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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Beschluss verkündet am 07.07.1999
Aktenzeichen: B 3 P 4/99 R
Rechtsgebiete: SGG


Vorschriften:

SGG § 169
SGG § 164 Abs 1
SGG § 66 Abs 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT BESCHLUSS

in dem Rechtsstreit

Az: B 3 P 4/99 R

Kläger und Revisionskläger,

Prozeßbevollmächtigter:

gegen

Beklagte und Revisionsbeklagte,

Prozeßbevollmächtigte:

Der 3. Senat des Bundessozialgerichts hat am 7. Juli 1999 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Ladage sowie die Richter Dr. Udsching und Dr. Naujoks

beschlossen:

Der Antrag des Klägers, ihm wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wird abgelehnt.

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 19. Juni 1998 wird als unzulässig verworfen.

Der Kläger trägt die Kosten der Beklagten auch im Revisionsverfahren.

Gründe:

Der erkennende Senat hat mit Beschluß vom 28. Januar 1999 die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg vom 19. Juni 1998 zugelassen. Der Beschluß ist dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers am 9. Februar 1999 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 1. April 1999, beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangen am 6. April 1999, hat der Prozeßbevollmächtigte des Klägers Revision eingelegt und diese zugleich begründet.

Die Revision ist unzulässig und daher gemäß § 169 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen. Gemäß § 164 Abs 1 SGG ist die Revision beim BSG innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revision schriftlich einzulegen. Die am 6. April 1999 eingegangene Revisionsschrift war deshalb verspätet.

Dem Ablauf der Revisionseinlegungsfrist steht auch § 66 Abs 1 SGG nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift beginnt die Frist für ein Rechtsmittel nur dann zu laufen, wenn der Beteiligte über das Rechtsmittel, das Gericht, bei dem das Rechtsmittel anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich belehrt worden ist. Das war hier der Fall. Nach dem Wortlaut der Vorschrift ist eine Belehrung über sonstige zwingende Voraussetzungen, insbesondere den Vertretungszwang und die zugelassenen Vertreter nach § 166 SGG, nicht erforderlich. Es kann dahingestellt bleiben, ob § 66 Abs 1 SGG dennoch Platz greift, wenn entsprechende Belehrungen fehlen (vgl dazu BSGE 1, 194 einerseits; BVerwGE 52, 226, 232 andererseits). Enthält die Rechtsmittelbelehrung allerdings entsprechende Ausführungen darüber, wie dem Vertretungszwang genügt werden kann, so müssen diese auch richtig sein. Das ist hier ebenso der Fall, obgleich in der dem Zulassungsbeschluß beigefügten Rechtsmittelbelehrung nicht darauf hingewiesen wurde, daß nach Änderung des § 166 Abs 2 SGG durch Einfügung eines neuen Satzes 2 (durch Gesetz vom 31. August 1998, BGBl I S 2600) nicht nur die in Satz 1 der Vorschrift aufgeführten Mitglieder und Angestellten von Gewerkschaften und bestimmten anderen Organisationen als Prozeßbevollmächtigte vor dem BSG zugelassen sind, sondern unter weiteren Voraussetzungen auch Bevollmächtigte, die als Angestellte juristischer Personen handeln, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Satz 1 genannten Organisationen stehen.

Der fehlende Hinweis auf die Erweiterung des vertretungsberechtigten Personenkreises macht die Rechtsmittelbelehrung nicht unvollständig und damit unrichtig. Die Rechtsmittelbelehrung soll nur einen Hinweis geben, welche ersten Schritte ein Beteiligter unternehmen muß (BSGE 1, 227, 229; BSG SozR § 66 SGG Nr 23). Dazu sollte die Rechtsmittelbelehrung so einfach und klar wie möglich gehalten werden. Sie soll auch für einen juristischen Laien verständlich bleiben und deshalb nicht mit komplizierten rechtlichen Hinweisen überfrachtet werden. Sie muß infolgedessen nicht allen tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten und Möglichkeiten Rechnung tragen, sondern den Beteiligten nur in die richtige Richtung lenken. Deshalb braucht sie zB nicht auf alternative Möglichkeiten zur Fristwahrung durch Einreichung des Rechtsbehelfs bei einer unzuständigen Behörde (BSGE 42, 140) oder darauf hinzuweisen, daß die prozeßvertretungsberechtigten Organisationen eine bestimmte sozialpolitische Bedeutung haben und über eine finanzielle Mindestausstattung verfügen müssen (vgl BSG SozR 1500 § 166 Nr 13). Ihre Wegweiserfunktion hat die hier verwandte Rechtsmittelbelehrung in bezug auf die vor dem BSG als Prozeßbevollmächtigte zugelassenen Personen erfüllt. Denn die durch Satz 2 des § 166 Abs 2 SGG eingetretene Änderung erfaßt ausschließlich Organisationen, deren Mitglieder oder Angestellte bereits nach Satz 1 kraft Satzung oder Vollmacht zur Vertretung zugelassen waren und deren Umstrukturierung im gewerkschaftlichen Bereich Anlaß für die Gesetzesänderung war. Ein Beteiligter, der sich wegen einer Bevollmächtigung an eine dieser Organisationen wendet, wird von dieser ohne weiteres an die für die Rechtsvertretung zuständige Gesellschaft verwiesen, die sich häufig unter demselben Dach befinden wird und deren juristische Selbständigkeit wegen der weiter bestehenden vollständigen wirtschaftlichen Abhängigkeit einem Laien kaum auffallen und auch nicht näher interessieren wird. Eine entsprechende Beratung innerhalb der Organisation, welche vertretungsbefugten Mitglieder und Angestellte bevollmächtigt werden konnten, war auch schon bei einem Hinweis auf die bisherige Regelung in § 166 Abs 2 Satz 1 SGG erforderlich. Es kann nicht ernsthaft angenommen werden, daß ein Rechtsuchender durch den fehlenden Hinweis auf eine besondere Variante der Organisationsform der in Betracht kommenden Vereinigungen davon abgehalten werden könnte, eine beabsichtigte Revision formwirksam einzulegen. Soweit das BSG (Beschluß vom 21. Juni 1991, 7 RAr 114/90) es als ausreichend angesehen hat, daß die Rechtsmittelbelehrung den Inhalt des § 166 Abs 2 SGG wiedergibt, kann hieraus nicht der Schluß gezogen werden, daß der aktuelle Wortlaut dieser Vorschrift stets auch als Mindestinhalt der Rechtsmittelbelehrung für ein Verfahren vor dem BSG anzusehen ist.

Der Antrag des Klägers, ihm wegen Versäumung der Revisionsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 67 Abs 1 SGG) zu gewähren, ist abzulehnen. Denn der Kläger war nicht ohne Verschulden verhindert, die gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Dabei muß er sich das Verschulden seines Prozeßbevollmächtigten nach § 73 Abs 4 SGG iVm § 85 Abs 2 Zivilprozeßordnung (ZPO) zurechnen lassen. Die Fristversäumnis beruht nicht allein auf einem Versehen des Kanzleipersonals, das der Prozeßbevollmächtigte nicht zu vertreten hat. Nach ständiger Rechtsprechung aller obersten Bundesgerichte zählt die Wahrung der prozessualen Fristen zu den wesentlichen Aufgaben eines Rechtsanwalts, die er grundsätzlich eigenverantwortlich zu überwachen hat (vgl BGH VersR 1976, 962; BVerwG NJW 1992, 852; BAG NJW 1996, 1302; BFHE 123, 14; BSG SozR 3-1500 § 67 Nr 12 = NJW 1998, 1886). Das schließt es zwar nicht aus, daß er die Notierung, Berechnung und Kontrolle der üblichen Fristen in Rechtsmittelsachen, die in seiner Praxis häufig vorkommen und deren Berechnung keine Schwierigkeiten macht, gut ausgebildetem und sorgfältig beaufsichtigtem Büropersonal überläßt (BVerwG NJW 1995, 2122; BSG aaO). Zu den Fristen, deren Feststellung und Berechnung gut ausgebildetem und sorgfältig beaufsichtigtem Büropersonal überlassen werden darf, gehört aber die in Verfahren vor dem BSG zu beachtende Rechtsmittelfrist im allgemeinen nicht. Denn vor dem BSG treten regelmäßig Anwälte auf, für die die Führung eines Revisionsverfahrens keine Routineangelegenheit darstellt, da sie eine solche Vertretung nur gelegentlich übernehmen (zur vergleichbaren Rechtslage in Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht, dem Bundesarbeitsgericht und dem Bundesfinanzhof vgl BVerwG NJW 1992, 852; NJW 1995, 2122; BAG BB 1995, 2118; BFH/NV 1992, 533). Bei diesen kann regelmäßig nicht davon ausgegangen werden, daß die von der ZPO, der Verwaltungsgerichtsordnung und der Finanzgerichtsordnung teilweise abweichenden Regelungen des Revisionsverfahrensrechts nach dem SGG ihnen und ihrem Büropersonal hinreichend vertraut sind.

Daß auch der Prozeßbevollmächtigte des Klägers nicht über die erforderlichen Kenntnisse des Revisionsverfahrensrechts nach dem SGG verfügte, wird daraus deutlich, daß er nach dem Hinweis des Berichterstatters auf die Verfristung der Revisionsschrift geltend gemacht hat, die dem Zulassungsbeschluß beigefügte Rechtsmittelbelehrung enthalte den Hinweis, die Frist zur Einlegung der Revision betrage zwei Monate. Das läßt nur den Schluß zu, daß ihm der Unterschied zwischen Revisions- und Revisionsbegründungsfrist nicht bekannt war und auch er die Rechtsmittelbelehrung nicht sorgfältig gelesen hat. Vor diesem Hintergrund kann sich der Rechtsanwalt auch nicht darauf berufen, daß seine ansonsten sorgfältig arbeitende und zuverlässige Bürokraft irrtümlich nur eine der beiden in der Rechtsmittelbelehrung aufgeführten Fristen notiert habe. Allein die Möglichkeit, daß auch eine Bürokraft die Rechtsmittelfrist mit Hilfe der Rechtsmittelbelehrung eigenständig berechnen kann, entlastet den Rechtsanwalt nicht. Denn die Wahrung der Frist blieb mangels einer Routineangelegenheit die eigenständige Aufgabe des Rechtsanwalts, der zumindest die Rechtsmittelbelehrung durchzulesen und auf verfahrensrechtliche Besonderheiten zu überprüfen hatte, deren Beachtung er nicht von seinem Büropersonal erwarten durfte. Mit Ausnahme der ZPO sind in allen Verfahrensarten im Hinblick auf die Durchführung eines Revisionsverfahrens Rechtsmittelbelehrungen vorgeschrieben, ohne daß hieraus in der höchstrichterlichen Rechtsprechung (aaO sowie BAG NJW 1996, 1302; BFH/NVwZ 1996, 828, 829) der Schluß gezogen worden ist, daß der Rechtsanwalt einer Bürokraft, die selten oder gar erstmals mit der Behandlung einer derartigen Frist konfrontiert wird, ohne Anleitung und Überwachung die eigenständige Berechnung der Frist überlassen könne. Hätte der Prozeßbevollmächtigte des Klägers die Rechtsmittelbelehrung gelesen, wäre ihm aufgefallen, daß statt zweier Fristen nur eine als notiert vermerkt worden war.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 SGG.

Ende der Entscheidung

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