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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Beschluss verkündet am 28.10.2004
Aktenzeichen: B 4 RA 7/03 R
Rechtsgebiete: GG, SGB VI, Rentenreformgesetz, Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetz, Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit


Vorschriften:

GG Art 100 Abs 1
GG Art 14 Abs 1 Satz 2
GG Art 3 Abs 1
GG Art 6 Abs 1
SGB VI § 237 Abs 4 Nr 3
SGB VI § 237 Abs 3
SGB VI § 77 Abs 2 Satz 1 Nr 2 Buchst a
SGB VI Anlage 19
Rentenreformgesetz 1999 vom 16.12.1997 Art 1 Nr 76
Rentenreformgesetz 1999 vom 16.12.1997 Art 1 Nr 133
Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetz vom 21.07.2004 Art 1 Nr 44 Buchst a
Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetz vom 21.07.2004 Art 15 Abs 1
Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000 Art 1 Nr 22
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Beschluss

in dem Rechtsstreit

Verkündet am 28. Oktober 2004

Az: B 4 RA 7/03 R

Der 4. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 28. Oktober 2004 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meyer, die Richterin Tüttenberg und den Richter Dr. Knörr sowie die ehrenamtlichen Richter Teske und Oster

beschlossen:

Tenor:

I. Das Verfahren wird gemäß Art 100 Abs 1 Grundgesetz (GG) ausgesetzt.

II. Dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) werden folgende Fragen zur Entscheidung vorgelegt:

1. Ist § 237 Abs 4 Nr 3 SGB VI, eingefügt durch Art 1 Nr 76 des Rentenreformgesetzes 1999 vom 16. Dezember 1997 (BGBl I S 2998), in Kraft getreten zum 1. Januar 2000, mit Wirkung zum 1. August 2004 geändert durch Art 1 Nr 44 Buchst a iVm Art 15 Abs 1 des Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetzes vom 21. Juli 2004 (BGBl I S 1791) insoweit mit Art 14 Abs 1 Satz 2 GG iVm Art 3 Abs 1 GG und Art 3 Abs 1 GG iVm Art 6 Abs 1 GG vereinbar, als die Norm nur diejenigen vor dem 1. Januar 1942 geborenen Versicherten begünstigt, die 45 Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit (ohne versicherungspflichtige Bezugszeiten von Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe) haben, ohne auch diejenigen vor dem 1. Januar 1942 geborenen Versicherten in die Begünstigung mit einzubeziehen, die eine gleiche Vorleistung zur gesetzlichen Rentenversicherung erbracht haben?

2. Ist § 237 Abs 3 iVm Anlage 19 SGB VI idF des Art 1 Nr 76 und 133 des Rentenreformgesetzes 1999 vom 16. Dezember 1997 (BGBl I S 2998) iVm § 77 Abs 2 Satz 1 Nr 2 Buchst a SGB VI idF des Art 1 Nr 22 des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20. Dezember 2000 (BGBl I S 1827) mit Art 14 Abs 1 Satz 2 GG iVm Art 3 Abs 1 GG insoweit vereinbar, als diese gesetzliche Inhalts- und Schrankenbestimmung den Wert des Stammrechts auf Altersrente auch dann noch vermindert, wenn die individuellen Vorteile aus einer unterschiedlichen Rentenbezugsdauer durch einen Abschlag vom Zugangsfaktor ausgeglichen sind?

Gründe:

 1. Teil:Sachverhalt und Prozessgeschichte7
2. Teil:Entwicklung der Gesetzestexte mit "Gesetzesmaterialien" und Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts11
I.Rechtslage unter Geltung des AVG bzw der RVO11
1. Zur Rechtslage vor 195711
2. Zur Rentenreform 195711
3. Zur Rentenreform 197212
4. Arbeitsförderungskonsolidierungsgesetz 198112
II.Rechtslage nach Inkrafttreten des SGB VI idF des RRG 199213
A. Gesetzestexte13
B. "Gesetzesmaterialien"16
III.Die Rechtslage nach dem SGB VI idF des RuStFöG18
A. Gesetzestexte18
B. "Gesetzesmaterialien"21
IV.Die Rechtslage nach dem SGB VI idF des WFG22
A. Gesetzestexte22
B. "Gesetzesmaterialien"24
V.Die Rechtslage nach dem SGB VI idF des RRG 199925
A. Gesetzestexte25
B. "Gesetzesmaterialien"25
VI.Die Rechtslage nach dem SGB VI idF des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit26
A. Gesetzestexte26
B. "Gesetzesmaterialien"26
VII.Die Rechtslage nach dem SGB VI idF des Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetzes 200427
VIII. Rechtsprechung des BVerfG zur Ausgestaltung des Zugangsfaktors27
3. Teil: Abweisungsreife der Revision bei Verfassungsgemäßheit des Gesetzes28
1. Abschnitt:Die Sprungrevision und die Klagen sind zulässig28
I. Die Sprungrevision ist zulässig28
II.Die Klagen sind zulässig29
2. Abschnitt:Die Entscheidungen der Beklagten sind gesetzmäßig29
3. Abschnitt:Keine Verletzung rentenversicherungsrechtlicher subjektiver Rechte durch Gesetzesänderungen (RuStFöG; WFG; RRG 1999)30
I.Keine Verletzung eines vor der Entstehung des Vollrechts zum 1. Oktober 2001 gegebenen subjektiven Rechts des Klägers schon mangels Rechtsbeeinträchtigung30
II.Keine Beeinträchtigung von direkten Gewährleistungsgehalten des Art 14 Abs 1 GG31
III.Keine Beeinträchtigung eines Gestaltungsrechts wegen Arbeitslosigkeit oder eines Anwartschaftsrechts hierauf32
IV.Keine Beeinträchtigung einer Rentenanwartschaft oder eines Anwartschaftsrechts33
1. Zum Bestand einer Rentenanwartschaft33
2. Zum Schutzbereich (Gewährleistungsgehalt) der Rentenanwartschaft33
3. Die Rentenanwartschaft schützt keine Aussicht auf Sonderrechte34
4. Keine Beeinträchtigung eines subjektiv-rechtlich geschützten Vermögenswertes35
5. Keine Beeinträchtigung der allgemeinen Handlungsfreiheit36
6. Kein Recht auf Unterlassen von Gesetzesänderungen 37
4. Abschnitt:Keine gleichheitswidrige gesetzliche Ausgestaltung des Geldwertes des Vollrechts (Stammrechts), abgesehen von den Vorlagefragen37
I.Kein gesetzlicher Eingriff in den Gewährleistungsgehalt des Vollrechts 38
II.Keine Verletzung des Grundrechts auf Gleichheit vor dem Gesetz durch gleichheitswidrige Zuordnung von Vollrechten38
1. Zur Möglichkeit einer Gleichheitsverletzung 38
2. Keine Verfassungswidrigkeit der Abschaffung des Gestaltungsrechts wegen Arbeitslosigkeit38
3.Gebotenheit der Verfassungsgemäßheit der aus Billigkeit getroffenen Übergangsregelung39
4. Zur Systemwidrigkeit einer abschlagsfreien Altersrente vor Vollendung des 65. Lebensjahres40
5. Zur vermögensrechtlichen Besserstellung der "nicht vorzeitigen" frühzeitigen Rentner40
6. Zu den Differenzierungen unter den "vorzeitigen" Rentnern 40
4. Teil: Zur Vorlagepflicht nach Art 100 Abs 1 GG43
1. Abschnitt:Zur Vorlagefrage 143
I. Zur Ausgestaltung der "45-Jahre-Klausel", "Gesetzesmaterialien" und empirische Grundlagen43
1. Rechtliche Vorgaben43
2. Schweigen der Gesetzesmaterialien44
3. Zu den empirischen und versicherungsmathematischen Grundlagen 44
II.Zur rechtlichen Bedeutung der "45-Jahre-Klausel"46
1. Keine Wartezeit, sondern Begünstigungsgrenze46
2. "Vorzeitigkeitsgrenze" bestimmt die Unbeachtlichkeit erbrachter Vorleistungen (Beitragszahlungen)46
III.Zur Gleichheitswidrigkeit der "45-Jahre-Klausel"47
1. Ungerechtfertigte Benachteiligung von Versicherten mit höherer Vorleistung47
2. Ungerechtfertigte Benachteiligung der 60-jährigen "vorzeitigen" Altersrentner48
3. Zur objektiven Benachteiligung von Rentnern, die Kinder erzogen haben 49
IV.Zur Unmöglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung51
V.Zur Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage 151
2. Abschnitt:Zur Vorlagefrage 252
I. Zum Prinzip der Anrechnung des vollen Wertes der Vorleistung52
1. Der Vorleistungswert bestimmt die individuelle Rentenhöhe52
2. Der Vermögensvorteil des "vorzeitigen Rentners" und die Abschmelzung54
II.Zum Entzug von Renteneigentum nach Ausgleich des individuell erlangten Vermögensvorteils55
1. Zur lebenslangen Rentenabschmelzung 55
2. Unmittelbare und gegenwärtige Betroffenheit des "vorzeitigen" Rentners durch Anordnung der "lebenslangen" Rentenkürzung55
III. Zur Gleichheitswidrigkeit der Rentenkürzung nach dem Ende des Vorteilsausgleichs56
1. Zur Ungleichbehandlung mit RAR-Rentnern und nicht "vorzeitigen" Rentnern nach Rückzahlung des Vermögensvorteils56
2. Keine Rechtfertigung des weiteren individuellen Rentenentzugs aus einer Kollektivhaftung der "vorzeitigen" Rentner56
3. Zur Ungleichbehandlung mit "vorzeitigen" Rentnern, die vor Ablauf von 27 Jahren und zehn Monaten nach Rentenbeginn sterben57
4. Zum Gestaltungsspielraum der Gesetzgebung und deren Grenzen60
IV.Keine verfassungskonforme Auslegung möglich 61
V.Zur Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage 262

1. Teil: Sachverhalt und Prozessgeschichte

Die Beteiligten streiten über den Wert des Rechts des Klägers auf Altersrente (wegen Arbeitslosigkeit) insoweit, als die Beklagte ihn in ihrer Rentenhöchstwertfestsetzung dauerhaft ohne Berücksichtigung der vollen Vorleistung des Klägers in Höhe von 68,7973 Entgeltpunkten (EP) aus 544 Monaten Beitragszeiten feststellte, sondern stattdessen den Vorleistungswert wegen einer vorzeitigen Inanspruchnahme der Rente um 57 Kalendermonate auf 57,0330 EP als sog persönliche EP (= Summe der EP x Zugangsfaktor <hier 0,829>) um 17,1 vH kürzte.

Der am 4. September 1941 geborene Kläger war zuletzt bei der Firma D versicherungspflichtig beschäftigt. Mit ihr schloss er am 26. Mai 1997 einen Aufhebungsvertrag, der die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses zum 31. Dezember 1997 zur Folge hatte. Danach hatte er für die Zeit vom 1. Februar 1998 bis 31. Dezember 1998 einen befristeten Arbeitsvertrag. Seit 1. Januar 1999 war der Kläger arbeitslos gemeldet und bezog bis 28. August 2001 Arbeitslosengeld (Alg).

Antragsgemäß stellte die Beklagte mit Bescheid vom 11. Oktober 2001 fest, dass dem Kläger ab 1. Oktober 2001 ein Recht auf Altersrente (wegen Arbeitslosigkeit) zustehe. Dabei minderte sie bei der Feststellung des Werts des Rechts auf Rente den Zugangsfaktor von 1,0 wegen vorzeitiger Inanspruchnahme der Rente gemäß § 237 Abs 3 Satz 3 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) iVm der Anlage 19 zum SGB VI um 0,171 (0,003 pro 57 Kalendermonate) auf 0,829 und berücksichtigte dadurch nur 82,9 vH der vom Kläger in 544 Beitragsmonaten erzielten 68,7973 EP (66,8036 EP zuzüglich 1,9937 aus den Beitragsmonaten, in denen zugleich beitragsfreie Zeiten erworben waren) nur 57,0330 "persönliche EP". Demgemäß stellte sie den Geldwert des Stammrechts des Klägers auf dynamisierbare Altersrente auf 2.791,96 DM statt auf 3.367,86 DM fest. Damit wurde zugleich die Kürzung des Vorleistungswertes auf Lebenszeit und mit Wirkung auch für evtl Hinterbliebenenrenten dauerhaft auch für Rentenbezugszeiten festgeschrieben, die nach Abschöpfung des Vermögenswertes aus den zusätzlichen "vorzeitigen" 60 Bezugsmonaten anfallen werden. Die Rentenhöchstwertfestsetzung wurde unanfechtbar.

Im April 2002 beantragte der Kläger die Rücknahme dieser Höchstwertfestsetzung. Mit Bescheid vom 24. Juni 2002 und bestätigendem Widerspruchsbescheid vom 24. Oktober 2002 lehnte die Beklagte die begehrte Rücknahme und Neufeststellung ab, weil das Gesetz richtig angewandt worden sei und der Kläger nicht unter die Vertrauensschutzregelungen des § 237 Abs 4 SGB VI falle.

Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die Klagen, die in der Sache auf eine Rücknahme dieser Kürzung und auf Anwendung des Zugangsfaktors 1,0 gerichtet waren, durch Urteil vom 27. Februar 2003 abgewiesen. Es hat ausgeführt, die angefochtene Höchstwertfestsetzung sei gesetzmäßig und das Gesetz sei verfassungsgemäß.

Der Kläger hat die vom SG zugelassene (Sprung-)Revision mit Zustimmung der Beklagten eingelegt. Er ist der Auffassung, dass das Gesetz zwar richtig angewandt worden sei; entgegen der Ansicht des SG verstoße § 237 SGB VI gegen Art 2, 3, 14 GG iVm dem verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzgebot; es sei § 41 Abs 1 SGB VI idF des Rentenreformgesetzes vom 18. Dezember 1989 (RRG 1992) mit der Folge anzuwenden, dass der Zugangsfaktor von 1,0 statt um 0,171 nur um 0,009 (3 Monate x 0,003) abgesenkt, seine Vorleistung also nicht um 17,1 vH, sondern nur um 0,9 vH gekürzt werden dürfe.

Es liege ein unzumutbarer Eingriff in seine Rechtsposition durch das Gesetz vor. § 237 Abs 2 SGB VI (jetzt Abs 4) enthalte keine ausreichende Vertrauensschutzregelung. Denn sie setze zusätzlich voraus, dass der Versicherte zum Zeitpunkt des Stichtags (14. Februar 1996) durch Kündigung oder Vereinbarung vor dem Stichtag arbeitslos geworden sei. In jedem Fall verstoße die vorzeitige Anhebung gegen das Verhältnismäßigkeitsgebot. Der Eingriff in die Rechtsposition des RRG 1992 sei auch übermäßig belastend. Der betroffene Personenkreis sei in besonderer Weise schutzwürdig, weil er im Hinblick auf die Nähe zum Rentenalter nicht mehr in der Lage gewesen sei, sinnvoll und wirtschaftlich zumutbar auf Eingriffe zu reagieren. Der rentennahe Versicherte benötige gerade in dieser Zeit eine zuverlässige Kalkulationsgrundlage. Unzumutbar sei die Regelung auch im Hinblick auf den Kürzungsumfang von maximal 18 vH, zumal der Rentenabschlag für die gesamte Zeit des Rentenbezugs, also nicht nur bis zum Erreichen der neuen Altersgrenze von 65 Jahren, gelte und auch die Hinterbliebenenrente erfasse.

Zudem verstoße die Regelung auch gegen Art 3 GG. Es entbehre einer sachlichen Begründung, weshalb diejenige Gruppe, die bis zum 31. Dezember 1936 geboren sei oder die die Voraussetzungen der Stichtagsregelung in § 237 Abs 4 SGB VI erfülle, keine oder geringere Abschläge hinzunehmen habe als diejenige Gruppe, der er angehöre. Beide seien den rentennahen Jahrgängen zuzuordnen und in gleicher Weise schutzwürdig. Beide hätten im Zeitpunkt des Inkrafttretens des RRG 1992 das 50. Lebensjahr vollendet und die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen zum Bezug der Rente erfüllt gehabt. Die Stichtagsregelung des § 237 Abs 4 SGB VI ändere hieran nichts. Die Festsetzung dieses Stichtags sei willkürlich. Sowohl der Jüngere als auch der Ältere habe seine Vereinbarung vor diesem Stichtag geschlossen oder die Kündigung erhalten. Die Versicherten hätten vor dem 14. Februar 1996 zum Zeitpunkt der Kündigung bzw des Aufhebungsvertrages darauf vertrauen können, dass der Gesetzgeber die als Vertrauensschutzregelung anzusehende schrittweise Anhebung der Altersgrenzen im RRG 1992 nicht mehr ändern werde. Es sei unerheblich, dass er, der Kläger, die rechtliche Möglichkeit gehabt habe, die Minderung des Rentenanspruchs durch zusätzliche Beitragszahlungen auszugleichen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. Februar 2003 und den Bescheid der Beklagten vom 24. Juni 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Oktober 2002 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 11. Oktober 2001 zu verurteilen, den Wert des Rechts auf Altersrente wegen Arbeitslosigkeit ab 1. Oktober 2001 unter Berücksichtigung eines Zugangsfaktors auf der Grundlage des RRG 1992 festzusetzen und ihm entsprechende Beträge zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, sie habe das Gesetz zutreffend angewandt. Die Regelungen seien nicht verfassungswidrig. Zwar würden die festgesetzten Altersgrenzen, die den Barwert der Leistungen mitbestimmten, vom Eigentumsschutz der Renten miterfasst. Jedoch sei die vorgezogene Anhebung der Altersgrenze ein legitimes, im öffentlichen Interesse liegendes Ziel, um die künftige Finanzierbarkeit der Renten- und Arbeitslosenversicherung iVm stabilen Beitragssätzen zu sichern. Die Anhebung sei auch ein geeignetes Mittel, um die durch die Ausweitung der Frühverrentungspraxis gestiegenen Kosten der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) einzudämmen. 1989/1990 habe der Anteil dieser Frühverrentung bei 7,8 vH und 1995 bei 22,7 vH gelegen. Die Bundesregierung habe die durch die Regelung bewirkten Einsparungen auf 17 Milliarden DM geschätzt. Die Regelungen seien auch erforderlich gewesen. Ob das vom Gesetzgeber ins Auge gefasste Sparziel auch durch Einsparungen in anderen Bereichen hätte erreicht werden können, sei im Rahmen der verfassungsrechtlichen Bewertung unerheblich. Der Eingriff sei ferner unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes auch zumutbar, weil anderenfalls den Jahrgängen, die nicht mehr in den Genuss einer abschlagsfreien Frührente gelangen könnten, die Kosten der Frühverrentung aufgebürdet würden. Die Rente wegen Arbeitslosigkeit sei im Übrigen nie dafür gedacht gewesen, Arbeitslosigkeit bewusst zu planen, um dann die Frührente in Anspruch nehmen zu können. Sie habe lediglich dazu gedient, den außerplanmäßigen Eintritt eines Risikos abzusichern. Außerdem habe eine abschlagsfrei gezahlte vorgezogene Altersrente wegen der längeren Laufzeit auch einen höheren Barwert als eine Regelaltersrente (RAR) auf Grund derselben Anzahl von EP. Die Anhebung der Altersgrenze bei gleichzeitiger Möglichkeit der vorzeitigen Inanspruchnahme der Altersrente und der Hinnahme von Abschlägen beseitige diese Wertdifferenz. Ein Verstoß gegen Art 3 GG liege ebenfalls nicht vor. Die Jahrgänge ab 1937 würden gleich behandelt. Die Jahrgänge davor seien deshalb ausgenommen, weil diese Versicherten zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Anhebungsregelungen das 60. Lebensjahr bereits vollendet gehabt hätten. Der Gesetzgeber habe den Vertrauensschutz legitimerweise gestaffelt und die besonders intensiv Betroffenen, die bereits 60-Jährigen, von der Rechtsänderung ausgenommen.

Das Bundessozialgericht (BSG) hat zur Überprüfung der Gesetzes- und Verfassungsgemäßheit der Ausgestaltung der Kürzung des Vorleistungswertes um 3 vT je Rentenbezugsmonat, der vor der jeweils maßgeblichen "Vorzeitigkeitsgrenze" liegt (beim Kläger wegen Übergangsrecht 57 Monate <statt 60 Monate vor der RAR> x 0,003 = 17,1 vH), Proberechnungen auf der Grundlage der Vorgaben des SGB VI durchgeführt (Bl 116 bis 120 BSG-Akte), deren rechnerische Richtigkeit die Beklagte bestätigt hat (Bl 123 bis 126 BSG-Akte). Zur Klärung der Frage, ob die gesetzliche Kürzung des Vorleistungswerts beim Rentner nur den Wert des zusätzlichen Rentenbezuges in den Monaten vor der Regelaltersgrenze (Vollendung des 65. Lebensjahres) oder vor der Vorzeitigkeitsgrenze abschmilzt oder darüber hinausgehende Rentenminderungen verursacht, hat das BSG in der mündlichen Verhandlung am 28. Oktober 2004 den als Beistand des Bevollmächtigten der Beklagten erschienenen Diplom-Mathematiker/Aktuar U S , Mitarbeiter im Referat für Entwicklungsfragen der Sozialen Sicherheit der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA), befragt. Herr S hat im Wesentlichen ausgeführt:

In der GRV sei das Risiko der Langlebigkeit versichert, so dass ein Risikoausgleich zwischen Renten mit langer, mittlerer und kurzer Bezugszeit erforderlich sei. Die Berechnungen zur voraussichtlichen Rentenbezugsdauer seien nur anhand von Sterbetafeln möglich, in denen die Lebenserwartung in Kohorten (von jeweils 100.000 Personen) bis zum 100. Lebensjahr dokumentiert sei; eine individuelle Bestimmung der Bezugsdauer sei nicht möglich. Insgesamt habe sich ergeben, dass ein Abschlag von 0,003 je Monat des vorzeitigen Rentenbeginns "fair" sei.

Die Berechnungen der BfA zur Höhe des Abschlags beim Zugangsfaktor seien unter der Prämisse erfolgt, dass die Belastung der Beitragszahler, unabhängig von der Anzahl der vorzeitigen Rentenzugänge, auf längere Sicht (30 bis 40 Jahre) betrachtet, gleich bleibe. Dies bedeute, dass es zwar kurzfristig zu einer überdurchschnittlichen Mehrbelastung der Beitragszahler kommen könne, die aber durch die spätere Phase einer unterdurchschnittlichen Belastung, auf den Zeitraum von 30 bis 40 Jahren bezogen, ausgeglichen würde. Den Berechnungen der BfA lägen eigene Sterbetafeln für die gesetzlich Versicherten zu Grunde, die jedoch von den Sterbetafeln des Statistischen Bundesamtes zur allgemeinen Lebenserwartung nicht wesentlich abweichen würden. Die Anmerkung des Vorsitzenden, dass nach Erkenntnissen des Gerichts die Lebenserwartung der versicherten Männer um durchschnittlich 0,2 Jahre niedriger, die der versicherten Frauen um durchschnittlich 0,2 Jahre höher als die jeweilige allgemeine Lebenserwartung liege, könne er bestätigen. Die BfA habe ihren Berechnungen sog fortgeschriebene Sterbetafeln zu Grunde gelegt.

Zum Zeitpunkt der sich aus den Sterbetafeln ergebenden durchschnittlichen Lebenserwartung würden nur ca 3,8 vH des jeweiligen Geburtsjahrgangs sterben, weil die durchschnittliche Lebenserwartung nur der Mittelwert aus allen Sterbefällen darstelle, also auch Fälle mit extrem kurzer wie auch mit extrem langer Lebensdauer Einfluss hätten. Insoweit sei der sog Medianwert, also der Zeitpunkt, zu dem 50 vH der Versicherten eines Geburtsjahrgangs verstorben seien, ein etwas realistischerer Wert zur Bestimmung der voraussichtlichen individuellen Lebenserwartung. Dieser Wert ließe sich anhand der Sterbetafel 2000/2002 für 60-jährige Männer mit 80,2 Jahren, für 60-jährige Frauen mit 84,9 Jahren ermitteln.

Es müsse jedenfalls zwischen kollektiver und individueller Betrachtungsweise bei der Ermittlung der Vor- und Nachteile unterschiedlicher Rentenbezugszeiten unterschieden werden. Bei der von der BfA vorgenommenen kollektiven Betrachtungsweise werde auch dem Umstand Rechnung getragen, dass ein Teil der Versicherten bzw der vorzeitigen Rentenbezieher vor Vollendung des 65. Lebensjahres versterbe.

Soweit sich aus der Diskussion zur Einführung eines Zugangsfaktors im RRG 1992 ergeben habe, dass der Abschlag vom Zugangsfaktor mit 0,003 je Monat in Bezug auf die individuelle Lebenserwartung zu gering festgelegt sei, müsse berücksichtigt werden, dass in 75 vH aller Ehen im Anschluss an die Versichertenrente eine Witwenrente gezahlt würde, so dass sich die Rentenbezugszeiten aus einem Versicherungsverhältnis um die Dauer des (ebenfalls mit der Minderung des Zugangsfaktors verbundenen) Witwenrentenbezugs verlängerten. Auf die Zusammenfassung dieser Stellungnahme im Sitzungsprotokoll vom 28. Oktober 2004 wird Bezug genommen.

2. Teil: Entwicklung der Gesetzestexte mit "Gesetzesmaterialien" und Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

Das Gestaltungsrecht, wegen Arbeitslosigkeit auf Grund eigener Erklärung (sog Antrag) den Versicherungsfall des Alters herbeiführen und deshalb Altersrente schon vor Vollendung des 65. Lebensjahres in Anspruch nehmen zu können, existiert in der GRV seit der Rentenreform 1957. Die Voraussetzungen und die Rechtsfolgen haben sich im Laufe der Zeit jedoch verändert:

I. Rechtslage unter Geltung des AVG bzw der RVO

1. Zur Rechtslage vor 1957

Ursprünglich waren im Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) bzw der Reichsversicherungsordnung (RVO) nur die Versicherungsfälle des Alters, der Invalidität (RVO) bzw der Berufsunfähigkeit (AVG) versichert. Mit dem Gesetz vom 7. März 1929 wurde in § 397 AVG für die Angestellten ein Ruhegeld wegen Berufsunfähigkeit für ältere beschäftigungslose Angestellte eingeführt, die weder Arbeit hatten noch Arbeitslosenunterstützung erhielten. Die Arbeitslosigkeit älterer Angestellter wurde der Berufsunfähigkeit gleichgestellt, weil die Arbeitslosigkeit unter den Angestellten stark angestiegen war. Die § 397 Abs 1 und 2 AVG lauteten:

1) Als berufsunfähig im Sinne des § 26 Nr. 1 gilt auch, wer das sechzigste Lebensjahr vollendet hat und seit mindestens einem Jahr ununterbrochen arbeitslos ist.

2) Das Ruhegeld wird für die weitere Dauer der Arbeitslosigkeit gewährt.

Diese ursprünglich bis Ende 1933 befristete Regelung wurde bis Ende 1936 verlängert und schließlich entfristet.

2. Zur Rentenreform 1957

Durch die Rentenreform 1957 wurde die Gleichstellung von Arbeitslosigkeit und Berufsunfähigkeit aufgegeben. Nach der sog Gesetzesbegründung (BT-Drucks 2/2314, S 64) sollte der Begriff Berufsunfähigkeit nicht verändert, sondern die Altersgrenze bedingt herabgesetzt werden. Zugleich wurde die Vorschrift auf alle Versicherten (Arbeiter und Angestellte) ausgedehnt und die Neufassung als § 25 Abs 2 AVG bzw § 1248 Abs 2 RVO eingefügt. § 25 Abs 2 AVG und der insoweit gleich lautende § 1248 Abs 2 RVO (idF von 1957) bestimmten:

Altersruhegeld erhält auf Antrag auch der Versicherte, der das 60. Lebensjahr vollendet, die Wartezeit erfüllt hat und seit mindestens einem Jahr ununterbrochen arbeitslos ist, für die weitere Dauer der Arbeitslosigkeit. Das Altersruhegeld fällt mit dem Ablauf des Monats weg, in dem der Berechtigte in eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit eintritt. Endet diese Beschäftigung oder Tätigkeit wieder, so wird das Altersruhegeld auf Antrag bereits mit dem Ersten des auf das Ende der Beschäftigung folgenden Kalendermonats wiedergewährt. Eine Beschäftigung oder Tätigkeit, die über eine gelegentliche Aushilfe nicht hinausgeht, bleibt außer Betracht.

3. Zur Rentenreform 1972

Die § 25 Abs 2 AVG bzw § 1248 Abs 2 RVO wurden durch das RRG 1972 mit Wirkung ab 1. Januar 1973 wie folgt geändert:

Altersruhegeld erhält auf Antrag auch der Versicherte, der das 60. Lebensjahr vollendet, die Wartezeit nach Absatz 7 Satz 2 erfüllt hat und nach einer Arbeitslosigkeit von mindestens zweiundfünfzig Wochen innerhalb der letzten eineinhalb Jahre arbeitslos ist.

4. Arbeitsförderungskonsolidierungsgesetz 1981

Durch das Arbeitsförderungskonsolidierungsgesetz vom 22. Dezember 1981 wurden mit Wirkung zum 1. Januar 1982 die Sätze 2 und 3 angefügt:

Dies gilt nur, wenn der Versicherte in den letzten zehn Jahren mindestens acht Jahre eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt hat. Der Beschäftigung stehen anrechenbare Zeiten der Arbeitslosigkeit gleich.

Versicherte, die die Voraussetzungen für das Gestaltungsrecht wegen Arbeitslosigkeit erfüllt hatten und darauf gestützt Altersrente in Anspruch nahmen, erhielten gemäß § 31 Abs 1 AVG bzw § 1254 Abs 1 RVO den vollen Jahresbetrag des Altersruhegeldes, ihre Vorleistung wurde in voller Höhe angerechnet. Soweit Versicherte nach Vollendung des 65. Lebensjahres trotz Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen die Altersrente nicht in Anspruch nahmen, erhielten sie einen Zuschlag für jeden Kalendermonat, in dem die Altersrente zwischen dem 65. und 67. Lebensjahr nicht in Anspruch genommen wurde (§§ 31 Abs 1a iVm 25 Abs 5 AVG bzw §§ 1254 Abs 1a iVm 1248 Abs 5 RVO).

II. Rechtslage nach Inkrafttreten des SGB VI idF des RRG 1992 A. Gesetzestexte

1. Das am 1. Januar 1992 in Kraft getretene SGB VI (idF des RRG 1992) ersetzte die rentenrechtlichen Vorschriften des AVG bzw der RVO und regelte in § 38 SGB VI die Tatbestandsvoraussetzungen, bei deren Vorliegen ein Gestaltungsrecht des Versicherten bestand, wegen Arbeitslosigkeit die Altersrente schon vor Vollendung des 65. Lebensjahres in Anspruch nehmen zu können:

Versicherte haben Anspruch auf Altersrente, wenn sie

1. das 60. Lebensjahr vollendet haben,

2. arbeitslos sind und innerhalb der letzten eineinhalb Jahre vor Beginn der Rente insgesamt 52 Wochen arbeitslos waren oder Anpassungsgeld für entlassene Arbeitnehmer des Bergbaus bezogen haben,

3. in den letzten zehn Jahren vor Beginn der Rente acht Jahre Pflichtbeitragszeiten haben, wobei sich der Zeitraum von zehn Jahren um Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, die nicht auch Pflichtbeitragszeiten sind, verlängert,

und

4. die Wartezeit von 15 Jahren erfüllt haben.

2. Zugleich bestimmte § 41 Abs 1 SGB VI (idF des RRG 1992):

1) Die Altersgrenze von 60 Jahren wird bei Altersrenten wegen Arbeitslosigkeit und für Frauen für Versicherte, die nach dem 31. Dezember 1940 geboren sind, wie folgt angehoben:

siehe Tabelle

3. Gleichzeitig wurde der Begriff der "vorzeitigen Inanspruchnahme einer Rente" in die erstmals in der Rentenversicherung enthaltene Regelung zum Zugangsfaktor in § 63 Abs 5 SGB VI (idF des RRG 1992) aufgenommen:

Bei vorzeitiger Inanspruchnahme einer Altersrente oder bei Verzicht auf eine Altersrente nach dem 65. Lebensjahr werden Vorteile oder Nachteile einer unterschiedlichen Rentenbezugsdauer durch einen Zugangsfaktor vermieden.

4. Wie dieser Zugangsfaktor bestimmt wird, war für die Altersrenten in § 77 Abs 1, 2 SGB VI (idF des RRG 1992) geregelt:

1) Der Zugangsfaktor richtet sich nach dem Alter der Versicherten bei Rentenbeginn und bestimmt, in welchem Umfang Entgeltpunkte bei der Ermittlung des Monatsbetrags der Rente zu berücksichtigen sind. Entgeltpunkte werden

1. bei den Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit,

2. bei den Renten wegen Todes,

3. bei den Renten wegen Alters, die mit Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 65. Lebensjahres oder eines für den Versicherten maßgebenden niedrigeren Rentenalters beginnen, in vollem Umfang berücksichtigt (Zugangsfaktor 1,0), es sei denn, sie waren bereits Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten einer vorzeitig in Anspruch genommenen Rente wegen Alters oder nach Vollendung des 65. Lebensjahres noch nicht Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten.

2) Der Zugangsfaktor ist bei Entgeltpunkten, die noch nicht Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten einer Rente wegen Alters waren, für jeden Kalendermonat, für den Versicherte

1. eine Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch nehmen, um 0,003 niedriger,

2. nach Vollendung des 65. Lebensjahres eine Rente wegen Alters trotz erfüllter Wartezeit nicht in Anspruch nehmen, um 0,005 höher als 1,0.

5. Damit wurde durch die Festlegung der individuellen Altersgrenzen in § 41 Abs 1 SGB VI und die Regelungen zum Zugangsfaktor, §§ 63 Abs 5, 77 SGB VI, für die nach dem 31. Dezember 1940 geborenen Jahrgänge die vorzeitige Inanspruchnahme der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit erstmals mit einer Minderung der Rentenhöhe verknüpft. Die Inanspruchnahme der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit mit Erreichen der individuellen "regulären" Altersgrenze blieb dagegen sanktionslos.

B. "Gesetzesmaterialien"

1. Dies wurde damit begründet (vgl BR-Drucks 120/89, S 136), dass sich das Rentenzugangsalter deutlich vorverlagert habe und die normale Altersgrenze von 65 Jahren innerhalb von 15 Jahren beinahe zum Ausnahmefall für den Rentenbeginn geworden sei, was sich in längeren Rentenlaufzeiten und einer höheren Anzahl der Rentner niederschlage. Zudem sei auch die Lebenserwartung seit Beginn des Jahrhunderts ständig gestiegen; mit einer weiteren Steigerung sei zu rechnen. Weiter heißt es (BR-Drucks 120/89, S 144), durch eine Flexibilisierung und Verlängerung der Lebensarbeitszeit könne das zahlenmäßige Verhältnis zwischen Beitragszahlern und Rentnern verbessert und damit die demographisch bedingten Belastungen gemindert werden. Die Altersgrenzen sollen in der Weise flexibilisiert werden, dass die Versicherten bis zu drei Jahre vor der jeweils für sie maßgebenden Altersgrenze eine Altersrente beziehen können. Dabei solle wegen der sonst entstehenden Vorfinanzierungskosten ein Rentenbezug vor den heute geltenden Altersgrenzen grundsätzlich nicht möglich sein. Die durch das Vorziehen bedingte längere Rentenlaufzeit soll durch einen Zugangsfaktor ausgeglichen werden, so dass aus einem vorzeitigen Rentenbezug im Vergleich zu anderen kein Vorteil mehr entsteht. Außerdem könnten die Versicherten für Zeiten nach Vollendung des 65. Lebensjahres auf die Inanspruchnahme ihrer Altersrente verzichten. Der Zugangsfaktor werde die dadurch bedingte kürzere Rentenlaufzeit zu Gunsten der Versicherten ausgleichen. Der Zugangsfaktor bewirke, dass sich die Rente über ihre gesamte Rentenlaufzeit für jedes Jahr des Vorziehens um 3,6 vH mindere und für jedes Jahr des Verzichts um 6 vH erhöhe.

In der Begründung zu § 41 SGB VI (BR-Drucks 120/89, S 163) heißt es: "Diese Vorschrift, deren Zielsetzung in der allgemeinen Begründung dargestellt ist, regelt die gleichzeitige stufenweise Anhebung der Altersgrenzen von 60 Jahren wegen Arbeitslosigkeit und für Frauen sowie von 63 Jahren für langjährig Versicherte für die Altersrenten, die unter besonderen Voraussetzungen bereits vor Vollendung des 65. Lebensjahres in Anspruch genommen werden können. ... Einer sofortigen Herabsetzung des frühestmöglichen Rentenalters stehen die nicht unerheblichen Vorfinanzierungskosten für den längeren Rentenbezug entgegen. Allerdings ist künftig bei einer vorzeitigen Inanspruchnahme, die vor der angehobenen Altersgrenze erfolgt, der zum Ausgleich des längeren Rentenbezugs eingeführte Zugangsfaktor zu beachten. ..."

2. In der Begründung zu § 76 (dem heutigen § 77 SGB VI) des Gesetzentwurfs (BR-Drucks 120/89, S 172) wird ausgeführt:

"Die Vorschrift regelt den Zugangsfaktor, durch den das Alter des Versicherten beim Rentenzugang in die Rentenberechnung einfließt. Durch den Zugangsfaktor werden die Entgeltpunkte in persönliche Entgeltpunkte umgewandelt und damit zur Grundlage der Ermittlung des Monatsbetrages der Rente gemacht. Der Zugangsfaktor ist grundsätzlich 1,0. Er ist kleiner, wenn der Versicherte eine Altersrente vor der für ihn maßgeblichen Altersgrenze in Anspruch nimmt, er ist größer beim Hinausschieben einer möglichen Altersrente über das 65. Lebensjahr hinaus. ..."

3. Bei der Anhörung im Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (11. Wahlperiode, Protokoll der 85. Sitzung vom 28. April 1989) wurde der Sachverständige Prof. Dr. Ruland zur Höhe des Abschlags bei vorzeitigem Rentenbeginn befragt (Protokoll, S 75):

"Die nächste Frage, ob die vorgesehenen Änderungen der Zugangsfaktoren ausreichend sind, um die Mehrkosten eines früheren Rentenbeginns in etwa auszugleichen, müßte ich eher an den Mathematiker weitergeben, der das berechnet. Ich weiß aber, dass bei dieser Berechnung eine Reihe von Annahmen gemacht werden müssen, und wie es so bei Annahmen ist, kann ich sie so oder so gestalten. Die Grenze, die der Gesetzgeber gewählt hat mit den 0,3 % je Monat, ist für die Versicherten, ich würde sagen, eine relativ günstige Regelung. Versicherungsmathematisch hätte der Abschlag auch etwas höher gesetzt werden können."

In ihrer Stellungnahme zum Gesetzentwurf von April 1989 (S 19) führt die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände zur Höhe des Zugangsfaktors aus:

"Der vorgesehene Abschlag (Rentenzugangsfaktor) ist jedoch mit 0,3 vH pro Monat versicherungsmathematisch zu niedrig angesetzt, um die längere Rentenlaufzeit finanziell auszugleichen. Nach bisherigen Berechnungen müsste der Abschlag höher sein und bei 0,5 bis 0,6 vH pro Monat liegen. Ohne Abschläge in einer solchen Größenordnung käme es über die in der Begründung des Gesetzentwurfs (S 144, 163) erwähnten Vorfinanzierungskosten hinaus zu dauerhaften Belastungen der gesetzlichen Rentenversicherung. Versicherte, die sich für einen früheren Bezug der Altersrente entscheiden, würden dies - nur etwas gemildert gegenüber dem geltenden Recht - auf Kosten der übrigen Versicherten tun."

4. Weitere Aussagen finden sich in den "Materialien" über die Ausgestaltung des Zugangsfaktors bzw die Höhe des Abschlags bei vorzeitigem Rentenbeginn nicht.

III. Die Rechtslage nach dem SGB VI idF des RuStFöG

A. Gesetzestexte

1. Mit Art 2 des Gesetzes zur Förderung eines gleitenden Übergangs in den Ruhestand (BGBl I 1996, 1078 <1082>) wurde § 38 Satz 1 SGB VI mit Wirkung ab 1. August 1996 wie folgt gefasst:

Versicherte haben Anspruch auf Altersrente, wenn sie

1. das 60. Lebensjahr vollendet haben,

2. entweder

a) bei Beginn der Rente arbeitslos sind und innerhalb der letzten eineinhalb Jahre vor Beginn der Rente insgesamt 52 Wochen arbeitslos waren oder Anpassungsgeld für entlassene Arbeitnehmer des Bergbaus bezogen haben oder

b) 24 Kalendermonate Altersteilzeitarbeit ausgeübt haben,

3. in den letzten zehn Jahren vor Beginn der Rente acht Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben, wobei sich der Zeitraum von zehn Jahren um Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, die nicht auch Pflichtbeitragszeiten aufgrund einer versicherten Beschäftigung oder Tätigkeit sind, verlängert, und

4. die Wartezeit von 15 Jahren erfüllt haben.

2. Zugleich wurde § 41 Abs 1 SGB VI mit Wirkung ab 1. August 1996 dahingehend geändert, dass die Altersgrenzen nunmehr in Abs 1a wie folgt geregelt wurden:

Die Altersgrenze von 60 Jahren bei der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit wird für Versicherte, die nach dem 31. Dezember 1936 geboren sind angehoben. Die vorzeitige Inanspruchnahme ist möglich. Die Anhebung und die Möglichkeit der vorzeitigen Inanspruchnahme bestimmen sich wie folgt:

siehe Tabelle

3. Für bestimmte, von der Anhebung der Altersgrenzen betroffene Personenkreise wurde ebenfalls durch das Gesetz zur Förderung eines gleitenden Übergangs in den Ruhestand (RuStFöG) zum 1. August 1996 eine Ausnahme- bzw Übergangsregelung in § 237 Abs 2 SGB VI eingefügt:

Die Altersgrenze von 60 Jahren bei der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit wird für arbeitslose Versicherte,

1. die bis zum 14. Februar 1941 geboren sind und

a) am 14. Februar 1996 arbeitslos waren oder Anpassungsgeld für entlassene Arbeitnehmer des Bergbaus bezogen haben oder

b) deren Arbeitsverhältnis auf Grund einer Kündigung oder Vereinbarung, die vor dem 14. Februar 1996 erfolgt ist, nach dem 13. Februar 1996 beendet worden ist und die daran anschließend arbeitslos geworden sind oder Anpassungsgeld für entlassene Arbeitnehmer des Bergbaus bezogen haben oder

2. die bis zum 14. Februar 1944 geboren sind und auf Grund einer Maßnahme nach Artikel 56 § 2 des Vertrages über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS-V), die vor dem 14. Februar 1996 genehmigt worden ist, aus einem Betrieb der Montannindustrie ausgeschieden sind, wie folgt angehoben:

- Tabelle entsprechend der bis 31. Juli 1996 geltenden Regelung des § 41 Abs 1 SGB VI idF des RRG 1992 (siehe oben 2. Teil, II. A. Nr 2) -

Einer vor dem 14. Februar 1996 abgeschlossenen Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses steht eine vor diesem Tag vereinbarte Befristung des Arbeitsverhältnisses oder Bewilligung einer befristeten arbeitsmarktpolitischen Maßnahme gleich. Ein bestehender Vertrauensschutz wird insbesondere durch die spätere Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses oder den Eintritt in eine neue arbeitsmarktpolitische Maßnahme nicht berührt.

B. "Gesetzesmaterialien"

1. In der Begründung des Entwurfs des RuStFöG (BR-Drucks 208/96, S 27) ist ausgeführt:

"Um die Belastung der gesetzlichen Rentenversicherung durch die Inanspruchnahme der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit zu begrenzen, wird die nach dem Rentenreformgesetz (RRG) 1992 bereits vorgesehene Anhebung der Altersgrenze von 60 Jahren vorgezogen. Die stufenweise Anhebung auf 63 Jahre soll nun in den Jahren 1997 bis 1999 erfolgen. Die weitere Anhebung auf 65 Jahre bleibt unberührt.

Damit sichergestellt ist, dass trotz der Anhebung ein bündiger Übergang zwischen Arbeitslosigkeit bzw. Altersteilzeitarbeit und Rentenbeginn möglich bleibt, ist während der Phase der Anhebung der Altersgrenze auf 63 Jahre bis zum Beginn der weiteren Anhebung der Altersgrenze eine vorzeitige Inanspruchnahme der Rente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit ab Vollendung des 60. Lebensjahres möglich. Anschließend ist, wie bereits nach geltenden Recht vorgesehen, eine vorzeitige Inanspruchnahme jeweils bis zu drei Jahre vor Erreichen der Altersgrenze möglich. Um die verlängerte Rentenbezugsdauer auszugleichen, fällt die tatsächlich in Anspruch genommene monatliche Rente für jeden vorgezogenen Rentenmonat um 0,3 % niedriger aus."

2. Durch die Übergangsregelung des § 237 Abs 2 SGB VI sollte das Vertrauen der Versicherten der rentennahen Jahrgänge, die bereits arbeitslos sind oder aber in der Aussicht auf eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit Dispositionen getroffen haben, die zur Arbeitslosigkeit führen werden, geschützt werden (BR-Drucks 208/96, S 28).

3. Bei der Anhörung von Sachverständigen im Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung am 22. Mai 1996 wurde die Frage erörtert, ob die Größenordnung der Rentenminderung bei Inanspruchnahme der Rente vor dem maßgeblichen Renteneintrittsalter sachgerecht sei (Wortprotokoll der 57. Sitzung, S 6). Der Sachverständige Prof. Dr. Schmähl führte aus:

"Es gibt etwas Streit über die Frage, ob die Rentenminderung, also die vorgesehenen Abschläge von 3,6 vH, versicherungsmathematisch korrekt kalkuliert sind. Das hat etwas zu tun mit den Annahmen, die man zugrunde legt, wie man rechnet usw. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass im internationalen Vergleich die Abschläge bei vorzeitiger Inanspruchnahme von Altersrenten deutlich höher sind, als das, was in Deutschland schon im Gesetz vorgesehen ist und jetzt auch hier enthalten ist."

Zu dieser Aussage wurde auch der Sachverständige Prof. Dr. Ruland um Stellungnahme gebeten, insbesondere, wie er dies beurteile und auf welchen Ergebnissen die Kalkulationen beruhten. Dieser führte aus (Wortprotokoll der 57. Sitzung, S 33):

"Ich bin hier auch auf das Glauben angewiesen, und in diesem Fall glaube ich unseren Mathematikern im Verband, ich kann es selber nicht nachrechnen. Unsere Mathematiker sagen, diese Abschläge sind durchschnittlich bezogen auf Männer und Frauen und die bei uns üblichen Rentenlaufzeiten sachgerecht. Ich kann das selber nicht nachvollziehen. Zur Frage der Abschläge für Frauen, die eben angesprochen worden ist, würde ich eher sagen, da die Frauen eine höhere Lebenserwartung haben, müssten die Abschläge bei Frauen etwas niedriger sein, weil sich die Summe dessen, was ja auf die Jahre verteilt werden soll, auf mehrere Jahre verteilt; also wird der Anteil pro Jahr etwas kleiner werden. Aber im Durchschnitt, sagen unsere Mathematiker, sind das sachgerechte Größen. Ich habe angesichts des Vertrauens, das ich auch sonst in unsere Mathematiker habe, keinen Grund, hieran zu zweifeln."

IV. Die Rechtslage nach dem SGB VI idF des WFG

A. Gesetzestexte

Durch Art 1 des Gesetzes zur Umsetzung des Programms für mehr Wachstum und Beschäftigung in den Bereichen der Rentenversicherung und Arbeitsförderung (Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz <WFG>) vom 25. September 1996 (BGBl I S 1461) wurde

a) § 41 Abs 1a SGB VI (idF des RuStFöG) mit Wirkung zum 1. Januar 1997 aufgehoben und

b) in § 41 Abs 1 SGB VI bestimmt:

Die Altersgrenze von 60 Jahren wird bei Altersrenten wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit für Versicherte, die nach dem 31. Dezember 1936 geboren sind, angehoben. Die vorzeitige Inanspruchnahme einer solchen Altersrente ist möglich. Die Anhebung der Altersgrenzen und die Möglichkeit der vorzeitigen Inanspruchnahme der Altersrenten bestimmen sich nach Anlage 19.

c) Die mit Anlage 19 eingefügte Tabelle sieht vor, dass die reguläre Altersgrenze für Geburtsjahrgänge ab Januar 1937 je Monat um jeweils einen Monat angehoben wird, allerdings für alle bis Dezember 1948 Geborenen die Anhebung nicht mehr auf das 63. Lebensjahr begrenzt ist, dh für diese Versicherten wurde die Altersgrenze um bis zu 60 Monate auf das 65. Lebensjahr (Geburtsjahrgang Dezember 1941 und jünger) angehoben.

Anlage 19

siehe Tabelle

B. "Gesetzesmaterialien"

In der Begründung zum WFG (BT-Drucks 13/4610, S 18) wird die Änderung der rentenrechtlichen Vorschriften vor allem mit der sich seit dem 2. Halbjahr 1995 verschlechternden Finanzsituation der Rentenversicherung gerechtfertigt. Ziel sei es, die Lebensarbeitszeit zu verlängern, indem die mit dem RRG 1992 bereits beschlossene stufenweise Anhebung der vorgezogenen Altersgrenzen für eine Altersrente zeitlich vorgezogen und beschleunigt wird. Weiterhin heißt es (BT-Drucks 13/4610, S 19), über die im RuStFöG beschlossenen Maßnahmen hinaus seien weitere Maßnahmen zur Einflussnahme auf das tatsächliche Renteneintrittsalter erforderlich.

V. Die Rechtslage nach dem SGB VI idF des RRG 1999

A. Gesetzestexte

Durch Art 1 RRG 1999 vom 16. Dezember 1997 (BGBl I S 2998) wurden § 38 und § 41 SGB VI mit Wirkung zum 1. Januar 2000 aufgehoben bzw geändert und die bisherigen Regelungen als § 237 Abs 1 bis 3 in das SGB VI eingefügt; der bisherige § 237 Abs 2 wurde § 237 Abs 4. Der § 237 Abs 1 SGB VI (bisher § 38 SGB VI) wurde ergänzt:

Versicherte, haben Anspruch auf Altersrente, wenn sie

1. vor dem 1. Januar 1952 geboren sind,

2. ...

Dadurch wurde das Gestaltungsrecht wegen Arbeitslosigkeit für Bezugszeiten ab 1. Januar 2017 abgeschafft. Zugleich wurden in Anlage 19 letzte Zeile die Worte "und später" durch "bis 1951" ersetzt.

Rückwirkend zum 1. Januar 1997 wurde die bisherige Übergangs- bzw Ausnahmeregelung des § 237 Abs 2 SGB VI (nunmehr Abs 4) um eine Nr 3 ergänzt:

Die Altersgrenze von 60 Jahren bei der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit wird für Versicherte, die ...

3. vor dem 1. Januar 1942 geboren sind und 45 Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben; § 38 Satz 2 ist anzuwenden, wobei dies nicht für Zeiten gilt, in denen Versicherte wegen des Bezugs von Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe versicherungspflichtig waren,

wie folgt angehoben:

- Tabelle entsprechend § 41 Abs 1 idF des RRG 1992 (siehe oben 2. Teil, II. A. Nr 2) -

B. "Gesetzesmaterialien"

1. In der Begründung zu § 237 Abs 4 Nr 3 SGB VI (BR-Drucks 603/97, S 63) heißt es:

"Die Änderung in Absatz 4 Nr. 3 stellt sicher, dass es hinsichtlich der Anhebung der Altersgrenze bei der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit für Jahrgänge vor 1942, die 45 Jahre mit Pflichtbeitragszeiten auf Grund einer Beschäftigung oder Tätigkeit, Kindererziehung, Wehr- oder Zivildienst haben, bei der im Rentenreformgesetz '92 vorgesehenen Regelung verbleibt. Nicht berücksichtigt werden Zeiten, in denen Versicherungspflicht auf Grund des Bezuges von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe bestand."

2. Im Gesetzgebungsverfahren gab es keine gesicherten Erkenntnisse über die mögliche Zahl der von der Regelung Betroffenen. Anlässlich einer Frage des Abgeordneten Urbaniak in der 107. Sitzung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung am 16. Juli 1997 (Sitzungsprotokoll, S 43), wie viele Personen von der Übergangsregelung im Gesetzentwurf der Koalition betroffen sein dürften, wonach Versicherte des Jahrgangs 1942 und früher mit 45 Pflichtversicherungsjahren ohne Arbeitslosigkeit die vorzeitigen Altersgrenzen abschlagsfrei in Anspruch nehmen dürften, konnten die Sachverständigen keine konkreten Angaben machen:

Der Sachverständige Prof. Dr. Ruland (Sitzungsprotokoll, S 43) sagte: "Herr Urbaniak, ich muß, was den genauen Umfang des Personenkreises anbetrifft, leider passen. Wir sind immer auf Schätzungen angewiesen." Der Sachverständige, der keinen Schätzwert benannte, sagte zwar zu, sich nachträglich um eine schriftliche Auskunft zu der Frage bemühen zu wollen, jedoch findet sich im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens kein Hinweis, dass eine diesbezügliche Auskunft eingegangen wäre. An einer anderen Stelle des Sitzungsprotokolls (S 22) führt der Sachverständige Michaelis aus: "Wir haben kürzlich den Rentenzugang 1995 untersucht und dabei herausfinden wollen, wie viele Versicherte mehr als 45 Versicherungsjahre zurückgelegt haben: In den alten Bundesländern hat etwa die Hälfte aller Männer 45 Beitragsjahre und mehr, jedoch lediglich 2 Prozent der Frauen. In den neuen Bundesländern sind die Zahlen etwas günstiger; da wurden mehr Versicherungsjahre zurückgelegt. 70 Prozent der Männer haben 45 Arbeitsjahre oder mehr zurückgelegt und etwa 16 Prozent der Frauen. Die meisten Frauen in den neuen Bundesländern sind nämlich mit dem 60. Lebensjahr in Rente gegangen, was zur Folge hat, dass nur dann Raum für 45 Versicherungsjahre bleibt, wenn man mit dem 15. Lebensjahr begonnen hat, in die Rentenversicherung einzuzahlen."

VI. Die Rechtslage nach dem SGB VI idF des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit

A. Gesetzestexte

Durch Art 1 des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20. De-zember 2000 (BGBl I S 1827) wurde mit Wirkung zum 1. Januar 2001

1. § 63 Abs 5 SGB VI wie folgt geändert: Vorteile und Nachteile einer unterschiedlichen Rentenbezugsdauer werden durch einen Zugangsfaktor vermieden.

2. Zugleich wurde auch § 77 SGB VI neu gefasst und ergänzt, ohne dass die Regelungen für Renten wegen Alters, die vorzeitig in Anspruch genommen werden, inhaltlich geändert wurden.

B. "Gesetzesmaterialien"

In der Begründung (BT-Drucks 14/4230, S 26) zum Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit heißt es hierzu: "Der Zugangsfaktor mindert sich künftig auch dann, wenn eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder eine Rente wegen Todes vor dem vollendeten 63. Lebensjahr in Anspruch genommen wird (§ 77)."

VII. Die Rechtslage nach dem SGB VI idF des Rentenversicherungs-Nachhaltigkeits-gesetzes 2004

Mit Art 1 des Gesetzes zur Sicherung der nachhaltigen Finanzierungsgrundlagen der GRV (RVNG) vom 21. Juli 2004 (BGBl I S 1791) wurde mit Wirkung ab 1. August 2004 durch dessen Nr 44 in § 237 Abs 1 Nr 4 SGB VI nach dem Wort "Anrechnungszeiten" ein Komma und das Wort "Berücksichtigungszeiten" eingefügt. Damit verlängert sich der 10-Jahres-Zeitraum, in dem die Voraussetzungen für die Entstehung des Gestaltungsrechts erfüllt sein müssen, auch um Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung. Ferner wurde durch Nr 45 mit Wirkung zum 1. Januar 2006 ein Abs 5 angefügt, in dem für einige Gruppen von Personen, die am 1. Januar 2004 arbeitslos waren, bestimmt wird, dass die Altersgrenze von 60 Jahren für die vorzeitige Inanspruchnahme nicht angehoben wird, während sie im Allgemeinen durch Änderung der Anlage 19 schrittweise auf das 63. Lebensjahr angehoben wird. Damit wird das Gestaltungsrecht künftig erst ab Vollendung des 63. Lebensjahres entstehen können.

VIII. Rechtsprechung des BVerfG zur Ausgestaltung des Zugangsfaktors

Das BVerfG hat über die Frage der Ausgestaltung des Zugangsfaktors noch nicht entschieden.

Zu dem - hier nicht streitbefangenen - Gestaltungsrecht von Frauen liegt die Entscheidung zu § 25 Abs 3 AVG vom 28. Januar 1987 (BVerfGE 74, 163 <173>) vor. Darin hat der Erste Senat des BVerfG ausgeführt, dass die Unterscheidung bei der Gewährung von Altersruhegeld an Männer und Frauen in ihrer Auswirkung weniger schwer wiege, wenn die Vorschriften über das flexible Altersruhegeld und über das Altersruhegeld wegen Arbeitslosigkeit sowie über die Inanspruchnahme von Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrenten vor Vollendung des 65. Lebensjahres berücksichtigt würden. Diese Möglichkeiten hätten dazu geführt, dass durchschnittlich schon mit 58 Jahren Versichertenrenten bezogen würden. Dies sei auch der Grund, weshalb die angegriffene Regelung bislang durchgängig als befriedigend empfunden worden sei.

Ferner hat das BVerfG in seiner Kammerentscheidung vom 3. Februar 2004 (Az: 1 BvR 2491/97, unter http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20040203_1bvr249197.html = SozR 4-2600 § 237a Nr 1 veröffentlicht) die Verfassungsbeschwerde gegen die Regelung des § 41 Abs 2 SGB VI idF des WFG (Altersrente für Frauen) nicht zur Entscheidung angenommen und ausgeführt (RdNr 16):

Es sei nicht zu prüfen, ob die im RRG 1992 getroffene Entscheidung des Gesetzgebers, den Regelzugang zur Altersrente für Mann und Frau gleichermaßen auf das vollendete 65. Lebensjahr festzulegen und eine Anhebung des Renteneintrittsalters für Frauen schrittweise ab dem Geburtsjahrgang 1941 vorzunehmen, im Einklang mit dem Grundgesetz stehe. Die Kammer brauche auch nicht zu entscheiden, ob die gesetzliche Gewährung einer ungeminderten Altersrente bei Vollendung eines bestimmten Lebensalters zur grundrechtlich geschützten Rentenanwartschaft zähle. Selbst wenn dies bejaht würde, stelle die angegriffene Regelung eine verfassungsgemäße Inhalts- und Schrankenbestimmung iS des Art 14 Abs 1 Satz 2 GG dar.

Soweit ersichtlich, waren auch die ähnlich ausgestalteten Regelungen des § 14 Abs 3 Beamtenversorgungsgesetz noch nicht Gegenstand einer verfassungsrechtlichen Überprüfung durch das BVerfG.

3. Teil: Abweisungsreife der Revision bei Verfassungsgemäßheit des Gesetzes

Falls die Vorlagefragen zu bejahen sind, ist die Sprungrevision des Klägers gegen das Urteil des SG Berlin vom 27. Februar 2003 zurückzuweisen.

1. Abschnitt: Die Sprungrevision und die Klagen sind zulässig

I. Die Sprungrevision ist zulässig

Gegen die Zulässigkeit der Sprungrevision des Klägers bestehen keine Bedenken. Er hat das vom SG zugelassene Rechtsmittel mit Zustimmung der Beklagten eingelegt, die Revisionseinlegungsfrist eingehalten, eine ordnungsgemäße Revisionsbegründung mit Antrag fristgerecht vorgelegt und ist durch das angegriffene Urteil formell beschwert, weil dieses seinen Klageantrag in vollem Umfang abgewiesen hat. Es ist nicht als eine im Revisionsverfahren unzulässige Klageänderung anzusehen, dass der Kläger seinen Klagantrag in der Hauptsache beschränkt hat (§§ 165 Satz 1, 153 Abs 1, 99 Abs 3 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>). Zwar begehrt er weiterhin die Aufhebung des Urteils des SG in vollem Umfang; ebenso begehrt er die Aufhebung der Ablehnungsentscheidung der Beklagten, die bisherige Rentenhöchstwertfestsetzung (im Bescheid vom 11. Oktober 2001) zurückzunehmen, und deren Verpflichtung zur Rücknahme; er hat aber vor dem Revisionsgericht seinen - mit der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zulässig kombinierten (§ 54 Abs 4 SGG) - Verpflichtungs- und Leistungsantrag auf das Begehren beschränkt, die Beklagte zur Neufeststellung des Höchstwerts seines Rechts auf Altersrente ab 1. Oktober 2001 mit der Maßgabe zu verpflichten, lediglich einen Zugangsfaktor auf der Grundlage des RRG 1992 zu berücksichtigen, also den Zugangsfaktor von 1,0 statt um 0,171 nur noch um 0,009 auf 0,991 statt auf 0,829 zu kürzen, und sie zu verurteilen, nur noch dementsprechend höhere Beträge zu zahlen. Er hat damit das Ziel der uneingeschränkten Anrechnung seiner vollen Vorleistung nicht mehr weiterverfolgt und insoweit seinen weitergehenden, nach Umfang und Dauer der Vorleistungskürzung teilbaren Klagantrag in der Hauptsache, über den das SG befunden hatte, zulässig beschränkt. Dadurch hat er zugleich zulässigerweise die Grenzen der Prüfungs- und Entscheidungsbefugnis des Revisionsgerichts auf diesen revisionsrechtlichen Streitgegenstand beschränkt. Es darf daher nur prüfen, ob das SG Bundesrecht dadurch verletzt hat, dass es die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gegen die Ablehnung der Rücknahme der bisherigen Rentenhöchstwertfestsetzung deswegen abgewiesen hat, weil diese auf einem rechtmäßigen Zugangsfaktor beruht habe. Damit ist zugleich auch der Umfang bestimmt, in dem das Revisionsgericht die von dem Erfolg dieser Klagen abhängige (Verpflichtungs- und) allgemeine Leistungsklage prüfen darf.

II. Die Klagen sind zulässig

Die Klagen sind zulässig. Das SG hat zu Recht angenommen, dass der Kläger sein Begehren mit einer Kombination aus einer Anfechtungsklage gegen die Ablehnung des von ihm erhobenen Rücknahmeanspruchs mit einer Verpflichtungsklage zum Erlass der begehrten Rücknahme sowie einer allgemeinen Leistungsklage verfolgen durfte, welche die nach materiellem Recht (§ 117 SGB VI) notwendige vorgängige weitere Verpflichtungsklage auf Verpflichtung zur Neufeststellung des Rentenhöchstwerts umfasst. Insbesondere ist der Kläger formell beschwert, dh klagebefugt, weil ohne nähere Prüfung in der Sache die Möglichkeit besteht, dass ihm der abgelehnte Rücknahme- und Neufeststellungsanspruch zusteht und er höhere Altersrente verlangen kann. Er behauptet, durch die - auch nach seiner Ansicht - gesetzmäßige Rentenhöchstwertfestsetzung deshalb in einem ihm nach dem SGB VI zustehenden subjektiv-öffentlichen Recht verletzt worden zu sein, weil seine Vorleistung für die gesamte Rentenbezugsdauer in einem verfassungswidrigen Umfang nicht berücksichtigt werde. Es liegt jedenfalls nicht auf der Hand, dass ihm solche subjektiv-öffentlichen Rechte nach materiellem Rentenversicherungsrecht nicht zustehen oder durch die umstrittenen Gesetzesänderungen nicht verletzt sein können. Da auch das Widerspruchsverfahren erfolglos durchgeführt worden ist, liegen - wie das SG zutreffend gesehen hat - alle Sachentscheidungsvoraussetzungen vor.

2. Abschnitt: Die Entscheidungen der Beklagten sind gesetzmäßig

Auf Grund des vom SG festgestellten Sachverhalts, an den das Revisionsgericht gebunden ist, hat die Beklagte im Bescheid vom 11. Oktober 2001 zutreffend gemäß § 237 Abs 3 Satz 3 SGB VI iVm der Anlage 19 zum SGB VI iVm § 77 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI entschieden, dass der Zugangsfaktor von 1,0 wegen der vorzeitigen Inanspruchnahme der Altersrente um 57 Kalendermonate um 0,171 (0,003 pro 57 Kalendermonate) auf 0,829 abzusenken ist. Nach der sog Rentenformel für den Monatsbetrag der Rente (§ 64 SGB VI), dh für den Geldwert des Stammrechts auf Rente bei Rentenbeginn, hat sie gemäß § 66 SGB VI die vom Kläger in 544 Beitragsmonaten erzielten 68,7973 EP mit 0,829 multipliziert und deshalb nur 57,0330 "persönliche EP" nach § 64 Nr 1 SGB VI in die "Formel" eingestellt, ferner hat sie zutreffend den (das Sicherungsziel der Altersrente, den vollen Ausgleich, beschreibenden) Rentenartfaktor von 1,0 und die beiden aktuellen Rentenwerte berücksichtigt; für die von Februar 1998 bis August 2001 im Beitrittsgebiet erworbenen EP (Ost - § 254d SGB VI) 6,0204 EP (Ost) gekürzt auf 4,9909 "persönliche EP (Ost)" hat sie den bei Rentenbeginn zum 1. Oktober 2001 gemäß § 255a SGB VI maßgeblichen "aktuellen Rentenwert (Ost)" von 43,15 DM angesetzt und für die übrigen 62,7769 EP ("West"), gemindert auf 52,0421 "persönliche EP", den aktuellen Rentenwert ("West") von damals 49,51 DM.

Die Rentenhöchstwertfestsetzung vom 11. Oktober 2001 (die anderen in diesem Bescheid verlautbarten Verwaltungsakte über Rentenart, -beginn und -dauer sind nicht angefochten) war somit im Zeitpunkt ihres Erlasses gesetzmäßig. Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, der Beklagten könnten Zuständigkeits-, Form- oder Verfahrensfehler oder bei der Anwendung des Gesetzes auf den Kläger selbstständig Verfassungsverstöße unterlaufen sein. Auf einfachgesetzlicher Grundlage besteht daher der vom Kläger gegen die Beklagte erhobene Anspruch aus § 44 Abs 1, 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch auf (Teil-)Rücknahme der Rentenhöchstwertfestsetzung vom 11. Oktober 2001 und - davon abhängig - auf höhere Altersrente nicht.

3. Abschnitt: Keine Verletzung rentenversicherungsrechtlicher subjektiver Rechte durch Gesetzesänderungen (RuStFöG; WFG; RRG 1999)

Die Gesetzesänderungen zur sozialpolitisch so genannten "Anhebung der Altersgrenze" bei Arbeitslosen, auf welche die Beklagte ihre Entscheidung gestützt hat, haben bei ihrem Inkrafttreten rentenversicherungsrechtlich keine subjektiv-öffentlichen Rechte des Klägers und des von ihm repräsentierten Personenkreises derjenigen, die bei Inkrafttreten der Änderungen noch kein Gestaltungsrecht wegen Arbeitslosigkeit und auch kein Anwartschaftsrecht hierauf hatten, verletzt (siehe schon BSG 5. Senat, Urteil vom 25. Februar 2004, B 5 RJ 44/02 R in: BSGE 92, 206 = SozR 4-2600 § 237 Nr 1; Urteile des 8. Senats vom 7. Juli 2004, B 8 KN 3/03 R und B 8 KN 7/03 R, beide zur Veröffentlichung vorgesehen; Urteile des 13. Senats vom 5. August 2004, B 13 RJ 10/03 R und B 13 RJ 40/03 R, beide zur Veröffentlichung vorgesehen; Urteil des 5. Senats vom 20. Oktober 2004, B 5 RJ 3/04 R, zur Veröffentlichung vorgesehen; vgl auch schon BSG, Urteil vom 30. Oktober 2001, B 4 RA 15/00 R in: SozR 3-2600 § 237 Nr 1 und Urteil des 4. Senats vom 28. Oktober 2004, B 4 RA 60/03 R; Brall, Zur Verfassungsmäßigkeit der vorgezogenen Anhebung der Altersgrenze bei der Rente wegen Arbeitslosigkeit, DRV 2003 S 133 bis 145; O'Sullivan, Zur Verfassungsmäßigkeit der Anhebung des Renteneintrittsalters, SGb 2004 S 209 bis 214; Wenner, Kein schutzwürdiges Vertrauen auf gesetzliche Übergangsregelungen, SozSich 2004 S 177 bis 180; aA Fuchs/Köhler, Ist die zum 1. Januar 1997 erfolgte vorgezogene Anhebung der Altersgrenze bei der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit verfassungsgemäß?, Rechtsgutachten, erstattet im Auftrag der IG Metall).

I. Keine Verletzung eines vor der Entstehung des Vollrechts zum 1. Oktober 2001 gegebenen subjektiven Rechts des Klägers schon mangels Rechtsbeeinträchtigung

Die gesetzmäßige Rentenhöchstwertfestsetzung vom 11. Oktober 2001, deren (Teil-)Rücknahme der Kläger beansprucht, hat keinen gesetzlichen Eingriff in ein rentenversicherungsrechtliches subjektiv-öffentliches Recht des Klägers konkretisiert, das vor dem Entstehen des Vollrechts auf Rente mit Beginn des 1. Oktober 2001 bestanden hätte und in seinem Inhalt von dem seit dem 1. August 1996 in Kraft getretenen Gesetzesänderungen (dazu oben 2. Teil, III. bis VI.) zu seinem Nachteil verändert worden wäre. Da der Kläger kein subjektiv-öffentliches Recht gegen die Beklagte auf Grund eines öffentlich-rechtlichen Vertrages oder eines wirksamen Verwaltungsaktes hatte, kommen als möglicherweise verletzte subjektive Rechte nur solche des materiellen Gesetzesrechtes in Betracht. Eine "Rechtsverletzung" ist eine rechtswidrige Beeinträchtigung eines subjektiven Rechts. Eine Rechtsbeeinträchtigung liegt nicht vor.

Der Kläger nimmt die durch das RRG 1992 für Bezugszeiten ab 1. Januar 2001 neu gestaltete Rechtslage (dazu oben 2. Teil, II.) hin (§ 123 SGG); deshalb ist nur zu prüfen, ob er bei Inkrafttreten der nachfolgenden Gesetzesänderungen (dazu oben 2. Teil, III. bis V.) am 1. August 1996, am 1. Januar 1997 und am 1. Januar 2000 Inhaber eines subjektiv-öffentlichen Rechts gegen die Beklagte war, das durch diese Änderungen beeinträchtigt wurde; ggf ist insoweit zu prüfen, ob die Gesetzesänderungen im Zeitpunkt ihres Inkrafttretens verfassungswidrig waren. Die genannten Gesetzesänderungen haben den Kläger schon in keinem ihm gegen die Beklagte zustehenden subjektiv-öffentlichen Recht beeinträchtigt, ein solches also erst recht nicht verletzt.

Ein materiell-rechtliches subjektiv-öffentliches Recht liegt auch im Sozialverwaltungsrecht der GRV nur vor, wenn eine Rechtsnorm die Interessen eines Bürgers schützt und sie diesen Schutz nicht nur im öffentlichen Interesse, sondern zumindest auch im Privatinteresse des Einzelnen bezweckt. Demgemäß liegt kein subjektiv-öffentliches Recht vor, wenn rentenversicherungsrechtliche Normen lediglich faktisch die Interessen von Versicherten begünstigen (sog Rechtsreflex), also eine ihm günstige Rechtslage herbeiführen oder gar nur eine bloße Aussicht auf Begünstigung vermitteln. So liegt es hier; der Kläger hatte bei Inkrafttreten der Änderungen bezüglich der 1992 gestalteten "Altersrente wegen Arbeitslosigkeit" (§§ 38, 41 SGB VI aF) kein subjektives Recht, das davon beeinträchtigt worden wäre; er hatte vielmehr auf Grund der objektiven Rechtslage nach dem RRG 1992 lediglich die bloße Aussicht, falls er nach Vollendung von 58 1/2 Lebensjahren (Ablauf des 3. März 2000) für wenigstens 52 Wochen arbeitslos werden und weitere versicherungsrechtliche Voraussetzungen erfüllt haben würde, frühestens ab 1. Oktober 2001 (wie geschehen) Altersrente in Anspruch nehmen zu können und nur 0,9 % an Kürzung seines Vorleistungswertes durch Minderung des Zugangsfaktors hinnehmen zu müssen.

II. Keine Beeinträchtigung von direkten Gewährleistungsgehalten des Art 14 Abs 1 GG

Soweit der Kläger geltend macht, er habe schon vor Entstehung des Vollrechts auf Altersrente Renteneigentum iS von Art 14 Abs 1 GG gehabt, weist dies in das einfache Gesetzesrecht zurück. Denn nach Art 14 Abs 1 Satz 2 GG werden der Inhalt und die Schranken des Eigentums durch das einfache Gesetz bestimmt. Art 14 Abs 1 GG schützt (abgesehen von der sog Institutsgarantie) nur durch das einfache Gesetz begründete subjektive vermögenswerte Rechte. Art 14 Abs 1 GG schafft nicht selbst Renteneigentum, sondern schützt nur das durch ein Gesetz begründete Renteneigentum.

III. Keine Beeinträchtigung eines Gestaltungsrechts wegen Arbeitslosigkeit oder eines Anwartschaftsrechts hierauf

Die zum 1. August 1996, 1. Januar 1997 und 1. Januar 2000 in Kraft getretenen Gesetzesänderungen haben kein Gestaltungsrecht des Klägers und kein Anwartschaftsrecht hierauf beeinträchtigt. Denn ein solches Recht hatte der Kläger noch nicht.

Er hat erst mit Ablauf des 3. März 2000 58 1/2 Lebensjahre vollendet, also die Altersgrenze erreicht, von der ab überhaupt erst die Voraussetzungen für das Gestaltungsrecht erfüllt werden können, falls danach eine Arbeitslosigkeit von wenigstens 52 Wochen eintritt und, falls dann das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet ist, ein Anwartschaftsrecht auf das Gestaltungsrecht entsteht. Dieses Gestaltungsrecht besteht in der Rechtsmacht, durch eigene Erklärung gegenüber dem Rentenversicherungsträger für diesen verbindlich festzulegen, dass der Versicherungsfall des Alters (abweichend vom gesetzlichen Regelfall der Vollendung des 65. Lebensjahres) frühzeitig eingetreten ist.

Mit dem ("gewillkürten") Eintritt des Versicherungsfalles entsteht - wie stets in der GRV - das Recht (Stammrecht; Vollrecht) auf Altersrente, wenn - wie hier - die Wartezeit erfüllt ist.

Der Versicherungsfall des Alters besteht seit dem Gesetz betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung vom 22. Juni 1889 (RGBl S 97) nicht etwa in einer wegen Alters vermuteten Erwerbsunfähigkeit, sondern - ungeachtet einer Erwerbsunfähigkeit - in der Unzumutbarkeit des Einsatzes der vorhandenen Erwerbsfähigkeit, die wegen der mit dem Alter üblicherweise verbundenen Erschwernisse von der Gesellschaft (derzeit ab Vollendung des 65. Lebensjahres) angenommen wird. Versicherte, die unter besonderen Beschwernissen ihr Arbeitsleben verbracht haben oder besonders langjährig versichert waren, haben unter den für die verschiedenen Gruppen ausgestalteten besonderen gesetzlichen Voraussetzungen die Rechtsmacht erhalten, selbst den Zeitpunkt festzulegen, zu dem die weitere Erwerbsarbeit für sie unzumutbar wird; wenn sie diese Entscheidung durch eine empfangsbedürftige Willenserklärung treffen, entsteht das Stammrecht auf Altersrente. Dessen Rechtsfrüchte, die monatlichen Einzelansprüche, können sie mittels eines Rentenantrags (§ 99 SGB VI) geltend machen. Die einzige Rechtsfolge der Ausübung des Gestaltungsrechts (hier: wegen Arbeitslosigkeit) ist somit der Eintritt des Versicherungsfalls des Alters und damit die Entstehung des Stammrechts auf Altersrente, wie beim Kläger geschehen.

Hieran haben die gesetzlichen Vorschriften für Personen, die vor dem 1. Januar 1952 geboren sind, nichts geändert. Auch der Kläger hat mit Vollendung seines 60. Lebensjahres zum Beginn des darauf folgenden Monats dieses Gestaltungsrecht ausgeübt und ein Stammrecht auf Altersrente erlangt. Die Änderungen haben rechtlich ausschließlich den Geldwert des entstandenen Stammrechts auf Altersrente betroffen, weil sie - in unterschiedlichem Maße - eine Kürzung der Anrechnung der Vorleistung des Versicherten bei der Rentenhöhe vorsehen. Diese Änderungen betreffen daher ausschließlich den Geldwert eines entstandenen Vollrechts auf Altersrente.

IV. Keine Beeinträchtigung einer Rentenanwartschaft oder eines Anwartschaftsrechts

Es kann dahingestellt bleiben, ob der im September 1941 geborene Kläger bereits vor dem 1. August 1996 ein Anwartschaftsrecht auf Altersrente oder aber eine bloße Rentenanwartschaft hatte. Denn beide subjektiv-öffentlichen Rechte sind durch die Gesetzesänderungen nicht beeinträchtigt worden, weil ihr Zuweisungsgehalt (Gewährleistungsgehalt) davon nicht berührt wurde. Rentenanwartschaft und Anwartschaftsrecht auf Rente sind subjektiv-öffentliche Rechte, die dem Versicherten im Versicherungsverhältnis mit dem Versicherungsträger bereits im Vorleistungsstadium kraft Gesetzes zustehen, also bevor ein Versicherungsfall eintritt und infolgedessen ein Stammrecht (Vollrecht) auf Rente mit der Pflicht des Versicherungsträgers entsteht, die geschuldeten Versicherungsleistungen zu erbringen.

1. Zum Bestand einer Rentenanwartschaft

Dem Kläger stand jedenfalls eine Rentenanwartschaft zu, weil er die allgemeine Wartezeit erfüllt hatte (zusammenfassend zur Rentenanwartschaft als subjektiv-öffentliches Recht BSGE 92, 113, 125 ff, 130 ff).

Das rentenversicherungsrechtliche Sozialversicherungsverhältnis zwischen dem Versicherten und dem Versicherungsträger ist ein Dauerrechtsverhältnis und ein bedingtes Austauschverhältnis. Der Versicherte muss über eine Mindestzeit (sog Wartezeit) die gesetzlich vorgesehene Vorleistung (durch Erfüllung von Tatbeständen sog rentenrechtlicher Zeiten) erbringen; die (Gegen-)Leistungspflicht des Versicherungsträgers ist jedoch bedingt durch den Eintritt des jeweiligen Versicherungsfalles; er muss die gesetzlich versprochenen Versicherungsleistungen nur erbringen, wenn der Versicherungsfall eingetreten und damit das Vollrecht des Versicherten entstanden ist. Das bedeutet für den Versicherten in der Vorleistungsphase vor Eintritt des Versicherungsfalles jedoch nicht, dass ihm im Blick auf die von ihm später möglicherweise beanspruchbaren Versicherungsleistungen noch kein subjektiv-öffentliches Recht - außer Nebenrechten auf Beratung, Auskunft etc - zustünde.

2. Zum Schutzbereich (Gewährleistungsgehalt) der Rentenanwartschaft

Im Kernsystem der pflichtversicherten Selbstständigen und Beschäftigten bewertet das Gesetz materiell-rechtlich kalenderjährlich die Vorleistung des Versicherten in ihrem relativen Wert zur durchschnittlichen Vorleistung der pflichtversicherten Arbeitnehmer und bemisst dies in der "Kunstwährung der EP", die in jedem Kalenderjahr jedenfalls in ihrem Mindestwert feststehen und Jahr für Jahr zusammengezählt (addiert) werden. So wächst die Summe dieser rein relativen Vorleistungswerte im Vergleich zu den zeitgleich Versicherten Kalenderjahr für Kalenderjahr an. Sie drückt das Verhältnis aus, in dem der Versicherte im Vergleich zum Durchschnitt der Arbeitnehmer zur Erwirtschaftung der Erträge der Unternehmen beigetragen hat, aus denen in jedem Kalenderjahr jeweils die Rentenversicherungsträger durch Beiträge der Arbeitgeber und der Selbstzahler ua die Renten an die Rentner bezahlt haben. Da die Vorleistung dem Versicherten im Kernsystem der GRV, die eine Zwangsversicherung ist, nicht als rein fremdnütziges Sonderopfer auferlegt werden darf, muss dem Einzelnen rechtlich garantiert werden, dass sie später nach denselben Grundsätzen berücksichtigt wird, die während der Vorleistungsphase für die Versicherungsleistungen an die Rentner galten (Systemversprechen).

Dies bedeutet gerade keine - systemwidrige - Festschreibung der einzelnen Versicherungsleistungen nach Art und Höhe, wie sie jeweils in der Vorleistungsphase bestanden haben, sondern allein die Fortführung der systemprägenden Grundsätze. Dazu gehören ua ein ausreichender Versicherungsschutz bei krankheits- oder behinderungsbedingter Minderung der Erwerbsfähigkeit, eine Altersversicherung bei altersbedingter Unzumutbarkeit des weiteren Einsatzes vorhandener Erwerbsfähigkeit und eine Lebensversicherung des Versicherten auf den eigenen Todesfall zu Gunsten des Ehegatten und der Kinder (sog Hinterbliebenenversicherung), ferner das Rentnerlohnprinzip, das den Rentnern eine Rentenhöhe in der Nähe der aktiven Versicherten gewährleistet, die im Wesentlichen von den relativen Vorleistungswerten des einzelnen Rentners sowie dynamisch von dem Arbeitsverdienst der aktuell Beschäftigten abhängt. Demgemäß betonen (derzeit) ua die §§ 34, 63 Abs 1 bis 3 SGB VI den engen Zusammenhang zwischen der kalenderjährlich für eine Mindestzeit (Wartezeit) erbrachten relativen Vorleistung mit dem nur unter der Bedingung des Eintritts des Versicherungsfalles ggf entstehenden Stammrechts auf Rente und dessen Geldwert. Daraus wird ersichtlich, dass das Gesetz dem Versicherten schon in der Vorleistungsphase nach Ablauf der Mindestversicherungszeit (allgemeinen Wartezeit), nach der die Entstehung eines Stammrechts bei Eintritt eines Versicherungsfalls möglich ist, die Befugnis zuerkennt, seine Lebensführung und Lebensplanung auf das Systemversprechen einzustellen. Denn es ist - anders als im Fürsorgerecht - gerade Aufgabe der GRV, den - ggf um Beitragszahlungen bei Selbstzahlern und uU Beitragsabzügen bei Beschäftigten verminderten - Arbeitsverdienst von weiteren Vorsorgekosten für krankheitsbedingte/behinderungsbedingte Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit, Alter und im Falle des Todes für den Unterhalt des Ehegatten und der Kinder nach Maßgabe der Systemgrundsätze freizustellen, die in der Vorleistungsphase galten. In diesem Sinne wird ihm ein Teilhaberecht zugeordnet, dessen Wert nicht in Geldbeträgen, sondern in Verhältniswerten (EP) bemessen ist, und ihm gewährleistet, nach Eintritt eines Versicherungsfalls einen "Rentnerlohn" in einem entsprechenden Verhältnis zum Durchschnittseinkommen der dann aktiven Arbeitnehmer zu erhalten, und ihn deshalb vor nachträglichen Entwertungen der bereits kraft Gesetzes erlangten Rangstelle schützt.

3. Die Rentenanwartschaft schützt keine Aussicht auf Sonderrechte

Hingegen erfasst der Zuweisungsgehalt der Rentenanwartschaft und des Anwartschaftsrechts auf Rente keine Sonderrechte, deren Entstehung (nicht etwa erst deren Bestand) von der Erfüllung zusätzlicher Voraussetzungen abhängt, solange diese noch nicht erfüllt sind. Die Rentenanwartschaft kann allein durch die allgemein erforderliche Vorleistung und durch Zeitablauf in ein solches Sonderrecht nicht erstarken. Die durch das RRG 1992, dessen Regelungen der Kläger nicht angreift, in der Altersversicherung neu gefassten Gestaltungsrechte für Schwerbehinderte, Berufsunfähige und Erwerbsunfähige (§ 37 SGB VI) für Langzeitarbeitslose und Anpassungsgeldempfänger (§ 38 SGB VI) und für Frauen (§ 39 SGB VI) setzen jeweils zu ihrer Entstehung voraus, dass der Versicherte Schwerbehinderter, berufsunfähig oder erwerbsunfähig oder lange Zeit arbeitslos gewesen ist bzw Anpassungsgeld bezogen und in den letzten zehn Jahren vor Beginn der Rente acht Jahre Pflichtbeitragszeiten oder - bei Frauen - nach Vollendung des 40. Lebensjahres mehr als zehn Jahre Pflichtbeitragszeiten hat. Das - andersartige - Sonderrecht für langjährig Versicherte setzt die Erfüllung einer besonders langen Wartezeit voraus (§ 36 SGB VI). Rentenanwartschaftsinhaber, welche diese Zusatzvoraussetzungen für die Sonderrechte nicht erfüllen, erlangen - wie es das SGB VI gerade als Regelfall vorschreibt - erst mit Vollendung des 65. Lebensjahres das Stammrecht (Vollrecht) auf RAR. Im Übrigen hängen alle Sonderrechte auch von deutlich höheren Vorleistungszeiten (Wartezeiten) ab, als es die Entstehung eines Stammrechts auf RAR voraussetzt. Schon deshalb gehört der Fortbestand derartiger Sonderrechte, die für einige Versicherte in der Zukunft vielleicht entstehen können, nicht zum individuellen subjektiv-rechtlichen Zuweisungsgehalt (Gewährleistungsgehalt) der Rentenanwartschaft jedes Versicherten, solange die Zusatzvoraussetzungen nicht erfüllt sind.

4. Keine Beeinträchtigung eines subjektiv-rechtlich geschützten Vermögenswertes

Die vom Kläger angegriffenen Gesetzesänderungen haben ihn auch nicht in einem vermeintlichen "Vermögenswert" seiner Rentenanwartschaft oder in dem seines Anwartschaftsrechts auf Rente beeinträchtigt.

a) Die Rentenanwartschaft hat auch in der Altersversicherung keinen individuell konkretisierten Vermögenswert. Es gibt keinen auch nur hypothetisch benennbaren Geldwert, welcher einer Rentenanwartschaft kraft Gesetzes bereits konkret zugewiesen wäre, so dass der Anwartschaftsinhaber über ihn verfügen oder ihn zur verlässlichen Grundlage konkreter Vermögensverfügungen machen könnte. Dieses subjektiv-öffentliche Recht hat nur einen abstrakten Vermögenswert, der darin besteht, dass ihre Inhaber nach Maßgabe des Systemversprechens von weiteren Vorsorgeaufwendungen aus ihrem Arbeitsverdienst aus versicherter Beschäftigung oder Tätigkeit absehen können. Ob diese abstrakte wirtschaftliche Nützlichkeit, die dem Einzelnen keine der Vermögensfreiheit unterfallenden konkreten Befugnisse vermittelt, ausreicht, Grundrechtsschutz aus Art 14 Abs 1 GG zu begründen, kann hier offen bleiben.

b) Denn auch dann, wenn der Kläger schon zum 1. August 1996 ein Anwartschaftsrecht auf Altersrente erlangt hätte, wäre er von keiner der angegriffenen Gesetzesänderungen in dessen Vermögenswert beeinträchtigt worden. Dem Anwartschaftsrecht hat § 109 SGB VI (in jeder seit 1992 gültigen Fassung) einen hypothetischen Vermögenswert mit der Bestimmung zugeordnet, dass dieser eine Grundlage - wenn auch kein Objekt - von Vermögensverfügungen des Versicherten sein soll. Denn den Versicherten, die das 54. Lebensjahr vollendet haben, muss der Versicherungsträger nicht nur mitteilen, welche Vorleistungen sie erbracht und welchen relativen Wert, welche Rangstelle, sie erlangt haben, sondern er muss auch den Wert einer auf den Auskunftszeitpunkt bezogenen fiktiven RAR mitteilen; sodann muss er auf Antrag des Versicherten, der prüft, ob er von Sonderrechten Gebrauch machen will, die Höhe der erforderlichen Beitragszahlung (meist mehrere Zehntausend Euro) mitteilen, die zum Ausgleich einer Rentenminderung bei vorzeitiger Inanspruchnahme einer Rente wegen Alters erforderlich ist, sowie über die ihr zu Grunde liegende Altersrente. Dadurch soll der Versicherte eine verantwortliche Vermögensentscheidung über seine Altersvorsorge auf der Kalkulationsgrundlage einer fiktiven RAR treffen können. Somit weist das Gesetz der - bislang nur abstrakt vermögenswerten - Rentenanwartschaft jetzt einen konkreten, wenn auch hypothetischen (Mindest-)Vermögenswert als konkrete Grundlage für Vermögensverfügungen von erheblichem wirtschaftlichen Wert zu; damit wird die Rentenanwartschaft zu einem vermögenswerten Recht des einzelnen Versicherten, das zweckmäßigerweise auch terminologisch von der bloßen Rentenanwartschaft zu unterscheiden ist. Hierfür bietet sich der Ausdruck "Anwartschaftsrecht" an.

In diesen Vermögenswert hat aber keine der Gesetzesänderungen eingegriffen, weil sie sich darauf beschränken, Abschläge vom Zugangsfaktor 1,0 auszugestalten, falls die Altersrente "vorzeitig" in Anspruch genommen wird. Der hypothetische (Mindest-)Geldwert, der dem Anwartschaftsrecht im vorgenannten Sinne zugewiesen ist, ist jedoch der Geldwert eines "normalen" Stammrechts (Vollrechts) auf RAR, das erst mit Vollendung des 65. Lebensjahres entsteht und dessen Geldwert stets unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von (mindestens) 1,0 bestimmt ist. Die Gesetzesänderungen betreffen also - wie bereits gesagt - ausschließlich den Geldwert eines entstandenen Vollrechts auf Altersrente, wenn dessen Entstehung "vorzeitig" herbeigeführt wurde.

5. Keine Beeinträchtigung der allgemeinen Handlungsfreiheit

Auch die allgemeine Handlungsfreiheit des Klägers aus Art 2 Abs 1 GG wird durch die Gesetzesänderungen nicht beeinträchtigt. Dies liegt für die sog natürliche Handlungsfreiheit auf der Hand. Soweit Art 2 Abs 1 GG iVm dem sog Rechtsstaatsprinzip vor verfassungswidrigen Belastungen einfachgesetzlich gewährter subjektiver Rechte schützt, liegt keine Beeinträchtigung subjektiver Rechte des Klägers vor; denn subjektive einfachgesetzliche Rechte des Klägers, welche durch die angegriffenen Gesetzesänderungen beeinträchtigt und ggf verletzt werden könnten, standen dem Kläger - wie ausgeführt - nicht zu. Ein subjektives Recht des Einzelnen, auf den Fortbestand einer objektiven Gesetzeslage vertrauen zu können, die ihm günstig ist und Aussichten auf den späteren Erwerb von Rechten vermittelt hat, gibt es nicht. Soweit das objektive Recht nicht zugleich dem Einzelnen auch subjektive Rechte vermittelt, berühren Gesetzesänderungen subjektive Rechte nicht und können sie schon deshalb nicht verletzen.

6. Kein Recht auf Unterlassen von Gesetzesänderungen

Ein allgemeines subjektives Recht des Einzelnen gegen den Staat auf Unterlassung als nachteilig empfundener Gesetzesänderungen gibt es nicht. Entgegen der Ansicht des Klägers wurde für ihn ein konkretes Unterlassungsrecht gegen die gesetzgebende Gewalt auch nicht dadurch begründet, dass das RRG 1992 ua das seit 1957 bestehende Gestaltungsrecht für Langzeitarbeitslose wirtschaftlich unattraktiver gemacht hat. Falls das Gestaltungsrecht "vorzeitig" ausgeübt und dadurch ein Stammrecht auf Altersrente begründet wird, wird dessen Geldwert dadurch gekürzt, dass ein Teil der individuellen Vorleistung dauerhaft unberücksichtigt bleibt. Dies geschieht mittels Absenkung des Zugangsfaktors. Das RRG 1992 hat dabei den Beginn der Wirksamkeit dieser Rechtsänderung aufschiebend auf Bezugszeiten ab 1. Januar 2001 befristet. Das Gesetz hat aber durch diese aufschiebende Befristung keine subjektiv-öffentlichen Rechte der einzelnen Versicherten gegen die gesetzgebende Gewalt des Bundes etwa mit dem Inhalt begründet, eine Verkürzung dieser aufschiebenden Frist oder eine Neugestaltung der Übergangsregelung zu unterlassen. Da die neue, aufschiebend befristete Übergangsregelung bei ihrem Inkrafttreten in kein bestehendes Gestaltungsrecht und in keine Anwartschaft hierauf einwirkte, handelte es sich objektiv um eine Billigkeitsregelung, mit der politisch/sozialpsychologisch zugleich einer schon damals die Gesetzeslage zu gesetzesfremden Zwecken ausnutzende "Frühverrentungspraxis" und einer entsprechenden gesetzesfremden Erwartungshaltung entgegengewirkt werden sollte. Eine objektive Selbstbindung des damaligen Deutschen Bundestages, er selbst und seine Nachfolger dürften die Abschlagsregelung weder vorziehen noch ändern, ist dadurch nicht verlautbart worden. Erst recht fehlt jeder Hinweis darauf, es solle den einzelnen Versicherten ein einklagbares Recht auf Unterlassung solcher Änderungen zugestanden werden.

Die vom Kläger angegriffenen Änderungen der Abschlagsregelung gegenüber § 41 Abs 1 SGB VI idF des RRG 1992, die das Revisionsgericht in der zuletzt durch RVNG (dazu oben 2. Teil, VII.) geänderten Fassung des § 237 SGB VI als Prüfungsmaßstab zu Grunde zu legen hat, haben somit kein subjektiv-öffentliches Recht des Klägers beeinträchtigt, das vor Entstehung des Vollrechts auf Altersrente mit Wirkung zum 1. Oktober 2001 bestanden hat; ein solches Recht können sie daher erst recht nicht verletzt haben.

4. Abschnitt: Keine gleichheitswidrige gesetzliche Ausgestaltung des Geldwertes des Vollrechts (Stammrechts), abgesehen von den Vorlagefragen

Falls die Vorlagefragen zu bejahen sind, liegt auch keine verfassungswidrige Ausgestaltung des Geldwerts des Vollrechts (Stammrechts) auf Altersrente vor, das für den Kläger zum 1. Oktober 2001 entstanden ist.

I. Kein gesetzlicher Eingriff in den Gewährleistungsgehalt des Vollrechts

Die vom Kläger angegriffenen gesetzlichen Regelungen können schon deshalb keinen Substanzeingriff in den Zuweisungsgehalt (Gewährleistungsgehalt) dieses Vollrechts enthalten, weil dieses subjektive Recht erst unter ihrer Geltung entstanden ist. Sie sind die materiell-rechtlichen Regelungen, die erstmals den Geldwert dieses Vollrechts festgelegt haben. Das Gesetz, das dem Bürger ein subjektiv-öffentliches Recht zuerkennt, kann als erstes rechtsbegründendes Gesetz nicht selbst durch eine bestimmte Regelung (hier: Zuweisung eines bestimmten Zugangsfaktors) Rechtsmacht zuweisen und zugleich selbst in diese eingreifen. Schon deshalb liegt kein gesetzlicher Eingriff in den durch dasselbe Gesetz zugeordneten Vermögenswert vor.

II. Keine Verletzung des Grundrechts auf Gleichheit vor dem Gesetz durch gleich-heitswidrige Zuordnung von Vollrechten

1. Zur Möglichkeit einer Gleichheitsverletzung

Das Fehlen einer Substanzbeeinträchtigung schließt aber nicht aus, dass der Vermögenswert des eigentumsgeschützten Vollrechts zum Nachteil des Rechtsinhabers unter Verstoß gegen sein Grundrecht auf Gleichheit vor dem Gesetz (Art 3 Abs 1 GG) gleichheitswidrig ausgestaltet ist. Denn eine gleichheitswidrige Zuweisung von subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt das Recht eines jeden Versicherten auf Gleichheit vor dem Gesetz.

§§ 237 Abs 3 Satz 2, 77 Abs 2 Nr 2 Buchst a SGB VI unterscheiden zwischen einer "vorzeitigen Inanspruchnahme" und einer "nichtvorzeitigen Inanspruchnahme" der Altersrente und mittels § 77 Abs 2 Satz 1 Nr 2 Buchst b SGB VI außerdem zwischen dem hinausgeschobenen Bezug einer RAR (Zugangsfaktor erhöht) und einer vor Vollendung des 65. Lebensjahres und insoweit "frühzeitig", aber nicht "vorzeitig" in Anspruch genommenen Altersrente. Der erkennende Senat hat sich bei der hier allein zu prüfenden Abschlagsregelung nach Ausübung des Gestaltungsrechts wegen Arbeitslosigkeit im Ergebnis nicht iS von Art 100 Abs 1 GG davon überzeugen können, dass die Zuweisung unterschiedlicher Vermögenswerte trotz gleicher Vorleistung an Regelaltersrentner, frühzeitige Rentner ohne Abschlag und an vorzeitige Rentner und die daran anknüpfenden weiteren Ungleichbehandlungen innerhalb der Gruppe der "vorzeitigen" Rentner (mit Ausnahme der in den Vorlagefragen angesprochenen Ungleichbehandlungen) für die Übergangszeit bis zur Abschaffung dieses Sonderrechts ab 2017 mit Art 3 Abs 1 GG nicht vereinbar sind.

2. Keine Verfassungswidrigkeit der Abschaffung des Gestaltungsrechts wegen Arbeitslosigkeit

Seit dem 1. Januar 2000 ist gesetzlich entschieden, dass das Gestaltungsrecht wegen Arbeitslosigkeit (und Altersteilzeit) mit Wirkung für Bezugszeiten ab 1. Januar 2017 vollständig und ersatzlos abgeschafft wird. Gründe, die zwingen, diese Entscheidung für verfassungswidrig zu halten, liegen nicht vor. Insbesondere gibt es keine verfassungsrechtliche Pflicht der gesetzgebenden Gewalt des Bundes, in den verschiedenen Zweigen der Sozialversicherung und der Alg-Versicherung des Arbeitsförderungsrechts (Drittes Buch Sozialgesetzbuch) "Nahtlosigkeit" der verschiedenen Versicherungsleistungen für die Pflichtversicherten vorzusehen. Im Grundgesetz findet sich keine Andeutung dafür, dass der Gesetzgeber für das rentenversicherungsfremde Risiko dauerhafter Arbeitslosigkeit besondere rentenversicherungsrechtliche Rechte und diese dazu noch mit höheren als den für den Regelfall der RAR vorgesehenen Vermögenswerten ausgestalten müsste. Da die Entscheidung zur Abschaffung des Gestaltungsrechts wegen Arbeitslosigkeit bei ihrem Inkrafttreten kein damals bestehendes Gestaltungsrecht und keine Anwartschaft hierauf abgeschafft hat, liegen keine überzeugenden Gründe für die Annahme vor, die Abschaffungsentscheidung sei verfassungswidrig.

3. Gebotenheit der Verfassungsgemäßheit der aus Billigkeit getroffenen Übergangsregelung

Auf dieser Grundlage war der Senat nicht davon überzeugt, dass die Differenzierungen in den Übergangsregelungen bis zur völligen Abschaffung dieses Gestaltungsrechts gleichheitswidrig waren (mit Ausnahme der Vorlagethemen), obwohl in mehrfacher Hinsicht Differenzierungen zwischen Personen vorgenommen werden, deren Vereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz bei einer auf Dauer angelegten Gesetzgebung fraglich ist. Allerdings kann allein aus dem Umstand, dass das Gesetz das Gestaltungsrecht wegen Arbeitslosigkeit schon 1999 hätte abschaffen können, nicht gefolgert werden, eine Übergangsregelung dürfe in sich verfassungswidrig ausgestaltet sein. Einer solchen Übergangsregelung bedurfte es allerdings nicht, weil - wie gesagt - ein Eingriff in bestehende Rechte mit der Abschaffungsentscheidung nicht verbunden war. Entscheidet sich der Gesetzgeber aus Billigkeit und aus Gründen des politischen "Vertrauensschutzes", der die allgemeine Akzeptanz einer künftig wirksam werdenden Änderung fördern soll, dazu, ein Rechtsinstitut - ohne Eingriff in subjektive Rechte - nicht sofort, sondern erst nach einer Übergangszeit mittels einer Übergangsregelung abzuschaffen, muss diese - verfassungsrechtlich nicht gebotene - Übergangsregelung gleichwohl selbst den Anforderungen der Verfassung genügen; sie ergeht nicht in einem "verfassungsfreien" Raum. Dabei muss andererseits stets berücksichtigt werden, dass es gerade Aufgabe einer Übergangsregelung ist, die Betroffenen nach ihrer sachlichen und zeitlichen Nähe zum Erwerb eines der im abzubauenden Institut vorgesehenen Rechte sachangemessen ungleich zu behandeln.

Der Senat, der - nur - die Übergangsregelungen für die "Rente wegen Arbeitslosigkeit" und dabei nur die Verschiebungen der Grenze zwischen ungekürztem und gekürztem Geldwert des Stammrechts, also die gleitenden Verschiebungen der "Vorzeitigkeit", im Vergleich zu den beiden Gruppen von Altersrentnern ohne Abschläge zu prüfen hat, hält die Differenzierungen nach Ausmaß und Intensität für noch nicht gleichheitswidrig.

4. Zur Systemwidrigkeit einer abschlagsfreien Altersrente vor Vollendung des 65. Lebensjahres

Seit 1957 führte die Ausübung des Gestaltungsrechts wegen Arbeitslosigkeit zum Entstehen eines Stammrechts auf Altersrente, dessen Geldwert (Monatsbetrag der Rente) unvermindert war, obwohl der Berechtigte mindestens einen Monat und höchstens 60 Monate zusätzliche Rentenbeträge erhielt. Er hatte also einen zusätzlichen Vermögensvorteil im Vergleich mit einem Versicherten, der mit gleicher Vorleistung RAR bezog. Sein Vorteil gegenüber dem RAR-Rentner bestand erstens in dem Recht, Altersrente überhaupt schon vor Eintritt des gesetzlich bestimmten (Regel-)Versicherungsfalls der Vollendung des 65. Lebensjahres beziehen zu dürfen; zweitens wurde ihm darüber hinaus auch der Vermögensvorteil zuerkannt, bis zu 60 Kalendermonate an weiteren Rentenbeträgen zusätzlich zur RAR ohne besondere Vorleistung hierfür zu erhalten. Dies galt auch dann, wenn er dieselbe Vorleistung wie ein Versicherter erbracht hatte, der erstmals kraft Gesetzes mit Vollendung des 65. Lebensjahres ein Stammrecht auf Altersrente erlangte. Das Gesetz behandelte also alle "vorzeitigen Altersrentner wegen Arbeitslosigkeit" untereinander gleich und bevorzugte sie - ohne Rechts- oder Sachgrund und zu Lasten der Beitragszahler - auch im Vermögenswert (bis zu 60 zusätzliche Rentenbeträge) gegenüber Regelaltersrentnern mit gleicher Vorleistung für die GRV. Es bedarf heute keiner Prüfung mehr, ob diese krass systemwidrige Ungleichbehandlung im Vermögenswert trotz gleicher Vorleistung verfassungsgemäß war. Denn das Gesetz schafft diese Systemwidrigkeit gerade ab.

5. Zur vermögensrechtlichen Besserstellung der "nicht vorzeitigen" frühzeitigen Rentner

Seit dem 1. August 1996 unterscheidet das Gesetz innerhalb der Gruppe derjenigen, welche die Inanspruchnahme der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit vorziehen können. Diejenigen, welche die Rente nach den Tabellenwerten "vorzeitig" beziehen, müssen dauerhaft, dh für die gesamte Dauer des Altersrentenbezuges (und einer Hinterbliebenenrente), einen Abschlag vom Zugangsfaktor 1,0 in Höhe von 0,003 für jeden Monat des "vorzeitigen" Rentenbezuges hinnehmen. Dies gilt auch dann, wenn ihr Vorteil aus dem vorzeitigen Bezug durch den ab Rentenbeginn laufenden Abschlag längst abgeschmolzen ist (Vorlagefrage 2.). Demgegenüber bleiben diejenigen Versicherten mit gleicher Vorleistung (Summe der EP), die vor Vollendung des 65. Lebensjahres die Rente frühzeitig, aber "nicht vorzeitig" in Anspruch nehmen, auf Lebenszeit in ungeschmälertem Genuss ihrer zusätzlichen Vermögenswerte. Sie werden also sowohl im Vergleich mit den "vorzeitigen" Rentnern als auch in dem mit den RAR-Rentnern trotz gleicher Vorleistung vermögensrechtlich auf Kosten Dritter besser gestellt. Diese Ungleichbehandlung ist nur auf Grund der Abschaffungsentscheidung für die Dauer der insoweit abgestuften Übergangsregelung hinnehmbar.

6. Zu den Differenzierungen unter den "vorzeitigen" Rentnern

Im Wesentlichen Gleiches gilt für die Differenzierungen unter den Versicherten, die bei gleicher Vorleistung die Altersrente "vorzeitig" in Anspruch nehmen.

a) Grundsätzlich differenziert das Gesetz insoweit zwischen drei Gruppen von Versicherten, nämlich

aa) den vor dem 1. Januar 1937 geborenen, auf welche keine Abschlagsregelung Anwendung findet unabhängig davon, wann das Gestaltungsrecht oder eine Anwartschaft hierauf entstanden war (3. Stufe),

bb) den Versicherten, denen aus den in § 237 Abs 4 Satz 1 Nr 1 bis 3 SGB VI genannten Gründen und in den dort genannten Grenzen im Wesentlichen die Übergangsregelung des RRG 1992 erhalten geblieben ist; dh ua, dass solche vor 1941 geborenen Versicherten keinen Abschlag hinnehmen müssen (2. Stufe),

cc) den von § 237 Abs 3 Satz 3 und 4 iVm Anlage 19 SGB VI erfassten Versicherten, die zwischen dem 1. Januar 1937 und dem 30. November 1951 geboren sind (1. Stufe = Grundregelung).

Die Ungleichbehandlung dieser Gruppen von Versicherten sogar bei gleicher Vorleistung für die GRV rechtfertigt sich allein aus dem Programm der gleitenden Abschaffung des systemwidrigen Vermögensvorteils bei vorgezogener Inanspruchnahme der Altersrente. Dass Personen in dieses Programm nicht einbezogen wurden, bei denen typischerweise davon auszugehen war, dass sie im Zeitpunkt seiner Einleitung bereits ein Gestaltungsrecht oder eine Anwartschaft hierauf erworben hatten, also den systemwidrigen Vorteil im Regelfall auch schon erlangt hatten, ist - entgegen der Ansicht des Klägers - beim Übergang vom systemwidrigen zum systemgemäßen Zustand ua schon deshalb hinnehmbar, weil anderenfalls typischerweise ein auch verfassungsrechtlich problematischer Eingriff in ein zuerkanntes Recht erforderlich geworden wäre.

b) Die zweite Stufe der durch § 237 Abs 4 SGB VI Geschützten ist in sich (mit Ausnahme der in den Vorlagefragen angesprochenen Themen) noch gleichheitsgemäß ausgestaltet worden. Die drei Gründe für eine Sonderbehandlung des dort erfassten Personenkreises beruhen auf dem Rechtsgedanken, dass bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die Entscheidung der Bundesregierung zu einer Gesetzesinitiative zwecks Neugestaltung der Abschlagsregelung in der Öffentlichkeit allgemein bekannt war (14. Februar 1996), Arbeitslosigkeit oder ein gleicher Zustand eingetreten war oder auf Grund von grundsätzlich nicht mehr rückgängig zu machenden Dispositionen nach dem Stichtag eintreten würde. Hierbei wurde aus Billigkeitsgründen berücksichtigt, dass das bisherige Gestaltungsrecht mit seinen systemwidrigen Vermögensvorteilen im privatrechtlichen Rechtsverkehr, vor allem im Arbeitsrecht, Kalkulationsgrundlage für privatrechtliche Entscheidungen über die Beendigung von Arbeitsverhältnissen gewesen war.

aa) Hierauf ist nicht näher einzugehen, weil der Kläger unter den Sondertatbestand des § 237 Abs 4 Satz 1 Nr 1 SGB VI schon deshalb nicht fällt, weil er erst nach dem 14. Februar 1941, nämlich am 4. September 1941, geboren wurde. Durch diesen Stichtag grenzt das Gesetz die Personen ab, die - weil älter als 55 Jahre - bereits in eine solche zeitliche Nähe zur möglichen Entstehung eines Gestaltungsrechts wegen Arbeitslosigkeit (bzw ab Vollendung von 59 1/2 Jahren einer Anwartschaft hierauf) waren, dass ihre vor allem arbeitsrechtlichen Dispositionen nach der damals üblichen "Frühverrentungspraxis" bereits getroffen und nur noch schwer rückgängig zu machen waren. Das ist - vor allem im Zusammenhang einer Übergangsregelung zur Abschaffung von Systemwidrigkeiten - nicht sachfremd.

bb) Unter die von § 237 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB VI zusammengefasste Sondergruppe fällt der Kläger schon deshalb nicht, weil er aus keinem Betrieb der Montanindustrie ausgeschieden ist. Auch in dieser Fallgruppe geht es um vor dem 14. Februar 1996 ausgeschiedene Arbeitnehmer, die sich aber in einer Maßnahme befanden, die vor diesem Stichtag nach dem Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl genehmigt war; daraus erklärt sich auch der weitere Stichtag des 14. Februar 1944, weil bestimmte Fördermaßnahmen schon für damals 52-Jährige genehmigt werden konnten.

cc) Der Kläger fällt - nach der Gesetzeslage - auch nicht unter die Sondergruppe des § 237 Abs 4 Satz 1 Nr 3 SGB VI. Zwar ist er vor dem 1. Januar 1942 geboren; auch hat er mehr als 45 Jahre (= 540 Kalendermonate) mit Pflichtbeiträgen belegt, nämlich 544 Monate an Beitragszeiten. Das Gesetz verlangt aber, dass es sich um Beitragszeiten für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit gehandelt haben muss; jedoch zählen entgegen § 55 Abs 2 Nr 3 SGB VI solche Beitragszeiten nicht als Beitragszeiten für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit, in denen der Versicherte wegen des Bezugs von Alg oder Arbeitslosenhilfe (Alhi) versicherungspflichtig war. Der Kläger hat jedoch 32 Monate an Pflichtbeiträgen dieser Art. Falls die Vorlagefrage 1. zu bejahen ist, liegt kein zwingender Grund vor, die Sonderregelung des § 237 Abs 4 Satz 1 Nr 3 SGB VI für gleichheitswidrig zu erachten.

dd) Schließlich sind Anhaltspunkte weder dargetan noch ersichtlich, die Ausgestaltung der Anlage 19 SGB VI sei in sich gleichheitswidrig. Sie führt für Geburtsjahrgänge ab Januar 1937 in Monatsschritten zur Abschmelzung des "vorzeitigen Vermögensvorteils", bis mit dem Geburtsmonat Dezember 1941 alle Bezugszeiten vor der Vollendung des 65. Lebensjahres in die Abschmelzung einbezogen werden. Da der Kläger im September 1941 geboren ist, waren bei ihm 57 Kalendermonate an zusätzlichem Rentenbezug abzuschmelzen, wie durch die Rentenhöchstwertfestsetzung vom 11. Oktober 2001 erfolgt.

Ergebnis des 3. Teils: Falls die Vorlagefragen zu bejahen sind, ist das von der Beklagten gesetzmäßig angewandte Gesetz verfassungsgemäß, so dass das SG die Klage zu Recht abgewiesen hat und die Revision des Klägers zurückgewiesen werden muss.

4. Teil: Zur Vorlagepflicht nach Art 100 Abs 1 GG

1. Abschnitt: Zur Vorlagefrage 1

Der Senat ist iS des Art 100 Abs 1 GG davon überzeugt, dass der Geldwert des zum 1. Oktober 2001 entstandenen Stammrechts (Vollrechts) des Klägers auf Altersrente, das grundrechtliches Eigentum iS von Art 14 Abs 1 GG ist, durch die "45-Jahre-Klausel" des § 237 Abs 4 Satz 1 Nr 3 iVm § 77 Abs 2 Satz 1 Nr 2 Buchst a SGB VI gleichheitswidrig ausgestaltet worden ist, ohne dass eine verfassungskonforme Auslegung der gesetzlichen Regelungen möglich ist; ferner kommt es für die Entscheidung des Revisionsgerichts darauf an, ob und mit welchem Inhalt die gesetzgebende Gewalt die gleichheitswidrigen gesetzlichen Regelungen ersetzen muss.

Diese Sonderregelung gehört zur Stufe 2 der Differenzierungen unter den "vorzeitigen" Rentnern und begünstigt diese gegenüber denjenigen der Grundregelung der Stufe 1 (Anlage 19 zum SGB VI). Sie wurde insoweit inhaltsgleich durch das RRG 1999 mit Rückwirkung zum 1. Januar 1997 als § 237 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB VI aF eingefügt. Sie enthält eine gleichheitswidrige Inhaltsbestimmung des Renteneigentums iS von Art 14 Abs 1 Satz 2 GG iVm Art 3 Abs 1 GG und eine gleichheitswidrige Benachteiligung von Versicherten, die Kinder erzogen haben (Art 3 Abs 1 GG iVm Art 6 Abs 1 GG). Die durch Sachgründe nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung liegt darin, dass vor dem 1. Januar 1942 geborene Versicherte in die Begünstigungsstufe 2 nicht mit einbezogen worden sind, die eine (wenigstens) gleich hohe Vorleistung für die GRV erbracht haben wie die Begünstigten. Es wurde nur der Zeit-, nicht aber der Wertaspekt der Vorleistung berücksichtigt.

I. Zur Ausgestaltung der "45-Jahre-Klausel", "Gesetzesmaterialien" und empirische Grundlagen

1. Rechtliche Vorgaben

Nach § 237 Abs 4 Satz 1 Nr 3 SGB VI wird die Altersgrenze von 60 Jahren bei der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit für Versicherte, die vor dem 1. Januar 1942 geboren sind und 45 Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben, wobei § 55 Abs 2 SGB VI nicht für Zeiten anzuwenden ist, in denen Versicherte wegen des Bezuges von Alg oder Alhi versicherungspflichtig waren, für Geburtsjahrgänge vor Januar 1942 gemäß der Übergangsregelung des RRG 1992 angehoben (dazu näher oben 2. Teil, V.). Wie bereits ausgeführt, hat der am 4. September 1941 geborene Kläger in 544 Beitragsmonaten (= 45 Jahre und vier Monate) Vorleistungen im Wert von 68,7973 EP erbracht. Gleichwohl wird er von dieser Fallgruppe nicht erfasst, weil er keine "45 Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit" hat, wie das SG mit Bindung für das BSG festgestellt hat; auch der Kläger hat dies nicht in Frage gestellt. Er hat nämlich nach dem Bescheid vom 11. Oktober 2001 jedenfalls 32 Monate mit Pflichtbeiträgen, welche die Bundesanstalt für Arbeit (BA) iS von § 55 Abs 2 Nr 3 SGB VI mitgetragen hat.

2. Schweigen der Gesetzesmaterialien

Die sog Gesetzesmaterialien (oben 2. Teil, V. B.) geben keinen Aufschluss darüber, aus welchem Grund und zu welchem Zweck die Begünstigungsgrenze "45 Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit" unter Ausschluss von durch die BA mitgetragenen Beitragszeiten wegen des Bezuges von Alg oder Alhi gerade an dieser Stelle gezogen worden ist. Erkennbar ist aus dem Gesetzestext, dass die günstigere Übergangsregelung des RRG 1992 für diejenigen vor Januar 1942 geborenen Versicherten erhalten bleiben sollte, die bei Inanspruchnahme der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit überdurchschnittlich lange Vorleistungen für die GRV durch eine pflichtversicherte Beschäftigung oder Tätigkeit erbracht hatten.

3. Zu den empirischen und versicherungsmathematischen Grundlagen

Bei Ausübung des Gestaltungsrechts wegen Arbeitslosigkeit (oder Altersteilzeitarbeit) hatten männliche Versicherte im alten Bundesgebiet 1997 durchschnittlich 43 Versicherungsjahre und im Jahr 2003 durchschnittlich 44,5 Versicherungsjahre zurückgelegt; in den neuen Bundesländern waren es 1997 durchschnittlich 44,4 bzw 45,7 Jahre. Frauen, die dieses Gestaltungsrecht wegen Arbeitslosigkeit/Altersteilzeitarbeit ausübten, hatten in den alten Bundesländern 1997 34,5 und im Jahr 2003 32,3 Versicherungsjahre zurückgelegt; bei Frauen in den neuen Bundesländern waren es 1997 40,5 und im Jahr 2003 40,3 Versicherungsjahre. Bei diesen Angaben von Versicherungsjahren handelt es sich aber nicht ausschließlich um "Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit", sondern jeweils um die Summe aus allen Beitrags- und beitragsfreien Zeiten; daher liegen die in § 237 Abs 4 Satz 1 Nr 3 SGB VI vorausgesetzten "45 Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit" im Durchschnitt der Versicherten erheblich unter den angegebenen Werten (vermutlich bei etwa 36 Jahren). Zugleich liegt auf der Hand, dass Frauen auf Grund ihrer typischen Versicherungsbiographie die Begünstigungsgrenze erheblich seltener erreichen können als Männer; dabei sind die Frauen aus den alten Bundesländern besonders benachteiligt. Aus der "Rentenversicherung in Zeitreihen" (herausgegeben vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, VDR e.V., Juli 2004, DRV-Schriften Bd 22 S 105, 106), aus der die vorgenannten Durchschnittswerte entnommen sind, ergibt sich ferner, dass die Versicherten, die bei Vollendung des 65. Lebensjahres die RAR in Anspruch nehmen, durchschnittlich eine wesentlich geringere Anzahl von Versicherungsjahren zurückgelegt haben, während die versicherten Männer, die von den besonderen Gestaltungsrechten Gebrauch gemacht haben, von 1997 bis 2003 deutlich über 40 Versicherungsjahre und damit wesentlich mehr als die versicherten Frauen zurückgelegt haben.

Auch die von der Beklagten angesprochenen veröffentlichten versicherungsmathematischen Untersuchungen zum vorzeitigen Rentenbezug bieten keine gesicherten bzw repräsentativen empirischen Belege dafür, dass eine typische Sondergruppe der allein wegen versicherter Beschäftigung oder Tätigkeit langjährig Versicherten existiert, die mit 60 Jahren oder kurz darauf 45 Jahre mit derart qualifizierten Pflichtbeiträgen hat (dazu auch unten III. Nr 2c).

Dies ergibt sich ua daraus, dass alle Untersuchungen unter der Prämisse erfolgten, der vorzeitige Rentenbeginn müsse innerhalb einer Zeitspanne von etwa 30 bis 40 Jahren für die Rentenversicherung mathematisch als kostenneutral dargestellt werden können. Daher kam es auf Art und Umfang der individuellen Vorleistung der Versicherten nicht an (Müller, DRV 1983 S 89 <102>; ders in Blätter der Deutschen Gesellschaft für Versicherungsmathematik 1983 S 69 <70>; Ohsmann/Stolz/Thiede, DAngVers 2003 S 171 <174>). Demzufolge waren für diese versicherungsmathematischen Berechnungen empirische Untersuchungen zu typischen Versicherungsbiografien nicht erforderlich. Datenerhebungen zu Versicherungsbiografien erfolgten, wenn überhaupt, nur durch Stichproben (1996, 2000, 2001) für Versicherte, die innerhalb eines bestimmten Jahres eine Altersrente auch tatsächlich vorzeitig in Anspruch genommen hatten (Ohsmann/Stolz/Thiede, DAngVers 2003 S 171 <174>; vgl neuerdings Kaldybajewa/Thiede, DAngVers 2004 S 497 <498>). Allerdings ist nicht ersichtlich, dass dabei nach der Art des ausgeübten Gestaltungsrechts bei vorzeitigem Rentenbeginn differenziert wurde, so dass typische Versicherungsbiografien in Bezug auf ein bestimmtes Gestaltungsrecht und das Lebensalter bei seiner Ausübung nicht Gegenstand der Untersuchungen waren. Nicht erfasst und nicht in die Modellrechnungen einbezogen wurden außerdem diejenigen Versicherten, die zwar innerhalb des jeweiligen Jahres sämtliche Voraussetzungen für die vorzeitige Altersrente erfüllt, also ein besonderes Gestaltungsrecht hatten, jedoch davon keinen Gebrauch gemacht haben. Schließlich ist die Aussagefähigkeit der in den versicherungsmathematischen Untersuchungen verwendeten Daten auch insoweit begrenzt, als unterschiedliche rechtliche Begriffe (Versicherungsjahre, Beitragsjahre, Pflichtbeiträge, Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit) trotz unterschiedlicher gesetzlicher Definition synonym verwendet oder teils nicht entsprechend der gesetzlichen Definition zu Grunde gelegt wurden (Ohsmann/Stolz/Thiede, DAngVers 2003 S 171; vgl neuerdings Kaldybajewa/Thiede, DAngVers 2004 S 497 <499>). Das BSG hat außer dem einschlägigen Vorbringen der Beklagten (in Schriftsätzen und im Termin) folgende Quellen gesichtet: Müller, Ein Modell zur Berechnung versicherungsmathematischer Abschläge in der gesetzlichen Rentenversicherung, Blätter der Deutschen Gesellschaft für Versicherungsmathematik 1983 S 2 bis 29; Müller, Zur Herabsetzung der Altersgrenze, DRV 1983 S 89 bis 117; Winter, Weniger Rentenabschläge durch Altersteilzeitarbeit?, Nachrichten der LVA Baden 2000 S 59 bis 65; Salthammer, Berechnung von versicherungsmathematischen Abschlägen bei vorzeitigem Rentenbezug im Umlageverfahren, DRV 2003 S 613 bis 619; Ohsmann/Thiede, Rentenabschläge bei vorgezogenem Rentenbeginn: Welche Abschlagssätze sind "richtig"?, DAngVers 2003 S 171 bis 179; Raulf/Gunia, Zwang zur geschlechtsneutralen Kalkulation in der betrieblichen Altersversorgung?, NZA 2003 S 534 bis 540; Kroker/Pimpertz, Frühverrentung. Zu billig weggekommen, Anlage zu: Direkt - Presseinformationen aus dem Institut der Deutschen Wirtschaft Köln, Jg 30, Nr 2 vom 6. Januar 2004; dieselben, Belastungsneutrale Abschläge bei Frühverrentung, iw-trends 4/2003 S 1 bis 10; Kaldybajewa/Thiede, Abschlagsfreier vorzeitiger Rentenbeginn für langjährig Versicherte?, DAngVers 2004 S 497 bis 505.

II. Zur rechtlichen Bedeutung der "45-Jahre-Klausel"

1. Keine Wartezeit, sondern Begünstigungsgrenze

Bei der "45-Jahre-Klausel" des § 237 Abs 4 Satz 1 Nr 3 SGB VI geht es nicht darum, ein zeitliches Mindestmaß an Vorleistungen für die Entstehung des Gestaltungsrechts wegen Arbeitslosigkeit festzusetzen. Vielmehr handelt es sich um die Unterscheidung zwischen Personengruppen, denen gemeinsam ist, dass sie das Gestaltungsrecht erworben und ausgeübt und ein Stammrecht auf Altersrente erlangt haben. Wie oben (3. Teil, II. 3.) ausgeführt, geht es um die Grenzziehung zwischen "vorzeitiger" und "nichtvorzeitiger" Ausübung des Gestaltungsrechts wegen Arbeitslosigkeit, beim Kläger also darum, ob statt der allgemeinen Grenzziehung in Anlage 19 SGB VI die für ihn günstigere Grenzziehung in § 237 Abs 4 Satz 1 Nr 3 SGB VI anwendbar ist. Dies hätte ggf zur Folge, dass er zum 1. Oktober 2001 die Altersrente nur um drei Monate "vorzeitig" in Anspruch genommen hätte, nicht aber - wie nach Maßgabe der Anlage 19 SGB VI - um 57 Monate. Im 3. Teil wurde bereits ausgeführt, dass die "Vorzeitigkeit" Bedeutung nur für den Geldwert des entstandenen Stammrechts auf Altersrente hat, dass also nur das Tatbestandsmerkmal "vorzeitig in Anspruch genommen" in § 77 Abs 2 Satz 1 Nr 2 Buchst a SGB VI ausgefüllt wird; diese Vorschrift ist selbst nur ein Faktor der Rentenformel des § 64 SGB VI, die nur den Geldwert eines Stammrechts auf Rente regelt.

2. "Vorzeitigkeitsgrenze" bestimmt die Unbeachtlichkeit erbrachter Vorleistungen (Beitragszahlungen)

Von der Frage, welche "Vorzeitigkeitsgrenze" maßgeblich ist, hängt ab, in welchem Umfang die vom Versicherten tatsächlich erbrachte und in der Summe der EP durch das Gesetz abschließend bewertete Vorleistung für die Höhe seiner Rente maßgeblich wird. Der sog Abschlag vom Zugangsfaktor um 0,003 je Kalendermonat, um den die Rente vorzeitig in Anspruch genommen wird, bedeutet rechtlich die Entscheidung, dass die in der Summe der EP bemessene Vorleistung des Versicherten in entsprechendem Umfang für die Höhe seiner Rente (und ggf einer davon abgeleiteten Hinterbliebenenrente) endgültig unberücksichtigt bleibt. Im Falle des Klägers sind dies einerseits 17,1 vH andererseits 0,9 vH seiner Vorleistung. Bei der Begünstigungsgrenze des § 237 Abs 4 Satz 1 Nr 3 SGB VI von "45 Jahren mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit" handelt es sich also inhaltlich um die Festlegung des Ausmaßes, in dem die nach dem SGB VI zuvor erbrachte und abschließend bewertete Vorleistung dauerhaft für unbeachtlich erklärt wird. Insbesondere ist durch § 34 Abs 4 SGB VI idF durch Art 1 Nr 5 RVNG nachträglich rückwirkend ausgeschlossen worden, dass nach bindender Bewilligung des Rechts auf eine Rente wegen Alters eine "andere Rente wegen Alters" rechtliche Bedeutung erlangen kann. Das bedeutet, dass die im Abschlag vom Zugangsfaktor technisch vollzogene Entwertung der erlangten Vorleistung bis zum Wegfall der letzten aus dem Versicherungsverhältnis des Versicherten herzuleitenden Inanspruchnahme einer Rente andauert. § 237 Abs 4 Satz 1 Nr 3 SGB VI regelt also unmittelbar, inwieweit die vom Versicherten individuell erbrachte Vorleistung die Rentenhöhe bestimmt oder schlechthin fruchtlos bleibt.

III. Zur Gleichheitswidrigkeit der "45-Jahre-Klausel"

Die gesetzliche Grenzziehung ist - vor allem - unter den drei nachfolgend anzusprechenden Aspekten ungerechtfertigt gleichheitswidrig.

1. Ungerechtfertigte Benachteiligung von Versicherten mit höherer Vorleistung

Die Vorschrift behandelt Versicherte mit höherer Vorleistung ohne sachlich rechtfertigenden Grund schlechter als Versicherte mit einer deutlich niedrigeren Vorleistung:

Versicherte, die 45 Jahre an Pflichtbeitragszeiten wegen einer versicherten Beschäftigung oder Tätigkeit haben, haben in der Regel höchst unterschiedliche Vorleistungen erbracht. Dies berücksichtigt das Gesetz nicht, sondern behandelt alle Versicherten allein auf Grund der Anzahl solcher Pflichtbeitragsmonate gleich.

Die erste Vergleichsgruppe bilden die Versicherten, die in den 45 Jahren mit solchen Pflichtbeiträgen (= 540 Beitragsmonate) nur "geringes Arbeitsentgelt" (§ 262 SGB VI) erzielt und deshalb über lange Zeit Vorleistungen für die GRV nur mit geringem Wert erbracht haben. Der relative Wert ihrer Vorleistung wird ggf für Beitragszeiten vor 1992 im Wege des sozialen Ausgleichs auf Mindest-EP von höchstens 0,75 je Kalenderjahr angehoben. Sie haben dadurch einen Vorleistungswert (Summe der EP) von höchstens 33,75 EP erreicht; sie werden aber auch bei niedrigerer Vorleistung durch die "45-Jahre-Klausel" begünstigt. Demgegenüber steht die Vergleichsgruppe, die mit Beitragszeiten mehr als jedenfalls 33,75 EP aus eigener Kraft vorgeleistet und sogar mehr als 45 EP erworben haben. So hat der Kläger in 544 Beitragsmonaten Werte in Höhe von 68,7973 EP vorgeleistet.

Unabhängig davon, ob es gerechtfertigt werden kann, Beitragszeiten und daraus erworbene Vorleistungswerte außer Betracht zu lassen, die nicht auf pflichtversicherter Beschäftigung oder Tätigkeit, sondern auf anderen gesetzlichen Voraussetzungen beruhen, ist das alleinige Abstellen auf den Zeitfaktor sachlich nicht zu rechtfertigen. Aus den "Gesetzesmaterialien" ergibt sich hierzu nichts. Ein Sachbezug zwischen der Frage, in welchem Umfang die Höhe der erbrachten Vorleistung eines Versicherten für unbeachtlich erklärt werden soll, und der Dauer seiner Pflichtbeitragszeiten für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit ist nicht gegeben, die Verknüpfung dieser Umstände vielmehr sachfremd. In der Summe der EP ist ein Zeitbezug nur insoweit enthalten, als sie eine Summe aus je Kalenderjahr erworbenen EP aus allen Beitrags- und beitragsfreien Zeiten ist. Nur unter diesem Gesichtspunkt ist der Zeitfaktor "45 Jahre" (ohne Begrenzung auf Pflichtbeitragszeiten wegen versicherter Beschäftigung oder Tätigkeit) von Bedeutung für den Vorleistungswert. Die "45-Jahre-Klausel" stellt auch nicht auf die sog Eckrente ab, also auf eine Versicherungszeit von 45 Jahren mit durchschnittlicher Vorleistung von 45 EP; sie benennt auch keinen anderen Vorleistungswert. Nur indirekt ergibt sich aus dem Zeitrahmen als Anhaltspunkt ein Vorleistungswert für Beitragszeiten vor 1992 in Höhe der Mindest-EP des § 262 SGB VI von höchstens 33,75 EP. Dadurch aber werden außerdem auch Versicherte von der günstigeren Übergangsregelung ausgeschlossen, die allein auf Grund von Pflichtbeitragszeiten wegen versicherter Beschäftigung oder Tätigkeit eine höhere Vorleistung als jedenfalls 33,75 EP in kürzerer Zeit erbracht haben.

Allerdings ist der Senat der Auffassung, dass diese sachwidrige und nicht begründbare Ungleichbehandlung gleicher Sachverhalte auf verschiedene Art und Weise beseitigt werden kann. Dem Gesetzgeber kommt dabei ein weiter Gestaltungsspielraum zu, der insoweit nur dadurch begrenzt ist, dass gleiche Vorleistungswerte zu gleichen Rechtsfolgen führen.

2. Ungerechtfertigte Benachteiligung der 60-jährigen "vorzeitigen" Altersrentner

Die "45-Jahre-Klausel" (mit "Pflichtbeiträgen für eine Beschäftigung oder Tätigkeit") ist auch deswegen gleichheitswidrig, weil sie die günstigere Zuordnung nur nach dem Zufallsprinzip und nur für seltene Fälle vorsieht, in denen die Begünstigten außerdem noch bei Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente älter als 60 Jahre sein müssen. Insoweit werden Versicherte mit gleich hoher Vorleistung ohne Sachgrund benachteiligt. Der Gesetzestext erweckt den Schein, das Gesetz bilde eine Sondergruppe der langjährig wegen versicherter Beschäftigung oder Tätigkeit Pflichtversicherten. Es schließt davon aber faktisch die 60-jährigen "vorzeitigen" Rentner aus und beruht auf keiner erkennbaren empirischen Grundlage.

a) Im Gesetzgebungsverfahren (dazu oben 2. Teil, V. B. 2.) hat bereits der vom Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung gehörte Sachverständige Prof. Dr. Ruland (VDR e.V.) auf die Frage des Abgeordneten Urbaniak, wie viele Personen von dieser Übergangsregelung betroffen sein dürften, mitgeteilt, er müsse leider passen; was den genauen Umfang des Personenkreises anbetreffe, sei man immer auf Schätzungen angewiesen. Der Sachverständige, der keinen Schätzwert angab, sagte zwar zu, sich nachträglich um eine schriftliche Auskunft zu der Frage bemühen zu wollen; jedoch findet sich im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens kein Hinweis, dass er eine solche Auskunft gegeben hätte. Der Sachverständige Michaelis (Geschäftsführung der Beklagten) hat auf neuere Untersuchungen zum Rentenzugang 1995 hingewiesen; dazu liegen inzwischen die oben (Rentenversicherung in Zeitreihen, ua S 103 ff) genannten Daten vor. Da diese Untersuchungen - wie schon vom Sachverständigen Michaelis angekündigt - sich auf die Frage beziehen, wie viele Versicherte mehr als 45 Versicherungsjahre bzw Jahre mit allen Beitrags- und beitragsfreien Zeiten haben, lassen sie jedoch nur den Schluss zu, dass seit 1997 - wenn überhaupt - nur äußerst wenige Personen im Alter von 60 Jahren bei Ausübung des Gestaltungsrechts wegen Arbeitslosigkeit die 45 Jahre ausschließlich an Pflichtbeitragszeiten wegen versicherter Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt haben können. Sie werden nachträglich ohne Sachgrund besser gestellt als Rentner, die zum selben Zeitpunkt eine höhere Vorleistung auf Grund anderer gesetzlicher Pflichtbeitragszeiten erbracht hatten.

b) Diese Willkürlichkeit der Begünstigung dieser wenigen Personen folgt aber augenfällig schon aus der Gestaltung des Gesetzestextes selbst. Wer bei Inkrafttreten der Regelung am 1. Januar 1997 (damals als § 237 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB VI aF) bereits 60 Jahre alt oder älter war, wurde weder nach Anlage 19 SGB VI noch nach § 237 Abs 4 Satz 1 Nr 3 SGB VI von einem Abschlag betroffen.

Wer nach 1996 das 60. Lebensjahr vollendet und gemäß § 237 Abs 1 SGB VI ein Gestaltungsrecht wegen Arbeitslosigkeit erlangt, muss zuvor innerhalb der letzten eineinhalb Jahre 52 Wochen (= ein Jahr) arbeitslos gewesen sein, spätestens also mit Vollendung des 59. Lebensjahres. Nur der Versicherte kann bis zu diesem Zeitpunkt 45 Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt haben, der vom Tag der Vollendung des 14. Lebensjahres, dem früher erstmöglichen Eintrittsdatum, bis zur Vollendung des 59. Lebensjahres ohne irgendeine Unterbrechung (zB durch Arbeitsunfähigkeit, Arbeitslosigkeit, Schwangerschaft etc) in einer pflichtversicherten Beschäftigung oder Tätigkeit gestanden hat. Es liegt auf der Hand, dass eine solche Versicherungsbiografie äußerst untypisch ist. 60-jährige "vorzeitige" Rentner werden also faktisch auch bei höherer Vorleistung ausgeschlossen.

c) Gleiches gilt, wenn das Gestaltungsrecht wegen Arbeitslosigkeit erst nach Vollendung des 60. Lebensjahres entsteht, weil die Voraussetzungen des § 237 Abs 1 SGB VI erst später erfüllt werden. Spätestens muss dies jedoch im elften Monat des 65. Lebensjahres (= 64 Jahre und elf Monate) erfolgen. Nur dann kann überhaupt noch eine "vorzeitige" Inanspruchnahme der Altersrente, wenn auch nur noch für den zwölften Monat des 65. Lebensjahres in Betracht kommen, also nur ein Monat an Rente "vorzeitig" bezogen werden. Damit ergibt sich kraft Gesetzes sogar für solche Versicherte, die das Gestaltungsrecht erst mit 64 Jahren und elf Monaten erwerben, es ausüben und deshalb nur für einen Monat vor Vollendung des 65. Lebensjahres Altersrente beziehen können, ein zusätzliches Zeitfenster von vier Jahren und elf Monaten. In der gesamten Versicherungsbiografie ab Vollendung des 14. Lebensjahres dürfen dann höchstens vier Jahre und elf Monate nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit (ohne solche bei Arbeitslosigkeit) belegt sein. Es liegt auf der Hand, dass die Begünstigungsgrenze keine empirisch nach typisierenden Merkmalen abgegrenzte einheitliche Gruppe von Versicherten erfasst. Auch die Versicherten, die vor Vollendung des 65. Lebensjahres und nach Beginn des 61. Lebensjahres Altersrente in Anspruch nehmen, werden trotz gruppentypisch sehr unterschiedlicher Versicherungsverläufe der "45-Jahre-Klausel" unterworfen. Männer "im Westen" haben bei Inanspruchnahme der Rente zu etwa einem Drittel die Voraussetzungen der Klausel erfüllt, Frauen zu weniger als 5 vH; im Beitrittsgebiet liegen die Werte bei etwa 18 vH (Männer) und weniger als 3 vH (Frauen). Gleich hohe Vorleistungen werden ohne Sachgrund äußerst ungleich behandelt (siehe schon dazu 4. Teil, 1. Abschnitt, I. Nr 3).

3. Zur objektiven Benachteiligung von Rentnern, die Kinder erzogen haben

Darüber hinaus liegt eine objektive Gleichheitswidrigkeit auch darin, dass Versicherte, die "45 Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit" (ohne Arbeitslosigkeit) nur deswegen nicht haben, weil sie ein Kind bis zu dessen vollendetem zehnten Lebensjahr unter den tatbestandlichen Voraussetzungen einer Kindererziehungszeit erzogen haben (§ 57 SGB VI iVm § 56 SGB VI), gegenüber Versicherten, die keine Kinder erzogen haben, benachteiligt werden. Dabei geht der Senat davon aus, dass der Ausdruck "Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit" in § 237 Abs 4 Satz 1 Nr 3 SGB VI auch Pflichtbeitragszeiten wegen Kindererziehung (§§ 3 Satz 1 Nr 1, 55 Abs 1 und Abs 2 Nr 2, 177, 249 SGB VI) umfasst. Kinderberücksichtigungszeiten iS von § 57 SGB VI, die bis zu sieben Jahren den Erwerb von Pflichtbeitragszeiten wegen versicherter Beschäftigung oder Tätigkeit unterbrechen können, werden durch die vom RRG 1999 gestaltete gesetzliche Regelung jedoch nicht berücksichtigt.

a) Wer fünf und mehr Jahre den Tatbestand von Kinderberücksichtigungszeiten erfüllt hat, kann die "45-Jahr-Klausel" unter keinen Umständen erfüllen. Denn der äußerste Zeitrahmen für Unterbrechungen beträgt - wie ausgeführt - vier Jahre und elf Monate. Auch insoweit wird eine gleichwertige Vorleistung ohne sachliche Rechtfertigung ungleich behandelt. Dies wirkt sich für die Frauen, die durch die "45-Jahre-Klausel" ohnehin benachteiligt werden, zusätzlich beschwerend aus.

b) Zugleich hat der Gesetzgeber des RRG 1999 mit dieser Regelung seine Verpflichtung nicht beachtet, eine Benachteiligung beitragsrelevant Versicherter, die Kinder erziehen oder erzogen haben, gegenüber kinderlosen Versicherten zu vermeiden (Art 3 Abs 1 GG iVm Art 6 Abs 1 GG). Das BVerfG hat seit dem Beschluss des Ersten Senats vom 29. Mai 1990 (BVerfGE 82, 60 ff) in nunmehr ständiger Rechtsprechung (zuletzt Urteil des Ersten Senats vom 3. April 2001, 1 BvR 1629/94 in: BVerfGE 103, 242 ff; Beschluss des Zweiten Senats vom 8. Juni 2004, 2 BvL 5/00, dort vor allem S 27 bis 34 des Umdrucks) die Pflicht der gesetzgebenden Gewalt des Bundes geklärt, nicht nur im steuerfinanzierten Sozialrecht, sondern auch jeweils in den einzelnen Systemen der Sozialversicherung darauf zu achten, dass der sog generative Beitrag der Kindererziehenden in einer seiner Bedeutung für das jeweilige System angemessenen Weise berücksichtigt wird. Hierauf ist nicht weiter einzugehen, weil die Begünstigungsgrenze des § 237 Abs 4 Satz 1 Nr 3 SGB VI keinen Ausgleich einer Benachteiligung infolge einer Kindererziehung unterlässt, sondern Kindererziehung, die den Tatbestand von Kinderberücksichtigungszeiten (§ 57 SGB VI) erfüllt, erstmals als für den Versicherten nachteilig bewertet. Damit steht die Vorschrift in offenem Widerspruch zum Gleichbehandlungsgebot; dieses verbietet im Sachbereich gesetzlicher Regelungen über Ehe und Familie, die gemäß Art 6 Abs 1 GG unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stehen, versicherungsrechtliche Benachteiligungen daran zu knüpfen, dass ein Versicherter die als rentenversicherungsrechtliche Vorleistung anerkannte Kindererziehung - auch vor Einführung von Kinderberücksichtigungszeiten (1992) - erbracht hat. Die 1999 beschlossene Regelung macht die begünstigende Stufe 2 von der Dauer der Vorleistungen ab Vollendung des 14. Lebensjahres abhängig; sie musste daher die Vorleistung der Kindererziehung auch für frühere Zeiten und in dem Maß berücksichtigen, das 1999 gesetzlich als Vorleistung anerkannt war.

c) Der Senat sieht sich außer Stande, diese Vorschrift insoweit verfassungskonform dahingehend zu ergänzen, dass auch Tatbestände von Kinderberücksichtigungszeiten zur Erfüllung der geforderten Zeitdauer beitragen. Denn Art 1 Nr 44 Buchst a RVNG hat § 237 Abs 1 Nr 4 SGB VI dadurch geändert, dass nach dem Wort "Anrechnungszeiten" das Wort "Berücksichtigungszeiten" eingefügt wurde. Somit wurde - im Zusammenhang der Voraussetzungen für die Entstehung des Gestaltungsrechts wegen Arbeitslosigkeit - die Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung für die Rahmenzeit der letzten zehn Jahre vor Beginn der Altersrente als Verlängerungstatbestand anerkannt. Die gesetzgebende Gewalt hat also in der Thematik des § 237 SGB VI die Frage der Relevanz von Kinderberücksichtigungszeiten geprüft und sie nur im genannten Zusammenhang der Entstehung des Gestaltungsrechts für erheblich erachtet. Daher vermag der Senat nicht zu erkennen, dass er zu einer verfassungskonformen Ergänzung des § 237 Abs 4 Satz 1 Nr 3 SGB VI um Tatbestände von Kinderberücksichtigungszeiten befugt wäre.

IV. Zur Unmöglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung

Eine verfassungskonforme Auslegung des § 237 Abs 4 Satz 1 Nr 3 SGB VI, welche die genannten Gleichheitsverstöße ausräumen könnte, ist nicht möglich. Es ist - soweit ersichtlich - keine Rechtsprechung oder Literatur vorhanden, die eine solche Möglichkeit aufzeigte.

V. Zur Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage 1

Die Antwort auf die Vorlagefrage 1. ist entscheidungserheblich (dazu bereits auch oben 3. Teil, 3. und 4. Abschnitt). Zwar geht der Senat davon aus, dass der Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum hat, die vorstehend im 4. Teil genannten Gleichheitsverstöße auszuräumen. Auf Grund einer Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Vorschrift durch das BVerfG ist jedoch gewährleistet, dass eine den Verstoß beseitigende neue gesetzliche Regelung ergeht, so dass die Gleichheitswidrigkeiten der Ausgestaltung des Vermögenswerts des Stammrechts auf "Altersrente wegen Arbeitslosigkeit" beseitigt würde. Dann wird der Kläger in seinem Grundrecht auf Gleichheit vor dem Gesetz nicht mehr verletzt sein. Insoweit hängt die Entscheidung des Revisionsgerichts in der Hauptsache davon ab, wie das BVerfG die Vorlagefrage 1. beantwortet. Entweder müsste die Revision des Klägers zurückgewiesen werden (dazu oben 3. Teil) oder aber eine Sachentscheidung erst auf der Grundlage der zur Beseitigung der Gleichheitsverstöße erforderlichen gesetzlichen Neuregelung ergehen. Für diese kann derzeit nicht ausgeschlossen werden, dass sie für das Vollrecht des Klägers auch zu einem höheren Geldwert führen wird, wenn die "45-Jahre-Klausel" verfassungsgemäß gestaltet wird. Gemäß Art 100 Abs 1 GG musste danach die Frage, ob die nachkonstitutionelle Vorschrift des § 237 Abs 4 Satz 1 Nr 3 SGB VI in der genannten Fassung verfassungsgemäß ist, dem BVerfG vorgelegt werden.

2. Abschnitt: Zur Vorlagefrage 2

Mit der Vorlagefrage 2. wird zur Prüfung gestellt, ob die dort genannten Normen gleichheitswidrige Inhaltsbestimmungen des Renteneigentums des Klägers an seinem Stammrecht (Vollrecht) insoweit sind, als sie (heute) verbindlich anordnen, den monatlichen Geldwert des Stammrechts auch dann noch dauerhaft durch den Abschlag vom Zugangsfaktor um 0,003 je "vorzeitigem" Bezugsmonat zu mindern, wenn der Vermögensvorteil des Rentners aus der "vorzeitigen" Inanspruchnahme der Altersrente in voller Höhe ausgeglichen worden sein wird.

I. Zum Prinzip der Anrechnung des vollen Wertes der Vorleistung

1. Der Vorleistungswert bestimmt die individuelle Rentenhöhe

a) Gemäß § 64 SGB VI ergibt sich der "Monatsbetrag der Rente", dh der Geldwert des Stammrechts (Vollrechts) auf Rente, wenn die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten EP, der Rentenartfaktor, der das Sicherungsziel der jeweiligen Rentenart im Verhältnis zu einer Altersrente bestimmt und bei dieser 1,0 beträgt (§ 63 Abs 4 SGB VI) und der aktuelle Rentenwert (bzw der aktuelle Rentenwert <Ost>), der erstmals der Summe der EP (als deren "Kurswert") einen konkreten Geldwert zuordnet (§§ 68, 255a bis 255f SGB VI), mit ihrem Wert bei Rentenbeginn vervielfältigt werden. Rentenartfaktor und aktueller Rentenwert/aktueller Rentenwert (Ost) sind hier nicht im Streit; die Beklagte hat insoweit - auch nach Auffassung des Klägers - zutreffende Werte zu Grunde gelegt. Die "persönlichen EP" (§ 66 SGB VI) ergeben sich aus dem Produkt der Summe der EP (§§ 70 bis 76c SGB VI) und dem Zugangsfaktor (§§ 77 und - hier nicht einschlägig - 78 und 78a SGB VI). Die Summe der EP bezeichnet den relativen Wert der kalenderjährlich erbrachten Vorleistungen des Versicherten während des Versicherungslebens. Grundsätzlich richtet sich die individuelle Höhe des Geldwerts eines Stammrechts auf Rente nach der Summe der EP (§ 63 Abs 1 bis 3 SGB VI). Das bedeutet, dass die Summe der EP (der Rangwert) grundsätzlich zugleich die Summe der persönlichen EP ist und den individuellen Faktor für die Höhe der Altersrente bestimmt. Der Wert der Vorleistung bestimmt prinzipiell den jeweiligen Geldwert eines Stammrechts (Vollrechts) auf Altersrente. Deshalb ist der Zugangsfaktor prinzipiell 1,0.

b) Seit dem RRG 1992 (zur Textentwicklung s oben 2. Teil, II. A. Nr 3 bis 5, B. Nr 1 bis 4, ferner VI. A. Nr 2, B.) werden gemäß § 63 Abs 5 SGB VI bei Inanspruchnahme einer Altersrente (oder bei Verzicht auf eine Altersrente nach dem 65. Lebensjahr) Vorteile (oder Nachteile) einer unterschiedlichen Rentenbezugsdauer durch einen Zugangsfaktor vermieden; im hier anzuwendenden Gesetzestext ist derselbe Rechtsinhalt mit der Formulierung erfasst, Vorteile (und Nachteile) einer unterschiedlichen Rentenbezugsdauer werden durch einen Zugangsfaktor vermieden. Prinzipiell ist daher der Zugangsfaktor 1,0 und somit die Summe der EP identisch mit der Summe der "persönlichen EP". Entgegen der irreführenden Bezeichnung bedeutet die Multiplikation des Zugangsfaktors mit der Summe der EP also nicht die persönliche (individuelle) Zuordnung von EP, sondern eine Entscheidung darüber, in welchem Umfang sich die Höhe der individuellen Rente nach der während des Versicherungslebens erworbenen Summe der EP richtet. Prinzipiell gilt die Maßgeblichkeit der Vorleistung.

c) In der Altersrentenversicherung gilt der Grundsatz der vollen Anrechnung der während des Versicherungslebens erbrachten Vorleistung, so dass der Zugangsfaktor 1,0 beträgt und damit die Höhe der "persönlichen EP" mit der Summe der EP identifiziert. Anderenfalls wäre das System der vorleistungsbezogenen Rente aufgegeben. Ein anderer Zugangsfaktor als 1,0 darf daher dem Geldwert des Stammrechts eines Rentners nur und nur insoweit zu Grunde gelegt werden, als dadurch dessen individuelle (Vermögens-)Vorteile (und - hier nicht einschlägig - Nachteile) aus einer (gegenüber dem gesetzlichen Regelfall) unterschiedlichen Rentenbezugsdauer vermieden werden. Jede Veränderung des Zugangsfaktors bestimmt somit "in welchem Umfang EP bei der Ermittlung des Monatsbetrags der Rente als persönliche EP zu berücksichtigen sind" (so § 77 Abs 1 SGB VI). Das bedeutet: Ein niedrigerer Zugangsfaktor legt fest, dass die während des Versicherungslebens vom Versicherten durch seine Vorleistungen erworbene Summe der EP nur teilweise die Rentenhöhe bestimmt, teilweise aber endgültig für unbeachtlich erklärt wird. Demgemäß legt § 77 SGB VI für die Altersrentenversicherung des SGB VI fest, dass bei Inanspruchnahme einer RAR der Zugangsfaktor (mindestens) 1,0 beträgt.

d) Dasselbe gilt allerdings - systemwidrig - auch, wenn der Versicherte schon vor dem 65. Lebensjahr, mit dessen Vollendung das Recht auf RAR entsteht, Altersrente frühzeitig in Anspruch nimmt, dies jedoch nach der für das jeweilige Gestaltungsrecht maßgeblichen Regelung nicht "vorzeitig" geschieht. Damit werden Versicherte mit gleicher Vorleistung weiterhin entgegen § 63 Abs 5 SGB VI ungleich behandelt, weil diejenigen, die ein Gestaltungsrecht nicht "vorzeitig", aber vor Vollendung des 65. Lebensjahres frühzeitig ausüben, zusätzliche Rentenbezugsdauern und entsprechende Vermögensvorteile haben, ohne dass sie hierfür höhere Vorleistungen erbracht hätten (dazu bereits oben 3. Teil, 4. Abschnitt, II. Nr 4). Wie bereits ausgeführt, ist dies beim Gestaltungsrecht wegen Arbeitslosigkeit deswegen noch hinnehmbar, weil es für Bezugszeiten ab Januar 2017 abgeschafft worden ist und die hier streitige Nichtabschmelzung der Vorteile aus längeren Rentenbezugszeiten Teil einer Übergangsregelung ist, die diesen systemwidrigen Zustand abbaut.

Jedoch werden nach § 77 Abs 2 Satz 1 Nr 2 Buchst a SGB VI die Vermögensvorteile aus Rentenbezugszeiten, die "vorzeitig" in Anspruch genommen wurden, gemäß § 63 Abs 5 SGB VI vollständig abgebaut, falls der Versicherte (oder sein Hinterbliebener) entsprechend lange lebt. Für jeden Kalendermonat "vorzeitig" in Anspruch genommener Rente wird der Vorleistungswert (die Summe der EP) um 0,003 (und dadurch in demselben Maße der Geldwert des Stammrechts) gesenkt, der Zugangsfaktor also entsprechend niedriger als 1,0 festgesetzt.

2. Der Vermögensvorteil des "vorzeitigen Rentners" und die Abschmelzung

Das Gesetz legt fest, dass für die gesamte Rentenbezugsdauer (und für die einer Hinterbliebenenrente) für jeden "vorzeitigen Rentenbezugsmonat" der Zugangsfaktor von 1,0 um 0,003 gemindert wird. Der "Vorteil" des Versicherten, der "vorzeitig" Altersrente in Anspruch nimmt, besteht nach dem Gesetz also im Vermögenswert der Summe der Rentenbeträge, die er für Monate vor dem für ihn maßgebenden Rentenalter bezieht (§ 77 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI). Denn bei Inanspruchnahme der Rente ab dem "maßgebenden" Alter ist ihm eine volle Berücksichtigung seiner Vorleistung, also eine abschlagsfreie Altersrente auf Lebenszeit (und ggf Hinterbliebenenrente), auch vor Vollendung des 65. Lebensjahres garantiert. Das Sonderrecht verschafft ihm dann zusätzliche Rentenzahlbeträge ohne besondere Vorleistung. Der abzuschmelzende Vorteil, den jeder "vorzeitige" Rentner hat, ist daher die Summe der Rentenzahlbeträge für die Kalendermonate, in denen er die Rente "vorzeitig" bezieht.

a) Der Versicherte kann höchstens 60 Monatsbeträge und mindestens einen Monatsbetrag an Rente "vorzeitig" und damit zusätzlich zu der allen Versicherten gleichermaßen versprochenen RAR auf Lebenszeit in Anspruch nehmen. Bereits damit steht fest, dass der konkrete zusätzliche Geldwert, der dem einzelnen Versicherten auf Grund seiner individuellen Ausübung seines Rechts auf "vorzeitige" Inanspruchnahme der Altersrente zugeflossen ist, zu einem bestimmten Zeitpunkt in vollem Umfang abgeschmolzen sein wird. Denn für jeden tatsächlichen Rentenbezugsmonat wird dem "vorzeitigen" Rentner von der Rentenhöhe, die er durch seine Vorleistung verdient hat, ein Teil in Höhe von 0,003 je "vorzeitigem" Bezugsmonat nicht ausgezahlt. Der jeden Monat einbehaltene Abschlag von der durch seine Vorleistung erworbenen Rentenhöhe beträgt ab Rentenbeginn mindestens 0,003 dieses Betrages, also höchstens 18 vH.

b) Wurde zB nur für einen Monat die Rente "vorzeitig" in Anspruch genommen und beträgt der durch die volle Vorleistung (Zugangsfaktor 1,0) erworbene Geldwert des Stammrechts auf Altersrente 1.000 Euro, beträgt der zusätzliche Vermögensvorteil nur 1.000 Euro. Dieser Wert wird abgeschmolzen, indem der Monatsbetrag der Altersrente über die gesamte Rentenlaufzeit für jeden Monat um 3 Euro auf 997 Euro gekürzt wird. Die monatlichen Einzelansprüche belaufen sich damit auf 997 Euro. Dadurch werden ab Rentenbeginn in jedem tatsächlichen Rentenbezugsmonat 3 Euro zu Gunsten der Beitragszahler eingespart. Nach 333,3 Periode an tatsächlichen Bezugsmonaten (= 27,778 Jahren; entspricht etwa 27 Jahren und zehn Bezugsmonaten) ist der gesamte individuelle Zusatzvorteil von 1.000 Euro, den der Versicherte aus der "vorzeitigen" Inanspruchnahme der Altersrente hatte, aufgezehrt.

Hat er 60 "vorzeitige Bezugsmonate" und eine durch Vorleistung erworbene Rente in Höhe von 1.000 Euro monatlich, beträgt sein Vermögensvorteil 60.000 Euro. Der Monatsbetrag von 1.000 Euro wird ab Rentenbeginn für jeden tatsächlichen Bezugsmonat um 18 vH gekürzt, also um 180 Euro je Monat auf 820 Euro (also auf einen Zugangsfaktor von 0,82). Ab Rentenbeginn spart die Versichertengemeinschaft je tatsächlichem Bezugsmonat von vornherein jeweils 180 Euro ein. Nach 333,3 Periode an tatsächlichen Bezugsmonaten ist damit der zusätzliche Vermögensvorteil durch "vorzeitige" Inanspruchnahme der Altersrente in Höhe von 60.000 Euro ausgeglichen, also nach 27 Jahren und zehn Monaten tatsächlicher Bezugszeit. In diesem Zeitraum sind bei jedem "vorzeitigen" Rentner seine individuellen Vermögensvorteile aus seiner längeren Rentenbezugszeit auf Grund des vom Gesetz gewählten statischen Abschlagswertes von 0,003 für jeden einzelnen "vorzeitigen" Bezugsmonat vollständig ausgeglichen.

II. Zum Entzug von Renteneigentum nach Ausgleich des individuell erlangten Vermögensvorteils

1. Zur lebenslangen Rentenabschmelzung

Das Gesetz (§ 77 Abs 2 Satz 1 Nr 2 Buchst a und Nr 4 SGB VI) bestimmt, dass die Rentenkürzung auch nach dem Ende des Vorteilsausgleichs weitergeführt wird, solange aus dem Versicherungsverhältnis noch Altersrente oder eine Hinterbliebenenrente in Anspruch genommen wird. Dementsprechend hat die Beklagte in der Rentenhöchstwertfestsetzung vom 11. Oktober 2001, deren Rücknahme der Kläger begehrt, den gekürzten Rentenhöchstwert auf Dauer festgesetzt und damit gesetzmäßig und bestandskräftig angeordnet, dass der vom Kläger in 544 Beitragsmonaten erzielte Vorleistungswert von 68,7973 EP in Höhe von 11,7643 EP, also um mehr als elf Jahre an durchschnittlichen Beitragszeiten auf Lebenszeit und ggf für Hinterbliebenenrenten unberücksichtigt bleibt. Die "Versichertengemeinschaft" spart dadurch weiterhin auf Kosten des Klägers durch seine Vorleistung erworbene Rentenbeträge ein, obwohl der die Kürzung rechtfertigende Vorteil aus "vorzeitiger" Inanspruchnahme der Rente entfallen sein wird. Durch diese Einsparungen werden - über 40 Jahre hinweg durchschnittlich - in versicherungsmathematischer Beschreibung - die Vermögensvorteile ausgeglichen, welche "vorzeitige" Altersrentner (und deren Hinterbliebene), die früher als 27,778 Jahre ab Rentenbeginn gestorben sind, mit in ihr Grab genommen haben.

2. Unmittelbare und gegenwärtige Betroffenheit des "vorzeitigen" Rentners durch Anordnung der "lebenslangen" Rentenkürzung

Auch im Falle des Klägers geht es hierbei nicht um eine erst künftig möglicherweise eintretende, sondern um eine bereits in einem bestandskräftigen Verwaltungsakt, um dessen Rücknahme gestritten wird, auf Dauer getroffene Verfügung, die gesetzmäßig ist und eine zwingende gesetzliche Anordnung konkretisierte, die sein Grundrecht auf Gleichheit vor dem Gesetz aus Art 3 Abs 1 GG und zugleich sein als Renteneigentum durch Art 14 Abs 1 GG geschütztes Stammrecht auf Altersrente verletzt. Wird der bestandskräftig gewordene Verwaltungsakt vom 11. Oktober 2001 entgegen dem Begehren des Klägers nicht aufgehoben (zurückgenommen), steht damit heute endgültig fest, dass die Beklagte ihm seine in 544 Beitragsmonaten erworbene Altersrente (und ggf nachfolgende Hinterbliebenenrenten) um den Vorleistungswert von mehr als elf Jahren durchschnittlicher Beitragszeiten auch dann noch kürzen muss, wenn sein gesamter Vermögensvorteil aus dem "vorzeitigen" Bezug ausgeglichen sein wird.

III. Zur Gleichheitswidrigkeit der Rentenkürzung nach dem Ende des Vorteilsausgleichs

Die Verletzungen von Art 3 Abs 1 iVm Art 14 Abs 1 GG ergeben sich zur Überzeugung des Senats vor allem aus zwei Ungleichheiten.

1. Zur Ungleichbehandlung mit RAR-Rentnern und nicht "vorzeitigen" Rentnern nach Rückzahlung des Vermögensvorteils

Eine gleichheitswidrige Inhaltsbestimmung liegt vor, soweit die Vorzeitigkeitsregelung des § 237 Abs 3 Satz 2 und 3 iVm Anlage 19 SGB VI, Abs 4 SGB VI iVm § 77 Abs 2 Satz 1 Nr 2 Buchst a SGB VI den Kläger jedenfalls vom Zeitpunkt des Ausgleichs des Vermögensvorteils aus "vorzeitiger" Inanspruchnahme der Altersrente gegenüber Altersrentnern mit gleicher Vorleistung ohne rechtfertigenden Grund benachteiligt, weil ihm die volle Anrechnung seiner Vorleistung (Zugangsfaktor 1,0) ohne Rechtsgrund versagt bleibt. Der einzige Grund, der eine Nichtberücksichtigung der erbrachten und abschließend in der Summe der EP bewerteten Vorleistung des Versicherten (insbesondere durch Beitragszeiten) rechtfertigen kann, ist die durch § 63 Abs 5 SGB VI verfassungs- und systemgemäß für alle Rentner zwingend angeordnete Vermeidung von Vorteilen, die der einzelne Versicherte zu Lasten der Beitragszahler und der Steuerzahler daraus zieht, dass er eine längere Rentenbezugsdauer hat als allen Versicherten für den Regelfall versprochen. Die - systemgemäße - Einräumung eines besonderen Gestaltungsrechts wegen Arbeitslosigkeit war bis zum 1. August 1996 stets zusätzlich mit der Zuerkennung eines systemwidrigen Vermögensvorteils zu Lasten der Beitragszahler, indirekt auch der meisten Beitragstragenden und der Steuerzahler, verbunden und hat die - jedenfalls gesetzesfremde - "Frühverrentungspraxis" gefördert (subventioniert). Einen Sachgrund, jemandem die durch Vorleistung erworbene Rentenhöhe auch dann noch zu versagen, wenn er seinen zusätzlichen Vermögensvorteil aus "vorzeitiger" Inanspruchnahme seiner Altersrente mittels Rentenkürzung zurückgezahlt hat, gibt es nicht.

2. Keine Rechtfertigung des weiteren individuellen Rentenentzugs aus einer Kollektivhaftung der "vorzeitigen" Rentner

Entgegen dem Vorbringen der Beklagten kann diese Ungleichbehandlung nicht mit dem Hinweis gerechtfertigt werden, dass andere Versicherte, die wegen Arbeitslosigkeit ihre Rente "vorzeitig" in Anspruch genommen haben, sterben, bevor sie (oder ihre Hinterbliebenen) ihre Vermögensvorteile ausgeglichen haben. Denn nach dem SGB VI stehen die Inhaber der Gestaltungsrechte wegen Arbeitslosigkeit, die "vorzeitig" Rente beanspruchen, untereinander in keinem Gesamtschuldverhältnis und in keinem Haftungsverbund. Eine gesetzliche Norm, die eine Gesamtschuldnerschaft oder Gesamthaftung der "vorzeitigen" Rentner auf Ausgleich der "Zusatzkosten" anordnete, ist - unabhängig von ihrer problematischen Gültigkeit - im SGB VI nicht enthalten. Kein Renteneigentümer haftet mit dem von ihm durch seine Vorleistung Erworbenen für den Ausgleich von rechtmäßig, aber systemwidrig erlangten Vorteilen eines anderen Renteneigentümers. Kein Renteneigentümer muss mit seiner Rente dafür einstehen, dass in versicherungsmathematischen Berechnungen der Schein erweckt werden kann, die Ausübung von Gestaltungsrechten vor Vollendung des 65. Lebensjahres sei über 40 Jahre hinweg betrachtet im Wesentlichen kostenneutral. In der Wirklichkeit steigt - wie auch die mündliche Verhandlung vor dem Senat ergeben hat - tatsächlich die Ausgabenlast und damit die Beitragslast (nicht notwendig der Beitragssatz) in den Jahren der vorzeitigen Inanspruchnahme an. Erst bei einer durchschnittlichen Betrachtung über vier Jahrzehnte anhand der Unterstellung, dass die letzten Rentenbezieher, bei denen man im genannten Sinne "einsparen" kann, im Alter von 100 Jahren gestorben sein werden, entsteht der bloße Schein einer Kostenneutralität. Dies ändert aber nichts an der Wirklichkeit der mehr als 27 Jahre andauernden Erhöhung der Lasten für die Beitrags- und Steuerzahler (und indirekt auch für den Teil der beitragstragenden Arbeitnehmer) und daran, dass die länger Lebenden "die Schulden" der früher Gestorbenen bezahlen sollen, ohne dass ein entsprechender Schuldner- oder Haftungsverbund zwischen ihnen bestanden hat.

3. Zur Ungleichbehandlung mit "vorzeitigen" Rentnern, die vor Ablauf von 27 Jahren und zehn Monaten nach Rentenbeginn sterben

Objektiv gleichheitswidrig ist auch der relative Abschlagswert von 0,003 für jeden "vorzeitigen" Rentenmonat, der zu einer Dauer des Vorteilsausgleichs von 27 Jahren und zehn Monaten führt. Er bewirkt eine benachteiligende Ungleichbehandlung der länger lebenden gegenüber den früher sterbenden "vorzeitigen" Rentnern (wegen Arbeitslosigkeit). Nach 27,778 Jahren ab Rentenbeginn sind die meisten davon (und ihre Hinterbliebenen) ohne vollen Ausgleich des Vermögensvorteils gestorben. Für Rentner ist diese Grenze ambivalent. Die niedrige Ausgleichsrate geht über eine lange Laufzeit und die meisten Rentner sterben vorher, ohne den Vorteil ausgeglichen zu haben; (allerdings hinterlassen etwa 75 vH rentenberechtigte Hinterbliebene). Andererseits steht ihnen nicht ihre volle Rente, sondern nur ein gekürzter Rentenbetrag zur Verfügung. Bei einer am verlässlichen Geldzuwachs orientierten ökonomischen Betrachtungsweise ist es für jeden Versicherten wahrscheinlich günstiger, "vorzeitig" Rente in Anspruch zu nehmen; nur etwa 700.000 Versicherte sind derzeit älter als 87,778 Jahre.

a) Nach den sog Gesetzesmaterialien wurde bei den Beratungen zum RRG 1992 und zum RuStFöG über die Höhe der Abschlagsrate, nicht aber über die davon abhängige Laufzeit des Vorteilsaus-gleichs gesprochen (dazu oben 2. Teil, II. A. Nr 3 bis 5 und B. Nr 1 bis 4 sowie III. B. Nr 1 bis 3). Die Verknüpfung der Ausübung des Gestaltungsrechts wegen Arbeitslosigkeit mit einer Minderung der Rentenhöhe für Monate der "vorzeitigen" Inanspruchnahme der Altersrente wurde im Zusammenhang der Zurückdrängung der "Frühverrentungspraxis" und der Verbesserung der zahlenmäßigen Relation zwischen Beitragszahlern und Rentnern gesehen. Die durch das Vorziehen bedingte längere Rentenlaufzeit solle durch einen Zugangsfaktor ausgeglichen werden, so dass aus einem vorzeitigen Rentenbezug im Vergleich zu anderen kein Vorteil mehr entstehe. "Wegen der sonst entstehenden Vorfinanzierungskosten" solle ein Rentenbezug vor den maßgeblichen Altersgrenzen grundsätzlich nicht möglich sein.

b) Welche "Vorfinanzierungskosten" in einem Leistungssystem anfallen können, das gemäß § 153 SGB VI auf dem Vorrang der gesetzlichen Leistungsversprechen vor den gesetzlich festzulegenden Einnahmen und auf einer kalenderjährlichen Umlagefinanzierung beruht, ist damals weder näher erläutert worden noch erkennbar, sondern augenfällig "rentenversicherungsfremd". In der GRV hat das Gesetz zunächst die Leistungsausgaben durch gesetzliche Leistungsversprechen vorzugeben, sodann hat es kalenderjährlich durch gesetzliche Regelungen über die Einnahmen für deren Deckung zu sorgen. "Vorfinanzierungskosten" eines Rentenversicherungsträgers können daher allenfalls vorübergehend und nur insoweit entstehen, als die gesetzgebende Gewalt ihrer gesetzlichen Verpflichtung, die Deckung ihrer Leistungsversprechungen gesetzlich zu regeln, nicht erfüllt hat.

c) Zutreffend wurde damals in der Begründung des Gesetzentwurfs (RRG 1992) hervorgehoben, dass der Zugangsfaktor grundsätzlich 1,0 ist. In den oben genannten Anhörungen im Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung hat der Sachverständige Prof. Dr. Ruland (VDR e.V.) sich zur Höhe des Abschlags bei vorzeitigem Rentenbeginn im Wesentlichen dahingehend geäußert, er müsse die Frage, ob die vorgesehene Abschlagsrate ausreiche, die Mehrkosten eines früheren Rentenbeginns in etwa auszugleichen, an den Mathematiker weitergeben, der das berechne. Dabei müsse seines Wissens eine Reihe von Annahmen gemacht werden und das könne sich so oder so gestalten. Jedenfalls sei die "Grenze" von 0,3 vH je Monat für die Versicherten eine relativ günstige Regelung; versicherungsmathematisch hätte der Abschlag auch etwas höher angesetzt werden können. In der Anhörung vom 22. Mai 1996 (zum RuStFöG) hat er bekundet, er sei hier auch auf das Glauben angewiesen und glaube den Mathematikern des VDR e.V. Ferner hat die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände mitgeteilt, sie halte den Abschlag von 0,3 vH pro Monat versicherungsmathematisch für zu niedrig angesetzt, um die längere Rentenlaufzeit finanziell auszugleichen. Nach bisherigen Berechnungen müsse der Abschlag höher sein und bei 0,5 bis 0,6 vH pro Monat liegen. Anderenfalls komme es zu dauerhaften Belastungen der GRV. Versicherte, die sich für einen früheren Bezug der Altersrente entscheiden, täten dies - nur etwas gemildert gegenüber dem geltenden Recht - auf Kosten der übrigen Versicherten. Der Sachverständige Prof. Dr. Schmähl bekundete, es gebe etwas Streit, ob die Abschläge versicherungsmathematisch korrekt kalkuliert seien; im internationalen Vergleich seien die Abschläge im Ausland deutlich höher. Weitere Äußerungen zu diesem Thema finden sich nicht. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass die Rechtmäßigkeit der Vorgaben, die den "Versicherungsmathematikern" gemacht oder von diesen selbst aufgestellt wurden, und die ihrer normativen Wertungen (zB "fair") jemals juristisch geprüft wurde.

d) Allein in der Erwähnung von nicht näher benannten "Vorfinanzierungskosten" und in den genannten Stellungnahmen klingt der Aspekt an, dass eine Neubestimmung der Bedeutung des Zugangsfaktors im Sinne einer "Kollektivhaftung" der länger Lebenden miterwogen worden sein könnte, dass er also nicht nur den vom Versicherten durch "vorzeitige" Inanspruchnahme der Rente individuell erlangten Vermögensvorteil ausgleichen soll. Dann müsste der Zugangsfaktor - insofern grundsätzlich anders als das bisherige Recht (§§ 63 Abs 5 iVm 77 Abs 1 SGB VI) - als Mittel dafür dienen, die Zusatzbelastung der GRV durch "vorzeitige" Rentenzahlungen für die Rentenversicherung insgesamt in einem - allerdings nur mathematischen Sinn - "kostenneutral" auszugestalten. Ein solcher Denkansatz, der die gesetzliche Konstituierung eines "Zwangshaftungsverbandes" der Versicherten, die Altersrente "vorzeitig" in Anspruch nehmen, vorausgesetzt hätte, hat jedoch weder in den "Gesetzesmaterialien" noch in §§ 63 Abs 5 iVm 77 Abs 1 und Abs 2 Satz 1 Nr 1 und 2 Buchst a SGB VI und auch an keiner anderen Stelle in diesem Gesetz auch nur ansatzweise Ausdruck gefunden. Schon deshalb ist nicht darauf einzugehen, ob ein solches Vorhaben verfassungsgemäß gewesen wäre.

e) Die vom Senat mit Unterstützung der Beklagten vorgenommenen Überprüfungen der Berechnung des Abschlags, die ohne die Annahme eines besonderen Zwangshaftungsverbandes anhand statistischer Vorgaben über die fernere Lebenserwartung und unter Berücksichtigung fortgeschriebener Sterbetafeln erfolgten, haben hierzu ergeben, dass zur Vermeidung von Ungleichbehandlungen um einige Jahre kürzere Vorteilsausgleichszeiten mit höheren Abschlägen zu Grunde zu legen wären. Da die Sterbetafeln nur Aussagen über die Sterbewahrscheinlichkeiten einzelner Altersjahrgänge machen, kann aus ihnen weder die tatsächliche Lebenserwartung einer einzelnen Person noch auf statistischer Grundlage eine empirisch typisierende Aussage über die tatsächliche typische Lebenserwartung von Personen gemacht werden. Es ist aber erkennbar, wann nach Ablauf von wie vielen Jahren der größte Teil eines Jahrgangs voraussichtlich gestorben sein wird. Eine andere Bedeutung hat hingegen der sog Median, also die 50-zu-50-Wahrscheinlichkeit des Überlebens der "vorzeitigen" Rentner. Würde auf diesen als Endpunkt der Rentenkürzung abgestellt, würde zwar auch eine höhere Abschlagsrate anfallen, es jedoch für den Einzelnen - anders als nach geltendem Recht - bei wirtschaftlicher Betrachtung nicht mehr voraussichtlich vorteilhaft sein, Rente "vorzeitig" in Anspruch zu nehmen. Die wirtschaftliche Förderung der Frühverrentung zu Lasten der länger Lebenden entfiele. Zugleich würde eine Ungleichbehandlung von Männern und Frauen schon im Ansatz vermieden.

f) Das Gesetz hat hingegen einen für alle gleichen sowie statischen Ausgleichszeitpunkt festgesetzt. Er führt dazu, dass ein 60-Jähriger, der wegen Arbeitslosigkeit Altersrente "vorzeitig" in Anspruch nimmt, erst im Alter von 87 Jahren und zehn Monaten seinen Vermögensvorteil ausgeglichen hat. Danach muss er auf Lebenszeit (ggf durch seine Hinterbliebenen) für den Ausgleich der Vermögensvorteile der vor dem Ausgleichszeitpunkt Gestorbenen sorgen. Solche Versicherten werden - wie gesagt - nicht nur gegenüber den "abschlagsfreien" Rentnern mit gleicher Vorleistung, die älter als 87 Jahre und zehn Monate sind (etwa 700.000 Versicherte sind so alt) benachteiligt, sondern auch gegenüber den vor dem Ausgleichszeitpunkt verstorbenen Versicherten, die ihren Rentenvorteil nach gesetzlicher Planung "mit ins Grab" nehmen dürfen. Dies ist bei gleicher Vorleistung eine vermeidbare, jedenfalls deutlich verringerbare Ungleichbehandlung, die durch Sachgründe nicht gerechtfertigt ist.

g) Ferner wird - wie bereits gesagt - auch auf dieser gesetzlichen Art und Weise eine Kostenneutralität für die Beitrags- und Steuerzahler und ggf Beitragstragenden nicht in Wirklichkeit, sondern nur in versicherungsmathematischer Darstellung eines Durchschnittswertes über einen Zeitraum von 40 Jahren erreicht. Demgegenüber steigen in der Wirklichkeit die Lasten zunächst an. Später werden sie dann mit einer Zeitverschiebung um Jahrzehnte von den älteren Rentnern und ihren Hinterbliebenen durch unzulässige Sonderopfer ausgeglichen.

h) In der Wirklichkeit werden außerdem in den Jahren vor dem Vorteilsausgleichszeitpunkt den Selbstzahlern, die dem nicht ausweichen können, und den Arbeitgebern, die nicht in entsprechendem Umfang ihre pflichtversicherte Belegschaft reduzieren können, zusätzliche Beitragslasten aufgebürdet, ebenso den Steuerzahlern und, falls der Arbeitgeber sich durch den sog Beitragsabzug refinanziert, die dadurch beitragstragenden Arbeitnehmer. Diese Regelung führt zugleich kraft Gesetzes zu gleichheitswidrigen Beitragslastverschiebungen unter den Finanzierern der GRV. Denn Arbeitgeber, die pflichtversicherte Beschäftigte "frühverrenten", senken insoweit ihre Beitragsschuld gegen den Rentenversicherungsträger, erhöhen zugleich dessen Leistungspflichten und damit (wegen der oben genannten Vorrangigkeit des gesetzlichen Leistungsversprechens vor der gesetzlichen Einnahmensicherung) im kalenderjährlichen Umlageverfahren die Beitragsschulden sowohl der Arbeitgeber, die nicht in gleichem Maße Arbeitnehmer "frühverrenten" oder sonst entlassen können, als auch die der Selbstzahler, die in aller Regel dem zusätzlichen Beitragsdruck überhaupt nicht ausweichen können (näher dazu: prognosAG, Bestandsaufnahme und Bewertung praktizierter Modelle zu vorgezogenen Ruhestandsregelungen, Forschungsvorhaben im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Forschungsbericht 152 <1987>; Rosenow/Naschold, Die Regulierung von Altersgrenzen - Strategien von Unternehmen und die Politik des Staates, herausgegeben vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, 1994, insbesondere S 238 bis 247; Gatter/Hartmann, Betriebliche Verrentungspraktiken zwischen arbeitsmarkt- und rentenpolitischen Interessen, MittAB 1995 S 412 bis 424; Bäcker/Naegele, Ältere Arbeitnehmer zwischen Langzeitarbeitslosigkeit und Frühverrentung, WSI Mitteilungen 1995 S 777 bis 784).

4. Zum Gestaltungsspielraum der Gesetzgebung und deren Grenzen

Der Gesetzgeber hat einen weiten Gestaltungsspielraum, die Ungleichbehandlungen zu beheben. Er ist jedoch in der Frage gebunden, dass er dem Versicherten nach Abschmelzung seines individuellen Vermögensvorteils durch "vorzeitige" Inanspruchnahme der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit wieder den Geldwert des Stammrechts auf Rente zuerkennen muss, den der Versicherte durch seine volle Vorleistung (Summe der EP) erworben hatte. Dann ist die ab dem Ausgleichszeitpunkt bislang bestehende Ungleichbehandlung gegenüber anderen Altersrentnern mit gleicher Vorleistung behoben. Die Benachteiligung gegenüber vor dem Ausgleichszeitpunkt sterbenden "vorzeitigen" Altersrentnern, die durch das weite Hinausschieben des Zeitpunkts des Vorteilsausgleichs verstärkt wird, kann der Gesetzgeber auf verschiedene Art und Weise beheben. Er kann zB sich am Median orientieren und dadurch der Frühverrentung den wirtschaftlichen Anreiz nehmen und zugleich die Gleichbehandlung der Geschlechter, die eine deutlich unterschiedliche fernere Lebenserwartung haben, gewährleisten. Es ist aber auch nicht ausgeschlossen, dass er sich an den Sterbetafeln, die zum Teil fortgeschrieben sind, orientiert oder sogar das Konzept des statischen und dauerhaften Abschlags vom Zugangsfaktor zu Gunsten eines dynamischen Abschlags aufgibt.

IV. Keine verfassungskonforme Auslegung möglich

Eine verfassungskonforme Auslegung des nach § 237 Abs 3 iVm Anlage 19 SGB VI iVm § 77 Abs 2 Satz 1 Nr 2 Buchst a SGB VI maßgeblichen Textes, der Zugangsfaktor sei für EP, die noch nicht Grundlage von persönlichen EP einer Rente waren, bei Renten wegen Alters, die vorzeitig in Anspruch genommen werden, für jeden Kalendermonat um 0,003 niedriger als 1,0, ist - soweit ersichtlich - bislang in Rechtsprechung und Schrifttum noch nicht erwogen worden und nach Auffassung des Senats auch nicht möglich.

V. Zur Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage 2

Die Antwort auf die Vorlagefrage 2. ist entscheidungserheblich. Ist die Vorlagefrage 1 zu bejahen und das Gesetz auch im Übrigen verfassungsgemäß, muss das Revisionsgericht die Sprungrevision des Klägers gegen das Urteil des SG abweisen, falls auch die Vorlagefrage 2. zu bejahen ist. Verstößt die Abschlagsregelung iS der Vorlagefrage 2. jedoch gegen das Grundgesetz, müsste zwar eine gesetzliche Neuregelung die gleichheitswidrigen Regelungen beseitigen. Jedoch würde bereits die Feststellung der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes durch das BVerfG gewährleisten, dass eine solche Neuregelung ergeht. Es ist kein Umstand derzeit ersichtlich, der ausschließen könnte, dass die Neuregelung für den Kläger günstiger sein wird. Ist die Vorlagefrage 1. zu verneinen, muss der Gesetzgeber bei der Neuregelung des § 237 Abs 4 Satz 1 Nr 3 SGB VI auch die Gleichheitswidrigkeit iS der Vorlagefrage 2. I beseitigen, falls auch diese zu verneinen ist.

Ende der Entscheidung

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