten, wie die Verweisung in § 176 Abs 2 ZPO zeigt, nur für Zustellungen, die auf einem formellen Zustellungsauftrag des Gerichts gemäß § 176 Abs 1 ZPO mit Zustellungssurkunde (Post, Justizbediensteter, Gerichtsvollzieher, andere Behörde) beruhen, nicht aber für Zustellungen durch Einschreiben mit Rückschein nach § 175 ZPO. Die Tochter der Klägerin war auch nicht schriftlich Bevollmächtigte iS des § 171 ZPO, an die nach § 175 ZPO hätte zugestellt werden können.

Schließlich kann die Wirksamkeit der Zustellung auch nicht aus den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) der Deutschen Post AG für den inländischen Briefverkehr ("AGB Brief national") abgeleitet werden. Ist eine Übergabe des Schriftstücks an den Adressaten, seinen Ehepartner (vgl dazu BGH NJW 1951, 313) oder einen schriftlich Empfangsbevollmächtigten bzw Postbevollmächtigten nicht möglich, kann nach diesen AGB der eingeschriebene Brief einem "Ersatzempfänger" ausgehändigt werden. Dabei sind als Ersatzempfänger ua (1) die Angehörigen des Empfängers oder seines Ehegatten, (2) andere, in den Räumen des Empfängers anwesende Personen sowie (3) Hausbewohner und Nachbarn genannt, sofern nach den Umständen angenommen werden kann, dass sie zur Annahme der Sendungen berechtigt sind (vgl Abschnitt 4 Abs 4 Satz 2 Nr 1 bis 3 der AGB, Stand 1. Januar 2004). Diese Voraussetzungen sind durch die Übergabe der Sendung an eine erwachsene Familienangehörige zwar erfüllt. Dies ist jedoch für die Frage der Wirksamkeit einer Zustellung nach § 175 ZPO ohne Bedeutung. Denn die Klägerin braucht sich die AGB der Deutschen Post AG nicht entgegenhalten zu lassen, weil sie an dem der Zustellung zu Grunde liegenden Vertragsverhältnis nicht beteiligt ist. AGB haben nach den §§ 305 bis 310 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) grundsätzlich nur Wirkung in dem Vertragsverhältnis, in das sie als Bestandteil einbezogen worden sind. Der Postbeförderungsvertrag ist hier aber nur zwischen dem LSG als Absender und der Deutschen Post AG geschlossen worden; die Klägerin als Adressatin ist, wie prinzipiell jeder Adressat einer Postsendung, an dem Postbeförderungsvertrag nicht beteiligt. Die Post war daher im Verhältnis zum LSG nach ihren AGB wegen Fehlens des Zusatzes "eigenhändig" (vgl Abschnitt 4 Abs 4 Satz 1 der AGB) zwar berechtigt, an einen der in den AGB genannten Ersatzempfänger zuzustellen. Die Klägerin als durch diese Regelung belastete Dritte braucht sich die Übergabe des Urteils an ihre Tochter aber nicht schon wegen der AGB-Bestimmungen als wirksame Zustellung entgegenhalten zu lassen. Diese Rechtslage berücksichtigen allerdings weder die Gesetzesmaterialien (BT-Drucks 14/4554 S 19 zu § 175 ZPO) noch jene Stimmen in der Literatur (zB Thomas/Putzo, ZPO, 25. Aufl 2003, § 175 RdNr 4; Stöber in Zöller, ZPO, 24. Aufl 2004, § 175 RdNr 3), die hinsichtlich der Ausführung der Zustellung nach § 175 ZPO ohne jede Einschränkung auch auf die Zustellungsmöglichkeiten nach den AGB der Deutschen Post AG verweisen. Der Gesetzgeber kann es nicht einem Privatunternehmen und seinen - jederzeit änderbaren - AGB überlassen, die Frage der öffentlich-rechtlichen Wirksamkeit einer Fristen auslösenden Zustellung zu regeln (so auch Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl 2003, § 56 RdNr 21).

Fehlt es mithin an einer Regelung in der ZPO (und auch in § 63 SGG) darüber, ob und wann eine Zustellung gegenüber dem Adressaten als wirksam gilt, wenn ein Schriftstück durch Einschreiben mit Rückschein an einen in den AGB der Deutschen Post AG genannten Ersatzempfänger ausgehändigt worden ist, kann jedoch die eine vergleichbare rechtliche Situation betreffende Regelung des § 130 Abs 1 Satz 1 BGB über das "Wirksamwerden der Willenserklärung gegenüber Abwesenden" herangezogen werden. Danach wird eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die in Abwesenheit des Erklärungsempfängers (Adressat) abgegeben wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem sie ihm zugeht. Zugegangen ist eine Willenserklärung, wenn sie so in den Bereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen (BGHZ 67, 271; BGH NJW 1980, 990 und 1983, 929; BAG NJW 1984, 1651 und 1993, 1093). Eine Erklärung, die ein Empfangsbote entgegennimmt, geht dem Adressaten in dem Zeitpunkt zu, in dem nach dem regelmäßigen Verlauf der Dinge die Weiterleitung an den Adressaten zu erwarten war (BGH NJW-RR 1989, 757). Empfangsbote ist eine Person, die vom Empfänger zur Entgegennahme von Erklärungen bestellt worden ist oder nach der Verkehrsanschauung als bestellt anzusehen ist (Palandt/Heinrichs, BGB, 63. Aufl 2004, § 130 RdNr 8 und 9). Dazu zählen bei schriftlichen Erklärungen zumindest alle Personen, die von § 178 ZPO (Regelung über die "Ersatzzustellung in der Wohnung, in Geschäftsräumen und Einrichtungen") erfasst werden (Palandt/Heinrichs aaO RdNr 9), also auch die in der Wohnung des Empfängers lebenden Angehörigen und Haushaltsmitglieder (RGZ 91, 62; BGHZ 111, 1; stRspr), zu denen die Tochter der Klägerin gehört (vgl auch Hannich/Meyer-Seitz, ZPO-Reform 2002 mit Zustellungsreformgesetz, 2002, § 175 RdNr 3: Zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen ist bei § 175 ZPO eine Beschränkung auf den Empfängerkreis des § 178 ZPO erforderlich; ebenso Kopp/Schenke aaO).

Aus der entsprechenden Anwendung des § 130 Abs 1 Satz 1 BGB auf § 175 ZPO ergibt sich hier, dass das Urteil der Klägerin am 6. März 2004 wirksam zugestellt worden ist. Denn mangels anderer Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass die Tochter das von ihr an diesem Tag entgegengenommene und quittierte Einschreiben noch am gleichen Tag ("regelmäßiger Verlauf der Dinge") an ihre Mutter weitergereicht hat; Gegenteiliges hat auch die Klägerin nicht behauptet.

Der Wirksamkeit der Zustellung steht ferner nicht entgegen, dass der Postmitarbeiter die Tochter der Klägerin durch Ankreuzen der entsprechenden Variante fälschlich als deren "Empfangsbevollmächtigte", nicht aber als "andere Empfangsberechtigte (Ersatzempfänger gemäß AGB Brief national") bezeichnet hat, und auch der Grund für diese Art der Übergabe des Einschreibens nicht vermerkt worden ist. Letzteres ist nach § 182 Abs 2 Nr 4 ZPO für Zustellungsurkunden vorgeschrieben, die über Zustellungen nach den §§ 171, 177 bis 181 ZPO anzufertigen sind (so ausdrücklich § 182 Abs 1 Satz 1 ZPO). Der Rückschein nach § 175 ZPO ist keine Zustellungsurkunde iS des § 182 ZPO. Vielmehr handelt es sich bei dem Rückschein nur um eine private Urkunde (§ 416 ZPO), welche die Zustellungsurkunde, die eine öffentliche Urkunde darstellt (§ 182 Abs 1 Satz 1 iVm § 418 ZPO), ersetzt (Thomas/Putzo aaO § 175 RdNr 6; Stöber in Zöller aaO § 175 RdNr 4; aA Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 60. Aufl 2002, § 175 RdNr 4: Rückschein als öffentliche Urkunde gemäß § 418 ZPO, weil die Deutsche Post AG entsprechend § 168 Abs 1 Satz 2 ZPO trotz ihrer privatrechtlichen Organisation wie eine Behörde zu behandeln sei). Entscheidend ist aber, dass weder die Zustellungsurkunde nach § 182 ZPO noch der Rückschein nach § 175 ZPO Teil der Zustellung, deren ordnungsgemäße Ausfüllung daher auch nicht Wirksamkeitserfordernis der Zustellung ist; vielmehr dienen sie lediglich dem vereinfachten Nachweis der Zustellung (Thomas/Putzo aaO § 175 RdNr 6 und § 182 RdNr 2, 7 und 8; Stöber in Zöller aaO § 182 RdNr 19), haben also nur beweisrechtliche Bedeutung. Die Zustellung selbst ist im vorliegenden Fall nicht zweifelhaft.

Die zweimonatige Frist zur Begründung der Revision (§ 164 Abs 2 Satz 1 SGG) begann somit am 7. März 2004, dem Tag nach der Zustellung des LSG-Urteils (§ 64 SGG), und endete am 6. Mai 2004.

Eine Verlängerung der Begründungsfrist ist gemäß § 164 Abs 2 Satz 2 SGG auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag hin zwar möglich; sie ist hier aber nicht beantragt und deshalb auch nicht bewilligt worden. Die Ansicht der Klägerin, die Angabe des Zustellungsdatums 12. März 2004 (statt 6. März 2004) in der Revisionseinlegungsschrift vom 23. März 2004 stelle einen konkludenten Antrag auf Fristverlängerung nach § 164 Abs 2 Satz 2 SGG dar, teilt der Senat nicht. Weder die Angabe des (vermeintlichen) Zustellungsdatums noch die sonstigen Umstände lassen den Willen der Klägerin erkennen, sofort mit der Revisionseinlegung auch einen Verlängerungsantrag nach § 164 Abs 2 Satz 2 SGG zu stellen. Dies gilt umso mehr, als sich die erforderliche Angabe eines wichtigen Grundes für die Fristverlängerung (Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl 2002, § 164 RdNr 8) weder dort noch an anderer Stelle findet.

2) Der Klägerin konnte wegen der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden. Der Wiedereinsetzungsantrag vom 15. Juli 2004 ist zwar rechtzeitig gestellt worden (§ 67 Abs 2 Satz 1 SGG), war aber unbegründet, weil die Klägerin die Fristüberschreitung zu vertreten hat.

Nach § 67 Abs 1 SGG ist einem Prozessbeteiligten auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er ohne Verschulden gehindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Das ist der Fall, wenn ein Beteiligter diejenige Sorgfalt angewendet hat, die einem gewissenhaften Prozessführenden angesicht der gesamten Umstände des Einzelfalls nach allgemeiner Verkehrsanschauung vernünftigerweise zuzumuten ist (BSGE 72, 158 = SozR 3-1500 § 67 Nr 7; Meyer-Ladewig aaO § 67 RdNr 3). Einen Sachverhalt, der darauf schließen lässt, die Klägerin sei ohne eigenes oder ihr zurechenbares Verschulden (zB Verschulden des Prozessbevollmächtigten, vgl BSG SozR § 67 Nr 2, 7, 10, 16, 24) an der Fristeinhaltung gehindert gewesen, trägt die Klägerin nicht vor. Sie gibt nur an, davon ausgegangen zu sein, das Urteil sei erst am 13. März 2004 zugestellt worden, und die schriftsätzliche Angabe des 12. März 2004 erkläre sich dadurch, dass ihr Prozessbevollmächtigter vorsichtshalber den Fristablauf stets einen Tag vor dem errechneten Ende (13. Mai 2004) notiere, wodurch sich bei Rückrechnung um zwei Monate (12. Mai 2004 - 12. März 2004) das angegebene Datum ergebe. Worauf der Irrtum, die Zustellung sei erst am 13. März 2004 und nicht schon eine Woche vorher (6. März 2004) erfolgt, beruht, wird von der Klägerin nicht mitgeteilt. Eigene Fahrlässigkeit wird von ihr nicht in Abrede gestellt. Deshalb fehlt es am Nachweis des fehlenden Verschuldens an der Fristversäumung.

Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, das Revisionsgericht trage ein erhebliches Mitverschulden an der Fristversäumung, sodass ihr eigenes Verschulden nach den gegebenen Umständen gegenüber dem Verschulden des Gerichts als nachrangig betrachtet werden müsse. Ein gerichtliches Verschulden ist nicht erkennbar.

Das aus Art 2 Abs 1 Grundgesetz (GG) iVm Art 20 Abs 3 GG als allgemeines Prozessgrundrecht folgende Recht auf ein faires Verfahren (vgl BVerfGE 38, 105, 111 und 57, 250, 274) hat für ein rechtsstaatliches Gerichtsverfahren grundlegende Bedeutung (vgl auch Art 6 Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK - und Art 47 Abs 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union). Aus dem Gebot eines fairen Verfahrens folgt ua, dass das Gericht aus eigenen oder ihm zuzurechnenden Fehlern, Unklarheiten oder Versäumnissen keine Verfahrensnachteile ableiten darf (vgl BVerfGE 78, 123, 126). Beruht eine Fristversäumung auch auf einem Fehler des Gerichts, sind die Anforderungen an eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit "besonderer Fairness" zu handhaben (so ausdrücklich Beschluss des BVerfG vom 4. Mai 2004 - 1 BvR 1892/03 - NJW 2004, 2887). In gerichtlichen Verfahren ist demgemäß die Wiedereinsetzung trotz vorwerfbaren Verhaltens des Betroffenen auch dann zu gewähren, wenn zu der Fristversäumung eine Verletzung der prozessualen Fürsorgepflicht des Gerichts (vgl dazu BVerfGE 75, 183, 189 und 302, 318; 81, 264, 273; 93, 99, 114; BGH NJW 1997, 1989; BGH, Beschluss vom 15. Juni 2004 - VI ZB 75/03 -) wesentlich beigetragen hat (BGH NJW-RR 1997, 1289: "überholende Kausalität").

Die prozessuale Fürsorgepflicht bedeutet im Zusammenhang mit einzuhaltenden Fristen indes nicht, dass ein Gericht Vorkehrungen zu treffen hat, damit eine Partei oder ihr Prozessbevollmächtigter davor bewahrt wird, einen fristschädlichen Fehler überhaupt erst zu begehen. Es ist allgemein anerkannt, dass ein Gericht keine Rechtspflicht trifft, außer den vorgeschriebenen Rechtsmittelbelehrungen durch vorsorgliche Hinweise oder andere geeignete Maßnahmen von vornherein ein Fristversäumnis zu vermeiden (BGH NJW 1987, 440; Thomas/Putzo aaO § 233 RdNr 14). Eine prozessuale Fürsorgepflicht des Gerichts besteht vielmehr nur dort, wo es darum geht, eine Partei oder ihren Prozessbevollmächtigten nach Möglichkeit vor den fristbezogenen Folgen eines bereits begangenen Fehlers zu bewahren. Ein Prozessbeteiligter kann daher erwarten, dass offenkundige Versehen wie zB das Fehlen einer zur Fristwahrung erforderlichen Unterschrift (vgl dazu auch § 106 Abs 1 SGG: Hinweispflicht des Vorsitzenden bei Formfehlern), die irrtümliche Einreichung eines korrekt adressierten Schriftsatzes bei einem anderen Gericht oder die Einlegung eines Rechtsmittels bei einem unzuständigen Gericht in angemessener Zeit bemerkt und innerhalb eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs die notwendigen Maßnahmen getroffen werden, um eine drohende Fristversäumnis zu vermeiden (BSGE GrS 38, 248 = SozR 1500 § 67 Nr 1; BSG SozR 3-1500 § 67 Nr 21; BGH NJW 1987, 440 und 2000, 3649; Rechtsprechungsübersicht bei Greger in Zöller aaO § 233 RdNr 22a und 22b).

Im vorliegenden Fall geht es aber nicht um die rechtzeitige Korrektur eines für das Gericht offenkundigen Fehlers eines Beteiligten. Die Angabe des Zustellungsdatums der angefochtenen Entscheidung gehört nicht zu den notwendigen und damit alsbald zu überprüfenden Bestandteilen einer Revisionsschrift (§ 164 Abs 1 SGG). Eine Überprüfung konnte frühestens mit dem Eingang der vorinstanzlichen Akten erfolgen. Aber auch dann bestand zunächst nur Anlass, die Rechtzeitigkeit der Revisionseinlegung zu überprüfen, die hier gewahrt war. Die drohende Versäumung der Begründungsfrist war nicht offensichtlich. Es war schon nicht ersichtlich, ob die Angabe des 12. März 2004 als Zustellungsdatum auf einer falschen Notiz des Fristbeginns, die die Gefahr einer falschen Fristberechnung und damit der Fristversäumnis begründet oder schlicht auf einem Schreibfehler im Schriftsatz beruhte. Dies hätte weiterer Nachforschungen bedurft und steht deshalb der Annahme der Offenkundigkeit des Versehens und seiner Folgen entgegen.

Die Revision der Klägerin war daher wegen vorwerfbarer Versäumung der Begründungsfrist als unzulässig zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in der hier noch anwendbaren, bis zum 1. Januar 2002 gültigen Fassung (vgl § 197a SGG iVm Art 17 Abs 1 Satz 2 6. SGG-ÄndG vom 17. August 2001, BGBl I 2144).



Ende der Entscheidung

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