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Gericht: Bundessozialgericht
Beschluss verkündet am 25.11.2008
Aktenzeichen: B 5 R 366/07 B
Rechtsgebiete: SGG, ZPO
Vorschriften:
SGG § 118 Abs 1 Satz 1 | |
SGG § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 Alt 1 | |
ZPO § 411 Abs 3 |
BUNDESSOZIALGERICHT Beschluss
in dem Rechtsstreit
Az: B 5 R 366/07 B
Der 5. Senat des Bundessozialgerichts hat am 25. November 2008 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Dreher, den Richter Dr. Neuhaus und die Richterin Dr. Günniker sowie den ehrenamtlichen Richter Dr. Schneider und die ehrenamtliche Richterin Govorusic
beschlossen:
Tenor:
Auf die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 4. Juli 2007 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe:
I
Mit Urteil vom 4.7.2007 hat das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz (LSG) einen Anspruch des Klägers auf Gewährung von Rente wegen Erwerbs-, hilfsweise Berufsunfähigkeit bzw wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung über den 31.12.2002 hinaus verneint und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbare Kläger sei nicht erwerbs- oder berufsunfähig und auch nicht erwerbsgemindert. Nach dem überzeugenden, in sich schlüssigen und auf einer ausführlichen Befunderhebung beruhenden Gutachten des Sachverständigen Dr. H. vom 17.11.2006 sei der Kläger seit Januar 2003 wieder in der Lage, einer mindestens körperlich leichten Tätigkeit unter Beachtung verschiedener qualitativer Leistungseinschränkungen vollschichtig nachzugehen. Der gegenteiligen Beurteilung des Sachverständigen R. vermöge sich der Senat demgegenüber nicht anzuschließen. Die von beiden Sachverständigen erhobenen Befunde stimmten überein. Der psychopathologische Befund des Sachverständigen R. sei jedoch sehr kurz gehalten. Er beschreibe eine Persönlichkeitsstörung des Klägers, in deren Rahmen sich eine Ich-Schwäche zeige, die weiterhin ein hohes Maß an Affektambivalenz und Instabilität bewirke. Hierdurch werde das abwehrende Verhalten des Klägers in der selbstkritischen Auseinandersetzung mit den erlebten Verlusten und seinem Anteil daran begünstigt. Nicht klar werde jedoch, inwiefern die beschriebene Affektambivalenz und Instabilität sich auf die Lebensbewältigung des Klägers auswirkten. Es werde - worauf Dr. H- in seiner ergänzenden gutachtlichen Stellungnahme vom 14.5.2007 hingewiesen habe - nicht erläutert, ob und ggf inwieweit das Vermeiden einer selbstkritischen Auseinandersetzung mit den erlebten Verlusten die Lebensbewältigung und Leistungsfähigkeit begrenze. Insgesamt sei festzustellen, dass der von dem Sachverständigen R. erhobene psychopathologische Befund die von ihm festgestellte zeitlich eingeschränkte Leistungsfähigkeit mit drei bis unter sechs Stunden nicht rechtfertige. Dem Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG), den Psychiater R. erneut im Rahmen einer gutachterlichen Stellungnahme anzuhören, sei nicht stattzugeben gewesen. Das Antragsrecht des Klägers sei mit der Einholung des Gutachtens bei dem Psychiater R. vom 10.4.2007 verbraucht. Es sei nicht ersichtlich, warum der Sachverständige erneut habe angehört werden sollen.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde beim Bundessozialgericht (BSG) eingelegt. Er beruft sich auf das Vorliegen von Verfahrensmängeln iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG. Das LSG habe gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens verstoßen. Dieser sei verletzt, wenn bei gegensätzlichen gutachterlichen Einschätzungen zur quantitativen Leistungsfähigkeit der nach § 103 SGG bestellte Gutachter Gelegenheit erhalte, auf ein ihm bisher nicht bekanntes Gutachten nach § 109 SGG einzugehen, wohingegen der nach § 109 SGG bestellte Gutachter keine Gelegenheit erhalte, seinerseits noch einmal ergänzend Stellung zu nehmen. Ferner habe das Berufungsgericht gegen § 103 SGG verstoßen. Er, der Kläger, habe in der mündlichen Verhandlung den Antrag gestellt, den nach § 109 SGG bestellten Sachverständigen R. ergänzend zu der Stellungnahme Dr. H. vom 14.5.2007 anzuhören. In diesem Antrag sei der Beweisantrag enthalten gewesen, von Amts wegen einen unklaren Sachverhalt aufzuklären. Eine abschließende Sachaufklärung hätte dazu geführt, dass ein untervollschichtiges Leistungsvermögen nachgewiesen worden wäre.
II
Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
Mit seiner Rüge, das LSG habe seinen Antrag auf Anhörung des Sachverständigen R. nicht übergehen dürfen, hat der Kläger sinngemäß eine Verletzung des § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 411 Abs 3 Zivilprozessordnung (ZPO) geltend gemacht.
Diese Rüge trifft zu. Das LSG hat sich zu Unrecht geweigert, den Sachverständigen R. anzuhören.
Gemäß § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 411 Abs 3 ZPO kann das Gericht das Erscheinen des Sachverständigen anordnen, damit er das schriftliche Gutachten erläutere. Diese dem Tatsachengericht obliegende Ermessensentscheidung unterliegt der Überprüfung dahin, ob das Gericht sein Ermessen rechtsfehlerfrei gebraucht hat. Die mündliche Erörterung ist jedenfalls dann geboten, wenn sie zur Klärung von Zweifeln oder zur Beseitigung von Unklarheiten unumgänglich ist (BGH NJW 2001, 3269, 3270 = Juris RdNr 15 mwN); je nach den Umständen kann auch eine schriftliche Erläuterung des Gutachtens genügen (BSG SozR 3-1750 § 411 Nr 1 S 5 f mwN). Ein Anlass zur weiteren Klärung in diesem Sinne hat nach den eigenen Feststellungen des LSG bestanden.
Der Sachverständige R. ist zu dem Ergebnis gelangt, der Kläger sei lediglich im Stande, eine Tätigkeit von drei bis unter sechs Stunden auszuüben. Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist diese festgestellte zeitliche Leistungseinschränkung nach dem vom Sachverständigen R. erhobenen psychopathologischen Befund nicht gerechtfertigt. Zu dieser Einschätzung gelangt das LSG deswegen, weil "nicht klar" werde, inwiefern die vom Sachverständigen R. beschriebene Affektambivalenz und Instabilität sich auf die Lebensbewältigung des Klägers auswirkten. Zudem werde nicht erläutert, ob und ggf inwieweit das Vermeiden einer selbstkritischen Auseinandersetzung mit den erlebten Verlusten die Lebensbewältigung und Leistungsfähigkeit begrenze. Von seinem eigenen Standpunkt aus hätte das LSG mithin den Sachverständigen zur Aufklärung der festgestellten Unklarheiten hören müssen. Denn § 411 Abs 3 ZPO gilt nicht nur für Gutachten, die von Amts wegen eingeholt wurden, sondern erfasst gleichermaßen Gutachten, die auf Antrag eines Klägers nach § 109 SGG in Auftrag gegeben werden (BSG SozR 3-1750 § 411 Nr 1 S 5; SozR 4-1750 § 411 Nr 3 mwN).
Der Kläger hat auch im Berufungsverfahren einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag iS von § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 411 Abs 3 ZPO gestellt und bis zuletzt aufrechterhalten. In der mündlichen Verhandlung hat er beantragt, "eine Stellungnahme gemäß § 109 SGG von Dr. R. zu dem Gutachten von Dr. H. einzuholen". Unter Berücksichtigung des zuvor mit Schriftsatz vom 13.6.2007 gestellten Antrags, eine Stellungnahme des Sachverständigen R. zur Stellungnahme des Dr. H. vom 14.5.2007 einzuholen, ist insoweit gerade noch hinreichend erkennbar beantragt worden, den Sachverständigen R. zur Erläuterung der Auswirkungen der von ihm im Gutachten vom 10.4.2007 festgestellten Affektambivalenz und Instabilität des Klägers sowie dessen Vermeidung einer selbstkritischen Auseinandersetzung mit den erlebten Verlusten auf sein zeitliches Leistungsvermögen zu hören. Denn der Sachverständige Dr. H. hat in seiner Stellungnahme vom 14.5.2007 ausgeführt, dass nicht deutlich bzw nicht erläutert werde, ob bzw inwiefern diese Befunde sich auf das zeitliche Leistungsvermögen des Klägers auswirkten.
Die vom Kläger erhobene Aufklärungsrüge stellt sich auch nicht als ein nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 Alt 1 SGG ausgeschlossener Angriff auf die Beweiswürdigung des LSG dar.
Die Würdigung unterschiedlicher Gutachtenergebnisse gehört wie die anderer sich widersprechender Beweisergebnisse zur Beweiswürdigung selbst. Hält das Gericht eines von mehreren Gutachten für überzeugend, darf es sich diesem grundsätzlich ohne weitere Sachverhaltsaufklärung anschließen. Dies gilt jedoch nicht ausnahmslos. Liegen bereits mehrere Gutachten vor, ist das Tatsachengericht zur weiteren Beweiserhebung verpflichtet, wenn die vorhandenen Gutachten grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthalten, von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters geben (BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 9 mwN). Ein solcher Ausnahmetatbestand liegt hier vor. Denn die den Gutachten Dr. H. und R. zu Grunde liegenden Tatsachenfeststellungen sind nicht vollständig gleich. Zwar haben beide Sachverständige eine kombinierte Persönlichkeitsstörung des Klägers diagnostiziert. Nur im Gutachten des Sachverständigen R. ist jedoch im Rahmen dieser Persönlichkeitsstörung insbesondere der psychopathologische Befund einer Affektambivalenz und Instabilität beschrieben, deren Auswirkungen auf das Leistungsvermögen nach den eigenen Feststellungen des LSG noch unklar sind.
Die mangelnde Anhörung des Sachverständigen R. kann die Entscheidung beeinflusst haben. Im Fall seiner Anhörung hätte er möglicherweise die Auswirkungen der von ihm festgestellten psychopathologischen Befunde auf das zeitliche Leistungsvermögen des Klägers erklärt. Es ist nicht auszuschließen, dass das Gericht dann zu einem für den Kläger günstigeren Ergebnis gelangt wäre. Da die Beschwerde bereits aus den dargelegten Gründen erfolgreich ist, bedarf es keiner Entscheidung des Senats, ob die weiteren Verfahrensrügen des Klägers ebenfalls zulässig und begründet sind.
Zur Vermeidung weiterer Verfahrensverzögerung hat der Senat die Sache im Beschlusswege nach § 160a Abs 5 SGG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Ende der Entscheidung
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