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Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 27.01.1999
Aktenzeichen: B 4 RA 20/98 R
Rechtsgebiete: GG
Vorschriften:
GG Art 3 Abs 1 |
BUNDESSOZIALGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Verkündet am 27. Januar 1999
in dem Rechtsstreit
Az: B 4 RA 20/98 R
Klägerin und Revisionsklägerin,
Prozeßbevollmächtigte:
gegen
Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, Ruhrstraße 2, 10709 Berlin,
Beklagte und Revisionsbeklagte.
Der 4. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 27. Januar 1999 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Meyer, die Richter Husmann und Dr. Schlegel sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. Schmid und Teske
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird festgestellt, daß der Bescheid der Beklagten vom 7. Mai 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 1996 sowie der Bescheid der Beklagten vom 22. August 1997 insoweit rechtswidrig waren, als bei der Anrechnung des Erwerbseinkommens der Klägerin auf die ihr gewährte Hinterbliebenenrente das Jahreseinkommen (Jahresarbeitsentgelt) nicht gleichmäßig auf das gesamte Kalenderjahr umgelegt wurde.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Gründe:
I
Streitig ist die Anrechnung eigenen Erwerbseinkommens auf eine Hinterbliebenenrente.
Die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) gewährt der Klägerin, die als Schauspielerin aus nicht das ganze Jahr über bestehenden Engagements Erwerbseinkommen erzielt, seit 1. Oktober 1995 eine große Witwenrente (Rentenbewilligungsbescheid vom 14. November 1995). Die BfA stellte fest, dieses sei auf die Hinterbliebenenrente anzurechnen, und zwar sei gemäß § 18b Abs 2 Satz 1 SGB IV das Arbeitsentgelt des letzten Kalenderjahres, geteilt durch die Zahl der Kalendermonate, in denen es erzielt worden ist, als monatliches Einkommen zu berücksichtigen; im sog Sterbevierteljahr finde jedoch noch keine Anrechnung statt (Bescheid vom 7. März 1996; Widerspruchsbescheid vom 27. Juni 1996). Das SG Lübeck hat die hiergegen erhobene Klage, mit der die Klägerin eine "Umlegung" ihres Arbeitsentgelts auf das gesamte Kalenderjahr begehrt, abgewiesen (Urteil vom 3. September 1996).
Hiergegen hat die Klägerin Berufung eingelegt. Während des Berufungsverfahrens hat die beklagte BfA die Rente der Klägerin für die Zeit ab 1. Oktober 1997 "neu festgestellt" und ihr 1996 erzieltes Einkommen monatlich in Höhe von 157,06 DM auf die Witwenrente angerechnet. Dabei hat die Beklagte das im gesamten Kalenderjahr 1996 erzielte Arbeitsentgelt der Klägerin von 14.805,76 DM durch die Zahl der Monate, in denen es erzielt wurde (hier: neun) geteilt und die Klägerin im Ergebnis so behandelt, als habe sie in jedem Kalendermonat des Jahres 1996 ein Arbeitseinkommen von (14.805,76 DM : 9 =) 1.645,08 DM erzielt (Bescheid vom 22. August 1997). Das Schleswig-Holsteinische LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 11. Februar 1998).
Die Klägerin hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Während des Revisionsverfahrens hat die Beklagte ihren während des Berufungsverfahrens erlassenen Anrechnungsbescheid vom 22. August 1997 zurückgenommen und ausgeführt, auf die Rechtsansicht der Klägerin komme es vorliegend nicht an, da sie auch für die Zeit ab Oktober 1997 nicht mehr durch eine Einkommensanrechnung beschwert sei: Durch den ursprünglich angefochtenen Bescheid vom 7. März 1996 ("Einkommensanrechnung dem Grunde nach") sei die Klägerin nicht zu einer "Einkommensanrechnung gemäß § 97 SGB VI herangezogen worden"; die im Anrechnungsbescheid vom 22. August 1997 liegende Beschwer sei durch den nunmehr im Revisionsverfahren erteilten Zugunstenbescheid wieder beseitigt worden (Bescheid vom 20. August 1998).
Die Klägerin trägt vor, sie erstrebe eine Entscheidung, um nicht Jahr für Jahr gegen Rentenbescheide Widerspruch einlegen und Klage erheben zu müssen; sie wolle eine Grundlage für künftige Rentenbescheide legen. In der Sache rügt sie eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art 3 Abs 1 GG); sie werde gegenüber Arbeitnehmern, die einer regelmäßigen Beschäftigung nachgehen und ein gleich hohes Jahresarbeitseinkommen beziehen wie sie, benachteiligt.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 11. Februar 1998 sowie das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 3. September 1996 aufzuheben und festzustellen, daß der Bescheid der Beklagten vom 7. Mai 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 1996 sowie der Bescheid der Beklagten vom 22. August 1997 insoweit rechtswidrig waren, als bei der Anrechnung von Erwerbseinkommen auf die ihr gewährte Hinterbliebenenrente ihr Jahreserwerbseinkommen nicht gleichmäßig auf das gesamte Kalenderjahr umgelegt wird.
Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
II
Die Revision der Klägerin ist zulässig und iS ihres zuletzt geltend gemachten Fortsetzungsfeststellungsantrages auch begründet.
1. a) Die von der Klägerin gegen den Bescheid vom 7. März 1996 erhobene Anfechtungsklage war unzulässig und hätte vom SG an sich als unzulässig verworfen anstatt als unbegründet abgewiesen werden müssen; die Beklagte führte in diesem Bescheid ua aus, das Erwerbseinkommen der Klägerin sei - dem Grunde nach - auf ihre Hinterbliebenenrenten anrechenbar, jedoch nahm die Beklagte mit Blick auf das sog Sterbevierteljahr (vgl § 97 Abs 1 Satz 2 iVm § 67 Nr 5 und 6 SGB VI) noch keine Anrechnung auf die ab 1. Oktober 1995 gewährte Rente vor; die monatlichen Zahlungsansprüche aus ihrem Recht auf Rente wurden zur Ermittlung des Auszahlbetrages zwar um die Eigenanteile der Klägerin zur Pflege- und Krankenversicherung der Rentner vermindert, jedoch wurde der Klägerin das von ihr erzielte Erwerbseinkommen insoweit (noch nicht) anspruchsmindernd oder -vernichtend entgegengehalten. Eine (formelle) Beschwer der Klägerin iS von § 54 Abs 1 Satz 2 SGG lag mit diesem Rentenbewilligungsbescheid nach allem noch nicht vor.
b) Eine Klagebefugnis der Klägerin ergab sich erst, als die Beklagte während des Berufungsverfahrens die Rente für die Zeit ab 1. Oktober 1997 "neu feststellte" und das im Jahr 1996 erzielte Einkommen auf die Witwenrente angerechnet, dh den Auszahlbetrag um monatlich weitere 157,06 DM minderte. Über diesen Bescheid, der in entsprechender Anwendung von § 96 Abs 1 iVm § 153 Abs 1 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden ist, hatte das LSG nicht auf Berufung, sondern erstinstanzlich "auf Klage" zu entscheiden (vgl hierzu stellvertretend BSGE 47, 241, 243; BSGE 18, 231; Pawlak in: Hennig, SGG, § 96 RdNrn 50, 55; Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl 1998, § 96 RdNr 7; Krasney/Udsching, 1991, Das sozialgerichtliche Verfahren, SGB VI, RdNrn 110, 111). Das LSG hat den genannten Bescheid ausweislich der Urteilsgründe für rechtmäßig erachtet und die Klage insoweit (sinngemäß) abgewiesen, ohne dies allerdings (wodurch allein die Beklagte beschwert sein könnte) im Tenor seines Urteils zum Ausdruck zu bringen; dieser spricht allein die Zurückweisung der Berufung der Klägerin aus.
c) Die durch den Bescheid vom 22. August 1997 eingetretene und durch das Urteil des LSG nicht beseitigte Beschwer hat die Beklagte während des Revisionsverfahrens durch ihren Bescheid vom 20. August 1998 beseitigt. Ein während des Revisionsverfahrens erlassener Verwaltungsakt, der den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt, gilt gemäß § 171 Abs 2 SGG als mit der Klage beim SG angefochten (Regelfall), es sei denn, daß der Kläger durch den neuen Verwaltungsakt klaglos gestellt wird (Ausnahmefall). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier vor.
Die Beklagte hat "die Rente" der Klägerin für die Zeit ab 1. Oktober 1997 "neu berechnet" und unter Hinweis auf § 18b Abs 4 SGB IV - festgestellt, daß sich kein anrechnungsfähiger Betrag ergibt. Sie hat mit diesem Zweitbescheid (die Beklagte spricht von einem "Zugunstenbescheid") - zumindest konkludent - auch die die Klägerin belastende Anrechnungsentscheidung vom 22. August 1997 aufgehoben und dem Begehren der Klägerin auf ungekürzte Zahlung ihrer Hinterbliebenenrente entsprochen. Damit ist die Klagebefugnis der Klägerin, deren Vorliegen und Fortbestand von Gerichts wegen in allen Stadien des gerichtlichen Verfahrens zu prüfen ist, entfallen.
d) Die Prozeßordnung sieht für diese Fälle jedoch die Möglichkeit des Übergangs zu einer sog Fortsetzungsfeststellungsklage vor; hiervon hat die Klägerin zulässig Gebrauch gemacht. Nach § 131 Abs 1 Satz 3 SGG spricht das Gericht, wenn sich der Verwaltungsakt durch Zurücknahme oder anders erledigt hat, auf Antrag des Klägers aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist. Die Vorschrift ist auch anzuwenden, wenn sich der angefochtene Verwaltungsakt erst im Revisionsverfahren erledigt hat, weil auch dies das Rechtsschutzinteresse für eine Anfechtungsklage entfallen läßt (vgl BSGE 74, 257, 258 mwN; zur Zulässigkeit dieser Klageänderung zuletzt BSG, Urteil vom 10. September 1998 - B 7 AL 10/97 R). Voraussetzung für die Zulässigkeit der sog Fortsetzungsfeststellungsklage ist ein berechtigtes Interesse des Klägers an dieser Feststellung. Dieses liegt ua dann vor, wenn die Gefahr besteht, daß die Verwaltung unter im wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen einen gleichartigen Verwaltungsakt wie den erledigten erlassen wird (zur Wiederholungsgefahr vgl BSGE 74, 257, 258; BSGE 67, 286 = SozR 3-5428 § 4 Nr 2; Pawlak in: Hennig, SGG, § 131 RdNrn 63 ff). Dies ist hier der Fall, zumal die Klägerin nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge auch in Zukunft nur während einiger Kalendermonate in einer (Saison-)Beschäftigung Arbeitsentgelt erzielen wird und die Beklagte erklärt hat, an ihrer Auslegung des § 18b Abs 2 Satz 2 SGB IV festzuhalten und das Arbeitsentgelt der Klägerin auch künftig in der von ihr in der Vergangenheit praktizierten Weise auf die Hinterbliebenenrente anzurechnen.
2. Die Fortsetzungsfeststellungsklage der Klägerin ist auch begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 22. August 1997 war rechtswidrig und verletzte bis zu seiner Rücknahme durch die Beklagte die Klägerin in ihrem Recht auf Zahlung ihrer ungekürzten Hinterbliebenenrente. Die Beklagte war nicht befugt, das Erwerbseinkommen der Klägerin, geteilt durch die Zahl der Kalendermonate, in denen es erzielt wurde (Zahl der tatsächlichen Beschäftigungsmonate) in der Weise auf Hinterbliebenenrente anzurechnen, daß der so ermittelte Durchschnittswert als monatliches Einkommen gilt.
a) Nach § 97 Abs 1 Satz 1 SGB VI ist der Rentenversicherungsträger ermächtigt, Erwerbseinkommen von Berechtigten, das mit einer Witwenrente "zusammentrifft", hierauf (dh auf die monatlichen Zahlungsansprüche) anzurechnen, soweit es seiner Art nach als anrechenbar in Betracht kommt (vgl § 18a SGB IV) und nach Abzug pauschalierter Steuern und Sozialversicherungsbeträge (vgl § 18b Abs 5 SGB IV) bestimmte Freibeträge übersteigt (vgl § 97 Abs 2 SGB VI). Sachlicher Grund und Grenze der Anrechnung eigenen Erwerbseinkommens auf Hinterbliebenenrenten ist die Fähigkeit des Hinterbliebenen, sich mittels eigenen Erwerbseinkommens ganz oder zumindest teilweise selbst zu unterhalten, so daß es insoweit der Deckung des Unterhaltsbedarfs mittels einer Hinterbliebenenrente nicht bedarf. Bezieht der Witwer oder die Witwe ein den (Anrechnungs-)Freibetrag übersteigendes Einkommen, sinkt oder fällt der am bisherigen Lebensstandard ausgerichtete Bedarf an wirtschaftlicher Sicherung. Abzustellen ist dabei auf das "verfügbare Einkommen" des Hinterbliebenen (so zutreffend auch Beschluß des BVerfG vom 28. Februar 1998 - 1 BvR 1318/86, BVerfGE 97, 271, 292).
Demgemäß ist nach § 18b Abs 1 Satz 1 SGB IV für die Anrechnung das "monatliche Einkommen" maßgebend. Es gilt der Grundsatz, daß nur das im Monat der Rentengewährung tatsächlich erzielte Arbeitsentgelt angerechnet werden kann (sog Wirklichkeitsmaßstab). Aus auf der Hand liegenden Gründen der Verwaltungspraktikabilität wird allerdings in der Massenverwaltung davon abgesehen, das jeweilige in einem bestimmten Kalendermonat erzielte eigene Erwerbseinkommen des Hinterbliebenen auf die ihm für eben diesen Kalendermonat zustehende Hinterbliebenenrente gegenüberzustellen und so den anzurechnenden Betrag jeden Monat neu zu ermitteln. Vielmehr hat sich das Gesetz für eine pauschalierende Berücksichtigung eigenen Erwerbseinkommens dergestalt entschieden, daß im Regelfall auf das Erwerbseinkommen des letzten Kalenderjahres abzustellen ist; aus dem gesamten Jahreseinkommen des Vorjahres ist ein Durchschnittswert zu ermitteln und dieser als prognostiziertes monatliches Einkommen auch des laufenden Kalenderjahres der Anrechnung zugrunde zu legen. Dieser monatliche Durchschnittswert ist im einzelnen in der Weise zu ermitteln, daß er eine möglichst wirklichkeitsnahe Schätzung desjenigen Betrages ergibt, den der Rentenberechtigte auch im Kalenderjahr der Anrechnung tatsächlich im Monatsdurchschnitt erzielt. Fanden im letzten Kalenderjahr bezüglich der Höhe der Vergütung bzw bei der Höhe des auf das gesamte Kalenderjahr verteilten Einkommens keine wesentlichen Veränderungen gegenüber dem Kalenderjahr der Anrechnung statt, ist davon auszugehen, daß eine Umlegung des Jahresgesamteinkommens auf das gesamte Kalenderjahr (Jahreseinkommen geteilt durch 12) eine realitätsnahe Prognosegrundlage auch für das laufende Erwerbseinkommen bietet. Bestätigt wird dieser Grundsatz durch § 18b Abs 4 SGB IV, wonach (gemäß dem Grundsatz aus Abs 1 Satz 1 aaO) bei der erstmaligen Feststellung der Rente - verwaltungspraktisch betrachtet ausnahmsweise - vom laufenden Erwerbseinkommen auszugehen ist, wenn dieses voraussichtlich im Durchschnitt um wenigstens 10 vH geringer ist als das nach § 18b Abs 2 und 3 SGB IV nach Jahresdurchschnittssätzen ermittelte Einkommen; dh auf das Erwerbseinkommen des laufenden Kalendermonats ist dann abzustellen, wenn die dem Regelfall (vgl § 18b Abs 2 Satz 1 SGB IV) zugrundeliegende Prognose angesichts der tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der erstmaligen Rentenfeststellung evident, nämlich iS einer Abweichung um mindestens 10 vH, unzutreffend wäre.
Mit § 18b Abs 2 Satz 1 SGB IV wurde eine ausdrückliche Bestimmung für den (Ausnahme-)Fall getroffen, daß eine Umlegung des Jahreseinkommens auf zwölf Kalendermonate zu einer realitätsfernen Prognosegrundlage führen würde; danach wird das im letzten Kalenderjahr (insgesamt) erzielte Erwerbseinkommen lediglich durch die Zahl der Kalendermonate geteilt, in denen es erzielt wurde. Diese Berechnungsweise führt insbesondere in denjenigen Fällen zu sachgerechten Ergebnissen, in denen ein Hinterbliebener erst im Laufe des letzten Kalenderjahres eine regelmäßige Dauerbeschäftigung aufgenommen hat, aus der er seither ein im wesentlichen gleichgebliebenes Erwerbseinkommen erzielt.
b) Die Vorgehensweise nach § 18b Abs 2 Satz 1 SGB IV führt hingegen in Fällen der vorliegenden Art zu Ergebnissen, die weder der Systematik des § 18b SGB IV entsprechen noch vor Art 3 Abs 1 GG Bestand haben könnten. Die Fälle der vorliegenden Art sind dadurch gekennzeichnet, daß es a) um die Anrechnung von Erwerbseinkommen geht, das in nur einigen Kalendermonaten des Jahres erzielt wird, daß b) vom Hinterbliebenen auch in der Zukunft nicht in jedem Kalendermonat eine Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt wird (zB Saisonbeschäftigung) und daß c) dem Berechtigten in den Kalendermonaten, in denen er nicht beschäftigt ist, auch keine Lohnersatzleistungen (zB Arbeitslosengeld) zufließen. Legt der Träger der Rentenversicherung bei der Anrechnung eigenen Erwerbseinkommens auch in solchen Fällen für jeden Kalendermonat des Rentenbezuges einen Betrag zugrunde, der sich ergibt, wenn man das Gesamteinkommen des vergangenen Jahres durch die Zahl der Monate teilt, in denen es erzielt wurde, wird im laufenden Jahr insgesamt auf die Hinterbliebenenrente ein Betrag angerechnet, den der Berechtigte weder laufend erzielt noch in dieser Höhe im vergangenen Jahr tatsächlich erzielt hat. § 18b Abs 2 Satz 1 SGB IV führt hier zu der Fiktion, dem Hinterbliebenen stehe in jedem Kalendermonat des laufenden Jahres (Jahr der Anrechnung) ein Erwerbseinkommen zur Verfügung, wie es ihm im Vorjahr nur in den Kalendermonaten zur Verfügung stand, in denen er tatsächlich beschäftigt war. Dabei würde übersehen, daß der Berechtigte mit dem in nur einigen Kalendermonaten erzielten Erwerbseinkommen den Lebensunterhalt für das gesamte Kalenderjahr bestreiten mußte und er bei im wesentlichen gleichgebliebenen Verhältnissen auch im Kalenderjahr der Anrechnung monatlich im Jahresdurchschnitt wesentlich weniger Erwerbseinkommen zur Verfügung hat, als es sich nach der Berechnungsmethode des § 18b Abs 2 Satz 1 SGB IV ergibt.
Ein Blick auf die Verhältnisse der Klägerin im Jahr 1996 macht diese Verzerrung der tatsächlichen Verhältnisse offensichtlich: Tatsächlich hat die Klägerin in ihrer (Saison-)Beschäftigung in neun Kalendermonaten 14.805,76 DM erzielt. Die Beklagte ermittelt hieraus nach § 18b Abs 2 Satz 1 SGB IV ein anrechenbares Erwerbseinkommen von monatlich 1.645,08 DM und behandelt die Klägerin mithin so, als verfüge sie im Jahr 1997 über ein durchschnittliches, jeden Kalendermonat kontinuierlich zufließendes Einkommen von 1.645,08 DM. Tatsächlich standen der Klägerin im Kalenderjahr 1996 bei einer Verteilung ihres Einkommens auf das gesamte Jahr monatlich aber nur 1.238,13 DM zur Verfügung; mit anderen Worten unterstellte die Beklagte der Klägerin für das Kalenderjahr 1997 ein Jahresgesamteinkommen von (12 x 1.645,08 DM =) 19.740,96 DM, während das tatsächliche Erwerbseinkommen des Jahres 1996 nur die Prognose zuließ, daß auch im Jahre 1997 ein Einkommen von 14.805,76 DM erzielt wird.
c) Zwar ist auch die Feststellung des tatsächlich verfügbaren Einkommens eines Hinterbliebenen einer typisierenden Betrachtungsweise zugänglich, soweit die Grenzen zulässiger Pauschalierung eingehalten werden. Zu diesen Grenzen hat das BVerfG in seinem Beschluß zur Anrechnung eigenen Erwerbseinkommens auf Hinterbliebenenrenten vom 28. Februar 1998 (1 BvR 1318/86, BVerfGE 97, 271 ff) Stellung genommen; es hat angenommen, daß mit Blick auf die Steuer- und Beitragslast ein Pauschalabzug von bislang 35 vH für die Zukunft den tatsächlichen Verhältnissen der Abgabenbelastung anzupassen, dh zur Vermeidung einer zu hohen Anrechnung der Pauschalabzug zu erhöhen sei. Daraus folgt für den vorliegenden Fall: Sind die Grenzen zulässiger Pauschalierung bereits bei der Festsetzung des gegenwärtigen Pauschalabzuges erreicht, weil seine rechnerische Auswirkung auf das tatsächlich verfügbare Einkommen "nicht so gering ist, daß sie vernachlässigt werden kann" (so das BVerfG, aaO, S 292 wörtlich), gilt dies erst recht, wenn dem Berechtigten im Rahmen der Auslegung von § 18b Abs 2 Satz 1 SGB IV ein um ein mehrfaches höherer Betrag als fiktives Einkommen unterstellt und auf seine Hinterbliebenenrente damit Erwerbseinkommen angerechnet wird, das der Hinterbliebene im vergangenen Jahr in dieser Höhe überhaupt nicht erzielt hat und prognostisch auch im Jahr der Anrechnung nicht erzielen wird.
Nach allem ist in Fällen der vorliegenden Art mit Blick auf den in § 18b Abs 1 Satz 1 SGB IV niedergelegten Grundsatz der Anrechnung eigenen Erwerbseinkommens nach dem sog Wirklichkeitsmaßstab einerseits und mit Rücksicht auf das Bedürfnis der Rentenversicherungsträger nach einer praktikablen Durchführung der Anrechnung eigenen Erwerbseinkommens von Hinterbliebenen andererseits die Vorschrift des § 18b Abs 2 Satz 1 SGB IV nicht in ihrem strengen Wortsinn auszulegen; dies würde den Bereich zulässiger Prognose nach dem Wirklichkeitsmaßstab verlassen und zu einer Abs 1 Satz 1 aaO widersprechenden Fiktion deutlich höheren Erwerbseinkommens führen, als es im laufenden Anrechnungsjahr tatsächlich erzielt würde. Vielmehr sind der zeitliche Rahmen und das zu berücksichtigende Erwerbseinkommen des Vorjahres so zu bestimmen, daß beide Parameter eine zuverlässige Prognose auf das eigene Erwerbseinkommen des Hinterbliebenen auch für das laufende Kalenderjahr der Anrechnung zulassen, was vorliegend ein Abstellen auf das Durchschnittsentgelt des gesamten Vorjahres verlangt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Ende der Entscheidung
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