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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 05.02.2003
Aktenzeichen: B 6 KA 15/02 R
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art 3 Abs 1
GG Art 12 Abs 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

Verkündet am 5. Februar 2003

Az: B 6 KA 15/02 R

in dem Rechtsstreit

Der 6. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 5. Februar 2003 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Engelmann, die Richter Dr. Wenner und Dr. Kretschmer sowie den ehrenamtlichen Richter Dr. Bluttner und die ehrenamtliche Richterin Dr. Bert

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 27. Juni 2001 aufgehoben, soweit es die sachlich-rechnerische Berichtigung von Leistungen nach der Nummer 422, 430, 431 und 450 BMÄ/E-GO in dem Berichtigungsbescheid der Beklagten für das Quartal III/1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Dezember 1997 betrifft.

Insoweit wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe:

I

Streitig ist die Vergütung schmerztherapeutischer Leistungen.

Der Kläger ist im Bezirk der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) als Orthopäde zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Im Januar 1997 berichtigte die Beklagte - soweit im Revisionsverfahren noch streitig - seine Abrechnung für das Quartal III/1996 hinsichtlich der Leistungen nach Nr 422, 430, 431 und 450 Bewertungsmaßstab-Ärzte/Ersatzkassen-Gebührenordnung (BMÄ/E-GO) [Analgesie von Hirnnerven, Sympathikusblockade, einschließlich dokumentierter Überwachung], weil sie für das Gebiet der Orthopädie fachfremd seien.

Mit seiner nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, er habe die berichtigten schmerztherapeutischen Leistungen jahrelang unbeanstandet erbracht. Die Behandlung der mit Gesundheitsstörungen auf orthopädischem Gebiet verbundenen Schmerzen gehöre zum Kernbereich orthopädischer Tätigkeit. Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen.

Das Landessozialgericht (LSG) hat eine Stellungnahme der bayerischen Landesärztekammer (LÄK) eingeholt und die Berufung zurückgewiesen. Im Urteil ist ausgeführt, es könne dahin stehen, ob die abgerechneten Leistungen nach den Diagnosen in den Behandlungsunterlagen indiziert gewesen seien oder ob andere Diagnosen vorgelegen hätten. Die vom Kläger anästhesierten Nervenbahnen stünden medizinisch nicht zu Stütz- und Bewegungsorganen in Beziehung, sondern zu neurologischen Schmerzsyndromen der Gesichtsregion (Nr 422 BMÄ/E-GO) und zu der Gefäßweite und damit der Durchblutung (Nr 430 und 431 BMÄ/E-GO). Hätten solche Diagnosen vorgelegen, seien Erkrankungen behandelt worden, die nicht das orthopädische Fachgebiet beträfen. Unter Vertrauensschutzgesichtspunkten komme dem Kläger auch die wissentliche Duldung einer systematisch fachfremden Tätigkeit nicht zu Gute. Wegen wesentlicher Änderungen der Leistungslegenden zur Schmerztherapie zum 1. Januar und zum 1. Juli 1996 habe für die Beklagte Anlass bestanden, sich mit der Fachgebietskonformität der Leistungen zu befassen und ggf von der bisherigen Praxis abzuweichen (Urteil vom 27. Juni 2001).

Mit seiner Revision rügt der Kläger die Unvereinbarkeit des LSG-Urteils mit den im Streit stehenden Gebührenlegenden sowie mit Art 3 Abs 1 und Art 12 Abs 1 Grundgesetz (GG). Art 3 Abs 1 GG sei betroffen, weil die Abrechnungspraxis der Beklagten in diesem Punkt von derjenigen anderer KÄVen abweiche. Dadurch sei zugleich Art 12 Abs 1 GG verletzt. Auch habe er nach jahrelanger unbeanstandeter Abrechnung auf die Beibehaltung der bisherigen Abrechnungspraxis vertrauen dürfen.

Der Kläger beantragt,

die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 27. Juni 2001 und des Sozialgerichts München vom 16. Dezember 1998 sowie den Berichtigungsbescheid für das Quartal III/1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Dezember 1997 aufzuheben, soweit sie die sachlich-rechnerische Berichtigung von Leistungen nach der Nummer 422, 430, 431 und 450 BMÄ/E-GO betreffen,

hilfsweise,

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 27. Juni 2001 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie verteidigt das LSG-Urteil und bekräftigt unter Vertiefung der im Berufungsverfahren vorgetragenen medizinischen Gründe ihre Auffassung, die im Streit stehenden Leistungen könnten bei keiner Indikation aus dem Gebiet der Orthopädie eingesetzt werden. Es handele sich deshalb um für Orthopäden fachfremde Leistungen. Ihr - der Beklagten - Einschreiten verletze Art 3 Abs 1 GG auch dann nicht, wenn die Fachfremdheit von anderen KÄVen nicht aufgegriffen oder anders beurteilt werde. Ordnungswidrige Zustände müssten von der Verwaltung nicht flächendeckend und lückenlos angegangen werden. Schließlich lägen die in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) aufgestellten Voraussetzungen für Vertrauensschutz gegenüber Maßnahmen der sachlich-rechnerischen Richtigstellung nicht vor.

Die übrigen Beteiligten haben sich nicht geäußert.

II

Die Revision des Klägers hat im Sinne der Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht Erfolg. Auf der Grundlage der Feststellungen des LSG kann der Senat nicht abschließend beurteilen, ob die angefochtenen Richtigstellungen - in dem noch im Streit stehenden Umfang - rechtmäßig sind oder nicht. Das führt zur Zurückverweisung der Sache an das LSG (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>).

Rechtsgrundlage der sachlich-rechnerischen Richtigstellungen sind die Regelungen des Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) und des Bundesmantelvertrag-Ärzte-/Ersatzkassen (EKV-Ä) über die Befugnis der KÄV zur Durchführung sachlich-rechnerischer Richtigstellungen (im BMV-Ä: § 45 Abs 2 Satz 1 der seit 1. Januar 1995 geltenden Fassung; im EKV-Ä: § 34 Abs 4 Satz 2 der seit 1. Juli 1994 geltenden Fassung). Nach diesen im Wesentlichen gleich lautenden Vorschriften ist die KÄV berechtigt, die Abrechnung der Vertragsärzte auf ihre rechnerische und sachliche Richtigkeit zu überprüfen und ggf zu berichtigen.

Zutreffend hat das LSG die Beklagte auf dieser Rechtsgrundlage als befugt angesehen, vom Kläger außerhalb der Grenzen seines orthopädischen Fachgebietes erbrachte Leistungen von seiner Honorarforderung abzusetzen. In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass Vertragsärzte Leistungen, die nicht in ihr Fachgebiet fallen, grundsätzlich nicht abrechnen dürfen. Die Heilberufs- bzw Kammergesetze der Länder und die auf der Grundlage von Ermächtigungen in diesen Gesetzen von den Ärztekammern der Länder erlassenen Weiterbildungsordnungen normieren die Verpflichtung derjenigen Ärzte, die - wie der Kläger - Gebietsbezeichnungen führen, ihre Tätigkeit auf dieses Fachgebiet zu beschränken. Für den Kläger folgt diese Verpflichtung aus Art 34 Abs 1 des Bayerischen Gesetzes über die Berufsausübung, die Berufsvertretungen und die Berufsgerichtsbarkeit der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte und Apotheker (Heilberufe-Kammergesetz - im Folgenden: Kammergesetz) in der hier maßgeblichen Fassung vom 9. August 1996 (GVBl Nr 16, S 331), wie das LSG in Anwendung dieser nicht revisiblen (§ 162 SGG) landesrechtlichen Vorschrift dargelegt hat. Sie ist auch in § 21 Satz 1 der auf Art 35 Abs 1 Kammergesetz gestützten Weiterbildungsordnung für die Ärzte Bayerns (im Folgenden: WBO) in der hier maßgeblichen Fassung des Beschlusses vom 13. Oktober 1996 normiert. Die Bindung an die Grenzen seines Fachgebietes trifft den Arzt, wie der Senat mehrfach aufgezeigt hat, auch in seiner Eigenschaft als Vertragsarzt (vgl dazu BSG SozR 3-2500 § 95 Nr 9 S 34 ff; BSGE 84, 290, 292 = SozR 3-2500 § 95 Nr 21 S 86). Auch in dieser Funktion sind für den Kläger danach die Grenzen maßgeblich, die sich aus der WBO ergeben.

Die danach zu beachtenden Grenzen einer gebietsärztlichen Betätigung beruhen zum einen auf objektiven Umständen. Diese bestehen darin, dass Leistungen nach Methode oder nach Körperregion nur von anderen Gebietsärzten erbracht werden dürfen. Zum anderen liegen Beschränkungen unter dem Gesichtspunkt der Fachfremdheit darin, dass der subjektive Behandlungsanlass stets auf Leistungen für fachgebietseigene Indikationen bezogen sein muss; denn selbst wenn objektive Grenzen nicht bestehen, dürfen Gebietsärzte Leistungen nicht aus Anlässen erbringen, die für sie fachfremd sind. In diesem Sinne hat der Senat wegen Fachfremdheit der Methode bestätigt, dass einem als Schmerztherapeut zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Anästhesiologen die Erbringung von Leistungen mit minimal-invasiven Verfahren verwehrt ist (vgl BSGE 84, 290 = SozR 3-2500 § 95 Nr 21). Unter dem Gesichtspunkt der Fachfremdheit (auch) des behandelten Körperteils ist ein Arzt, der ursprünglich als praktischer Arzt zugelassen war und nach Genehmigung chirotherapeutische Leistungen erbringen durfte, nach seiner (Um-)Zulassung als Anästhesist von der Durchführung dieser Leistungen ausgeschlossen worden (vgl BSG SozR 3-2500 § 95 Nr 7). Schließlich hat der Senat entschieden, dass Gynäkologen - unter dem Gesichtspunkt der für sie fachfremden Zielsetzung - an der Vornahme von Schilddrüsenhormonbestimmungen, auch soweit sie der Behandlung der weiblichen Sterilität dienten, gehindert sind, weil die Therapie von Schilddrüsenfehlfunktionen Bestandteil der inneren Medizin ist und deshalb auch die Diagnostik diesem Fachgebiet zuzurechnen ist (vgl BSG SozR 3-2500 § 95 Nr 9).

Nach Maßstab dieser Kriterien ist eine Honorarberichtigung zutreffend nicht darauf gestützt worden, dass Anästhesien zur Schmerztherapie nach Abschn D I BMÄ/E-GO eine für Orthopäden gebietsfremde Behandlungsmethode wären. Das ist nicht der Fall; gebietsbezogene Anästhesien zur Schmerztherapie stehen nach den hier einschlägigen Vorschriften der WBO sowie den mit ihnen übereinstimmenden Regelungen der vom 95. Deutschen Ärztetag 1992 beschlossenen Muster-Weiterbildungsordnung (<Muster-WBO> mit späteren Änderungen; vgl zur Funktion der Muster-WBO: BSG SozR 3-2500 § 135 Nr 16 S 84) auch Orthopäden offen. Die Muster-WBO verlangt unter Abschn I Nr 29. "Orthopädie" in der sechsjährigen Weiterbildungszeit mit einem Jahr Chirurgie und fünf Jahren Orthopädie ua Vermittlung, Erwerb und Nachweis eingehender Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten in der Prävention, Diagnostik und Therapie von Krankheiten, Verletzungen und Verletzungsfolgen der Stütz- und Bewegungsorgane, wozu nach Abschn I Nr 29.1. (7. Spiegelstrich) ua eingehende Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten in "der Lokal- und Regionalanästhesie des Gebietes" sowie (17. Spiegelstrich) "der Pharmakologie der im Gebiet gebräuchlichen Pharmaka und Kontrastmittel" gehören. Die zu der Muster-WBO geschaffenen Richtlinien der Bundesärztekammer konkretisieren dies (vgl zu deren Funktion BSG SozR 3-2500 § 95 Nr 30 S 150). Sie führen unter Abschn I Nr 29.1.1 "Untersuchungsverfahren und Behandlungsverfahren" die (8. Spiegelstrich) "selbständige Durchführung der Lokal- und Regionalanästhesie bei 30 Patienten" sowie die (9. Spiegelstrich) "selbständige Durchführung spezieller Injektionstechniken einschließlich diagnostischer und therapeutischer Injektionsverfahren der Schmerztherapie in 150 Fällen" auf. Zu Recht steht deshalb die generelle Befugnis des Klägers zur Durchführung gebietsbezogener Schmerztherapien auch unter Verwendung von Analgetika nicht im Streit.

Für die Frage der Fachfremdheit der Leistungen nach Nr 430 und 431 BMÄ/E-GO für Orthopäden ist ohne Belang, dass sie nach der Vorbemerkung zu Abschn D I BMÄ/E-GO während der gesamten Dauer ua kontinuierlich durch EKG-Monitoring und Pulsoxymetrie zu begleiten sind. Diese Pflicht bewirkt keinen Ausschluss zu Lasten von Orthopäden. Ein solcher folgt weder daraus, dass solche Daten ansonsten vorwiegend im Bereich der inneren Medizin Verwendung finden, noch daraus, dass die Weiterbildung auf orthopädischem Gebiet keine ausreichenden Kenntnisse zur Handhabung dieser Kontrollmethoden und zur Interpretation ihrer Ergebnisse vermitteln würde. Es handelt sich insoweit vielmehr um ergänzende sächliche und verfahrensmäßige Anforderungen mit dem Ziel der Qualitätssicherung der Anästhesieleistung, die ohne Einfluss auf gebietsärztliche Zuständigkeitsabgrenzungen sind, wie dies die LÄK im Berufungsverfahren näher dargelegt hat. Schließlich kommt es für die Fachfremdheit von Leistungen nach Nr 422, 430 und 431 BMÄ/E-GO auch nicht darauf an, ob die dort in Bezug genommene Behandlungsregion für Orthopäden fachfremd ist. Orthopäden sind nach der Muster-WBO nur zu gebietsbezogenen Lokal- und Regionalanästhesien befugt. Auch schmerztherapeutisch dürfen Orthopäden nur Schmerzen behandeln, deren Ursache im Gebiet der Stütz- und Bewegungsorgane liegt. Wenn zur Behandlung solcher Schmerzzustände Anästhesien in anderen Körperregionen (zB Hirnnerven) gesetzt werden, verliert die Behandlung nicht allein deshalb den Bezug zum orthopädischen Fachgebiet.

Dies alles hat das Berufungsgericht im Ausgangspunkt nicht anders beurteilt. Bei seiner Entscheidung, dass die angefochtenen Berichtigungsbescheide rechtmäßig seien, hat es jedoch offen gelassen, ob der Kläger die fraglichen Injektionsleistungen aus Anlass von Beschwerden des Stütz- und Bewegungsapparates und daher subjektiv unter Wahrung der Gebietsgrenzen erbracht hat, die Leistungen dazu aber objektiv ungeeignet sind, oder ob der Kläger bei Erbringung der Injektionsleistungen subjektiv Zwecke verfolgt hat, die für ihn als Arzt für Orthopädie fachfremd sind, weil er nicht zur Ausschaltung der Linderung von Schmerzen im Gebiet der Stütz- und Bewegungsorgane tätig geworden ist. Das Berufungsgericht ist der Auffassung, es bedürfe nicht der Aufklärung, welcher der genannten Sachverhaltskonstellationen vorliegt, weil die Beklagte in beiden Fällen mit Berichtigungsbescheiden habe reagieren dürfen. Dem ist nicht zu folgen. Die Voraussetzungen, unter denen ärztliche Leistungen wegen Ungeeignetheit oder wegen Fachfremdheit von der Honorierung ausgenommen werden können, und ihre Folgen sind so unterschiedlich, dass jeweils geklärt sein muss, worauf eine Honorarberichtigung gestützt ist.

Zur Frage der Ungeeignetheit von Leistungen ist in der Rechsprechung des Senats anerkannt, dass die KÄVen ärztliche Leistungen nicht honorieren müssen, die der Vertragsarzt nicht hat erbringen dürfen, weil sie nicht Gegenstand der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sind. Eine Leistungspflicht der GKV besteht nicht bei solchen Leistungen, die sich im konkreten Behandlungszusammenhang in offenkundigem Widerspruch zum Stand der medizinischen Wissenschaft befinden oder erkennbar ohne jeden Nutzen erbracht worden sind. Ist bei vertragsarztrechtlich an sich zulässigen Leistungen diese Evidenzschwelle nicht erreicht, kommt aus kompetenzrechtlichen Gründen nur die Untersuchung der Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise durch die zuständigen Prüfgremien in Betracht (BSG SozR 3-5533 Nr 3512 Nr 1 S 3 f). Abrechnungsausschlüsse auf Grund nutzloser Leistungen berühren die Berufsfreiheit der jeweiligen Ärzte nach Art 12 Abs 1 GG nicht. Die Berufsfreiheit und die von ihr umfasste ärztliche Therapiefreiheit können nur bei medizinisch vertretbaren Diagnose- oder Therapieentscheidungen betroffen sein (vgl zur Reichweite der Therapiefreiheit des Vertragsarztes BSG SozR 3-5533 Nr 3512 Nr 1 S 3; SozR 3-2500 § 13 Nr 23 S 112 mwN). Bei der Erbringung erkennbar nutzloser Leistungen kann sich der betroffene Vertragsarzt auch nicht auf Vertrauensschutzerwägungen mit der Begründung berufen, die zuständige KÄV habe die Erbringung und Berechnung entsprechender Leistungen in der Vergangenheit nicht beanstandet. Vertrauenstatbestände setzen ua voraus, dass Anlass zu einer Vertrauensbetätigung gegeben war und insoweit Schutzwürdigkeit besteht. Daran fehlt es bei erkennbar ohne medizinischen Nutzen vorgenommenen Leistungen selbst dann, wenn sie systematisch erbracht und über einen längeren Zeitraum beanstandungsfrei abgerechnet worden sind. Auf die Übernahme erkennbar nutzloser Aufwendungen durch die Versichertengemeinschaft kann niemand vertrauen. Im Übrigen kann die KÄV aus der vertragsärztlichen Abrechnung vielfach nicht ersehen, ob eine Leistungserbringung medizinisch offensichtlich nutzlos ist, solange die abgerechneten Leistungen bestimmten Leistungspositionen des BMÄ/E-GO entsprechen und dort nicht ausdrücklich die Angabe der jeweiligen Diagnose verlangt wird (vgl auch insoweit BSG SozR 3-5533 Nr 3512 Nr 1 S 3).

Die Berechtigung der KÄV, Honorarabrechnungen bei fachfremd erbrachten Leistungen zu berichtigen, verfolgt dagegen eine andere Zielsetzung, und auch die Abwehrmöglichkeiten des betroffenen Vertragsarztes sind andere. Der Vergütungsausschluss bei fachfremd erbrachten vertragsärztlichen Leistungen dient weder einem generellen Leistungsausschluss wie im Fall der schlechthin ungeeigneten Behandlung noch ist der Gebietsarzt ausbildungsbedingt an gebietsfremden Leistungen gehindert. Erst das Führen der Gebietsbezeichnung bewirkt die Gebietsbeschränkung, die nur für Allgemeinärzte nicht gilt (vgl BSG SozR 3-2500 § 95 Nr 7 S 29). Die Begrenzung der Leistungserbringung auf das Fachgebiet zielt auf die Absicherung gebietsärztlicher Spezialisierung. Sie soll der Bevölkerung wie den in der gebietsärztlichen Arbeitsteilung zusammenarbeitenden Ärzten die Gewähr dafür bieten, dass Gebietsärzte sich auf die Spezialgebiete beschränken, deren Bezeichnung sie "führen", und keine Leistungen an sich ziehen, zu denen andere Gebietsärzte besser qualifiziert sind (zum Ganzen vgl BVerfG, Beschluss vom 29. Oktober 2002 - 1 BvR 525/99 - <MedR 2003, 36> unter Hinweis auf BVerfGE 33, 125). Einschränkungen wegen der Fachgebietsgrenzen müssen sich an Art 12 Abs 1 GG messen lassen und können deshalb abgewehrt werden, wenn sie nicht auf einer sachgerechten Abgrenzung beruhen und/oder dem einzelnen Arzt keine ausreichende wirtschaftliche Lebensgrundlage belassen (vgl BVerfGE 33, 125, 167; daran anknüpfend BSGE 62, 224, 228 f = SozR 2200 § 368a Nr 19 S 67 f; BSGE 68, 190, 192 f = SozR 3-2500 § 95 Nr 1 S 3 f). Bei fachfremd erbrachten Leistungen kann die Befugnis der KÄVen zu sachlich-rechnerischen Richtigstellungen zudem Einschränkungen durch den Grundsatz des Vertrauensschutzes unterliegen, wenn die KÄV über einen längeren Zeitraum eine systematisch fachfremde oder eine ohne ausreichende fachliche Qualifikation ausgeübte Tätigkeit wissentlich geduldet und der Vertragsarzt im Vertrauen auf die weitere Vergütung solcher Leistungen weiterhin entsprechende Leistungen erbracht hat (BSGE 89, 90, 101 = SozR 3-2500 § 82 Nr 3 S 14).

Die danach bestehenden Unterschiede zwischen Richtigstellung einer vertragsärztlichen Abrechnung wegen fachfremder Leistungserbringung einerseits und genereller medizinischer Ungeeignetheit der Leistungen andererseits sowie die sich daraus ergebenden unterschiedlichen Kontrollmaßstäbe können ausnahmsweise außer Betracht bleiben, wenn die im Streit befindliche Leistung für das betreffende Fachgebiet schlechthin keiner Betrachtungsweise nach einen diagnostischen oder therapeutischen Nutzen haben kann. Das setzt indessen in tatsächlicher Hinsicht voraus, dass diese Leistung nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft in keinem für das betreffende Fachgebiet denkbaren Behandlungszusammenhang eingesetzt werden kann; jeglicher Nutzen muss für die gesamte Breite des Fachgebietes, wie es auf der Grundlage landesrechtlicher Vorschriften umschrieben ist, mit allen denkbaren diagnostischen und therapeutischen Indikationen mit dem Maß an Überzeugungsgewissheit ausgeschlossen erscheinen, das der Senat an Richtigstellungen wegen offenbarer Ungeeignetheit angelegt hat (vgl BSG SozR 3-5533 Nr 3512 Nr 1 S 3 ff).

Daran gemessen kann auf Grundlage der Feststellungen des LSG nicht beurteilt werden, ob die noch im Streit stehenden Honoraranforderungen von der Beklagten mit Recht deshalb richtig gestellt worden sind, weil der Kläger insoweit entweder subjektiv aus fachfremden Anlässen oder medizinisch erkennbar ohne jeden Nutzen tätig geworden ist. Ausdrückliche Feststellungen in eine der beiden Richtungen enthält das Urteil nicht. Die Richtigstellungen könnten deshalb im derzeitigen Verfahrensstadium nur dann als rechtmäßig beurteilt werden, wenn die streitigen Injektionsleistungen nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft in keinem für das orthopädische Fachgebiet denkbaren Behandlungszusammenhang einen medizinischen Nutzen erbringen können. Dieses Ergebnis kann auf der Grundlage des bisherigen Verfahrens jedoch nicht gewonnen werden.

Nach dem Vorbringen der KÄV kann die evidente Nutzlosigkeit der schmerztherapeutischen Leistungen des Klägers im Zusammenhang mit Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparates nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Danach berühren die Sympathikusblockaden am zervikalen, thorakalen oder lumbalen Grenzstrang nach Nr 430 und 431 BMÄ/E-GO die Steuerung der Gefäßweite und damit die Durchblutung und die Funktion innerer Organe wie Herz, Lunge und Magen-Darmtrakt sowie die Schweißdrüsenfunktion, und haben damit Indikationen, die nicht in das orthopädische Fachgebiet fallen. Entsprechendes gilt danach auch für Leistungen nach Nr 422 BMÄ/E-GO. Diese Einschätzung steht indes in Widerspruch zur Auffassung zur LÄK, die hinsichtlich der Nr 422 BMÄ/E-GO eine orthopädische Veranlassung als schwerlich vorstellbar, aber ohne weitere Aufklärung als nicht ausgeschlossen bezeichnet, und Leistungen nach Nr 430 und 431 BMÄ/E-GO dann als gebietskonform angesehen hat, wenn sie aus orthopädischen Anlässen erbracht worden sind. In die Richtung dieser offeneren Einschätzung deutet auch der Umstand, dass auf Anfrage des Klägers mehrere KÄVen erklärt haben, dass sie die im Streit stehenden Leistungen für Orthopäden nicht als fachfremd ansehen. Angesichts dessen erscheint zwar nicht ausgeschlossen, dass die berichtigten Leistungen in orthopädischen Behandlungszusammenhängen ohne Nutzen sind. Jedoch steht gegenwärtig nicht fest, dass diese Frage nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft so einhellig beantwortet wird, dass es nach dem aufgezeigten Maßstab keiner weiteren Aufklärung bedürfte, aus Anlass welcher Indikationen der Kläger die betroffenen Leistungen erbracht hat.

Unter diesen Voraussetzungen kann der Senat nicht selbst über das Klagebegehren entscheiden, sondern muss die Sache zur erneuten Verhandlung an das Berufungsgericht zurückverweisen. Das LSG wird aufklären müssen, welche Indikationen den streitigen Leistungen zu Grunde lagen, und davon ausgehend beurteilen, ob der Kläger aus fachfremden Anlässen tätig geworden ist. Sollte sich das ergeben, wird es nach den in der Rechtsprechung des Senats entwickelten Maßstäben (vgl zusammenfassend zuletzt BSGE 89, 90, 101 = SozR 3-2500 § 82 Nr 3 S 14 mwN) ggf näher zu prüfen haben, ob sich der Kläger zu Recht auf Vertrauensschutz beruft bzw ob ihm nach den Umständen des Falles eine Auslauffrist zuzubilligen ist. Das kann selbst dann angezeigt sein, wenn die KÄV Anlass zur Änderung ihrer Verwaltungspraxis hatte (vgl BSG SozR 3-2500 § 95 Nr 9 S 38); insoweit ist ggf auch von Bedeutung, wann der Kläger - wie er angegeben hat - Kenntnis davon erlangt hat, dass der Vorstand der Beklagten diesbezüglich zwischenzeitlich seine Auffassung geändert hatte und aus welchem Grund er sich gleichwohl für berechtigt hielt, die im Streit stehenden Leistungen weiter zu erbringen.

Kommt das LSG hingegen zu der Überzeugung, dass der Kläger den Indikationen zufolge nicht aus fachfremden Anlässen tätig geworden ist, wird es - ggf unter Einholung sachverständiger Stellungnahmen - zu prüfen haben, ob die streitigen Leistungen im konkreten Behandlungszusammenhang bezogen auf Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparates in offenkundigem Widerspruch zum Stand der medizinischen Wissenschaft standen oder erkennbar ohne jeden Nutzen erbracht wurden, wie die Beklagte sinngemäß meint. Soweit das LSG weder feststellen kann, dass der Kläger aus fachfremdem Anlass tätig geworden ist, noch, dass die erbrachten Leistungen angesichts der zu Grunde liegenden Indikationen als schlechthin ungeeignet anzusehen sind, wird es die angefochtenen Richtigstellungen aufzuheben haben. Bestehen in diesem Fall unter dem Gesichtspunkt der Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes gleichwohl weiter Zweifel an dem Vorgehen des Klägers, bleibt der Beklagten die Möglichkeit, dies durch die zuständigen Prüfgremien (§ 106 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch) untersuchen zu lassen.

Abschließend wird das LSG in seiner erneuten Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

Ende der Entscheidung

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