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Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 27.04.2005
Aktenzeichen: B 6 KA 17/04 R
Rechtsgebiete: SGB V
Vorschriften:
SGB V § 85 Abs 4b ff |
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil
in dem Rechtsstreit
Verkündet am 27. April 2005
Az: B 6 KA 17/04 R
Der 6. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 27. April 2005 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Engelmann, die Richter Dr. Wenner und Dr. Clemens sowie die ehrenamtlichen Richter Göbel und Dr. Liebaug
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 7. Januar 2004 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass festgestellt wird, dass die Klägerin der Beklagten mitzuteilen hat, welche Vertragszahnärzte auf der Grundlage der jahresanteiligen degressionsfreien Punktmenge von maximal 175.000 Punkten mit welcher Punktmenge diese Grenze im ersten Halbjahr 1997 überschritten haben, und dass die Klägerin an die Beklagte die entsprechenden Degressionsbeträge abzuführen hat.
Die Klägerin hat drei Viertel der außergerichtlichen Kosten der Beklagten, diese ein Viertel der außergerichtlichen Kosten der Klägerin für alle Rechtszüge zu erstatten.
Gründe:
I
Streitig ist, wie im Jahr 1997 die Vorschriften zum degressiven Punktwert in der vertragszahnärztlichen Versorgung zu vollziehen waren.
Die klagende Kassenzahnärztliche Vereinigung (KZÄV) hatte nach Aufhebung der Vorschriften zum degressiven Punktwert (§ 85 Abs 4b ff Fünftes Buch Sozialgesetzbuch <SGB V> in der bis zum 30. Juni 1997 geltenden Fassung) durch das Zweite Gesetz zur Neuordnung von Selbstverwaltung und Eigenverantwortung in der gesetzlichen Krankenversicherung (2. GKV-NOG vom 23. Juni 1997, BGBl I 1520) zum 1. Juli 1997 Degressionsbeträge für das Jahr 1997 nur ermittelt und an die Krankenkassen abgeführt, sofern Vertragszahnärzte die Punktmengengrenze von 350.000 Punkten bereits im ersten Halbjahr überschritten hatten. Nach Bekanntwerden des Urteils des Bundessozialgerichts (BSG) vom 3. Dezember 1997 (6 RKa 79/96 - USK 97155) forderte die beklagte Krankenkasse die Klägerin auf, die Degressionsbeträge für 1997 unter Zugrundelegung einer maximal hälftigen Jahrespunktmenge neu zu berechnen und ihr mitzuteilen. Dem kam die Klägerin nicht nach. Daraufhin erklärte die Beklagte im Oktober 1999 gegenüber einem Anspruch der Klägerin auf Gesamtvergütungszahlungen für das Quartal III/1999 (3. Abschlag über 23.127.900 DM) in Höhe von 3.500.000 DM die Aufrechnung mit ihrer Forderung auf Abführung von Degressionsbeträgen für das erste Halbjahr 1997. Ein endgültiger Ausgleich solle erfolgen, sobald die Klägerin die Degressionsberechnungen vorgelegt habe.
Die Klägerin hat im November 2001 Zahlungsklage gegen die Beklagte erhoben. Im gerichtlichen Verfahren hat diese klargestellt, dass sie im Oktober 1999 keine Aufrechnung vorgenommen, sondern ein Leistungsverweigerungsrecht ausgeübt habe. Das Sozialgericht hat der Zahlungsklage stattgegeben (Urteil vom 31. März 2003). Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 7. Januar 2004). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, die Beklagte habe zumindest ein Zurückbehaltungsrecht bezüglich der von ihr geschuldeten quartalsanteiligen Auszahlung der Gesamtvergütung (Abschlagszahlung) im Hinblick auf ihren Anspruch auf Neuberechnung und Auszahlung der Degressionsbeträge für das Kalenderjahr 1997. Die Klägerin sei ihrer Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Berechnung und Abführung der Degressionsbeträge für 1997 nicht nachgekommen. Zwar stelle der Wortlaut der bis zum 30. Juni 1997 noch anwendbaren Vorschrift des § 85 Abs 4b SGB V auf ein jährliches Punktmengenkontingent ab. Die Norm sei jedoch im Sinne einer Regelung "pro rata temporis" auszulegen, wenn sie nur für einen Teil des Kalenderjahres gelte. Dies ergebe sich aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift, welche der Sicherung der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung habe dienen sollen. Dieser Zweck würde in sein Gegenteil verkehrt, falls die gesamte degressionsfreie Punktmenge von 350.000 Punkten für das Kalenderjahr auch dann zugestanden werde, wenn die gesetzliche Vorschrift im Laufe des Jahres außer Kraft trete. Dass dies nicht dem gesetzgeberischen Willen entsprochen haben könne, zeige sich insbesondere in dem Fall, dass beispielsweise die Vorschrift bereits zum 31. Januar des Jahres aufgehoben worden wäre oder nur wenige Tage innerhalb eines Kalenderjahres Gültigkeit gehabt hätte. Eine Übergangsvorschrift sei nicht erforderlich gewesen, weil mit der Aufhebung der Degression nicht in geschützte Rechtspositionen der Klägerin oder der Vertragszahnärzte eingegriffen worden sei. Der einzelne Vertragszahnarzt habe eine geschützte Rechtsposition im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) stets nur insoweit innegehabt, als er auf eine degressionsfreie Vergütung anteilig für den Zeitraum der Gültigkeit der Norm im Kalenderjahr habe vertrauen dürfen. Vertrauen in eine abweichende Regelung habe sich nicht entwickeln können, weil in den "Zahnärztlichen Mitteilungen" bereits Anfang 1997 darauf hingewiesen worden sei, dass die Degressionsbestimmungen im Laufe des Jahres 1997 aufgehoben würden.
Mit ihrer Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Daraus, dass die Regelungen des § 85 Abs 4b ff SGB V in dem am 30. Juni 1997 verkündeten 2. GKV-NOG bereits mit Wirkung zum folgenden Tage und ohne Übergangsbestimmungen - etwa im Sinne einer Halbierung der degressionsfreien Jahrespunktmenge - aufgehoben worden seien, ergebe sich, dass der Gesetzgeber die Weitergeltung der degressionsfreien Punktmenge von 350.000 Punkten für das verbleibende 1. Halbjahr 1997 zumindest in Kauf genommen habe. Die Gründe, die das BSG für den Fall des Eintritts eines Partners in eine Gemeinschaftspraxis zur Auslegung der Vorschrift im Sinne einer pro-rata-temporis-Regelung bewogen hätten (BSG USK 97155), seien auf den Wegfall der Degressionsregelung im Verlauf eines Kalenderjahres nicht übertragbar. Insbesondere belege das Argument, ein Ganzjahres-Kontingent für einen nur wenige Tage des Kalenderjahres praktizierenden Partner einer Gemeinschaftspraxis sei absurd, nichts für die völlig anders gelagerte Konstellation einer Aufhebung der gesamten Degressionsregelung während des Kalenderjahres. Wenn der Gesetzgeber die Degressionsregelung beseitige, weil sie zur Sicherung der Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung nicht mehr erforderlich sei, so habe dies Gültigkeit für das gesamte Kalenderjahr, selbst wenn die Streichung erst nach einigen Monaten erfolge.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 7. Januar 2004 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 31. März 2003 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des LSG und ihre Begründung für zutreffend. Die Annahme, der Gesetzgeber habe zur Förderung der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung in den Jahren 1993 bis 1996 pro Jahr eine degressionsfreie Punktmenge von maximal 350.000 Punkten je Vertragszahnarzt festgesetzt und dieselbe Höchstgrenze im Jahr 1997 nur für ein Halbjahr zugestanden, entbehre jeder Logik. Nur mit einer Anwendung der Degressionsregelungen im 1. Halbjahr 1997 "pro rata temporis" könne die vom Gesetzgeber gewollte Beteiligung der Krankenkassen an den Kostenvorteilen von Praxen mit größeren Leistungsmengen erreicht werden. Außerdem sei die Klägerin auf Grund der fortgeltenden Vereinbarung zur Umsetzung des § 85 Abs 4b SGB V vom 12. Januar 1994 verpflichtet, die Degressionsgrenzen für jeden Vertragszahnarzt quartalsbezogen zu ermitteln und ihr - der Beklagten - mitzuteilen.
In der mündlichen Verhandlung haben die Beteiligten auf Vorschlag des Senats den Rechtsstreit insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt, als die Klage auf Zahlung von Gesamtvergütungsanteilen gerichtet war.
II
Die Revision der Klägerin hat im Ergebnis keinen Erfolg.
Nach der übereinstimmenden Erledigterklärung des Rechtsstreits hinsichtlich des ursprünglich von der Klägerin geltend gemachten Zahlungsanspruchs bildet den Streitgegenstand des Revisionsverfahrens nur noch eine Feststellungsklage in Bezug auf die Anwendung der Vorschriften zum degressiven Punktwert im ersten Halbjahr 1997. Die in der Antragsumstellung liegende Beschränkung des ursprünglichen Klagebegehrens (§ 99 Abs 3 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) ist ungeachtet des in § 168 Satz 1 SGG normierten Verbots einer Klageänderung im Revisionsverfahren statthaft (BSGE 48, 195, 196 = SozR 2200 § 394 Nr 1 S 1; s auch Meyer-Ladewig in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl 2005, § 168 RdNr 2a).
Die Feststellungsklage ist gemäß § 55 Abs 1 Nr 1 SGG zulässig. Sie betrifft ein Rechtsverhältnis im Sinne jener Vorschrift, nämlich den genauen Inhalt der zwischen der klagenden KZÄV und der beklagten Krankenkasse bestehenden rechtlichen Beziehungen in Bezug auf die Vorschriften zum degressiven Punktwert im ersten Halbjahr 1997 (vgl BSGE 78, 91, 92 = SozR 3-5540 § 25 Nr 2 S 3 f; BSG SozR 3-2500 § 85 Nr 32 S 245; s auch BVerwGE 100, 262, 264 f). Die Klägerin hat auch ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung zum Umfang ihrer Pflichten gegenüber der Beklagten aus der Degressionsregelung im Jahr 1997. Denn hiervon hängt nicht nur ihre Verpflichtung zur Umsetzung der Degression gegenüber den betroffenen Zahnärzten, sondern auch die Zurückbehaltungsbefugnis der beklagten Krankenkasse gegenüber jeder künftigen Gesamtvergütungsforderung ab (vgl § 85 Abs 4f SGB V). Schließlich steht der Feststellungsklage auch nicht der Grundsatz der Subsidiarität von Feststellungs- gegenüber Leistungsklagen entgegen, nachdem es sich bei der Beklagten um eine Körperschaft des öffentlichen Rechts handelt (BSG SozR 3-2500 § 311 Nr 6 S 42).
Die Feststellungsklage ist jedoch nicht begründet. Die Bestimmung in § 85 Abs 4b SGB V zur Punktwertdegression in der vertragszahnärztlichen Versorgung ist für den verkürzten Geltungszeitraum dieser Vorschrift - bis zum 30. Juni 1997 - so auszulegen, dass die dort genannten degressionsfreien Jahrespunktmengen nur zeitanteilig "pro rata temporis" zu berücksichtigen sind. Diese vom Berufungsgericht vorgenommene Auslegung steht mit Bundesrecht im Einklang.
Die durch das Gesundheitsstrukturgesetz (vom 21. Dezember 1992, BGBl I 2266) zum 1. Januar 1993 eingeführten Vorschriften des § 85 Abs 4b bis 4f SGB V zur Punktwertdegression in der vertragszahnärztlichen Vergütung sind durch Art 1 Nr 28 Buchst e) des 2. GKV-NOG zum 1. Juli 1997 aufgehoben worden (Art 19 Abs 6 des 2. GKV-NOG). Ziel dieser vom Senat in ständiger Rechtsprechung als verfassungsgemäß bewerteten Regelungen (BSGE 80, 223, 225 ff = SozR 3-2500 § 85 Nr 22 S 136 ff und zuletzt BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 2 RdNr 11, mwN) war vorrangig die Sicherung der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung durch Erwirtschaftung eines Einsparvolumens auch im Bereich der Zahnärzteschaft, gleichfalls aber auch die Bekämpfung von beobachteten Fehlentwicklungen bei der Qualität der zahnärztlichen Versorgung insbesondere beim Zahnersatz.
Die weitere Sicherung der Finanzgrundlagen der gesetzlichen Krankenversicherung war auch das Hauptziel des 2. GKV-NOG. Zur Erreichung des Ziels, eine Begrenzung der Ausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung zu bewirken und das Beitragssatzniveau zu stabilisieren (vgl Gesetzentwurf zum 2. GKV-NOG, BT-Drucks 13/6087 S 2 und S 36 f), setzte der Gesetzgeber im Bereich der zahnmedizinischen Versorgung auf eine ordnungspolitische Neuausrichtung. Prävention und Zahnerhaltung sollten künftig Vorrang vor der Versorgung mit Zahnersatz erhalten (BT-Drucks 13/6087 S 2 und S 19). Deshalb wurden die Leistungen zur Prophylaxe verbessert. Die dafür erforderlichen Mehrausgaben von ca 290 Mio DM pro Jahr sollten durch die gleichzeitige Ausgrenzung der Keramikverblendungen aus der vertragszahnärztlichen Versorgung kostenneutral finanziert werden. Im Übrigen wurden weitere Einsparungen infolge einer Umstellung der Versorgung mit Zahnersatz auf ein System standardisierter Festzuschüsse erwartet, weil hiervon ein Anreiz zur Inanspruchnahme von weniger aufwändigem Zahnersatz ausgehen sollte (BT-Drucks 13/6087 S 37). Insgesamt ging der Gesetzgeber auch für diesen Teilbereich der vertragszahnärztlichen Versorgung davon aus, dass seine strukturellen Maßnahmen zu weiteren finanziellen Entlastungen der Krankenkassen führen würden.
Die Umstellung der zahnprothetischen Versorgung auf indikationsbezogene Festzuschüsse wurde im Rahmen der beabsichtigten ordnungspolitischen Neuausrichtung so ausgestaltet, dass die prothetischen Leistungen nicht mehr über die KZÄVen abzurechnen waren. Vielmehr musste der einzelne Zahnarzt diese Leistungen auf der Grundlage der für private zahnärztliche Behandlungen anzuwendenden Gebührenordnung für Zahnärzte direkt dem Versicherten in Rechnung stellen, der dann seinerseits bei seiner Krankenkasse die Auszahlung des Festzuschusses zu beantragen hatte. Dieser neue Abrechnungsweg für zahnprothetische Leistungen hatte zur Folge, dass wesentliche Teile der bislang von der Degressionsregelung betroffenen Punktmenge nicht mehr von der KZÄV erfasst werden konnten (vgl § 85 Abs 4c SGB V). Deshalb wurden die Regelungen zum degressiven Punktwert in § 85 Abs 4b bis 4f SGB V "aus Gründen der Rechts- und Verwaltungsvereinfachung" (BT-Drucks 13/6087 S 28, zu Nr 23, zu Buchst d) ersatzlos gestrichen.
Gemäß Art 19 Abs 6 des 2. GKV-NOG trat die Streichung der Vorschriften zum degressiven Punktwert am 1. Juli 1997 in Kraft. In Art 19 Abs 3 des 2. GKV-NOG, der das Inkrafttreten bestimmter Vorschriften dieses Gesetzes bereits mit Wirkung vom 1. Januar 1997 anordnet, ist Art 1 Nr 28 Buchst e) nicht mit aufgenommen worden. Deren rückwirkende Aufhebung und damit ihre Nichtanwendung für das gesamte Jahr 1997 ist zwar zu Beginn des Gesetzgebungsverfahrens erwogen worden (vgl die Stellungnahme des MdB Dr. Thomae in den Zahnärztlichen Mitteilungen vom 16. Oktober 1996, S 14), wurde dann aber nicht weiter verfolgt. Daraus ist zu schließen, dass die Vorschriften des § 85 Abs 4b bis 4f SGB V nach dem Willen des Gesetzgebers für den Zeitraum des ersten Halbjahres 1997 weiterhin ihre Geltung behalten sollten. Eine rückwirkende Aufhebung hätte auch im Widerspruch zu dem erklärten Ziel des Gesetzgebers gestanden, eine finanzielle Entlastung der gesetzlichen Krankenkassen herbeizuführen. Denn diese Entlastung sollte im Ergebnis durch die Neuausrichtung des Leistungs- und Abrechnungsrechts für zahnprothetische Leistungen durch Umsetzung des Festzuschusskonzepts bewirkt werden. Jenes Konzept konnte jedoch erst nach Festlegung der Festzuschüsse durch die gemeinsame Selbstverwaltung von Vertragszahnärzten und Krankenkassen zu einem zunächst noch unbekannten Zeitpunkt nach dem 1. Juli 1997 wirksam werden (Art 19 Abs 4 2. GKV-NOG und hierzu BT-Drucks 13/6087 S 36). Eine Erhöhung des Finanzbedarfs der Krankenkassen im ersten Halbjahr 1997 infolge einer bereits für diesen Zeitraum faktisch geltenden, aber nicht anderweitig gegenfinanzierten Abschaffung der Degressionsregelungen wäre damit nicht vereinbar.
Da mithin davon auszugehen ist, dass nach dem Willen des Gesetzgebers des 2. GKV-NOG die eigentlich für die Geltung während eines gesamten Kalenderjahres konzipierten Vorschriften zum degressiven Punktwert noch bis zum 30. Juni 1997 ihre Geltung und (Finanz-)Wirksamkeit behalten sollten, muss der Regelungsgehalt von § 85 Abs 4b SGB V für den Zeitraum des ersten Halbjahres 1997 im Wege einer ergänzenden Auslegung dieser Vorschrift ermittelt werden. Eine solche ergänzende Auslegung ist erforderlich, weil das Gesetz in den Übergangsvorschriften des 2. GKV-NOG keine Regelungen zur Handhabung der Degressionsregelung im Jahr 1997 enthält. Zur Auslegung des § 85 Abs 4b Satz 1 SGB V hat der Senat bereits entschieden, schon aus dem Wortlaut der Norm mit der Inbeziehungsetzung der drei Elemente Gesamtpunktmenge, Vertragszahnarzt und Kalenderjahr folge, dass für die Anrechnung einer degressionsfreien Punktmenge von 350.000 Punkten die Tätigkeit als Vertragszahnarzt für das volle Kalenderjahr gegeben sein müsse. Bei einer nicht das gesamte Kalenderjahr umfassenden Tätigkeit laufe es dem Sinn und Zweck der Regelung - und zwar sowohl dem Finanzaspekt als auch den Qualitätszielen - zuwider, wenn gleichwohl die im Gesetz für das Kalenderjahr vorgesehene degressionsfreie Punktmenge zuerkannt würde (BSG USK 97155, S 955). Diese Gesichtspunkte gelten in gleicher Weise, wenn die vertragszahnärztliche Tätigkeit nicht für das gesamte Kalenderjahr von den Degressionsregelungen erfasst wird, weil der Gesetzgeber jene Vorschriften nach Ablauf des ersten Kalenderhalbjahres außer Kraft gesetzt hat.
Ausgehend von den bis zum 30. Juni 1997 weiter verfolgten Zielen der Degressionsregelung widerspräche es der gesetzlichen Regelung, die jeweils für ein ganzes Jahr konzipierte degressionsfreie Punktmenge nunmehr im Jahr 1997 für die Tätigkeit als Vertragszahnarzt in einem Halbjahr zur Verfügung zu stellen und damit pro Zeiteinheit praktisch zu verdoppeln. Eine solche Handhabung hätte im Ergebnis den Anreiz für die Erbringung überhöhter und qualitativ fragwürdiger prothetischer Versorgungen im ersten Halbjahr 1997 nicht reduziert, sondern sogar noch verstärkt und liefe damit sowohl den Qualitätszielen bei Einführung der Degressionsregelung im Jahr 1993 als auch dem vom Gesetzgeber des 2. GKV-NOG verfolgten Ziel der Zurückdrängung aufwändiger prothetischer Versorgungen zugunsten der Prophylaxe und Zahnerhaltung zuwider. Ebenso hätte die von der Klägerin befürwortete Auslegung in finanzieller Hinsicht - Beteiligung der Krankenkassen an den Rationalisierungsgewinnen bei größeren Leistungsmengen - faktisch eine Außerkraftsetzung des § 85 Abs 4b bis 4f SGB V rückwirkend zum 1. Januar 1997 zur Folge, weil mit der Einräumung der degressionsfreien Punktmenge eines ganzen Jahres für den Tätigkeitszeitraum nur eines Halbjahres praktisch kein Vertragszahnarzt mehr von Punktwertminderungen betroffen wäre. Aus der Zusammenschau der Regelungen zum In-Kraft-Treten in Art 19 Abs 3 des 2. GKV-NOG einerseits und in Abs 6 dieser Vorschrift andererseits ergibt sich aber, dass diese Rechtsfolge nicht gewollt war. Entgegen der Auffassung der Klägerin kann auch nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber jene Rechtsfolge billigend "in Kauf genommen" hätte. Unabhängig von der Frage, ob ein solcher "bedingter Vorsatz" des Gesetzgebers, wenn es ihn gegeben haben sollte, für die Auslegung der Norm überhaupt von Bedeutung sein kann, findet sich hierfür in den Materialien des Gesetzgebungsverfahrens keinerlei Anhaltspunkt.
Die Auslegung des § 85 Abs 4b SGB V im Lichte seiner Aufhebung zum 1. Juli 1997 in der Weise, dass die dort für das Kalenderjahr genannten Punktmengengrenzen entsprechend dem verkürzten Geltungszeitraum nur zeitanteilig "pro rata temporis" zur Anwendung kommen, widerspricht nicht dem Grundsatz des Vertrauensschutzes. Allerdings hat der Gesetzgeber in gewisser Hinsicht rückwirkend in einen bereits abgeschlossenen Lebenssachverhalt eingegriffen, als er mit Verkündung des 2. GKV-NOG am 30. Juni 1997 die bis dahin auf den Zeitraum des gesamten Kalenderjahres 1997 bezogene degressionsfreie Punktmenge von 350.000 Punkten in eine nur für das erste Halbjahr 1997 geltende Punktmenge von 175.000 Punkten faktisch umgewandelt hat. Denn die Vertragszahnärzte hatten zum Zeitpunkt der Verkündung des Gesetzes am letzten Tag des zweiten Quartals die Leistungserbringung für das erste Halbjahr 1997 ganz überwiegend schon abgeschlossen oder doch zumindest schon irreversibel in die Wege geleitet. Bis dahin galt aber, dass alle bereits erbrachten Leistungen auch dann mit einem ungekürzten Punktwert vergütet werden, wenn ihre Punktmenge zwar 175.000 Punkte überschritt, aber noch keine 350.000 Punkte erreichte. Solche Vertragszahnärzte konnten eine bereits realisierte Überschreitung der zeitanteiligen Punktmengengrenze von 175.000 Punkten im ersten Halbjahr nicht mehr durch einen entsprechend verringerten Tätigkeitsumfang in der zweiten Jahreshälfte - etwa durch die im Voraus geplante Einbringung des Jahresurlaubs in diesem Zeitraum - ausgleichen und damit einen Degressionsabzug nicht mehr insgesamt vermeiden. Mit der Verkündung des 2. GKV-NOG am 30. Juni 1997 war eine Kompensation durch ein entsprechend angepasstes Verhalten im zweiten Halbjahr 1997 nicht mehr möglich. Die Neuregelung führte damit im Ergebnis zur rückwirkenden Normierung einer bis dahin so nicht bestehenden Punktzahlobergrenze (vgl BSGE 81, 86, 93 = SozR 3-2500 § 87 Nr 18 S 88). Dadurch konnten im Einzelfall Dispositionen, welche Vertragszahnärzte ggf im Vertrauen auf das geltende Recht in zulässiger Weise getroffen hatten, nachträglich in gewissem Umfang entwertet werden.
Die rückwirkende Umgestaltung der Rechtslage verstößt aber nicht gegen Verfassungsrecht. Das Rückwirkungsverbot findet im Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht nur seinen Grund, sondern auch seine Grenze. Eine belastende Rückwirkung ist daher statthaft, soweit ein schutzwürdiges Vertrauen auf den Fortbestand des geltenden Rechts nicht oder nicht mehr gerechtfertigt ist (vgl BVerfGE 72, 302, 326; 88, 384, 404; BVerfG <Kammer>, Beschluss vom 23. Juli 2002, 2 BvL 14/98 - juris). Ebenso verhält es sich, wenn durch eine rückwirkende Gesetzesänderung eine nur ganz unerhebliche Beeinträchtigung hervorgerufen wird (sog Bagatellvorbehalt, vgl BVerfGE 30, 367, 389; 72, 200, 258; 95, 64, 86; s auch BSGE 81, 86, 96 = SozR 3-2500 § 87 Nr 18 S 92 und zuletzt BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 4 RdNr 15, 18). So liegen die Dinge hier.
Zum einen mussten die Vertragszahnärzte spätestens ab dem 20. März 1997 damit rechnen, dass die Degressionsregelung im Jahr 1997 nur bis zum Ende des ersten Halbjahres gelten und deshalb entsprechend der in § 85 Abs 4b SGB V angelegten Grundstruktur "pro rata temporis" die Punktmengengrenze von 175.000 Punkten für diesen Zeitraum maßgeblich sein werde. An diesem Tag hat der Deutsche Bundestag den Gesetzesbeschluss über das 2. GKV-NOG gefasst (vgl Plenarprotokoll 13/166 S 14930) und damit die Grenzlinie gezogen, ab der ein Vertrauen auf den Fortbestand der bisherigen Rechtslage nicht mehr schutzwürdig war (vgl BVerfGE 72, 200, 262; BVerfG <Kammer> SozR 3-2500 § 95 Nr 24 S 102). Zu jenem Zeitpunkt war noch nicht einmal die Leistungserbringung im ersten Quartal 1997 abgeschlossen. Vertragszahnärzte, bei denen eine Überschreitung der nun für das Halbjahr maßgeblichen Punktmengengrenze von 175.000 Punkten - die zu diesem Zeitpunkt in aller Regel noch nicht erreicht sein konnte - drohte, hatten daher noch mehr als 14 Wochen Zeit, das Volumen ihrer Leistungserbringung bis zum 30. Juni 1997 so weit zu reduzieren, dass eine Überschreitung der degressionsfreien Punktmenge vermieden werden konnte.
Zum anderen übersteigt die Beeinträchtigung, die im Einzelfall möglicherweise dadurch entstand, dass eine bei ganzjähriger Tätigkeit degressionsfreie Punktmenge infolge einer ungleichen Verteilung auf die beiden Halbjahre nunmehr von einer Punktwertabsenkung im ersten Halbjahr 1997 betroffen sein konnte, nicht die Bagatellgrenze. Denn es ist zu berücksichtigen, dass durch das 2. GKV-NOG nicht nur - pro rata temporis zur bisherigen Grenze für das Kalenderjahr - die Punktmengengrenze auf das erste Halbjahr 1997 bezogen, sondern zugleich für das zweite Halbjahr 1997 gänzlich abgeschafft wurde. Einer möglichen geringfügigen zusätzlichen Belastung im ersten Halbjahr auf Grund einer spezifischen persönlichen Verteilung der Leistungsmenge steht deshalb die Freistellung von allen Degressionsbeschränkungen im zweiten Halbjahr 1997 gegenüber. Vertragszahnärzte, denen es im Zeitraum ab dem 20. März 1997 nicht mehr gelang, ihr Leistungsverhalten so anzupassen, dass die nur halbjährige Geltung der Degressionsregelung keine zusätzliche - bei ganzjähriger Betrachtung nicht eingetretene - Honorarminderung hervorrief, konnten dies jedenfalls im degressionsfreien zweiten Halbjahr durch eine entsprechend ausgeweitete Tätigkeit ausgleichen. Eine Belastung von verfassungsrechtlich relevantem Ausmaß ist mit der Abschaffung der Degressionsregelung zur Jahresmitte 1997 daher nicht verbunden.
Die Klägerin ist somit verpflichtet, die Vorschriften zum degressiven Punktwert für das Jahr 1997 auf der Grundlage einer jahresanteiligen degressionsfreien Punktmenge von maximal 175.000 Punkten zu vollziehen, dh der Beklagten die entsprechenden Mitteilungen zu machen und den sich daraus ergebenden Degressionsbetrag an diese abzuführen (§ 85 Abs 4d und 4e SGB V).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden und hier noch anzuwendenden Fassung (BSG SozR 3-2500 § 116 Nr 24 S 115 ff). Hierbei hat der Senat berücksichtigt, dass die im Einvernehmen mit der Beklagten auf einen Feststellungsantrag umgestellte ursprüngliche Klage auf Zahlung zurückbehaltener Gesamtvergütungsanteile insoweit Erfolg gehabt hätte, als die Beklagte mehr als 10 % der von der Klägerin geltend gemachten Gesamtvergütungsforderung (3. Abschlag für das Quartal III/1999 in Höhe von 23.127.900 DM) einbehalten hatte (vgl § 85 Abs 4f Satz 1 SGB V). Es entspricht deshalb billigem Ermessen, dass die Klägerin nur drei Viertel der außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu tragen hat und von dieser ein Viertel ihrer eigenen außergerichtlichen Kosten erstattet erhält.
Ende der Entscheidung
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