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Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 11.12.2002
Aktenzeichen: B 5 RJ 20/02 R
Rechtsgebiete: SGB X, SGB VI
Vorschriften:
SGB X § 44 | |
SGB VI § 307d |
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil
Verkündet am 11. Dezember 2002
Az: B 5 RJ 20/02 R
in dem Rechtsstreit
Der 5. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 11. Dezember 2002 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Wetzel-Steinwedel, den Richter Schenk und die Richterin Streffer sowie die ehrenamtlichen Richterinnen Sachse und Ende
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 30. Januar 2002 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I
Die am 26. Februar 1925 geborene Klägerin begehrt die Neufeststellung ihrer mit bestandskräftigem Bescheid vom 16. Februar 1990 ab 1. März 1990 gewährten Regelaltersrente unter zusätzlicher (additiver) Berücksichtigung von Entgeltpunkten (EP) für Kindererziehungszeiten (KEZ) für ihre zwei am 15. Dezember 1949 und 7. Mai 1964 geborenen Kinder. Sie hatte im ersten Lebensjahr der Kinder (bis auf einen Monat) teils freiwillige, teils Pflichtbeiträge entrichtet, so dass nach § 1255a Abs 5 Satz 1 und 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) zwar die mit KEZ zusammenfallenden Beiträge auf den (monatlichen) Wert 6,25 angehoben wurden, im Übrigen aber die KEZ in diesen Zeiträumen zu keiner Rentensteigerung führten. Die additive Berücksichtigung und stufenweise Erhöhung des Werts der KEZ nach Maßgabe des § 307d Sozialgesetzbuch - Sechstes Buch - (SGB VI) ab der Rentenanpassung zum 1. Juli 1998 erhöhte deshalb die der Rentenberechnung zugrunde liegenden persönlichen EP.
Mit Bescheid vom 12. Januar 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Juli 1999 lehnte die Beklagte die bei einer Vorsprache am 10. Juli 1998 begehrte (teilweise) Rücknahme des Rentenbescheides und eine Neufeststellung unter additiver Berücksichtigung der KEZ für Zeiträume vor dem 1. Juli 1998 ab, denn § 307d SGB VI sei im Regelfall erst am 1. Juli 1998 in Kraft getreten und nur ausnahmsweise frühestens ab 1. Januar 1986, wenn die Rente am 27. Juli 1996 noch nicht bindend bewilligt worden sei (Art 33 Abs 2 und 12 Rentenreformgesetz <RRG> 1999 vom 16. Dezember 1997, BGBl I 2998). Die Klägerin könne auch nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so gestellt werden, als hätte sie rechtzeitig Widerspruch eingelegt. Das Sozialgericht Oldenburg (SG) hat mit Urteil vom 10. Februar 2000 der Klage teilweise stattgegeben und die Beklagte verurteilt, "den Wert der Altersrente der Klägerin für den Rentenbezugszeitraum vom 1. Januar 1994 bis 30. Juni 1998 neu zu berechnen und dabei die von der Klägerin geleisteten KEZ, die mit beitragsbelegten Zeiten zusammentreffen, in vollem Umfang (additive Bewertung) anzurechnen sowie eine entsprechende Rentennachzahlung an die Klägerin zu leisten": Das Gericht sei nicht davon überzeugt, dass die Klägerin im Jahre 1990 fehlerhaft beraten worden sei und bei zutreffender Beratung rechtzeitig Widerspruch erhoben hätte. Das Begehren der Klägerin sei dagegen als Antrag nach § 44 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch - (SGB X) zu werten, dessen Voraussetzungen hier vorlägen, so dass rückwirkend ab 1. Januar 1994 die Rente neu zu berechnen sei. § 307d SGB VI iVm Art 33 Abs 2 und 12 RRG 1999 stehe dem nicht entgegen, denn damit werde nur eine Verpflichtung der Beklagten zur Neufeststellung der Rente von Amts wegen geregelt, hier sei indes am 10. Juli 1998 ein Überprüfungsantrag gestellt worden. Zwar sei nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 12. März 1996 - 1 BvR 609/90 und 1 BvR 692/90 - (BGBl 1996 I 1173 = BVerfGE 94, 241 = SozR 3-2200 § 1255a Nr 5) § 1255a Abs 5 Satz 2 RVO idF des Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeiten-Gesetzes (HEZG) nur für mit dem Grundgesetz (GG) unvereinbar und nicht für nichtig erklärt worden. Dies schränke aber die Anwendbarkeit des § 44 SGB X nicht ein. Auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 8. September 1988 - 11/7 RAr 61/87 - BSGE 64, 62 = SozR 4100 § 152 Nr 18 werde Bezug genommen. Ohne die mit dem GG für unvereinbar erklärte Regelung des § 1255a Abs 5 Satz 2 RVO hätte der Gesetzgeber die KEZ additiv berücksichtigt, was sich aus der Neufassung des § 70 Abs 2 SGB VI bzw der Einfügung des § 307d SGB VI ergebe.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht Niedersachsen (LSG) mit Urteil vom 30. Januar 2002 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen: Der Anspruch lasse sich entgegen der Rechtsauffassung des SG nicht auf § 44 SGB X stützen, denn dessen Anwendung sei durch die Spezialvorschrift des § 307d SGB VI ausgeschlossen. Das BVerfG habe § 1255 Abs 5 Satz 2 RVO nur mit dem GG für unvereinbar erklärt, gleichzeitig aber betont, dass Rentenbescheide, die im Zeitpunkt der Bekanntgabe seiner Entscheidung bereits bestandskräftig waren, nach dem Grundgedanken des § 79 Abs 2 Satz 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz unberührt blieben. Es sei jedoch dem Gesetzgeber unbenommen, eine günstigere Regelung zu treffen. Diesen Gestaltungsspielraum habe der Gesetzgeber genutzt und mit den unterschiedlichen Zeitpunkten des Inkrafttretens der additiven Anrechnung der KEZ nach § 307d SGB VI, je nachdem, ob eine bestandskräftige oder noch nicht bestandskräftige Rentenbewilligung zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der Entscheidung des BVerfG vorgelegen hatte (Art 33 Abs 2 und 12 RRG 1999), gleichzeitig eine davon abweichende rückwirkende Neufeststellung nach Maßgabe des § 44 SGB X ausgeschlossen.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 44 SGB X. Zutreffend habe das SG den Rücknahme- und Neufeststellungsanspruch der Klägerin auf diese Norm gestützt. Es sei von grundsätzlicher Bedeutung, ob § 307d SGB VI iVm Art 33 Abs 2 und 12 RRG 1999 den Anwendungsbereich des § 44 SGB X einschränke.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des LSG vom 30. Januar 2002 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG vom 10. Februar 2000 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.
II
Die Revision der Klägerin ist unzulässig und daher nach § 169 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den gesetzlichen Anforderungen.
Gemäß § 164 Abs 2 Satz 1 und 3 SGG ist die Revision zu begründen. Die Pflicht zur schriftlichen Begründung des Rechtsmittels soll eine umfassende Vorbereitung des Revisionsverfahrens gewährleisten und ua sicherstellen, dass der Revisionskläger bzw sein Prozessvertreter das angefochtene Urteil im Hinblick auf das Rechtsmittel überprüft und mit Blickrichtung auf die Rechtslage genau durchdenkt. Daher ist nach ständiger Rechtsprechung des BSG die Revision - auch bei materiell-rechtlichen Rügen - sorgfältig zu begründen (ua jeweils mwN BSG Urteile vom 19. März 1992 - 7 RAr 26/91 - BSGE 70, 186, 187 f = SozR 3-1200 § 53 Nr 4; vom 16. Dezember 1981 - 11 RA 86/80 - SozR 1500 § 164 Nr 20 und vom 8. Februar 2000 - B 1 KR 18/99 R - SozR 3-1500 § 164 Nr 11; Senatsbeschluss vom 8. Mai 2002 - B 5 RJ 4/02 R -, Senatsurteil vom 3. Juli 2002 - B 5 RJ 30/01 R -, veröffentlicht in JURIS; zustimmend BVerfG Beschluss vom 7. Juli 1980 - 2 BvR 310/80 - SozR 1500 § 164 Nr 17).
Es ist darzulegen, dass und weshalb die Rechtsansicht des Berufungsgerichts nicht geteilt wird. Dies kann nur mit rechtlichen Erwägungen geschehen. Die Revisionsbegründung muss nicht nur die eigene Meinung des Revisionsklägers wiedergeben, sondern sich - zumindest kurz - mit den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils auseinander setzen und erkennen lassen, dass und warum die als verletzt gerügte Vorschrift des materiellen Rechts nicht oder nicht richtig angewandt worden ist (vgl bereits BSG Beschluss vom 2. Januar 1979 - 11 RA 54/78 - SozR 1500 § 164 Nr 12). Aus dem Inhalt der Darlegung muss sich ergeben, dass sich der Revisionskläger mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung rechtlich auseinander gesetzt hat, und inwieweit er bei der Auslegung der angewandten Rechtsvorschriften anderer Auffassung ist. Wird die Verfassungswidrigkeit einer Norm geltend gemacht, gelten keine anderen Maßstäbe.
Diesen Anforderungen wird die mit dem Schriftsatz vom 17. Mai 2002 eingereichte Revisionsbegründung nicht gerecht. Nach einer Wiedergabe des Prozessverlaufs erschöpft sie sich darin, die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache mit Blick auf die Breitenwirkung und die Fortentwicklung des Rechts darzulegen, was aber gar nicht erforderlich gewesen wäre, da die Revision bereits vom LSG zugelassen worden war. Eine Auseinandersetzung mit den Entscheidungsgründen im Urteil des LSG, mit dem dieses der Rechtsauffassung des SG entgegengetreten war, fehlt völlig. Bei diesem prozessualen Ablauf genügt es keinesfalls zu schreiben: "Die Klägerin schließt sich in der rechtlichen Auffassung vollinhaltlich den Ausführungen des Sozialgerichts Oldenburg im Urteil vom 10.02.2000 an. Es ist zutreffend die Anwendbarkeit des § 44 SGB X neben § 307d SGB VI angenommen worden." Denn angefochten ist im Revisionsverfahren das Urteil des LSG und gegen dessen rechtliche Argumentation muss in der Revisionsbegründung vorgetragen werden. Allein die Bezugnahme auf die Urteilsgründe des SG in der Revisionsbegründung lässt nicht aus sich heraus erkennen, dass sich die Revisionsklägerin mit den Gründen, auf denen gerade die angefochtene Entscheidung beruht, auseinandergesetzt hat (BSG Urteil vom 28. Januar 1981 - 9 RV 1/80 - veröffentlicht in JURIS).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Ende der Entscheidung
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