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Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 30.06.1998
Aktenzeichen: B 4 RA 13/96 R
Rechtsgebiete: SGB VI
Vorschriften:
SGB VI § 294 | |
SGB VI § 295 | |
SGB VI § 295a |
BUNDESSOZIALGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
in dem Rechtsstreit
Verkündet am 30. Juni 1998
Az: B 4 RA 13/96 R
Klägerin und Revisionsbeklagte,
Prozeßbevollmächtigte:
gegen
Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, Ruhrstraße 2, 10709 Berlin,
Beklagte und Revisionsklägerin.
Der 4. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 30. Juni 1998 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Meyer, die Richter Husmann und Dr. Berchtold sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. Janzen und Jungwirth
für Recht erkannt:
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 19. Dezember 1995 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten auch des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe:
I
Die Klägerin begehrt von der Beklagten eine höhere Leistung für Kindererziehung.
Die im Jahre 1918 in S. /U. geborene Klägerin ist Verfolgte des Nationalsozialismus. 1946 heiratete sie in ihrem Geburtsort und gebar 1947 und 1948 zwei Kinder. 1956 wanderte sie in die USA aus. Sie ist US-amerikanische Staatsangehörige.
Aufgrund eines am 6. April 1992 gestellten Antrages erkannte die Beklagte das Recht der Klägerin auf Leistung für Kindererziehung ab 1. Oktober 1990 an. Die monatlichen Zahlungen je Kind wurden ab 1. Januar 1992 mit 17,70 DM, ab 1. Juli 1992 mit 20,00 DM, ab 1. Januar 1993 mit 21,20 DM und ab 1. Juli 1993 mit 24,20 DM festgesetzt. Die zuerkannte Nachzahlung für die Zeit vom 1. Januar 1992 bis 31. Oktober 1993 belief sich auf 900,40 DM. Zur Begründung führte die Beklagte aus, gemäß § 295a Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) sei für die Bestimmung der monatlichen Leistung der aktuelle Rentenwert (Ost) maßgebend. Da dieser gegenwärtig nur für die Zeit ab 1. Januar 1992 bekannt sei, werde die noch ausstehende Nachzahlung bis Dezember 1991 zur gegebenen Zeit durchgeführt und dann gesondert ausgezahlt (undatierter Bescheid der Beklagten).
Widerspruch und Klage der Klägerin, mit denen sie sinngemäß eine Leistungsberechnung nach dem aktuellen Rentenwert (West) begehrte, hatten keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 7. Juli 1994 und Urteil des Sozialgerichts <SG> vom 5. Dezember 1994). Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) Berlin das Urteil des SG aufgehoben und die Beklagte unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, die Leistung für Kindererziehung nach § 295 SGB VI zu berechnen (Urteil vom 19. Dezember 1995). Zur Begründung ist ausgeführt worden, § 295a SGB VI sei nicht anzuwenden, weil die Geburten im Falle der Klägerin keine Geburten im Beitrittsgebiet seien und solchen auch nicht gleichstünden.
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung der §§ 294, 295, 295a SGB VI. Sie macht geltend, Geburten in Vertreibungsgebieten - wie im vorliegenden Fall - stünden Geburten im Beitrittsgebiet gleich, so daß die Berechnung nach § 295a SGB VI zu erfolgen habe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG Berlin vom 19. Dezember 1995 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Berlin vom 5. Dezember 1994 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Revision zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, das Berufungsurteil sei nicht zu beanstanden.
II
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist, ob die Beklagte in dem vom LSG ausgeurteilten Umfang verpflichtet ist, der Klägerin eine höhere Leistung - als von der Beklagten bewilligt - für Kindererziehung zu zahlen. Das LSG hat die Beklagte im Rahmen eines Grundurteils (§ 130 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) unter Abänderung des angefochtenen Bescheides verurteilt, die der Klägerin "gewährte" Leistung für Kindererziehung gemäß § 295 SGB VI zu berechnen. Mit diesem Norm-Zitat wollte das LSG, wie die Entscheidungsgründe belegen, zum Ausdruck bringen, daß die "Berechnung" nach dem günstigeren aktuellen Rentenwert (West) anstelle des von der Beklagten zugrunde gelegten aktuellen Rentenwerts (Ost) zu erfolgen habe.
Den Beginn des Leistungszeitraums hat das LSG im Tenor seiner Entscheidung nicht benannt, jedoch ergibt sich aus dem Bezug auf den "angefochtenen" Bescheid idF des Widerspruchsbescheides vom 7. Juli 1994 sowie auf die "gewährte" Leistung, daß über den Wert des Rechts allein ab 1. Januar 1992 entschieden worden ist. Dem steht nicht entgegen, daß das LSG in den Entscheidungsgründen zu erkennen gegeben hat, daß es die gleichen Berechnungsgrundsätze auch für die vorangegangene Zeit vom 1. Oktober 1990 bis 31. Dezember 1991 für maßgeblich gehalten hat. Für diesen Zeitraum hatte die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid jedoch eine Entscheidung über die sog Leistungshöhe ausdrücklich ausgeklammert und insoweit eine spätere Entscheidung angekündigt. Unabhängig davon, daß die Klägerin diese "Nichtentscheidung" (dh Ablehnung einer sofortigen Regelung) nicht im Klage- und Berufungsverfahren angegriffen hat, folgt aus dem Bezug im Tenor des Berufungsurteils auf den genannten Bescheid und die "gewährte" Leistung, daß nur über den Wert des Rechts ab 1. Januar 1992 entschieden worden ist.
In der Sache hat das LSG die Beklagte zutreffend zu einer höheren Leistungsgewährung verurteilt. Hierbei hat der Senat nicht zu prüfen, ob die Klägerin überhaupt ein Recht auf Leistung für Kindererziehung hat; denn in dem angefochtenen Bescheid hat die Beklagte ua das subjektive Recht der Klägerin auf diese Leistung ab 1. Oktober 1990 ohne zeitliche Begrenzung bindend anerkannt.
Der Wert des subjektiven Rechts bestimmt sich für Leistungszeiträume ab 1. Januar 1992 nach den an diesem Tag in Kraft getretenen § 295 oder § 295a SGB VI, nicht dagegen nach Art 2 § 61 Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz (AnVNG), eingefügt durch Art 3 Nr 2 Kindererziehungsleistungsgesetz (KLG) vom 18. Dezember 1987 (BGBl I 1585). Dieses Gesetz war bei Anspruchsentstehung am 1. Oktober 1990 gültig und blieb bis zum Ablauf des 31. Dezember 1991 und damit für die bis dahin zurückgelegten Leistungszeiträume in Kraft und maßgeblich (Art 83 Nr 2, Art 85 Nr 1 Rentenreformgesetz 1992 <RRG 1992> vom 18. Dezember 1989, BGBl I 1859). Für die - wie dargelegt - im Revisionsverfahren streitigen Leistungszeiträume ab 1. Januar 1992 beanspruchen dagegen die Vorschriften des SGB VI Geltung, dessen zeitlicher Geltungsbereich gemäß Art 85 Abs 1 RRG 1992 mit dem 1. Januar 1992 beginnt. Einer der spezialgesetzlich und abschließend in Art 85 Abs 2 bis 10 RRG 1992 aufgelisteten Fälle, in denen Vorschriften des SGB VI für Zeiträume vor dem 1. Januar 1992 (oder erst ab einem späteren Datum) Geltung beanspruchen, liegt nicht vor. Da es im Revisionsverfahren nur um die Rechtmäßigkeit der Erstentscheidung über den Wert des Rechts auf Kindererziehungsleistung für Zeiträume ab dem 1. Januar 1992 ging, waren die Entscheidungsmaßstäbe den Texten der §§ 294 ff SGB VI zu entnehmen. Zu demselben Ergebnis hätte hier auch die Anwendung der allgemeinen, auf Änderungen des SGB VI ab dem 1. Januar 1992 bezogenen Übergangsregelung in § 300 Abs 1 SGB VI geführt, die allerdings von den Spezialregelungen der Art 83, 85 RRG 1992 verdrängt ist.
Entgegen der Ansicht der Beklagten war der gesetzliche Wert des Rechts der Klägerin auf Leistung für Kindererziehung nicht nach § 295a SGB VI, sondern nach § 295 SGB VI zu bestimmen. Nach § 295 Satz 1 SGB VI (in der bis zum 30. Juni 1998 maßgeblichen Fassung) beträgt die "Höhe der Leistung" 75 vH des jeweils für die Berechnung von Renten maßgebenden aktuellen Rentenwerts. Diese Norm bezieht sich auf den aktuellen Rentenwert (West) iS von § 68 SGB VI. Demgegenüber beträgt die "Höhe der Leistung" nach der Sonderregelung des § 295a Satz 1 SGB VI, eingefügt durch das Renten-Überleitungsgesetz (RÜG) vom 25. Juli 1991 (BGBl I 1606), für Mütter "bei Geburten im Beitrittsgebiet und diesen gleichstehenden Geburten" 75 vH des jeweils für die Berechnung von Renten maßgebenden aktuellen Rentenwerts (Ost) iS des § 255a SGB VI; dieser liegt niedriger als der aktuelle Rentenwert (West), so daß auch der Wert des Rechts niedriger ist. Entgegen der Auffassung der Beklagten liegen Fälle der vorliegenden Art nicht im Anwendungsbereich des § 295a SGB VI.
Soweit es für die Anwendung des § 295a SGB VI nach dessen Satz 1 (wie bei § 295 aaO) auf den Geburtsort des Kindes ankommt, scheidet dessen Regelung 1 aus. Die Klägerin hat ihre Kinder nicht "im Beitrittsgebiet" geboren (vgl zur Bestimmung dieses Gebietes § 18 Abs 3 Sozialgesetzbuch Viertes Buch <SGB IV>). Auch die Regelung 2 der Norm liegt nicht vor. Dies würde voraussetzen, daß Geburten in Ungarn "diesen", dh den Geburten im Beitrittsgebiet, "gleichstehende Geburten" sind.
Der Wortlaut des § 295a Satz 1 Regelung 2 SGB VI ist aus sich heraus nicht verständlich. Allein anhand der Vorschriften über Leistungen für Kindererziehung ist nicht erkennbar, welche Geburten (außerhalb des Beitrittsgebiets) den Geburten im Beitrittsgebiet gleichstehen könnten.
Auch aus dem Zusammenhang mit § 294 SGB VI wird der Bedeutungsinhalt nicht deutlich. Nach dessen Satz 1 erhält eine Mutter, die - wie die Klägerin - vor dem 1. Januar 1921 geboren ist, eine Leistung für Kindererziehung grundsätzlich nur dann, wenn sie das Kind "im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland" lebend geboren hat. Das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ist beim Inkrafttreten des SGB VI von Verfassungs wegen identisch mit der Gesamtheit der Staatsgebiete der 16 - "alten" und "neuen" - Bundesländer (Satz 2 und 3 der Präambel zum Grundgesetz <GG>). Es fehlen Anhaltspunkte dafür, der Deutsche Bundestag habe in § 294 SGB VI das "Gebiet der Bundesrepublik Deutschland" entgegen dem GG auf einen Teil des Gebiets der Bundesrepublik Deutschland begrenzen wollen. Aus der Verwendung des gleichen Ausdrucks "gleichstehen" in § 294 und § 295a SGB VI ergibt sich daher keine die Auslegung der Beklagten tragende Regelung. § 294 SGB VI trifft keine Bestimmung über das Gleichstehen mit Geburten speziell im Beitrittsgebiet, sondern regelt - ausgehend in Abs 1 von Geburten im (Gesamt-)Gebiet der Bundesrepublik Deutschland - in den nachfolgenden Absätzen, welche Geburten im Ausland den Geburten im Gesamtgebiet (sowohl in den "alten" als auch "neuen" Bundesländern) gleichstehen.
Auch § 294a SGB VI, der eine den § 294 SGB VI ergänzende Regelung über "Besonderheiten für das Beitrittsgebiet" enthält, trifft insoweit keine allein auf das Beitrittsgebiet zielende Gleichstellung mit Geburten in anderen Gebieten (Ausland). Daher greift § 295a Satz 1 Regelung 2 SGB VI schon nach seinem Wortlaut und systematischen Zusammenhang mit § 294 SGB VI ins Leere. Denn die in der letztgenannten Vorschrift genannten Geburten im Ausland stehen nicht "dem Beitrittsgebiet", sondern schlechthin dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in dem Bestand ab 3. Oktober 1990 gleich. Soweit Auslandsgeburten mit Geburten im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland nach dem Stand vor dem 3. Oktober 1990 gleichstehen, beansprucht § 295a Satz 1 Regelung 2 SGB VI schon nach seinem Wortlaut keine Anwendung. Der Gesetzestext läßt also auch im Zusammenhang des hier relevanten 12. Unterabschnitts des SGB VI nicht deutlich werden, welche den Geburten im Beitrittsgebiet "gleichstehenden Geburten" er überhaupt erfassen soll. Insoweit kann vorliegend dahingestellt bleiben, ob hierunter evtl Geburten im Ausland zu verstehen sind, die nur kraft völkerrechtlicher Verträge der DDR (soweit diese heute noch anzuwenden sind) einer Geburt im Beitrittsgebiet gleichstehen.
Wortlaut und Systematik des Gesetzes ergeben keinen Hinweis darauf, daß den Inhabern eines Rechts auf Leistung für Kindererziehung, die ihre Kinder im Ausland geboren und erzogen haben und deren Recht - wie im Falle der Klägerin - schon mit Vollendung des gesetzlichen Tatbestandes des Art 2 § 61 AnVNG am 1. Oktober 1990 (oder zuvor) mit dem damals festgesetzten Wert entstanden war (§ 40 Abs 1 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - <SGB I>), also insbesondere den NS-Verfolgten, durch eine zum 1. Januar 1992 in Kraft getretene Rechtsänderung der Wert des Rechts herabgesetzt werden sollte. Auch die Entstehungsgeschichte des Gesetzes rechtfertigt nicht eine derartige Interpretation.
Soweit die Beklagte auf den Zusammenhang der Vorschrift mit den Kürzungen im Bereich des Fremdrentengesetzes (FRG) hinweist, hat ein von ihr angenommener "politischer Wille" im Gesetzestext nicht einmal andeutungsweise Ausdruck gefunden. Nach dem Vorbringen der Beklagten soll dieser "politische Wille" darauf gerichtet gewesen sein, daß eine geringere "Leistung für Kindererziehung", die sich nur am aktuellen Rentenwert (Ost) bemessen sollte, Personen erhalten sollten, die frühestens ab 1. Januar 1992 ein solches Recht erlangten, sei es, weil die Geburt im Beitrittsgebiet erfolgt war, sei es, weil - bei Auslandsgeburt - die Mutter erstmals zum Januar 1992 in den Geltungsbereich des SGB VI (oder einer der in § 294 Abs 1 Satz 2 und Abs 2 bis 4 genannten Rechtsvorschriften) gelangt ist. Für eine solche - auf "Neuzugänge" (Rechtsentstehung frühestens zum 1. Januar 1992) begrenzte - Rechtsänderung gibt der vom Deutschen Bundestag beschlossene Gesetzestext nichts her. Im übrigen wäre die Klägerin, deren Recht nach Bundesrecht bereits am 1. Oktober 1990 entstanden ist, kein solcher "Neuzugang".
Darüber hinaus läßt sich - entgegen dem Vorbringen der Beklagten - den sog Materialien zum RÜG keineswegs eindeutig entnehmen, welche Fallgestaltungen mit der Einfügung der Tatbestandsmerkmale "diesen gleichstehenden Geburten" in § 295a Satz 1 SGB VI erfaßt werden sollten. Danach sollten ua Geburten in Vertreibungsgebieten bei vertriebenen Müttern Anspruch auf "dieselbe" Leistung begründen, die die Mütter bei einer Geburt im Beitrittsgebiet erhielten (BT-Drucks 12/405, Begründung zu Nr 120 <§ 295a> S 134). Hierbei ist durchaus erkennbar, daß die Regelung des § 295a SGB VI auch in einem Zusammenhang mit den - weiteren - Änderungen im Fremdrentenrecht gesehen werden, durch die Leistungen an den entsprechend betroffenen Personenkreis dem Leistungsniveau des Beitrittsgebiets angepaßt werden sollten (vgl hierzu ua Grieß in Kompaß 1991, 554; Müller in DAngVers 1991, 315; Polster in DRV 1992, 165). Dennoch ist - entgegen einer Behauptung in den Materialien - gerade dieser Zweck der beabsichtigten Regelung, die Leistungen an vertriebene Mütter mit Wohnsitz "im Westen" und im Ausland herabzusetzen, in dem vom Deutschen Bundestag beschlossenen Gesetzestext, wie dargelegt, nicht "klargestellt" worden.
Diese Unklarheit wird in den sog Materialien (BT-Drucks 12/405, aaO) noch dadurch verstärkt, daß bereits laufende Leistungen für Kindererziehung durch die Neuregelung nicht berührt werden sollen. Ob unter den "laufenden Leistungen" nur solche verstanden worden sind, die bereits durch Staatsakt (Verwaltungsakt, Urteil) bindend zuerkannt waren und wie diese Ungleichbehandlung der Rechtsinhaber sachlich gerechtfertigt werden sollte, bleibt dunkel. Jedenfalls ist nicht erkennbar, daß mit der Neuregelung Eingriffe in bereits vor dem 1. Januar 1992 entstandene Rechte und fällige Ansprüche bewirkt werden sollten.
Anders als bei einer Vielzahl von Müttern im Beitrittsgebiet, denen ein erstmaliger Anspruchserwerb erst zum 1. Januar 1992 ermöglicht worden ist (vgl hierzu §§ 294a, 296a SGB VI), ist bei dem Personenkreis, dem die Klägerin zugehört, das Recht bzw der Anspruch spätestens zum 1. Oktober 1990 und damit vor Einfügung des § 295a SGB VI entstanden (vgl § 294 Abs 1 Satz 3 SGB VI). Soweit die erstmals ab 1. Januar 1992 entstandenen Rechte und Ansprüche der Mütter im Beitrittsgebiet nach anderen Kriterien als im alten Recht berechnet werden, steht dem jedenfalls - anders als im Fall der Klägerin - nicht das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot entgegen. Haben dagegen Mütter - wie die Klägerin - das Recht bereits vor dem 1. Januar 1992 erworben, handelt es sich nicht um - "dieselben" - Rechtspositionen, die gleichen Herabwertungen unterworfen werden können. Bei einer am Gleichbehandlungsgebot des Art 3 Abs 1 GG orientierten Auslegung sind zum gleichen Zeitpunkt und aufgrund im wesentlichen gleichgelagerter Lebenssachverhalte entstandene Rechte gleichzubehandeln, insbesondere liegt kein rechtfertigender Differenzierungsgrund darin, daß das Recht verfahrensrechtlich bis zum 31. März 1992 oder später geltend gemacht worden ist (vgl dazu § 300 Abs 2 SGB VI). Auch lassen die sog Materialien (BT-Drucks 12/405, aaO) nicht erkennen, daß erwogen worden ist, in bereits bestehende gesetzliche Rechte einzugreifen.
Selbst wenn man dennoch davon ausgehen würde, daß einige am Gesetzgebungsverfahren beteiligte Amtswalter das Ziel verfolgt haben, vertriebene und verfolgte Mütter und solche mit Auslandswohnsitz immer, dh unabhängig vom Zeitpunkt des Entstehens des Anspruchs, mit Müttern im Beitrittsgebiet leistungsrechtlich gleichzustellen, hätte dieser politische Wille in § 295a Satz 1 SGB VI jedenfalls keinen hinreichenden Niederschlag gefunden. Insoweit liegt es in Anbetracht des Gesetzeswortlauts und des systematischen Zusammenhanges mit den übrigen Vorschriften über Leistungen für Kindererziehung außerhalb der Kompetenz der rechtsprechenden Gewalt und der Verwaltung, den Text des § 295a Satz 1 SGB VI etwa korrigierend "durch verfassungswidrige belastende Analogie" in dem Sinn zu lesen, daß das Tatbestandsmerkmal "diesen" gestrichen bzw die Merkmale "bei Geburten im Beitrittsgebiet und diesen gleichstehenden Geburten" durch die Worte "bei Geburten im Beitrittsgebiet oder in den dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gleichstehenden Gebieten" ersetzt werden. Ein solcher Eingriff in durch förmliches Gesetz des Deutschen Bundestages gewährte subjektive Rechte ist allein diesem vorbehalten.
Zusammenfassend ist festzustellen, daß § 295a Satz 1 SGB VI im vorliegenden Fall keine Anwendung findet. Die Beklagte hat den Wert der Leistung für Kindererziehung nach § 295 Satz 1 SGB VI für die hier strittige Zeit ab 1. Januar 1992 zu berechnen. Ihre Revision mußte daher als unbegründet zurückgewiesen werden (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Ende der Entscheidung
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