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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Beschluss verkündet am 08.07.2002
Aktenzeichen: B 3 P 3/02 R
Rechtsgebiete: SGG


Vorschriften:

SGG § 164 Abs 1 Satz 1
SGG § 169 Satz 1
SGG § 169 Satz 2
SGG § 169 Satz 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Beschluss

in dem Rechtsstreit

Az: B 3 P 3/02 R

Der 3. Senat des Bundessozialgerichts hat am 8. Juli 2002 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Ladage sowie die Richter Prof. Dr. Udsching und Dr. Naujoks

beschlossen:

Tenor:

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 12. Juni 2001 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Revision ist unzulässig. Sie ist nicht innerhalb der gesetzlichen Frist von einem Monat (§ 164 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) eingelegt worden und war daher als unzulässig zu verwerfen (§ 169 Satz 1 und 2 SGG); die Verwerfung ohne mündliche Verhandlung erfolgt ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter (§ 169 Satz 3 SGG).

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hat der Senat durch Beschluss vom 21. Februar 2002 die Revision gegen das im Tenor genannte Urteil zugelassen. Der Beschluss ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Empfangsbekenntnis zugestellt worden (§ 63 Abs 2 SGG iVm § 5 Abs 2 Verwaltungszustellungsgesetz), das der Prozessbevollmächtigte persönlich unterschrieben, mit dem Datum des 2. März 2002, einem Samstag, versehen und an das Bundessozialgericht (BSG) zurückgesandt hat. Die Revisionsschrift des Prozessbevollmächtigten ist am 3. April 2002 (Mittwoch) beim BSG eingegangen, dh verspätet (§ 164 Abs 1 Satz 1 SGG).

Für die Zustellung des Beschlusses war von demjenigen Datum auszugehen, das der Prozessbevollmächtigte in das Empfangsbekenntnis eingetragen hat. Der Vortrag des Prozessbevollmächtigten, er habe den Beschluss erst am 4. März 2002 (Montag) erhalten und lediglich irrtümlicherweise den 2. März 2002 eingetragen, vermag daran nichts zu ändern. Das datierte und unterschriebene Empfangsbekenntnis ist eine öffentliche Urkunde iS von § 418 Zivilprozessordnung (ZPO) und erbringt nach § 212a ZPO grundsätzlich den vollen Beweis dafür, dass der genannte Zustellungszeitpunkt den Tatsachen entspricht. Da der Prozessbevollmächtigte mit der Unterzeichnung selbst den Zeitpunkt bestimmt, zu dem er das ihm zuzustellende Schriftstück als zugestellt annimmt, stellt der Vermerk den zuverlässigsten Hinweis auf den Beginn der Rechtsmittelfrist dar (vgl auch Beschluss des Senats vom 6. Dezember 2000, B 3 P 14/00 R - nicht veröffentlicht). Für ein anderes Empfangsdatum ist daher der volle Gegenbeweis zu führen, eine bloße Wahrscheinlichkeit oder gar nur Möglichkeit der Fehldatierung genügt nicht (BVerfG NJW 2001, 1563, 1564; BGH NJW 2001, 2722, 2723; BGH NJW 1996, 2514, 2515).

Einen derartigen Gegenbeweis hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht geführt. Der Vortrag, dass samstags keine Kanzleipost entgegengenommen werde, ist nur behauptet, aber nicht bewiesen oder auch nur unter Beweis gestellt worden - und schließt im Übrigen Ausnahmen oder Versehen nicht aus. Auch die vorgelegten Unterlagen (S 1 und 2 der Ausfertigung des Beschlusses vom 21. Februar 2002 mit dem Eingangsvermerk "4.03.02" und den Fristvermerken "04.04.02 not." und "06.05.02 not.", Kopien des Fristenkalenders mit den Fristvermerken unter dem 4. April und 6. Mai 2002 sowie Schreiben an die Rechtsschutzversicherung des Klägers mit Angabe der Revisionsfrist 4. April 2002) beweisen eine Falschdatierung nicht. Denn es ist denkbar, dass das Datum der Zustellung auf dem Beschluss später falsch angebracht worden ist und die übrigen Vermerke nach sich gezogen hat. Es ist auch nicht auszuschließen, dass der Prozessbevollmächtigte bei einem Empfang am Samstag irrtümlich davon ausgegangen ist, dass die Frist erst am Montag, dem 4. März 2002, beginnt und dass er sich bei den Fristeintragungen daran orientiert hat. Eine derartige versehentliche Falschbeurteilung des Einflusses eines Wochenendes auf den Fristbeginn wäre nachvollziehbar.

Dem Antrag des Klägers, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, war nicht stattzugeben, da er nicht ohne Verschulden gehindert war, die Frist einzuhalten und das Verschulden für die Fristversäumnis auch kausal war (§ 67 Abs 1 SGG). Anwaltliches Verschulden ist wie solches des Klägers selbst zu werten (BSG SozR 1500 § 67 Nr 1, 10, 20; Meyer-Ladewig SGG 7. Aufl 2002 § 67 RdNr 3e mwN). Dieser Fall liegt hier vor. Ist in diesem Zusammenhang zu unterstellen (weil der Gegenbeweis nicht geführt ist), dass nicht der Zustellungstermin im Empfangsbekenntnis unzutreffend war, sondern entweder die Übertragung dieses Datums in die übrigen Unterlagen oder die Berechnung der bereits ab dem im Empfangsbekenntnis eingetragenen Tag laufenden Frist, so liegt das Verschulden in diesen Fehlern. Dass die Akten und Kalender ansonsten sorgfältig geführt werden, ändert daran nichts.

Bei der Kostenentscheidung war zu beachten, dass sich die Rechtslage ab dem 2. Januar 2002 geändert hat (Art 19 6. SGGÄndG vom 17. August 2001, BGBl I, S 2144, 2158). Danach ist auf die am 3. April 2002 eingelegte Revision das neue Recht anzuwenden. Die Übergangsvorschriften in Art 17 6. SGGÄndG beschränken sich zwar auf die Gerichtsgebühren. Es kann ihnen aber die Intention des Gesetzgebers entnommen werden, für die Anwendung des neuen Rechts grundsätzlich auf den jeweiligen Rechtszug abzustellen (Art 17 Abs 1 Satz 1 6. SGGÄndG); ein Verfahren nach § 197a SGG, bei dem der Zeitpunkt der Rechtshängigkeit maßgeblich ist (Art 17 Abs 1 Satz 2 6. SGGÄndG - vgl Urteil des 6. Senats vom 30. Januar 2002, B 6 KA 12/01 R - zur Veröffentlichung vorgesehen -), liegt nicht vor. Das entspricht der bisherigen Rechtsprechung des BSG, dass bei Fehlen von abweichenden Übergangsbestimmungen Änderungen auch laufende Verfahren erfassen, allerdings unter dem Vorbehalt der Vereinbarkeit mit den rechtsstaatlichen Grundsätzen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes (BSGE 72, 148, 156 = SozR 3-2500 § 15 Nr 1; BSG SozR 3-5555 § 15 Nr 1 und nunmehr Urteil des 6. Senats vom 30. Januar 2002, vgl oben). Unter diesem Gesichtspunkt bestehen keine Bedenken, hinsichtlich der Erstattungsfähigkeit von außergerichtlichen Kosten im Revisionsverfahren das neue Recht anzuwenden, wenn die Revision erst nach Inkrafttreten des Gesetzes eingelegt worden ist.

Nach § 193 Abs 4 Satz 1 SGG aF waren nicht erstattungsfähig "die Aufwendungen der Behörden, der Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts". Eine Anwendung dieser Vorschrift auf private Versicherungsunternehmen ist bei dieser Gesetzesfassung abgelehnt worden (vgl Urteil des Senats vom 11. April 2002, B 3 P 10/01 R - zur Veröffentlichung vorgesehen -; abweichend LSG Saarland VersR 1998, 1130, mit wiederum ablehnender Anmerkung von Jestaedt). Nach Art 1 Nr 66 6. SGGÄndG sind die Wörter "Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts" durch die Wörter "in § 184 Abs 1 genannten Gebührenpflichtigen" zu ersetzen. Bei dieser Textfassung sind nunmehr nicht erstattungsfähig "die Aufwendungen der Behörden, der in § 184 Abs 1 SGG genannten Gebührenpflichtigen". Die in verbreiteten Publikationen (vgl etwa Aichberger, Sozialgesetzbuch, Textsammlung; Meyer-Ladewig aaO) erfolgte Wiedergabe ohne Komma ("die Aufwendungen der Behörden der in § 184 Abs 1 SGG genannten Gebührenpflichtigen") entspricht zwar dem Sprachverständnis eher und behielte auch einen Sinn, weil der Ausschluss der Erstattungspflicht auf solche Gebührenpflichtige beschränkt würde, die über Behörden verfügen, dh auf öffentlich-rechtliche Rechtsträger; private Versicherungsunternehmen fielen nicht darunter (so auch Meyer-Ladewig aaO § 193 RdNr 3). Diese Folge war aber vom Gesetzgeber gerade nicht beabsichtigt. Bereits durch § 184 Abs 1 Satz 1 idF des 5. SGGÄndG vom 30. März 1998 (BGBl I 638) waren die Unternehmen der privaten Pflegeversicherung hinsichtlich der Gerichtskosten den öffentlich-rechtlichen Leistungsträgern gleichgestellt worden, weil "eine kostenrechtliche Privilegierung ... gegenüber den gesetzlichen Pflegekassen nicht zu vertreten" sei (BT-Drucks 13/9609, 9). § 184 Abs 1 Satz 1 SGG idF des 6. SGGÄndG "basiert auf dem geltenden Recht und bezieht die Verfahrensbeteiligten, die als Kläger oder Beklagter nicht zu dem kostenrechtlich privilegierten Personenkreis der Versicherten, Leistungsempfänger, Hinterbliebenenleistungsempfänger und Behinderten (§ 183) gehören, in die Gebührenpflicht ein" (BR-Drucks 132/01, 59); § 193 SGG nF sei lediglich "eine Folgeregelung zur Neufassung des § 184 Abs 1 SGG" (BR-Drucks 132/01, 60). Das zeigt, dass § 193 Abs 4 SGG nF nicht nur die öffentliche Hand, sondern sämtliche Nichtprivilegierte iS der §§ 184 Abs 1, 183 SGG von der Kostenerstattung ausschließen wollte. Das Komma in der neuen Gesetzesfassung ist daher nicht überflüssig, grammatikalisch jedoch verfehlt und dem Sinn nach durch das Wort "sowie" zu ersetzen. Die "in § 184 Abs 1 SGG genannten Gebührenpflichtigen" sind "die nicht zu den in § 183 SGG genannten Personen" (dh Versicherten, Leistungsempfängern, Hinterbliebenen, Behinderten und deren Rechtsnachfolger) Gehörenden. Das bedeutet, dass der Beklagten - trotz Obsiegens - die Kosten des Revisionsverfahrens nicht zu erstatten sind.

Diese Auslegung von § 193 Abs 4 SGG nF könnte allerdings im Ergebnis dann eine Benachteiligung privater Pflegeversicherungsunternehmen bedeuten, wenn diese - weil sie sich nicht wie die in § 166 SGG genannten öffentlich-rechtlichen Rechtsträger vor dem BSG selbst vertreten können -, einen Rechtsanwalt beauftragen würden, dessen Kosten sie auch bei Obsiegen nicht erstattet erhielten. Der Senat sähe es als denkbar an, zur Vermeidung einer im Lichte von Art 3 Grundgesetz (GG) verfassungswidrigen Gesamtlage § 166 Abs 1 SGG auch auf private Pflegeversicherungsunternehmen auszudehnen. Ein sachlicher Grund für die dem Wortlaut der §§ 193 Abs 4, 166 SGG nach eintretende Benachteiligung der privaten Versicherungsunternehmen ist nämlich nicht zu erkennen. Sie sind ebenso wie die öffentlich-rechtlichen Rechtsträger in der Lage, vor dem BSG ihre Interessen auch ohne anwaltliche Unterstützung zu vertreten. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die privaten Versicherungsunternehmen die Kosten einer anwaltlichen Vertretung in Revisionsverfahren im Vergleich zu den Trägern der sozialen Pflegeversicherung anderweitig auffangen könnten. Denn auch sie haben nach § 23 Abs 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) Leistungen zu erbringen, die nach Art und Umfang denen des Vierten Kapitels des SGB XI gleichwertig sind, und können keine Prämien verlangen, die die Belastungen in der sozialen Pflegeversicherung übersteigen (§ 110 Abs 1 Nr 2d bis g SGB XI). Ein Sonderopfer durch Übernahme von unvermeidbaren Kosten von Revisionsverfahren lässt sich weder mit einer Solidarverpflichtung noch aus einer sozialen Fürsorgepflicht - vergleichbar dem Verhältnis Arbeitgeber/Arbeitnehmer oder Kunstverwerter/Künstler - herleiten. Es müsste daher den privaten Pflegeversicherungsunternehmen wie den Pflegekassen zumindest freigestellt bleiben, die Prozessführung selbst zu übernehmen und dadurch nicht erstattungsfähige Anwaltskosten zu vermeiden.

Im vorliegenden Fall wird die Beklagte durch die Benachteiligung im Vergleich mit öffentlich-rechtlichen Rechtsträgern allerdings nicht beschwert, weil sie sich im Revisionsverfahren nicht durch Rechtsanwälte hat vertreten lassen. Für eine Aussetzung des Verfahrens und eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art 100 Abs 1 GG zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit besteht schon aus diesem Grunde keine Veranlassung.

Ende der Entscheidung

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