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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 17.06.1999
Aktenzeichen: B 3 P 10/98 R
Rechtsgebiete: SGB XI


Vorschriften:

SGB XI § 14 Abs 4
SGB XI § 15 Abs 1 Nr 1
SGB XI § 15 Abs 3 Nr 1
Eine diätgerechte Zusammenstellung von Mahlzeiten für einen Diabetiker sowie Blutzuckermessungen und Spritzen von Insulin zählen nicht zur Grundpflege in der Pflegeversicherung.
BUNDESSOZIALGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Verkündet am 17. Juni 1999

in dem Rechtsstreit

Az: B 3 P 10/98 R

Kläger und Revisionsbeklagter,

Prozeßbevollmächtigter:

gegen

Deutsche Angestellten-Krankenkasse-Pflegekasse-, Nagelsweg 27-35, 20097 Hamburg,

Beklagte und Revisionsklägerin.

Der 3. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 17. Juni 1999 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Ladage, die Richter Dr. Udsching und Schriever sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. Gasser und Bauer

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Sächsischen Landessozialgerichts vom 20. Januar 1998 und des Sozialgerichts Chemnitz vom 5. Juni 1997 geändert.

Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

Kosten sind in allen Rechtszügen nicht zu erstatten.

Gründe:

I

Die Beteiligten streiten um einen Anspruch auf Pflegegeld aus der sozialen Pflegeversicherung nach dem Elften Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB XI). Im Revisionsverfahren geht es allein noch um ein Pflegegeld nach der Pflegestufe I.

Der am 2. Januar 1994 geborene Kläger ist bei der beklagten Pflegekasse im Rahmen der Familienversicherung gegen das Risiko der Pflegebedürftigkeit versichert. Er leidet an einem Diabetes mellitus Typ I. Wegen dieser Erkrankung muß er eine genau berechnete Diät einhalten. Außerdem sind regelmäßige Blutzuckermessungen und Insulininjektionen erforderlich.

Im September 1995 beantragte der Kläger die Gewährung von Pflegegeld. Die Beklagte kam nach Einholung eines Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) zu dem Ergebnis, daß Pflegebedürftigkeit nicht vorliege. Der tägliche Pflegeaufwand im Bereich der Grundpflege sei im Vergleich zu einem gleichaltrigen gesunden Kind nicht um mehr als 45 Minuten erhöht. Die Hilfe durch die Zubereitung der Diätnahrung, die Blutzuckermessungen und die Insulininjektionen sei nicht der Grundpflege zuzurechnen (Bescheid vom 9. Mai 1996, Widerspruchsbescheid vom 6. September 1996).

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte zur Zahlung eines Pflegegeldes nach der Pflegestufe I ab 1. September 1995 verurteilt, den in erster Linie geltend gemachten Anspruch auf Pflegegeld nach der Pflegestufe II hingegen abgelehnt (Urteil vom 5. Juni 1997). Dieses allein von der Beklagten mit der Berufung angefochtene Urteil hat das Landessozialgericht (LSG) im wesentlichen bestätigt; lediglich für den Zeitraum vom 29. September bis zum 13. Oktober 1996 hat es die Klage wegen des Aufenthalts des Klägers in einem Rehabilitationszentrum für Stoffwechselerkrankungen abgewiesen (Urteil vom 20. Januar 1998). Das LSG hat die Voraussetzungen des § 15 Abs 1 Satz 1 Nr 1 und Abs 3 Nr 1 SGB XI für die Pflegestufe I als erfüllt angesehen. Es hat einen täglichen Mehrbedarf bei der Grundpflege von 105 Minuten angenommen, und zwar 45 Minuten für die Hilfe bei der Aufnahme der erforderlichen sechs Mahlzeiten, 20 Minuten für die Hilfe bei der mundgerechten Zubereitung der Diätnahrung und 40 Minuten für die Hilfe bei den - zum Bereich der Nahrungsaufnahme gehörenden - Blutzuckermessungen und Insulininjektionen. Hinzu komme ein täglicher Mehraufwand von mindestens 45 Minuten bei der hauswirtschaftlichen Versorgung durch aufwendigeres Einkaufen und Kochen.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung der §§ 14 Abs 4, 15 Abs 1 Satz 1 Nr 1 und 15 Abs 3 Nr 1 SGB XI. Sie verweist auf die - den Vorinstanzen seinerzeit noch nicht bekannte - Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), nach der die Durchführung von Blutzuckermessungen und die Verabreichung der Insulininjektionen als nicht verrichtungsbezogene Behandlungspflege nicht zum Bereich der Grundpflege zu zählen sei. Einen Hilfebedarf bei der mundgerechten Zubereitung der Nahrung gebe es ebenfalls nicht, weil die diätgerechte Zubereitung und Portionierung der Speisen (einschließlich der diätgerechten Zubereitung belegter Brote) zwar möglicherweise zeitaufwendiger sei, dieser Mehrbedarf aber zum Bereich des "Kochens" und damit zur hauswirtschaftlichen Versorgung gehöre. Der Mehrbedarf bei der Grundpflege belaufe sich daher - ungeachtet der Bedenken gegen die Zeitansätze des LSG - auf allenfalls 45 Minuten (Hilfe bei der Nahrungsaufnahme), liege also unterhalb der Grenze des in § 15 Abs 3 Nr 1 SGB XI geforderten Mindestbedarfs von "mehr als 45 Minuten". Außerdem fehle es an einem Mehrbedarf bei mindestens zwei der in § 14 Abs 4 Nrn 1 bis 3 SGB XI genannten Verrichtungen (§ 15 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB XI). Daher scheide Pflegebedürftigkeit iS des SGB XI sogar selbst dann aus, wenn sich der Pflegebedarf bei der Nahrungsaufnahme tatsächlich auf mehr als 45 Minuten belaufen würde.

Die Beklagte beantragt,

die Urteile des Sächsischen LSG vom 20. Januar 1998 und des SG Chemnitz vom 5. Juni 1997 zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil und meint, die Einbeziehung der Blutzuckermessungen und der Insulininjektionen in den Bereich der Grundpflege (Hilfe bei der Nahrungsaufnahme) lasse sich auch auf die Rechtsprechung des 10. Senats des BSG stützen, nach der krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen auch dann zu berücksichtigen seien, wenn sie in unmittelbarem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit der Hilfe bezüglich einer der in § 14 Abs 4 SGB XI genannten "Katalog-Verrichtungen" stehen (Urteil vom 27. August 1998 - B 10 KR 4/97 R).

II

Die Revision der Beklagten ist begründet. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Pflegeleistungen aus der sozialen Pflegeversicherung nicht zu. Ein täglicher Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege besteht nur bei einer Verrichtung (Hilfe bei der Nahrungsaufnahme), nicht aber - wie im Gesetz gefordert - bei wenigstens zwei derartigen Verrichtungen (§ 15 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB XI). Die angefochtenen Bescheide erweisen sich daher als rechtmäßig. Auf die Frage, ob das LSG den Hilfebedarf bei der Nahrungsaufnahme zu Recht auf exakt 45 Minuten festgelegt hat oder ob er, wie der Kläger behauptet, mit "mehr als 45 Minuten" zu bemessen ist, kommt es nicht an.

Der Anspruch auf Pflegegeld, den der Kläger seit dem 1. September 1995, also einem Zeitpunkt nach dem Inkrafttreten des Leistungsrechts der Pflegeversicherung am 1. April 1995 (Art 68 Abs 2 des Pflege-Versicherungsgesetzes - PflegeVG - vom 26. Mai 1994, BGBl I, 1014) geltend macht, setzt gemäß § 37 Abs 1 SGB XI voraus, daß Pflegebedürftigkeit iS des § 14 SGB XI vorliegt. Nach § 14 Abs 1 SGB XI sind pflegebedürftig iS des SGB XI solche Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer zumindest in erheblichem Maße der Hilfe bedürfen. Zu berücksichtigen ist mithin ausschließlich der Umfang des Pflegebedarfs bei den gewöhnlich und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen, die Abs 4 der Vorschrift in die Bereiche Körperpflege, Ernährung und Mobilität (Grundpflege) sowie den Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung aufteilt. Nach § 15 Abs 1 Nr 1 SGB XI in der ursprünglichen Fassung des Gesetzes vom 26. Mai 1994 (BGBl I, 1014), der durch das 1. SGB XI-Änderungsgesetz (1. SGB XI-ÄndG) vom 14. Juni 1996 (BGBl I, 830) zu § 15 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB XI geworden ist, setzt die Zuordnung eines Pflegebedürftigen zur Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige) voraus, daß er bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedarf und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt werden. Dabei gehören zum Bereich der Körperpflege das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren und die Darm- und Blasenentleerung, zum Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten und die Aufnahme der Nahrung und zum Bereich der Mobilität das selbständige Aufstehen und Zubettgehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen sowie das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung (§ 14 Abs 4 Nrn 1 bis 3 SGB XI). Zusätzlich wird nach § 15 Abs 3 Nr 1 SGB XI (idF des 1. SGB XI-ÄndG) vorausgesetzt, daß der Zeitaufwand, den eine nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, täglich im Wochendurchschnitt 90 Minuten beträgt, wobei auf die Grundpflege "mehr als 45 Minuten" entfallen müssen. Der Senat hat bereits entschieden, daß ein in der ursprünglichen Fassung des § 15 Abs 3 SGB XI enthaltenes Regelungsdefizit bezüglich der für die einzelnen Pflegestufen erforderlichen zeitlichen Mindestvoraussetzungen durch die Neufassung des § 15 Abs 3 SGB XI zum 25. Juni 1996 auch für die zurückliegende Zeit seit dem Inkrafttreten des SGB XI ausgefüllt worden ist (Urteil vom 6. August 1998 - B 3 P 17/97 R - SozR 3-3300 § 14 Nr 6). Bei Kindern ist für die Zuordnung der zusätzliche Hilfebedarf (Mehrbedarf) gegenüber einem gesunden gleichaltrigen Kind maßgebend (§ 15 Abs 2 SGB XI).

Das LSG hat zu Unrecht angenommen, daß der Kläger einen Hilfebedarf bei zwei Verrichtungen aus dem Bereich der Ernährung habe. Hilfebedarf besteht lediglich bei der Verrichtung "Nahrungsaufnahme", nicht aber bei der mundgerechten Zubereitung der Nahrung.

1. Das vom Kläger geltend gemachte aufwendige diätgerechte Zusammenstellen, Zubereiten und Zuteilen der Nahrung gehört nicht zur Grundpflege. Im Bereich der Ernährung unterscheidet § 14 Abs 4 SGB XI zwischen der mundgerechten Zubereitung und der Aufnahme der Nahrung einerseits, wobei ein Hilfebedarf bei diesen Verrichtungen der Grundpflege (§ 14 Abs 4 Nr 2 SGB XI) zuzuordnen ist, und den Verrichtungen "Einkaufen" und "Kochen" andererseits, die dem Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung (§ 14 Abs 4 Nr 4 SGB XI) zugewiesen sind. Die Vorschrift differenziert damit allein nach dem äußeren Ablauf der Verrichtungen; sie knüpft nicht an das mit der Verrichtung angestrebte Ziel an. Bezogen auf den Lebensbereich "Ernährung" bedeutet dies, daß nicht umfassend alle Maßnahmen einzubeziehen sind, die im konkreten Einzelfall im weitesten Sinn dem Ernährungsvorgang zugeordnet werden können. Zur Grundpflege gehört nach § 14 Abs 4 Nr 2 SGB XI vielmehr nur die Hilfe bei der Nahrungsaufnahme selbst sowie die letzte Vorbereitungsmaßnahme, soweit eine solche nach der Fertigstellung der Mahlzeit krankheits- oder behinderungsbedingt noch erforderlich wird (BT-Drucks 12/5262, S 96, 97; Wilde in: Hauck/Wilde, SGB XI, § 14 RdNr 34b). Dies schließt - wie vom Senat bereits entschieden (Urteil vom 19. Februar 1998 - B 3 P 3/97 R - BSGE 82, 27 = SozR 3-3300 § 14 Nr 2) - bei an Stoffwechselstörungen leidenden Personen die Einbeziehung solcher Hilfen in die Grundpflege aus, die nur dazu dienen, die Verträglichkeit der Nahrung sicherzustellen (zB durch besonderes Einkaufen, Berechnen, Zusammenstellen und Abwiegen), wenn derartige Maßnahmen nicht zwangsläufig im Zusammenhang mit den im Katalog aufgeführten Verrichtungen der Grundpflege vorgenommen werden müssen. Der Senat folgt nicht der Auffassung, wonach bei einem an Diabetes leidenden Kind das Berechnen, Zusammenstellen und Abwiegen der Mahlzeiten zum "mundgerechten Zubereiten" der Nahrung gehöre, weil dem Diabetiker eine Mahlzeit nur dann "munden" könne, wenn sie mit Hilfe aufwendiger Vorbereitungen genau berechnet sowie zubereitet sei und er andernfalls durch die Nahrung in Lebensgefahr gebracht werde (so SG Hamburg Breithaupt 1997, 134). Diese Auslegung wird den Vorgaben des Gesetzes nicht gerecht, weil sie sich von dem äußeren Ablauf der Pflegemaßnahmen löst und statt dessen auf die individuelle Bedeutung einzelner Hilfeleistungen abstellt.

In den Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen über die Abgrenzung der Merkmale der Pflegebedürftigkeit und der Pflegestufen sowie zum Verfahren der Feststellung der Pflegebedürftigkeit (Pflegebedürftigkeits-Richtlinien <PflRi>) vom 7. November 1994 idF vom 21. Dezember 1995 sind die Vorgaben des Gesetzes in bezug auf den Lebensbereich "Ernährung" (Ziff 3.4) zutreffend erläutert. Danach zählt die gesamte Vorbereitung der Nahrungsaufnahme nicht zur Grundpflege, sondern zum Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung. Das im Gesetz ausdrücklich erwähnte Einkaufen umfaßt zB auch den Überblick, welche Lebensmittel wo eingekauft werden müssen, sowie die Kenntnis der Genieß- bzw Haltbarkeit von Lebensmitteln; zum ebenfalls erwähnten Kochen gehört auch das Vor- und Zubereiten der Bestandteile der Mahlzeiten. Die PflRi gehen zutreffend davon aus, daß der Begriff "Kochen" den gesamten Vorgang der Nahrungszubereitung umfaßt. Hierzu zählen somit auch Vorbereitungsmaßnahmen wie die Erstellung eines Speiseplans unter Berücksichtigung individueller, unter Umständen auch krankheitsbedingter Besonderheiten. Daraus folgt, daß die Tätigkeiten des Berechnens, Abwiegens, Zusammenstellens und Zubereitens der Speisen zur Herstellung der für den Kläger erforderlichen Diät zur Nahrungszubereitung zählt und damit der Verrichtung "Kochen" im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung zuzuordnen ist. Zum Zusammenstellen und Zubereiten der Speisen zählt - als Abschluß der Verrichtung "Kochen" - auch das anhand der Diätvorschriften vorzunehmende Bemessen und Zuteilen der zubereiteten Nahrung bzw einzelner Nahrungsbestandteile. Dieser Vorgang stellt - entgegen der Ansicht des LSG und des Klägers - nicht die "portionsgerechte Vorgabe" der zubereiteten Nahrung dar, die gemäß Ziff 3.4.2 der PflRi sowie Abschnitt D Ziff 5.2 (8) der Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI (Begutachtungs-Richtlinien <BRi>) vom 21. März 1997 - zu Recht - zur Verrichtung der mundgerechten Zubereitung der Nahrung gerechnet wird. Von dem Begriff der "portionsgerechten Vorgabe" bzw der "Portionierung" der zubereiteten Nahrung werden vielmehr nur jene Maßnahmen erfaßt, die dazu dienen, die bereits zubereitete Nahrung so "mundgerecht" zu machen, daß der Pflegebedürftige sie durch den Mund aufnehmen kann (zB Zerkleinern der Nahrung; Trennung nicht eßbarer Bestandteile der zubereiteten Nahrung wie etwa Heraustrennen eines Knochens und Entfernen von Gräten; Einfüllen von Getränken in Trinkgefäße; Einweichen von harter Nahrung bei Kaustörungen). Die Zuordnung auch der Bemessung und Zuteilung der zubereiteten Diätnahrung zum Begriff der "portionsgerechten Vorgabe" berücksichtigt nicht hinreichend, daß § 14 Abs 4 Nr 2 SGB XI ausdrücklich nur die "mundgerechte Zubereitung" der Nahrung als Grundpflege beschreibt, es dort also nicht allgemein um die "Zubereitung" oder um die "krankheitsgerechte Zubereitung" geht. Die Eingrenzung auf die "Mundgerechtigkeit" der Nahrungszubereitung schließt die Einbeziehung der Bemessung und Zuteilung der zubereiteten Diätnahrung in die Grundpflegemaßnahmen aus.

Da der Begriff "Kochen" iS des § 14 Abs 4 Nr 4 SGB XI die gesamte Zubereitung der Nahrung umfaßt, also nicht auf die Herstellung warmer Speisen durch Kochen beschränkt ist, umschließt er auch den gesamten Bereich der Zubereitung kalter Speisen. Hierher gehört auch das Zubereiten belegter Brote, das das LSG ebenfalls zu Unrecht der mundgerechten Zubereitung zugerechnet hat. Mundgerecht zubereitet wird ein belegtes Brot erst dann, wenn es - entsprechend vorstehender Definition - weiter bearbeitet wird, damit es der Pflegebedürftige essen kann (zB Zerkleinern in mundgerechte Bissen). Bereits das Zubereiten belegter Brote zur mundgerechten Zubereitung der Nahrung zu zählen (so allerdings auch die Gesetzesmaterialien, BT-Drucks 12/5262, S 96) berücksichtigt nicht, daß diese Verrichtung nach dem Gesamtzusammenhang des Verrichtungskatalogs des § 14 Abs 4 SGB XI und dem Wortsinn des Begriffs der "Mundgerechtigkeit" nur das Bindeglied zwischen der eßfertigen Zubereitung der Nahrung (Verrichtung "Kochen") und der tatsächlichen Aufnahme der Nahrung (Verrichtung "Nahrungsaufnahme") darstellt, also auf jene Maßnahmen beschränkt ist, die der eßfertigen Zubereitung nachfolgen, aber der Nahrungsaufnahme vorausgehen, und den Zweck haben, die zubereitete Nahrung so aufzubereiten, daß der Pflegebedürftige sie greifen, zum Mund führen, zerkauen und schlucken kann.

2. Die Blutzuckertests sowie das Spritzen von Insulin zählen ebenfalls nicht zur Grundpflege. Es sind krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen (Behandlungspflege), die nur dann zu berücksichtigen sind, wenn sie einer der in § 14 Abs 4 SGB XI genannten Verrichtungen zugerechnet werden können (BSG Urteile vom 19. Februar 1998 - B 3 P 3/97 R - BSGE 82, 27 = SozR 3-3300 § 14 Nr 2 und - B 3 P 11/97 R - SozVers 1998, 253). Daran fehlt es. Die Messungen des Zuckerspiegels und das Führen des Blutzucker-Tagebuchs dienen auch im Fall des Klägers als Vorbereitungshandlungen dem oben erwähnten Berechnen, Zusammenstellen, Abwiegen und Zuteilen der Mahlzeiten. Das Spritzen von Insulin ist zeitlich zu weit vom Vorgang des Essens entfernt, um noch unter "Aufnahme der Nahrung" (§ 14 Abs 4 Nr 2 SGB XI) subsumiert zu werden; es handelt sich somit um eine selbständige Maßnahme der Behandlungspflege o h n e Bezug zu einer der Verrichtungen des Katalogs in § 14 Abs 4 SGB XI. Für seine gegenteilige Ansicht kann sich der Kläger auch nicht auf das Urteil des 10. Senats des BSG vom 27. August 1998 - B 10 KR 4/97 R - (BSGE 82, 276 = SozR 3-3300 § 14 Nr 7) stützen, wonach krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen bei der Feststellung des Pflegeaufwands zu berücksichtigen sind, wenn sie entweder Bestandteil der Hilfe für die Katalog-Verrichtungen des § 14 Abs 4 SGB XI sind oder wenn sie im unmittelbaren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit dieser Hilfe erforderlich werden. Der 10. Senat hat in seiner Entscheidung ausdrücklich hervorgehoben, er folge den Entscheidungen des erkennenden 3. Senats vom 19. Februar 1998 und sehe in seiner "fortführenden" Entscheidung keine rechtliche Abweichung. Da der 3. Senat in diesen Entscheidungen die Blutzuckermessungen und die Verabreichung der Insulinspritzen ausdrücklich als nicht berücksichtigungsfähige Behandlungspflege bezeichnet hat, kann auch das Urteil des 10. Senats nur so verstanden werden.

3. Ferner kann - wie vom LSG zutreffend entschieden - ein zusätzlicher Hilfebedarf für den Bereich der Mobilität unter dem Aspekt, daß der Kläger alle drei Wochen die Diabetiker-Sprechstunde des behandelnden Arztes besuchen muß und hierfür Hilfen zum Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung benötigt, nicht anerkannt werden. Da § 15 Abs 3 SGB XI beim Pflegebedarf auf den "wöchentlichen Tagesdurchschnitt" (gemeint: täglich im Wochendurchschnitt) abstellt, können bei außerhäuslichen Verrichtungen nur solche Hilfen berücksichtigt werden, die mit gewisser Regelmäßigkeit wenigstens einmal pro Woche anfallen (so bereits Urteile des erkennenden Senats vom 29. April 1999 - B 3 P 7/98 R -, zur Veröffentlichung vorgesehen, und - B 3 P 12/98 R -). Das ist bei einem nur alle drei Wochen erforderlichen Arztbesuch nicht der Fall.

4. Der Kläger erfüllt daher aufgrund der Tatsache, daß er tägliche Hilfe im Bereich der Grundpflege nur bei einer Verrichtung benötigt, nicht die Voraussetzungen der Pflegestufe I nach § 15 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB XI. Auf die Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzung, daß Hilfebedarf bei "wenigstens zwei Verrichtungen" bestehen muß, kann nicht verzichtet werden. Der Einwand, angesichts der in § 15 Abs 3 SGB XI aufgestellten detaillierten zeitlichen Voraussetzungen für die einzelnen Pflegestufen müsse allein dieser Zeitfaktor als maßgeblich für den Pflegebedarf angesehen werden, so daß es nicht darauf ankommen könne, ob ein Pflegebedarf von beispielsweise 60 Minuten bei einer, zwei oder mehr Verrichtungen der Grundpflege anfalle, greift nicht durch. Zwar hätte der Gesetzgeber aufgrund des ihm zustehenden weiten Gestaltungsspielraums die Frage des Pflegebedarfs auch allein anhand zeitlicher Kriterien regeln können. Dies hat er jedoch nicht getan. Die Pflegebedürftigkeit wurde von Anfang an aufgrund einer Kombination von zeitlichen (§ 15 Abs 3 SGB XI) und verrichtungsbezogenen Anforderungen (§ 15 Abs 1 SGB XI) definiert, und zwar - in unterschiedlicher Ausprägung - für alle drei Pflegestufen. Die in der Zeit seit dem Inkrafttreten des Leistungsrechts der Pflegeversicherung am 1. April 1995 bis zum 25. Juni 1996 (Zeitpunkt des Inkrafttretens des 1. SGB XI-ÄndG, vgl dessen Art 8 Abs 1) geltende ursprüngliche Fassung des SGB XI enthielt zwar die jetzt in § 15 Abs 3 SGB XI detailliert aufgeführten zeitlichen Voraussetzungen noch nicht. § 15 Abs 3 SGB XI aF ermächtigte seinerzeit aber die Spitzenverbände der Pflegekassen bzw das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, den in den einzelnen Pflegestufen jeweils mindestens erforderlichen zeitlichen Pflegeaufwand in den Pflegerichtlinien nach § 17 SGB XI bzw in der Verordnung nach § 16 SGB XI zu regeln. Die PflRi vom 7. November 1994 haben diese Ermächtigung umgesetzt und in Ziff 4.1.1, 4.1.2 und 4.1.3 zeitliche Staffelungen vorgesehen, die inhaltlich im wesentlichen mit der zum 25. Juni 1996 geschaffenen gesetzlichen Regelung der zeitlichen Voraussetzungen der Pflegestufen I, II und III in § 15 Abs 3 SGB XI nF übereinstimmten. Der Gesetzgeber hat also nicht erst durch die Neuregelung des § 15 Abs 3 SGB XI zum 25. Juni 1996, sondern auch schon durch die vorher geltende Ermächtigung in § 15 Abs 3 SGB XI aF zum Ausdruck gebracht, daß für ihn die Frage der Pflegebedürftigkeit und der Zuordnung zu den verschiedenen Pflegestufen allein aus einer Kombination von zeitlichen und verrichtungsbezogenen Kriterien zu beantworten ist und es nicht allein auf die Erfüllung der zeitlichen Voraussetzungen ankommt. Der Verzicht auf die Streichung des Tatbestandsmerkmals des Hilfebedarfs bei "wenigstens zwei Verrichtungen" der Pflegestufe I in § 15 Abs 1 Nr 1 SGB XI im Zuge der Einfügung der zeitlichen Voraussetzungen für die Pflegestufen in § 15 Abs 3 SGB XI nF kann nicht als bloßes gesetzgeberisches Versehen eingestuft werden, sondern entspricht dem Willen des Gesetzgebers und steht mit der Aufrechterhaltung verrichtungsbezogener Kriterien auch für die Pflegestufen II und III in Einklang.

Da verfassungsrechtliche Bedenken gegen die bestehende Regelung nicht erkennbar sind, scheitert der Anspruch des Klägers also bereits daran, daß sein Hilfebedarf sich auf nur eine Verrichtung der Grundpflege beschränkt. Die Frage, ob der Hilfebedarf bei der Nahrungsaufnahme vom LSG zutreffend ermittelt worden ist, kann daher offenbleiben. Ebenso ist es unerheblich, ob der Kläger einen so großen Hilfebedarf bei der hauswirtschaftlichen Versorgung hat, daß dieser zusammen mit dem Hilfebedarf bei der Grundpflege mindestens 90 Minuten ausmacht; denn auch bei Kindern kann ein unzureichender Hilfebedarf bei der Grundpflege nicht durch einen erhöhten Bedarf bei der hauswirtschaftlichen Versorgung ausgeglichen werden (BSGE 82, 27 = SozR 3-3300 § 14 Nr 2).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.

Ende der Entscheidung

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