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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 06.06.2002
Aktenzeichen: B 3 P 2/02 R
Rechtsgebiete: SGB XI


Vorschriften:

SGB XI § 39
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

in dem Rechtsstreit

Az: B 3 P 2/02 R

Der 3. Senat des Bundessozialgerichts hat ohne mündliche Verhandlung am 6. Juni 2002 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Ladage, die Richter Dr. Naujoks und Schriever sowie die ehrenamtlichen Richter Harms und Bauer

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 12. Oktober 2001 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe:

I

Es ist streitig, ob die beklagte Pflegekasse dem Kläger die Kosten einer im Rahmen der Ersatzpflege selbst beschafften Pflegekraft nach § 39 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) in voller Höhe zu erstatten hat.

Der im Jahre 1983 geborene Kläger, der bei der Beklagten pflegeversichert ist, leidet an geistigen und körperlichen Entwicklungsstörungen sowie an epileptischen Anfällen. Seit dem 31. Juli 1997 ist er in der Heimsonderschule in H. untergebracht. Für die Heimpflege erbringt die Beklagte Leistungen nach § 43a SGB XI in Höhe von monatlich 500 DM. Während der heimbetreuungsfreien Zeiten an den Wochenenden und in den Ferien, die sich auf 16 Wochen pro Jahr belaufen, wird der Kläger abwechselnd von seinen getrennt lebenden Eltern in deren Haushalt gepflegt. Während dieser Zeiten bezieht der Kläger Pflegegeld nach der Pflegestufe II in Höhe von täglich 26,67 DM.

Während der Sommerferien des Jahres 1999, die vom 17. Juli bis zum 29. August dauerten, lebte der Kläger im Haushalt seiner Mutter. Für die Zeit vom 16. August bis zum 29. August 1999 erfolgte dort die Pflege durch den Heilerzieher R. M. (M.), weil in diesem Zeitraum weder die Mutter (Verhinderung wegen einer Urlaubsreise) noch der Vater (Verhinderung durch Berufstätigkeit) für die Pflege zur Verfügung standen. M. erhielt für die Pflege eine Vergütung von 1.400 DM (14 Tage zu je 100 DM).

Die Beklagte gewährte - neben den für Juli und August 1999 weitergezahlten Beträgen von je 500 DM nach § 43a SGB XI - für die gesamten Schulferien Pflegegeld nach der Pflegestufe II in Höhe von 1.173,33 DM (44 Tage zu je 26,67 DM), wovon 373,33 DM (14 Tage) auf die Zeit der Verhinderungspflege entfielen. Den Antrag des Klägers, die Kosten der Ersatzpflege in voller Höhe zu übernehmen, lehnte sie hingegen ab (Bescheid vom 19. November 1999, Widerspruchsbescheid vom 28. Februar 2000), weil die Pflege ganz überwiegend in einer vollstationären Einrichtung der Behindertenhilfe stattfinde und häusliche Pflege nur ergänzend anfalle. Außerdem sei die Pflegekraft M. nicht "erwerbsmäßig" tätig geworden. Daher könne lediglich Pflegegeld für eine selbst beschaffte ehrenamtliche Pflegehilfe nach § 37 SGB XI gewährt werden.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 12. Februar 2001); das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 12. Oktober 2001). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, § 39 SGB XI finde zwar auch dann Anwendung, wenn neben vollstationärer Pflege in einer Einrichtung der Behindertenhilfe in wesentlichem Umfang auch häusliche Pflege stattfinde, was bei Ferienzeiten von jährlich 16 Wochen und zusätzlicher Wochenendpflege zu bejahen sei. Allerdings sei die Ersatzpflege nicht durch eine "erwerbsmäßig" pflegende Kraft erfolgt, sodass nach § 39 Satz 4 SGB XI der Anspruch auf den - bereits gezahlten - Betrag des Pflegegeldes gemäß § 37 Abs 1 SGB XI begrenzt sei.

Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 39 SGB XI. Er meint, das erhöhte Pflegegeld von bis zu 2.800 DM (jetzt: 1.432 Euro) je Kalenderjahr sei auch dann zu zahlen, wenn die Ersatzpflege durch eine nicht ehrenamtlich tätige, professionelle Pflegekraft durchgeführt werde und diese dafür eine über den Sätzen des Pflegegeldes liegende Vergütung erhalte. Die "erwerbsmäßige" Pflege sei nicht auf zugelassene Pflegeeinrichtungen beschränkt. M. sei als Heilerzieher eine erwerbsmäßig tätige Pflegekraft.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

die Urteile des LSG Baden-Württemberg vom 12. Oktober 2001 und des SG Reutlingen vom 12. Februar 2001 sowie den Bescheid der Beklagten vom 19. November 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Februar 2000 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm unter Anrechnung des für die Zeit vom 16. bis zum 29. August 1999 gezahlten Pflegegeldes in Höhe von 373,33 DM die Kosten der Ersatzpflege in Höhe von 1.400 DM (jetzt: 715,81 Euro) nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gemäß §§ 165, 153 Abs 1, 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.

II

Auf die Revision des Klägers war das Berufungsurteil aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Nach den bisher getroffenen Feststellungen des LSG konnte der Senat nicht abschließend darüber entscheiden, ob der Anspruch auf Erstattung der weiteren Kosten der Ersatzpflege für die Zeit vom 16. bis zum 29. August 1999 in Höhe von 1.026,67 DM (1.400 DM abzüglich 373,33 DM = 1.026,67 DM, jetzt: 524,93 Euro) begründet ist. Dazu bedarf es weiterer Feststellungen des LSG.

Anspruchsgrundlage ist § 39 SGB XI. Maßgeblich ist die Fassung dieser Vorschrift durch das Vierte SGB XI-ÄndG vom 21. Juli 1999 (BGBl I S 1656). Danach übernimmt die Pflegekasse die Kosten der notwendigen Ersatzpflege für längstens vier Wochen je Kalenderjahr, wenn die Pflegeperson wegen Erholungsurlaubs, Krankheit oder aus anderen Gründen an der Pflege gehindert ist (Satz 1). Die Ruhensvorschrift des § 34 Abs 2 Satz 1 SGB XI ist insoweit unanwendbar, sodass die Ersatzpflege zB auch in Behinderteneinrichtungen (§ 71 Abs 4 SGB XI) stattfinden kann (Satz 1 letzter Halbsatz). Voraussetzung der Kostenerstattung für die Ersatzpflege ist, dass die Pflegeperson den Pflegebedürftigen vor der erstmaligen Verhinderung mindestens zwölf Monate in seiner häuslichen Umgebung gepflegt hat (Satz 2). Dabei dürfen die Aufwendungen der Pflegekasse im Einzelfall 2.800 DM (jetzt 1.432 Euro) im Kalenderjahr nicht überschreiten (Satz 3). Bei einer Ersatzpflege durch Pflegepersonen, die mit dem Pflegebedürftigen bis zum zweiten Grade verwandt oder verschwägert sind oder mit ihm in häuslicher Gemeinschaft leben, wird vermutet, dass die Ersatzpflege nicht erwerbsmäßig ausgeübt wird; in diesen Fällen dürfen die Aufwendungen der Pflegekasse den Betrag des Pflegegeldes der festgestellten Pflegestufe nach § 37 Abs 1 SGB XI nicht überschreiten (Satz 4). Zusätzlich können aber in solchen Fällen von der Pflegekasse auf Nachweis notwendige Aufwendungen, die der Pflegeperson im Zusammenhang mit der Ersatzpflege entstanden sind, übernommen werden (Satz 5), wobei allerdings der Gesamtbetrag der Aufwendungen der Pflegekasse nach den Sätzen 4 und 5 den jährlichen Höchstbetrag nach Satz 3, also 2.800 DM, nicht übersteigen darf (Satz 6).

1) Die Vorschrift greift nicht nur dann ein, wenn ein Pflegebedürftiger ausschließlich häuslich gepflegt wird, sondern auch dann, wenn die Pflege sowohl in einer vollstationären Einrichtung der Behindertenhilfe (§ 43a SGB XI) als auch - an Wochenenden und in den Ferien - im elterlichen Haushalt stattfindet. Das gilt zumindest dann, wenn die häusliche Pflege nicht nur sporadisch, zB bei einzelnen Besuchen, sondern neben der Heimpflege regelmäßig und in erheblichem Umfang (hier allein 16 Wochen an Ferienzeiten) erfolgt, der Pflegebedürftige also zwei Lebensmittelpunkte hat, an denen er abwechselnd gepflegt wird.

2) Die Eltern, und dabei vornehmlich die Mutter, haben den Kläger vor der erstmaligen Verhinderung mehr als zwölf Monate häuslich gepflegt. § 39 Satz 2 SGB XI verlangt nicht, dass die Zwölfmonatsfrist der erstmaligen Verhinderung unmittelbar und als geschlossener Zeitraum vorausgeht. Die Frist kann sich aus verschiedenen Pflegeperioden zusammensetzen. Unerheblich ist es auch, dass der Urlaub des Jahres 1999 nicht selbst die "erstmalige" Verhinderung dieser Art war. Die Mutter hatte in den Jahren davor auch jeweils eine zweiwöchige Urlaubsreise ohne den Kläger unternommen. Der Kläger war dann aber in einer für behinderte Kinder organisierten Ferienfreizeit untergebracht, was nur wegen seines Gesundheitszustandes diesmal nicht möglich erschien. Die Zwölfmonatsfrist war auch vor der ersten Urlaubsverhinderung der Mutter erfüllt; vor jeder weiteren Verhinderung muss die Zwölfmonatsfrist nicht neu erfüllt werden (vgl hierzu auch Urteil des Senats vom 6. Juni 2002 - B 3 P 11/01 R - für SozR vorgesehen).

3) Die beiden die häusliche Pflege des Klägers durchführenden Pflegepersonen waren in der fraglichen Zeit an der Pflege gehindert. Die Mutter stand wegen einer zweiwöchigen Urlaubsreise, also wegen Erholungsurlaubs, der Vater wegen seiner Berufstätigkeit, also aus anderen Gründen, nicht zur Verfügung.

Dem Kläger kann nicht entgegengehalten werden, die Verhinderung der Pflegepersonen sei vermeidbar gewesen, es fehle also aus diesem Grunde an der Notwendigkeit der Ersatzpflege durch M. Beide Elternteile sprachen sich nach den Feststellungen des LSG bei der Urlaubsplanung ab. Der Mutter stehen 24 Urlaubstage, dem Vater 30 Urlaubstage zu, was fünf bzw sechs Wochen Urlaub entspricht. Zusammen haben sie also elf Wochen Urlaub; ihr Sohn hat aber jährlich 16 Wochen Ferien. Der Kläger kann seine Mutter nicht darauf verweisen, ihre zweiwöchige Reise in eine Zeit zu verlegen, in der er entweder im Heim oder von seinem Vater betreut wird. Täte sie dies, fiele sie nämlich in der Ferienzeit des Klägers durch Berufstätigkeit aus, weil zwei Wochen ihres Urlaubs bereits verbraucht wären. Das Ansinnen, weitere zwei Wochen unbezahlten Urlaub zu nehmen, um für die häusliche Pflege zur Verfügung zu stehen, wäre unzumutbar; die Sicherstellung der häuslichen Pflege als Voraussetzung für den Anspruch auf Pflegegeld wird dadurch nicht in Frage gestellt.

4) An der in § 39 Satz 1 SGB XI vorausgesetzten "Notwendigkeit" der Ersatzpflege wegen Verhinderung der Pflegeperson kann es im vorliegenden Fall aber fehlen, wenn der Kläger in der fraglichen Zeit in die Behinderteneinrichtung zurückkehren konnte, in der er sonst auch betreut und gepflegt wird. Nach der Auskunft der Heimsonderschule vom 27. Oktober 1999 ist die Einrichtung in Ferienzeiten zwar grundsätzlich geschlossen, jedoch werden für "elternlose Schüler" Freizeitmaßnahmen garantiert. Es ist nicht von vornherein auszuschließen, dass auch der Kläger dieses besondere Betreuungsangebot nutzen konnte, da er zwar nicht "elternlos" war, aber beide Elternteile in der fraglichen Zeit tatsächlich nicht für die Pflege ihres Sohnes zur Verfügung gestanden haben, was der Elternlosigkeit im Ergebnis gleichkommt. Sollte die Einrichtung auch für derartige Fälle eine Betreuungsmöglichkeit bereithalten, fehlte es an der Notwendigkeit der durchgeführten Ersatzpflege. Die Unterbringung in der Behinderteneinrichtung wegen Verhinderung der Eltern stellte sich dabei nicht ihrerseits als Form der - von § 39 Satz 1 SGB XI ebenfalls erfassten - Ersatzpflege in einer Behinderteneinrichtung dar, weil der Kläger dort ohnehin regulär gepflegt wird und die Beklagte den Kostenbeitrag von monatlich 500 DM (§ 43a SGB XI) auch in den Ferienzeiten weitergezahlt hat. Das LSG wird zu ermitteln haben, ob die häusliche Ersatzpflege hiernach "notwendig" war.

5) Der Anspruch auf Erstattung der für die Ersatzpflege aufgewendeten Kosten in voller Höhe von 1.400 DM hängt ferner davon ab, dass die Ersatzpflege "erwerbsmäßig" ausgeübt worden ist; denn bei nicht erwerbsmäßiger Ausübung der Ersatzpflege wird lediglich Pflegegeld nach der von der Pflegekasse festgestellten Pflegestufe gezahlt (§ 39 Satz 4 iVm § 37 Abs 1 SGB XI). Das ist hier geschehen, weil die Beklagte die Ersatzpflege durch M. als "nicht erwerbsmäßig" erachtet hat. Das LSG hat sich dieser Auffassung ohne weitere Begründung angeschlossen. Nach den bisher getroffenen Feststellungen lässt sich nicht abschließend entscheiden, ob die Ersatzpflege in diesem Fall "erwerbsmäßig" oder "nicht erwerbsmäßig", dh ehrenamtlich, ausgeübt worden ist. Dazu bedarf es ebenfalls weiterer Ermittlungen des LSG.

Die Ermittlungen sind nicht etwa deshalb entbehrlich, weil M. nicht über eine Zulassung zum Betrieb eines ambulanten Pflegedienstes (§ 72 iVm § 71 Abs 1 SGB XI) verfügt. Das Tatbestandsmerkmal der Erwerbsmäßigkeit setzt keine pflegeversicherungsrechtliche Zulassung als Leistungserbringer voraus. Die "Kostenübernahme" bei der Ersatzpflege beschreibt keinen Sachleistungsanspruch, der von der Pflegekasse stets nur durch Einschaltung zugelassener Leistungserbringer erfüllt werden kann (§§ 4 Abs 1 Satz 1 und 29 Abs 2 SGB XI), sondern einen Kostenerstattungsanspruch (Udsching, SGB XI, 2. Aufl 2000, § 39 RdNr 2). Dem Pflegebedürftigen ist es überlassen zu entscheiden, in welcher Form und wo die Ersatzpflege stattfindet und wer die Pflege durchführt. Er hat die Wahl zwischen häuslicher und außerhäuslicher Pflege, zwischen zugelassenen Pflegeeinrichtungen (Pflegedienst, Pflegeheim) und nicht zugelassenen Einrichtungen (gewerbliche Pflegedienstleister, Behinderteneinrichtungen iS des § 71 Abs 4 SGB XI) sowie zwischen professioneller und ehrenamtlicher Pflege (so zutreffend das Gemeinsame Rundschreiben vom 28. Oktober 1996 idF vom 9. Juli 1999, § 39 SGB XI Nr 1 Abs 1; teilweise aA Udsching aaO RdNr 5: keine Kostenerstattung bei Inanspruchnahme nicht zugelassener Dienste wie zB Dorfhelferinnen, Betriebshilfsdienste und familienentlastende Dienste). Dabei ist der Pflegebedürftige auch nicht verpflichtet, aus dem vielfältigen Angebot die kostengünstigste Variante zu wählen. Wirtschaftlich unvernünftigen Verhaltensweisen ist der Gesetzgeber bereits durch die Begrenzung der Ersatzpflege auf 2.800 DM (jetzt 1.432 Euro) und die Befristung auf 28 Tage pro Kalenderjahr entgegengetreten. Das Wirtschaftlichkeitsgebot (§§ 4 Abs 3, 29 Abs 1 SGB XI) kann sich insoweit grundsätzlich nur noch hinsichtlich des vereinbarten Vergütungssatzes für die einzelne Pflegeleistung bzw hinsichtlich des Tagessatzes auswirken. Der hier vereinbarte Tagessatz von 100 DM ist bei professioneller Hilfe nicht unangemessen; das Wirtschaftlichkeitsgebot wäre insoweit gewahrt.

Die Ersatzpflege wird schon dann erwerbsmäßig ausgeübt, wenn sie sich als Teil der Berufstätigkeit der Pflegeperson darstellt und dazu dient, ihren Lebensunterhalt ganz oder teilweise zu sichern. Auf Hauptberuflichkeit oder Nebenberuflichkeit kommt es nicht an. Erfasst werden alle Formen der professionellen Pflege. Die Ersatzpflege kann zB dann erwerbsmäßig ausgeübt werden, wenn die Pflegeperson über eine abgeschlossene Ausbildung in einem pflegerischen Beruf verfügt und pflegerisch gegen Entgelt tätig ist. Hierzu zählen alle zur Pflegefachkraft iS des § 71 Abs 3 SGB XI qualifizierenden Berufe (Krankenschwester, Krankenpfleger, Kinderkrankenschwester, Kinderkrankenpfleger, Altenpfleger/in, Heilerzieher/in, Heilerziehungspfleger/in), aber auch etwa die Tätigkeit als Dorfhelferin oder Gemeindeschwester, soweit sie entgeltlich erfolgt. In diesen Fällen kann die Ausübung der Ersatzpflege als Tätigkeit angesehen werden, die vom Leitbild des erlernten Berufs mit erfasst wird. Daneben können aber auch Personen erwerbsmäßig pflegen, wenn sie zwar nicht über eine abgeschlossene Berufsausbildung in einem Pflegeberuf verfügen, aber dennoch hinreichende Berufserfahrung im Bereich der Pflege erworben haben, etwa als pflegerische Hilfskräfte in Pflegediensten oder stationären Einrichtungen. Voraussetzung ist jeweils, dass Pflege nicht nur ausnahmsweise und kurzzeitig durchgeführt wird, sondern dazu bestimmt ist, durch Einkommenserzielung zum Lebensunterhalt beizutragen (vgl Udsching aaO § 19 RdNr 7, 8; Gallon in LPK-SGB XI § 19 RdNr 7). Dies kann in der Regel nur dann angenommen werden, wenn die Pflege regelmäßig gegen eine vereinbarte Vergütung vorgenommen wird und diese Vergütung die Höhe des Pflegegeldes übersteigt. Die Pflege durch Familienangehörige, Nachbarn oder Bekannte stellt sich grundsätzlich deshalb als nicht erwerbsmäßig, also als ehrenamtlich, dar, weil in der Regel keine eigenständige Vergütung für die Pflege vereinbart ist, sondern als Anerkennung für die aufopfernde Hilfe das Pflegegeld weitergereicht wird (BT-Drucks 12/5262 S 101: ehrenamtliche Pflege mit finanzieller Anerkennung). Dieser Personenkreis gehört zu den nicht erwerbsmäßig Pflegenden iS des § 19 SGB XI (vgl zum "nicht erwerbsmäßigen" Handeln einer Pflegeperson auch Urteil des 4. Senats vom 18. Juli 1996 - 4 RA 25/95 - SozR 3-2600 § 249b Nr 1; vgl auch § 3 Abs 1 Satz 2 SGB VI).

Ersatzpflege durch eine nicht erwerbsmäßig tätige Pflegeperson iS des § 19 SGB XI wird nach § 39 Satz 4 SGB XI unabhängig von der beruflichen Ausbildung und Tätigkeit der Pflegeperson stets vermutet, wenn diese mit dem Pflegebedürftigen bis zum zweiten Grade verwandt oder verschwägert ist oder mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebt, wozu zB nichteheliche Lebensgefährten gehören. Diese - widerlegbare - Vermutung spielt im vorliegenden Fall keine Rolle, weil die genannten persönlichen Voraussetzungen nicht vorliegen; umgekehrt ist beim Fehlen dieser Voraussetzungen nicht die Erwerbsmäßigkeit der Pflege zu vermuten.

Das LSG wird deshalb konkret zu klären haben, ob M. die Ersatzpflege nach den vorstehenden Kriterien erwerbsmäßig ausgeübt hat. Von ihm ist lediglich bekannt, dass er vom Kläger in dem Antrag auf Kostenübernahme vom 5. Juli 1999 als "Heilerzieher" bezeichnet worden ist, was darauf hindeutet, dass er einen Pflegeberuf iS des § 71 Abs 3 SGB XI ausübt. Ob er diesen Beruf erlernt und abgeschlossen hat, ob er tatsächlich als Heilerzieher tätig ist oder einen anderen Pflegeberuf gegen Entgelt ausübt, kann aber den bisherigen Feststellungen nicht entnommen werden.

6) Im Falle der Begründetheit des Kostenerstattungsanspruchs ist auf den Betrag von 1.400 DM allerdings das bereits gezahlte Pflegegeld für 14 Tage in Höhe von 373,33 DM anzurechnen. Diese Leistung hat der Kläger bei reiner Betrachtung des Wortlauts seiner Anträge zwar nicht in Abzug gebracht. Nach dem Gesamtzusammenhang seiner Ausführungen beansprucht der Kläger aber nicht nochmals die vollen Kosten der Ersatzpflege, sondern nur den Restbetrag von 1.026,67 DM (jetzt 524,93 Euro).

Der Umstand, dass die Beklagte für den gesamten Monat August 1999, also auch für die Zeit der Ersatzpflege, zu Recht auch die Sachleistung nach § 43a SGB XI (500 DM) gezahlt hat, mindert nicht den auf zwei Wochen dieses Monats beschränkten Anspruch nach § 39 SGB XI. Die Leistung hätte allerdings, wie vom Senat bereits entschieden (Urteil vom 13. März 2001 - B 3 P 10/00 R - SozR 3-3300 § 38 Nr 2), analog § 38 SGB XI beim bereits gewährten Pflegegeld berücksichtigt werden müssen (Pflegesachleistung der Pflegestufe II bei vollstationärer Pflege 2.500 DM abzüglich geleisteter 500 DM = 2.000 DM, damit verbraucht 20 vH; für das Pflegegeld im August verblieben 80 vH von 800 DM, also 640 DM; somit hätten nur 640 DM Pflegegeld gezahlt werden dürfen und nicht, wie gewährt, 773,33 DM). Die zu hohe Pflegegeldbewilligung für die Zeit der Ersatzpflege ist wegen der gebotenen Anrechnung auf die Leistung nach § 39 SGB XI allerdings unerheblich.

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Ende der Entscheidung

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