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Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 26.10.2004
Aktenzeichen: B 4 RA 40/04 R
Rechtsgebiete: AAÜG
Vorschriften:
AAÜG § 5 Abs 1 |
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil
in dem Rechtsstreit
Az: B 4 RA 40/04 R
Der 4. Senat des Bundessozialgerichts hat am 26. Oktober 2004 ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meyer, die Richter Husmann und Dr. Knörr sowie den ehrenamtlichen Richter Jungwirth und die ehrenamtliche Richterin Sachse
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 15. März 2004 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe:
I
Streitig ist, ob der beklagte Zusatzversorgungsträger für den Zeitraum vom 1. März 1976 bis 31. Dezember 1981 für die Klägerin weitere Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech) nach Nr 1 der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) und die in diesem Zeitraum erzielten Arbeitsentgelte festzustellen hat.
Nach dem Besuch der Technischen Universität D erlangte die Klägerin am 27. Mai 1968 die Berechtigung, den akademischen Grad "Diplom-Ingenieur" zu führen. Nach den Feststellungen des Sozialgerichts (SG) war sie vom 1. April 1968 bis 28. Februar 1970 als Mitarbeiterin im VEB R A S N , vom 1. März 1970 bis 31. Dezember 1972 als Programmiererin und vom 1. Januar 1973 bis 30. Juni 1976 als Problemanalytikerin in der Arbeitsstelle für Molekularelektronik D , vom 1. Juli 1976 bis 3. März 1977 als Problemanalytikerin im Institut für Mikroelektronik D sowie vom 4. März 1977 bis 31. März 1980 im VE Institut für Mikroelektronik D und vom 1. April 1980 bis 31. Dezember 1981 als Mitarbeiterin Entwurfsmethodik im VEB Zentrum für Forschung und Technologie Mikroelektronik (ZFTM) D beschäftigt. Anschließend war sie vom 1. Januar 1982 bis 30. Juni 1990 Leiterin der DV-Projektierung im Grafischen Großbetrieb Völkerfreundschaft D .
Den Antrag der Klägerin auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zur AVltech lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 24. Mai 2002 ab. Ihren dagegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17. Dezember 2002 zurück.
In der mündlichen Verhandlung vor dem SG Dresden gab die Beklagte ein Teilanerkenntnis ab. Danach erkannte sie an, "dass am 30. Juni 1990 alle Voraussetzungen für die Einbeziehung nach § 1 AAÜG vorgelegen haben". Außerdem erkannte sie die Zeiten vom 28. Mai 1968 bis 28. Februar 1976 und vom 1. März 1990 bis 30. Juni 1990 als Zeiten der Zugehörigkeit zur AVItech an. Dieses Teilanerkenntnis nahm die Klägerin an und die Klage hinsichtlich des Zeitraumes vom 1. Januar 1982 bis 28. Februar 1990 zurück. Mit ihrer Klage begehrte sie daraufhin den Bescheid vom 24. Mai 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Dezember 2002 teilweise aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Zeiten vom 1. März 1976 bis 31. Dezember 1981 als weitere Zeiten der Zugehörigkeit zur AVItech und die in diesem Zeitraum erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.
Das SG hat durch Urteil vom 15. März 2004 die Beklagte unter Aufhebung der entgegenstehenden Verwaltungsentscheidungen verpflichtet, "den Zeitraum vom 1. März 1976 bis 31. Dezember 1981 als Zeit der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz anzuerkennen und entsprechende Entgelte festzustellen". Es hat ua ausgeführt: Die Klägerin falle unter den Anwendungsbereich des § 1 AAÜG, denn die Beklagte habe in der mündlichen Verhandlung ein entsprechendes Anerkenntnis abgegeben. Die Klägerin habe auch für den streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. März 1976 bis 31. Dezember 1981 einen Anspruch auf Feststellung von Zugehörigkeitszeiten nach § 5 Abs 1 AAÜG, denn sie erfülle auch für diesen Zeitraum die persönlichen, sachlichen und betrieblichen Voraussetzungen der AVItech. Sie sei berechtigt gewesen, den Titel einer "Diplom-Ingenieurin" zu führen. Sie habe im vorgenannten Zeitraum auch eine dieser Qualifikation entsprechende Tätigkeit ausgeübt. Aus den Funktionsplänen ergäbe sich, dass die ausgeübten Tätigkeiten als Problemanalytikerin und als Mitarbeiterin Entwurfsmethodik ihrer technischen Qualifikation entsprochen hätten. Sie erfülle auch die betriebliche Voraussetzung, denn sie sei in diesem Zeitraum in einer gemäß § 1 Abs 2 der 2. Durchführungsbestimmung (2. DB) gleichgestellten Einrichtung tätig gewesen. Die Arbeitsstelle für Molekularelektronik D , das Institut für Mikroelektronik D , das VE Institut für Mikroelektronik Dresden und auch der VEB Zentrum für Forschung und Technologie Mikroelektronik (ZFTM) D seien Forschungsinstitute iS dieser Bestimmung gewesen. In der DDR seien auch Forschungseinrichtungen, die der volkseigenen Wirtschaft zuzurechnen gewesen seien, als "Institute" bezeichnet worden. Das Bundessozialgericht (BSG) habe in seinen Entscheidungen vom 10. April 2002 (B 4 RA 56/01 R) und vom 31. Juli 2002 (B 4 RA 62/01 R) festgestellt, dass der volkseigenen Wirtschaft zuzurechnende Einrichtungen keine Forschungsinstitute iS der Verordnung über die Altersversorgung der Intelligenz an wissenschaftlichen, künstlerischen, pädagogischen und medizinischen Einrichtungen der DDR (VO-AVIwiss) sein könnten. Ein Forschungsinstitut iS des § 1 Abs 2 2. DB müsse jedoch nicht den gleichen Anforderungen entsprechen. Während der Kreis der in die AVIwiss Einbezogenen einen engen Bezug zur Wissenschaft aufweise, gelte eine entsprechende Voraussetzung hinsichtlich der in die AVItech einbezogenen technischen Intelligenz nicht. Hier sei angesichts des vorrangigen Bezugs auf die volkseigenen Betriebe dem Begriff "Forschungsinstitut" ein weiter gefasster Inhalt beizumessen. Dies ergäbe sich auch aus dem Zweck, den die AVItech gemäß ihrer Präambel zu erfüllen gehabt habe. Demzufolge seien Forschungsinstitute iS des § 1 Abs 2 2. DB Forschung betreibende Einrichtungen in der staatlichen Wissenschaft oder der volkseigenen Industrie, soweit sie als solche juristisch selbständig den primären Zweck der wissenschaftlichen oder angewandten Forschung verfolgten. Die Einrichtungen, bei der die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum beschäftigt gewesen sei, erfüllten diese Anforderungen. Hauptzweck dieser Einrichtungen sei die betriebliche wissenschaftliche und angewandte Forschung gewesen.
Die Beklagte hat mit Zustimmung der Klägerin die vom SG zugelassene (Sprung-)Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung von § 5 Abs 1 AAÜG. Danach komme es bundesrechtlich darauf an, ob die ausgeübte Beschäftigung ihrer Art nach (abstrakt-generell) zu dem Ausschnitt der Arbeitswelt gehört habe, für welchen die DDR am 30. Juni 1990 ein besonderes, im AAÜG aufgelistetes Versorgungssystem eingerichtet gehabt habe. Für das Versorgungssystem der AVItech hänge dies von drei persönlichen, sachlichen und betrieblichen Voraussetzungen ab. Bei dem Beschäftigungsbetrieb müsse es sich um einen volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens oder um einen gleichgestellten Betrieb gehandelt haben. Nach der 2. DB seien ua wissenschaftliche Institute und Forschungsinstitute gleichgestellt gewesen. Die Klägerin sei auch im streitigen Zeitraum in einer Forschungs- und Entwicklungseinrichtung beschäftigt gewesen. Betriebliche Forschungseinrichtungen zählten jedoch nur dann zu den Forschungsinstituten und wissenschaftlichen Instituten, wenn es sich um solche der Post, der Eisenbahn oder der Schifffahrt gehandelt habe. Denn würden alle Betriebe in Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen unter den Begriff "Forschungsinstitut" und "wissenschaftliches Institut" fallen, wäre eine gesonderte Auflistung der Institute der Post, Eisenbahn und Schifffahrt entbehrlich gewesen. Verdeutlicht werde dies auch durch die Wortwahl des § 6 VO-AVIwiss Diese Bestimmung zähle ebenfalls wissenschaftliche Institute und Forschungsinstitute auf. Das SG sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass wegen des Bezugs zu dem Bereich der Industrie oder des Bauwesens Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen dieser Bereiche der Volkswirtschaft als wissenschaftliche Institute und Forschungsinstitute iS der 2. DB anzusehen seien.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 15. März 2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin ist im Revisionsverfahren durch keinen beim BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten vertreten. Sie trägt vor, dass sie in der Zeit vom 1. März 1976 bis 31. Dezember 1981 in Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen der volkseigenen Wirtschaft beschäftigt gewesen sei. Sie habe am 1. März 1970 ihre Arbeit in der Arbeitsstelle für Molekularelektronik aufgenommen, die 1961 zur Erforschung der neuen zukunftsweisenden Halbleiterbauelemente (Schaltkreise) und der zu ihrer Herstellung notwendigen Technologie gegründet worden sei. 1976 sei diese Arbeitsstelle in Institut für Mikroelektronik umbenannt und 1980 im VEB ZFTM vereinigt worden.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes <SGG>).
II
Die (Sprung-)Revision der Beklagten ist unbegründet.
Das SG hat zutreffend entschieden, dass die Klägerin einen Anspruch auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zur AVItech für die Zeiten vom 1. März 1976 bis 31. Dezember 1981 sowie auf Feststellung der in diesem Zeitraum erzielten Arbeitsentgelte hat (§ 8 Abs 3 Satz 1 iVm Abs 1 und 2 AAÜG). Es hat deshalb auf die zulässige Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG) der Klägerin hin zu Recht die diesen Ansprüchen entgegenstehenden, ablehnenden Verwaltungsentscheidungen aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, diese Zeiten und Arbeitsentgelte festzustellen.
1. Das AAÜG ist in erweiternder verfassungskonformer Auslegung des § 1 Abs 1 Satz 2 AAÜG (dazu: BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 2 S 12 f; BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 3 S 20; BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 4 S 26 f; BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 5 S 32; BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 6 S 39; BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 7 S 58 f; BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 8 S 73) auf die Klägerin anwendbar, weil die Beteiligten durch den prozessrechtlichen (§ 101 Abs 2 SGG) und verwaltungsrechtlichen Vertrag (§§ 53 Abs 1, 56, 58 SGB X) des angenommenen Anerkenntnisses, der durch zwei aufeinander bezogene, inhaltlich übereinstimmende prozess- und materiell-rechtliche Erklärungen vor dem SG abgeschlossen wurde, geregelt haben, dass am 30. Juni 1990 alle Voraussetzungen für die Einbeziehung nach § 1 Abs 1 AAÜG vorgelegen haben. Das BSG ist an diese formwirksam geschlossene vertragliche Regelung, die Doppelnatur hat, gebunden. Prozessrechtlich ist dadurch der Streit um den Anspruch auf die Feststellung einer fiktiven Versorgungsberechtigung und der daraus folgenden Einbeziehung in den persönlichen Anwendungsbereich des AAÜG, der ein eigenständiger und für das Begehren auf Feststellung von Daten nach den §§ 5 bis 8 AAÜG vorgreiflicher Anspruch ist, in der Hauptsache erledigt (§ 101 Abs 2 SGG). Materiell-rechtlich steht fest, dass eine fiktive Versorgungsberechtigung der Klägerin besteht, sodass die §§ 5 bis 8 AAÜG auf sie anwendbar sind (vgl BSG, Urteil vom 24. Juli 2003 - B 4 RA 40/02 R, SozR 4-8570 § 5 Nr 1 RdNr 28; BSG, Urteil vom 6. Mai 2004 - B 4 RA 52/03 R, veröffentlicht in JURIS RdNr 16).
Demzufolge stellt sich allein die Frage, ob die Klägerin im Zeitraum vom 1. März 1976 bis 31. Dezember 1981 die Voraussetzungen für die positive Feststellung von Zugehörigkeitszeiten zum Versorgungssystem der AVItech und der in diesen Zeiten erzielten Arbeitsentgelten erfüllt hat. Die Entscheidung des SG, dass die umstrittenen Beschäftigungszeiten Zugehörigkeitszeiten iS des § 5 Abs 1 AAÜG und damit Tatbestände von gleichgestellten Pflichtbeitragszeiten iS des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch sind, ist nach den im Verfahren der Sprungrevision nicht angreifbaren (§ 161 Abs 4 SGG) und damit für den Senat bindenden (§ 163 SGG) tatsächlichen Feststellungen des SG zutreffend.
a) Maßstabsnorm ist § 5 Abs 1 Satz 1 AAÜG. Diese Norm ordnet die Gleichstellung von Zeiten mit Pflichtbeitragszeiten der Rentenversicherung ("gelten als") an, in denen der (zum 1. August 1991) "Versorgungsberechtigte" eine entgeltliche Beschäftigung zu irgendeinem Zeitpunkt (notwendig vor dem 1. Juli 1990) ausgeübt hat, wegen der ihrer Art nach eine zusätzliche Altersversorgung in einem System vorgesehen war, das in der Anlage 1 und 2 zum AAÜG aufgelistet ist (vgl dazu: BSG SozR 3-8570 § 5 Nr 5 S 27; BSG SozR 3-8570 § 5 Nr 6 S 37 f; BSG SozR 3-8570 § 8 Nr 7 S 37; BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 3 S 21 f; BSG SozR 4-8570 § 5 Nr 1 RdNr 29; BSG, Urteil vom 18. Juni 2003 - B 4 RA 1/03 R, veröffentlicht in JURIS RdNr 13; BSG, Urteil vom 6. Mai 2004 - B 4 RA 49/03 R, veröffentlicht in JURIS RdNr 20; BSG, Urteil vom 27. Juli 2004 - B 4 RA 11/04 R, veröffentlicht in JURIS RdNr 15). Ob die Tatbestandsvoraussetzungen für diese Gleichstellung mit rentenrechtlichen Pflichtbeitragszeiten erfüllt sind, hängt somit davon ab, ob (1) der Betroffene eine "Beschäftigung" ausgeübt hat, die (2) "entgeltlich" war und die (3) ihrer Art nach von einem Versorgungssystem erfasst war.
Die letztgenannte Voraussetzung beurteilt sich nach den versorgungsrechtlichen Bestimmungen, die - und soweit sie - partielles Bundesrecht geworden waren. Der Rechtsgehalt des § 5 AAÜG ist (anders als derjenige des § 1 Abs 1 AAÜG) ausschließlich nach objektiven Auslegungskriterien des Bundesrechts unter Beachtung des Gleichheitssatzes zu ermitteln, wobei die jeweiligen Versorgungsordnungen iVm den Durchführungsbestimmungen sowie sonstigen, diese ergänzenden bzw ausfüllenden abstrakt-generellen Regelungen lediglich faktische Anknüpfungspunkte dafür sind, ob in der DDR eine Beschäftigung ihrer Art nach von einem Versorgungssystem erfasst war. Auf die Auslegung der Versorgungsordnung durch die Staatsorgane der DDR und deren Verwaltungspraxis kommt es nicht an (vgl BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 3 S 22).
Nach den §§ 1, 5 VO-AVItech vom 17. August 1950 (GBl 844) iVm § 1 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 2. DB vom 24. Mai 1951 (GBl 487) waren von der AVItech Beschäftigungen ihrer Art nach unter folgenden drei Voraussetzungen erfasst: Der Beschäftigte
1. musste die Berechtigung gehabt haben, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen (persönliche Voraussetzung) und
2. eine entsprechende Tätigkeit ausgeübt haben (sachliche Voraussetzung), und zwar
3. in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens (§ 1 Abs 1 2. DB) oder in einem durch § 1 Abs 2 2. DB gleichgestellten Betrieb (betriebliche Voraussetzung).
(Vgl hierzu stellvertretend: BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 6 S 40; BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 8 S 74 und zuletzt BSG, Urteil vom 27. Juli 2004 - B 4 RA 11/04 R, veröffentlicht in JURIS RdNr 16 f).
b) Ausgehend von seinen tatsächlichen Feststellungen, die für den Senat bindend sind (§§ 161 Abs 4, 163 SGG), ist das SG zutreffend zum Ergebnis gelangt, dass die Klägerin mit den Beschäftigungen, die sie im Zeitraum vom 1. März 1976 bis 31. Dezember 1981 ausgeübt hat, sämtliche drei Voraussetzungen erfüllte. Das SG hat festgestellt, dass die Klägerin am 27. Mai 1968 den Titel eines "Diplom-Ingenieurs" erworben hat und damit berechtigt war, eine in § 1 Abs 1 2. DB benannte Berufsbezeichnung zu führen. Das SG hat weiter festgestellt, dass die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. März 1976 bis 31. Dezember 1981 als "Problemanalytikerin" und "Mitarbeiterin Entwurfsmethodik" tätig war und damit gemäß den Funktionsplänen eine ihrer Qualifikation entsprechende Tätigkeit ausgeübt hat. Entgegen der Auffassung der Beklagten war die Klägerin in diesem Zeitraum auch in Betrieben beschäftigt, die durch § 1 Abs 2 2. DB den volkseigenen Produktionsbetrieben (der Industrie oder des Bauwesens) gleichgestellt waren. Die "Arbeitsstelle für Molekularelektronik D ", das "Institut für Mikroelektronik D ", das "VE Institut für Mikroelektronik D " und der "VEB Zentrum für Forschung und Technologie Mikroelektronik (ZFTM) D " waren Forschungsinstitute iS des § 1 Abs 2 2. DB.
aa) Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch ist ein Forschungsinstitut eine Forschung betreibende Einrichtung, wobei unter Forschung die planmäßige und zielgerichtete Suche nach neuen Erkenntnissen in einem bestimmten Wissensgebiet (wissenschaftliche Forschung) verstanden wird (vgl Brockhaus, Die Enzyklopädie, 20. Aufl <1997>, Stichwort "Forschung"). Bei der Auslegung des Begriffs "Forschungsinstitut" iS des § 1 Abs 2 2. DB sind jedoch ebenso wie bei der Auslegung des Begriffs "Forschungsinstitut" iS des § 6 der VO-AVIwiss als faktische Anknüpfungspunkte die jeweiligen Besonderheiten in der DDR zu beachten. In der DDR wurde zwischen (staatlicher) Forschung an der Akademie der Wissenschaften und an den dem Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen unterstellten Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen einerseits (vgl Verordnung über die Aufgaben der Universitäten, wissenschaftlichen Hochschulen und wissenschaftlichen Einrichtungen mit Hochschulcharakter vom 25. Februar 1970, GBl II 189; Verordnung über die Leitung, Planung und Finanzierung der Forschung an der Akademie der Wissenschaften und an Universitäten und Hochschulen - Forschungs-VO - vom 23. August 1972, GBl II 589) und der Forschung an den Wirtschaftseinheiten andererseits unterschieden (vgl dazu: Ulrich in Andersen/Woyke, Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland, 5. Aufl <2003>, Stichwort: "Wissenschaft, Forschung und Technologie", S 710 f; Heuer, Wirtschaftsrecht <1985>, S 402 ff). Die Akademie der Wissenschaften und die Hochschulen hatten die Aufgabe, "nach neuen Erkenntnissen über bisher unbekannte objektive gesetzmäßige Zusammenhänge sowie nach neuen Prozessen und Eigenschaften und ihren Nutzungsmöglichkeiten planmäßig zu forschen, neue wissenschaftliche Methoden und Erfahrungen zu entwickeln und wissenschaftliche Grundlagen für die Beherrschung technologischer Prozesse und Verfahren zu schaffen sowie die wissenschaftlichen Grundlagen für die angewandte Forschung, die Entwicklung und die Überleitung ihrer Ergebnisse in die gesellschaftliche Praxis ständig zu erweitern" (§ 2 Abs 2 Forschungs-VO). Den Wirtschaftseinheiten oblag die zweck- und betriebsbezogene Forschung und Entwicklung. Die Kombinate als grundlegende Wirtschaftseinheiten der materiellen Produktion verfügten auch über wissenschaftlich-technische Kapazitäten (vgl § 1 Abs 1 der Verordnung über die volkseigenen Kombinate, Kombinatsbetriebe und volkseigenen Betriebe - Kombinats-VO - vom 8. November 1979, GBl I 355). Sie hatten die Verantwortung nicht nur für die bedarfsgerechte Produktion, sondern auch für die Entwicklung neuer Erzeugnisse mit wissenschaftlich-technischem Höchststand (vgl § 2 Kombinats-VO 1979; dazu auch: §§ 15, 24, 25 der Verordnung über die Aufgaben, Rechte und Pflichten der volkseigenen Betriebe, Kombinate und VVB vom 28. März 1973, GBl I 129; §§ 1 Abs 2, 8, 18, 19 der Verordnung über die Aufgaben, Rechte und Pflichten des volkseigenen Produktionsbetriebes vom 9. Februar 1967, GBl II 121). Die Kombinate konnten die Aufgaben der Forschung und Entwicklung entweder selbst wahrnehmen oder auf Kombinatsbetriebe bzw auf Betriebsteile von Kombinatsbetrieben übertragen (§§ 6 Abs 1, 7 Abs 1 und 2 Kombinats-VO 1979). Das SG hat deshalb zu Recht den Begriff "Forschungsinstitut" iS von § 1 Abs 2 2. DB anders verstanden als in § 6 VO-AVIwiss.
bb) Der Senat hat bereits entschieden, dass zu den Forschungsinstituten iS des § 6 VO-AVIwiss nur jeweils "selbständige staatliche" (wissenschaftliche) Einrichtungen zählen und nicht VEB, auch wenn sie über wissenschaftliche Forschungseinrichtungen bzw Abteilungen verfügen (vgl BSG, Urteil vom 10. April 2002 - B 4 RA 56/01 R, SozR 3-8570 § 1 Nr 4 S 28; BSG, Urteil vom 31. Juli 2002 - B 4 RA 62/01 R, veröffentlicht in JURIS RdNr 23 f).
cc) Demgegenüber sind Forschungsinstitute iS des § 1 Abs 2 2. DB, die durch diese Bestimmung volkseigenen Produktionsbetrieben im Bereich der Industrie oder des Bauwesens gleichgestellt sind, Forschung betreibende selbständige Einrichtungen der Wirtschaft, deren Hauptzweck die zweck- und betriebsbezogene (wissenschaftliche) Forschung und Entwicklung ist. Auch Forschungsinstitute iS des § 1 Abs 2 2. DB müssen rechtlich selbständige Wirtschaftseinheiten sein, nämlich Betriebe, bei denen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ein Beschäftigungsverhältnis, also im Regelfall ein Arbeitsverhältnis, besteht (vgl BSG, Urteil vom 18. Dezember 2003 - B 4 RA 20/03 R, SozR 4-8570 § 1 Nr 2 RdNr 31). Betrieblicher Hauptzweck (dazu: BSG SozR 3-8570 § 1 Nr 5 S 34 f; BSG, Urteil vom 18. Dezember 2003 - B 4 RA 18/03 R, SozR 4-8570 § 1 Nr 1 RdNr 18; BSG, Urteil vom 6. Mai 2004 - B 4 RA 52/03 R, veröffentlicht in JURIS RdNr 27 ff; BSG, Urteil vom 8. Juni 2004 - B 4 RA 57/03 R, zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen) dieser Einrichtungen der Wirtschaft muss die zweck- und betriebsbezogene (wissenschaftliche) Forschung (und Entwicklung) gewesen sein. Diese Auslegung ergibt sich auch aus der Präambel der VO-AVItech. In dieses Versorgungssystem sollten grundsätzlich nur solche Personen einbezogen werden, die für die Entwicklung der wissenschaftlichen Forschungsarbeit und der Technik zuständig waren, also diejenigen, die mit ihrer "technischen" Qualifikation aktiv den Produktionsprozess, sei es in der Forschung oder bei der Produktion, förderten (vgl BSG, Urteil vom 31. März 2004 - B 4 RA 31/03 R, veröffentlicht in JURIS RdNr 19). Zu den durch § 1 Abs 2 2. DB als Forschungsinstitute gleichgestellten Betrieben gehören demnach vor allem volkseigene (Kombinats-)Betriebe, die nicht Produktionsbetriebe waren, aber deren Aufgabe die Forschung und Entwicklung war. Dass die Betriebe, bei denen die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. März 1976 bis 31. Dezember 1981 beschäftigt war, als tatsächlichen betrieblichen Hauptzweck die zweck- und betriebsbezogene (wissenschaftliche) Forschung verfolgten, hat das SG festgestellt. Diese tatsächlichen Feststellungen sind für den Senat nach §§ 161 Abs 4, 163 SGG bindend.
dd) Soweit die Beklagte meint, betriebliche Forschungseinrichtungen zählten nur dann zu den Forschungsinstituten (und wissenschaftlichen Instituten), wenn es sich um solche der Post, der Eisenbahn und der Schifffahrt gehandelt habe, findet diese Auffassung im Wortlaut des § 1 Abs 2 2. DB keine Stütze. Denn in der durch Semikolon jeweils getrennten Aufzählung der gleichgestellten Betriebe sind neben den ohne Zusatz genannten "Forschungsinstituten" nur "Schulen, Institute und Betriebe der Eisenbahn, Schifffahrt sowie des Post- und Fernmeldewesens" aufgeführt.
2. Da die Klägerin somit im streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. März 1976 bis 31. Dezember 1981 bei Forschungsinstituten iS des § 1 Abs 2 2. DB beschäftigt war, waren diese Beschäftigungen ihrer Art nach von der AVItech erfasst. Das SG hat deshalb zu Recht die ablehnende Entscheidung der Beklagten aufgehoben und die Beklagte zur Feststellung dieser Zeiten als Tatbestände von Zugehörigkeitszeiten zur AVItech sowie zur Feststellung der in diesem Zeitraum erzielten Arbeitsentgelte verpflichtet. Die Revision der Beklagten ist mithin zurückzuweisen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Ende der Entscheidung
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