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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 23.08.2007
Aktenzeichen: B 4 RS 2/07 R
Rechtsgebiete: AAÜG


Vorschriften:

AAÜG § 1 Abs 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

in dem Rechtsstreit

Az: B 4 RS 2/07 R

Der 4. Senat des Bundessozialgerichts hat ohne mündliche Verhandlung am 23. August 2007 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meyer, die Richter Husmann und Mutschler sowie die ehrenamtliche Richterin Kandraschow und den ehrenamtlichen Richter Dr. Grieshaber

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 19. Oktober 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte als Versorgungsträger für das Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 Nr 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) verpflichtet ist, Beschäftigungszeiten der Klägerin in der DDR als Tatbestände von Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech) sowie die dabei erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.

Nach dreijährigem Besuch einer Ingenieurschule für Bauwesen legte die Klägerin am 29.6.1971 die staatliche Ingenieurprüfung ab. Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) war sie am 30.6.1990 als Preisbildnerin/Kalkulatorin bzw als Gruppenleiterin der Preisbildner in der Abteilung Preise des VEB (B) W. N. B. G. tätig.

Den Antrag der Klägerin, ihre Beschäftigungszeiten vom 1.7.1971 bis 30.6.1990 als Tatbestände von Zugehörigkeitszeiten zur AVItech und die dabei erzielten Arbeitsentgelte festzustellen, lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 31.3.2003). Zur Begründung führte sie aus, die Klägerin sei zwar berechtigt gewesen, den Titel eines Ingenieurs zu führen, sie sei jedoch nicht als Ingenieur, sondern als Preisbildner beschäftigt gewesen.

Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, der Name "Preisbildner" gebe ihre umfängliche tatsächliche Ingenieurtätigkeit nicht hinreichend wieder. Die Beklagte wies den Widerspruch mit der Begründung zurück, es habe sich bei der Beschäftigung als Preisbildner nicht um eine ingenieurtechnische Tätigkeit im Sinne des Versorgungsrechts gehandelt (Widerspruchsbescheid vom 10.9.2003).

Das Sozialgericht (SG) hat den Ehemann der Klägerin am 1.12.2005 sowie den Bauingenieur S. H. am 12.1.2006 als Zeugen gehört und die Klagen mit Urteil vom 12.1.2006 abgewiesen. Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 19.10.2006). Das LSG hat festgestellt, dass die Klägerin als Preisbildnerin im Wesentlichen betriebswirtschaftlich tätig gewesen sei und somit im Wesentlichen keine ihrer Berufsbezeichnung "Bauingenieur" entsprechende Tätigkeit ausgeübt habe. Daher erfülle sie nicht die sachliche Voraussetzung für eine Einbeziehung in die AVItech.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin sinngemäß die Verletzung des § 1 Abs 1 AAÜG. Sie trägt vor, das LSG habe zu Unrecht den Schwerpunkt ihrer beruflichen Tätigkeit als Preisbildnerin im kaufmännischen bzw betriebswirtschaftlichen Bereich gesehen. Sie sei als Zwischenglied zwischen technischem und kaufmännischem Bereich tätig gewesen. Das LSG habe zu Unrecht in einer nachträglichen Gesamtschau auf Schwerpunkte abgestellt. Sie habe ihren auf Grund der Ingenieurausbildung erworbenen Sachverstand einbringen können und müssen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

die Urteile des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 19.10.2006 und des Sozialgerichts Neubrandenburg vom 12.1.2006 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung der ablehnenden Entscheidung im Bescheid vom 31.3.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.9.2003 zu verpflichten, ihre Beschäftigungszeiten vom 1.7.1971 bis 30.6.1990 als Tatbestände von Zugehörigkeitszeiten zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (Anlage 1 Nr 1 zum AAÜG) und die dabei erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, das Urteil des LSG sei rechtlich nicht zu beanstanden. Die Klägerin habe zwar eine Tätigkeit ausgeübt, die eine Ingenieurausbildung voraussetzte, ihre Tätigkeit als "Abteilungsleiterin Preise" habe jedoch nicht eine ingenieurtechnische Tätigkeit beinhaltet.

II

Die Revision ist unbegründet. Das Urteil des LSG verletzt zwar zum Teil Bundesrecht, die Entscheidung erweist sich jedoch im Ergebnis als richtig (§ 170 Abs 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>).

Die Klägerin verfolgt ihr Begehren, die geltend gemachten Beschäftigungszeiten als Zeiten der Zugehörigkeit zur AVItech und die dabei erzielten Verdienste festzustellen, zulässig in einer Kombination von Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen (§ 54 Abs 1 SGG). Die Klagen sind jedoch unbegründet. Die ablehnende Entscheidung der Beklagten im Bescheid vom 31.3.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.9.2003 ist rechtmäßig; die Klägerin unterfällt nach den das Bundessozialgericht (BSG) bindenden Feststellungen des LSG nicht dem persönlichen Anwendungsbereich des AAÜG.

Maßstabsnorm ist insoweit § 1 Abs 1 AAÜG, nicht dagegen - wie das LSG angenommen hat (S 20 Abs 1 des Urteils) - § 5 Abs 1 aaO. Erst wenn in einem ersten (rechtlichen) Prüfungsschritt gemäß § 1 Abs 1 aaO bejaht wird, dass der Betroffene unter den persönlichen Anwendungsbereich des AAÜG fällt, ist in einem zweiten Schritt gemäß § 5 aaO zu prüfen, ob er Beschäftigungszeiten zurückgelegt hat, die einem Versorgungssystem - hier der AVItech - zuzuordnen sind (stRspr des BSG, vgl stellvertr: Urteile vom 9. und 10.4.2002, SozR 3-8570 § 1 Nr 3 und 7). Obwohl das LSG seine rechtliche Prüfung nicht am Maßstab der hier einschlägigen Rechtsnorm vorgenommen hat, konnte der Senat von einer Aufhebung und Zurückverweisung absehen; denn die vom LSG getroffenen Feststellungen erlauben eine abschließende rechtliche Prüfung des § 1 Abs 1 AAÜG.

1. Zu Recht ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass die Klägerin die beiden ausdrücklich in § 1 Abs 1 AAÜG genannten Tatbestände nicht erfüllt. Sie war bei Inkrafttreten des AAÜG am 1.8.1991 weder Inhaberin einer Versorgungsberechtigung (Satz 1 aaO), noch war sie in der DDR vor dem 1.7.1990 (= Zeitpunkt der Schließung der Zusatzversorgungssysteme) in ein Versorgungssystem einbezogen und vor diesem Zeitpunkt rechtmäßig ausgeschieden (Satz 2 aaO).

2. Die Klägerin war am 1.8.1991 auch nicht Inhaberin einer fingierten Versorgungsanwartschaft, wie sie sich gemäß der vom BSG vorgenommenen erweiternden verfassungskonformen Auslegung des § 1 Abs 1 Satz 2 AAÜG trotz der Weitergeltung des verfassungsgemäßen Neueinbeziehungsverbotes aus dieser Norm herleitet (dazu ua: Urteil vom 9.4.2002, SozR 3-8570 § 1 Nr 7; die verfassungsrechtliche Wertung des BSG hat das Bundesverfassungsgericht in den Beschlüssen vom 4.8.2004, SozR 4-8570 § 5 Nr 4, und vom 26.10.2005, SozR 4-8560 § 22 Nr 1 RdNr 38 ff, bestätigt).

Bei Personen, die am 1.7.1990 in kein Versorgungssystem einbezogen waren und nachfolgend auch nicht auf Grund originären Bundesrechts (zB nach Art 17 Einigungsvertrag) einbezogen wurden, ist zu prüfen, ob sie am 1.8.1991 nach dem an diesem Tag geltenden Bundesrecht auf Grund der am letzten Tag vor Schließung der Zusatzversorgungssysteme (30.6.1990) gegebenen tatsächlichen Umstände einen fiktiven bundesrechtlichen "Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage" (genauer: auf Einbeziehung in ein Versorgungssystem) erlangt hatten (hierzu stellvertr: BSG, Urteile vom 9. und 10.4.2002, SozR 3-8570 § 1 Nr 2 bis 8). Im Bereich der AVItech hängt dieser Anspruch gemäß den zu Bundesrecht gewordenen Versorgungsregelungen, nämlich § 1 der Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben (VO-AVItech) vom 17.8.1950 (GBl der DDR, 844) iVm § 1 Abs 1 der Zweiten Durchführungsbestimmung zur VO-AVItech (2. DB) vom 24.5.1951 (GBl der DDR, 487), von drei (persönlichen, sachlichen und betrieblichen) Voraussetzungen ab, die kumulativ vorliegen mussten (hierzu stellvertr: BSG, Urteile vom 9. und 10.4.2002, SozR 3-8570 § 1 Nr 2 und 8).

Da die Klägerin berechtigt war, in der DDR die Berufsbezeichnung "Bauingenieur" zu führen, erfüllte sie die persönliche Voraussetzung für eine Einbeziehung. Ob die betriebliche Voraussetzung gegeben war, muss offen bleiben. Diese wäre nur erfüllt gewesen, wenn die Klägerin am 30.6.1990 in einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens beschäftigt gewesen wäre. Mit Blick auf ihren Beschäftigungsbetrieb könnte nur eine Tätigkeit in einem derartigen Betrieb des Bauwesens in Betracht kommen. Allerdings war nicht jeder volkseigene Betrieb des Bauwesens ein solcher im Sinne des § 1 Abs 1 der 2. DB, sondern sein Hauptzweck musste die Massenproduktion von Bauwerken gewesen sein (dazu: BSG, Urteil vom 8.6.2004, SozR 4-8570 § 1 Nr 3). Ob der Beschäftigungsbetrieb der Klägerin diese Voraussetzung erfüllte, lässt sich auf Grund fehlender Feststellung im Urteil des LSG nicht entscheiden. Das LSG durfte jedoch von den entsprechenden Feststellungen und ihrer rechtlichen Würdigung absehen, weil es das Vorliegen der sachlichen Voraussetzung verneinen konnte.

Diese Voraussetzung hatte die Klägerin nicht erfüllt. Sie hatte nach den bindenden Feststellungen des LSG am 30.6.1990 nicht überwiegend eine ihrer Berufsbezeichnung "Bauingenieurin" entsprechende Tätigkeit (in einem volkseigenen Produktionsbetrieb des Bauwesens) ausgeübt. Abzustellen ist insoweit auf den Schwerpunkt der Tätigkeit, also darauf, welche Tätigkeit die vom Arbeitnehmer zu erfüllenden Aufgaben geprägt hat. Hiervon ist auch das LSG ausgegangen, allerdings hätte es sich bei seiner Rechtsanwendung nicht nur sinngemäß auf die Rechtsprechung des BSG zur betrieblichen Voraussetzung, sondern unmittelbar auf dessen Rechtsprechung zur sachlichen Voraussetzung stützen können.

So hat das BSG in dem Urteil vom 31.3.2004 (B 4 RA 31/03 R) unter Bezugnahme auf die "Präambel" der VO-AVItech und den in § 1 Abs 1 der 2. DB aufgeführten Personenkreis dargelegt, dass Ingenieure die sachliche Voraussetzung für eine Einbeziehung nur dann erfüllten, wenn entsprechend ihrem Berufsbild der Schwerpunkt ihrer Tätigkeiten im produktionsbezogenen ingenieurtechnischen Bereich lag, diese Tätigkeiten somit die Aufgabenerfüllung geprägt hatten. Lag der Schwerpunkt dagegen in anderen Bereichen, zB im wirtschaftlichen bzw kaufmännischen Bereich, waren die Ingenieure nicht schwerpunktmäßig (= überwiegend) entsprechend ihrem Berufsbild tätig; im Ergebnis waren sie in einem solchen Fall berufsfremd eingesetzt (zu den Besonderheiten des Berufsbildes eines Ingenieurökonomens: BSG, Urteil vom 12.6.2001, SozR 3-8570 § 5 Nr 6, Urteil vom 7.9.2006, SozR 4-8570 § 1 Nr 12).

Das LSG hat festgestellt, dass die Klägerin als Preisbildnerin im Wesentlichen betriebswirtschaftlich tätig gewesen ist; sie hat somit im Wesentlichen nicht eine ihrer Berufsbezeichnung entsprechende Tätigkeit ausgeübt. An diese Feststellungen des LSG ist der Senat gebunden, weil die Klägerin sie nicht mit zulässigen (und begründeten) Verfahrensrügen angegriffen hat (§ 163 SGG). Sie hat lediglich den Sachverhalt anders als das LSG gewürdigt und damit keine zulässige Verfahrensrüge erhoben. Der Senat hat deshalb davon auszugehen, dass der Schwerpunkt der Tätigkeiten der Klägerin nicht dem Berufsbild des "Bauingenieurs" entsprochen hat; sie erfüllte somit nicht die sachliche Voraussetzung für eine Einbeziehung in die AVItech.

3. Die Revision der Klägerin ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.

Ende der Entscheidung

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