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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 11.10.2006
Aktenzeichen: B 6 KA 35/05 R
Rechtsgebiete: SGB V, BMV-Ä, EBM-Ä


Vorschriften:

SGB V § 82 Abs 1
SGB V F: 21.12.1992 § 83 Abs 1
SGB V F: 20.12.1988 § 83 Abs 3
SGB V § 87 Abs 1
SGB V § 87 Abs 2
BMV-Ä F: 01.04.1997 § 45 Abs 2 S 1
EKV-Ä F: 01.04.1997 § 34 Abs 4 S 2
EBM-Ä Nr 33
EBM-Ä Nr 40

Entscheidung wurde am 28.03.2007 korrigiert: die Rechtsgebiete, die Vorschriften und der Verfahrensgang wurden geändert, Stichworte und ein amtlicher Leitsatz wurden hinzugefügt
Die Verweilgebühr nach Nr 40 EBM-Ä (= Nr 01440 EBM-Ä 2005) setzt voraus, dass das Verweilen auf die konkrete Betreuung eines Patienten und seiner Erkrankung bezogen ist. Dieses Erfordernis ist bei der Rückfahrt des Arztes nach einer Rettungsbegleitfahrt nicht erfüllt.
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

in dem Rechtsstreit

Verkündet am 11. Oktober 2006

Az: B 6 KA 35/05 R

Der 6. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 11. Oktober 2006 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Engelmann, die Richter Dr. Wenner und Dr. Clemens sowie die ehrenamtliche Richterin Dr. Wiese und den ehrenamtlichen Richter Dr. Korschanowski

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 27. April 2005 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat der Beklagten deren außergerichtliche Kosten auch für das Revisionsverfahren zu erstatten.

Gründe:

I

Streitig ist die Abrechenbarkeit von Rettungsbegleitfahrten und der anschließenden Rückfahrten.

Der Kläger ist Anästhesist und als Notarzt tätig. Für die Begleitung von Patienten im Krankentransportwagen bis zu deren Übergabe an ein Krankenhaus rechnete er gegenüber der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) die Leistung Nr 33 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä in der bis zum 31. März 2005 geltenden Fassung), für die Rückfahrt zur Einsatzzentrale (Rettungswache) im Notarztwagen die Nr 40 EBM-Ä (Verweilgebühr) ab, sofern die Rückfahrt länger als 30 Minuten dauerte.

In den hier betroffenen Quartalen III/1997 bis II/1998 lehnte die Beklagte - anders als in früheren Quartalen - die Vergütung der mit 900 Punkten bewerteten Leistung Nr 40 EBM-Ä in insgesamt 35 Fällen ab (Bescheide vom 26. Januar, vom 8. Juni, vom 29. Juli 1998 und vom 28. Oktober 1998). Die Widersprüche des Klägers hatten keinen Erfolg (Widerspruchsbescheide vom 25. Oktober 1999).

Das vom Kläger angerufene Sozialgericht (SG) hat seiner Klage stattgegeben. Die Transportbegleitung sei nach der Nr 33 EBM-Ä zu vergüten und die zusätzliche Zeitdauer der Begleitung nach der Nr 40 EBM-Ä, wobei auch die Zeit der Rückfahrt einzuberechnen sei (Urteil vom 26. März 2003). Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Im Urteil des LSG ist ausgeführt, grundsätzlich hätten auch Nichtvertragsärzte wie der Kläger, die in Notfällen in Anspruch genommen würden, gegen die KÄV einen Anspruch auf Teilnahme an der Honorarverteilung. Der Kläger könne aber nicht mehr als den Ansatz der Nr 33 EBM-Ä für die Begleitung des lebensbedrohlich Erkrankten auf der Hinfahrt zum Krankenhaus sowie die weiteren Vergütungen für die sonstigen bei der notärztlichen Behandlung des Patienten erbrachten Leistungen beanspruchen. Den zusätzlichen Ansatz der Nr 40 EBM-Ä habe die Beklagte zutreffend sachlich-rechnerisch richtiggestellt. Dieser Leistungstatbestand sei nicht erfüllt, weil er nach seinem Sinngehalt ein Verweilen beim Patienten mit ständiger ärztlicher Überwachung und Eingriffsmöglichkeit fordere, aber die nach Ablieferung des Patienten erfolgende Rückfahrt zur Rettungswache nicht mehr der Betreuung von dessen Erkrankung diene (Urteil vom 27. April 2005).

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine fehlerhafte Anwendung der Bestimmungen des EBM-Ä. Das LSG habe den Leistungstatbestand der Nr 40 EBM-Ä verkannt. Es fordere ein "Verweilen bei einem Patienten", obgleich nach dessen Wortlaut - und auch nach der Systematik im Verhältnis zu Nr 33 EBM-Ä - eine Anwesenheit beim Patienten nicht erforderlich sei. Für Nr 40 EBM-Ä reiche - ebenso wie nach der Nr 01440 des neuen, zum 1. April 2005 in Kraft getretenen EBM-Ä 2005 - eine zeitliche Inanspruchnahme des Arztes infolge der Erkrankung eines Patienten aus, in der er keine anderen abrechenbaren Leistungen erbringen könne. Dementsprechend habe das SG zutreffend auch das Fortbewegen nach der notärztlichen Versorgung zurück zur Rettungswache als Fall der Nr 40 EBM-Ä angesehen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 27. April 2005 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 26. März 2003 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

II

Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Die von der Beklagten vorgenommenen sachlich-rechnerischen Richtigstellungen sind rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die von ihm begehrten Vergütungen nach Nr 40 EBM-Ä im Zusammenhang mit den von ihm als Notarzt durchgeführten Rettungs(begleit)fahrten bzw für die anschließend durchgeführten Rückfahrten.

Auch Nichtvertragsärzte wie der Kläger hatten nach den bindenden Feststellungen des LSG (§§ 162, 163 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) in den hier betroffenen Quartalen III/1997 bis II/1998 für ihre Tätigkeit im Rettungsdienst Anspruch gegen die beklagte KÄV auf Honorierung der von ihnen erbrachten Leistungen nach Maßgabe des Honorarverteilungsmaßstabes der Beklagten in Verbindung mit dem EBM-Ä (vgl dazu BSG SozR 4-2500 § 75 Nr 1 RdNr 11 ff). Damit unterliegen diese Ärzte insoweit auch den weiteren vertragsärztlichen Regelungen sowie den Befugnissen, die die vertragsärztlichen Institutionen gegenüber Vertragsärzten haben, wie zB der Befugnis der KÄV zu sachlich-rechnerischen Richtigstellungen (hierzu s auch BSG aaO RdNr 15).

Die KÄV ist zu sachlich-rechnerischen Richtigstellungen von Honorarforderungen befugt, soweit ein Vertragsarzt bei seiner Quartalsabrechnung Gebührennummern ansetzt, deren Tatbestand durch seine Leistungen nicht erfüllt ist oder die er aus anderen Gründen nicht in Ansatz bringen darf (zB Fachfremdheit der Leistung oder Leistungsausschluss). Rechtsgrundlage dafür sind § 45 Abs 2 Satz 1 Bundesmantelvertrag-Ärzte und § 34 Abs 4 Satz 2 Ersatzkassenvertrag-Ärzte - in den seit 1. April 1997 geltenden Fassungen -, die auf der Grundlage von § 83 Abs 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch <SGB V> (idF des Gesundheits-Reformgesetzes vom 20. Dezember 1988, BGBl I 2477) vereinbart, dann auf der Grundlage des § 83 Abs 1 SGB V (idF des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21. Dezember 1992, BGBl I 2266) geändert wurden. Nach diesen - für die hier betroffenen Abrechnungen der Quartale III/1997 bis II/1998 maßgeblichen und im Wesentlichen gleichlautenden - Vorschriften hat die KÄV die Befugnis, die von den Vertragsärzten eingereichten Abrechnungen rechnerisch und gebührenordnungsmäßig zu prüfen und nötigenfalls richtig zu stellen, was auch im Wege nachgehender Richtigstellung erfolgen kann. Dabei kann das Richtigstellungsverfahren von Amts wegen oder auf Antrag einer Krankenkasse durchgeführt werden (vgl BSGE 89, 90, 93 f = SozR 3-2500 § 82 Nr 3 S 6 und stRspr, zB BSG SozR 4-5520 § 32 Nr 2 RdNr 10).

Hiernach war die Beklagte berechtigt, die vom Kläger für die Quartale III/1997 bis II/1998 vorgenommenen Ansätze der Nr 40 EBM-Ä sachlich-rechnerisch richtig zu stellen, wie sich aus der Auslegung dieser Regelung ergibt.

Für die Auslegung vertragsärztlicher Vergütungsbestimmungen ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats in erster Linie der Wortlaut der Regelungen maßgeblich. Dies gründet sich zum einen darauf, dass das vertragliche Regelwerk dem Ausgleich der unterschiedlichen Interessen von Ärzten und Krankenkassen dient und es vorrangig Aufgabe des Bewertungsausschusses selbst ist, Unklarheiten zu beseitigen (vgl BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 5 RdNr 11 mwN; SozR 4-5533 Nr 273 Nr 1 RdNr 7; SozR 4-2500 § 87 Nr 10 RdNr 10). Zum anderen folgt die primäre Bindung an den Wortlaut aus dem Gesamtkonzept des EBM-Ä als einer abschließenden Regelung, die keine Ergänzung oder Lückenfüllung durch Rückgriff auf andere Leistungsverzeichnisse bzw Gebührenordnungen oder durch analoge Anwendung zulässt. Nur soweit der Wortlaut eines Leistungstatbestandes zweifelhaft ist und es seiner Klarstellung dient, ist Raum für eine systematische Interpretation im Sinne einer Gesamtschau der in innerem Zusammenhang stehenden vergleichbaren oder ähnlichen Gebührenregelungen. Eine entstehungsgeschichtliche Auslegung kommt ebenfalls nur bei unklaren oder mehrdeutigen Regelungen in Betracht und kann nur anhand von Dokumenten erfolgen, in denen die Urheber der Bestimmungen diese in der Zeit ihrer Entstehung selbst erläutert haben (BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 5 RdNr 11 mwN und Nr 10 RdNr 10, jeweils mwN). Leistungsbeschreibungen dürfen weder ausdehnend ausgelegt noch analog angewendet werden (BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 5 RdNr 11 mwN; SozR 4-5533 Nr 273 Nr 1 RdNr 7; SozR 4-5520 § 33 Nr 6 RdNr 17 am Ende).

In Anwendung dieser Maßstäbe kann der Kläger für seine Rettungsbegleitfahrten und die anschließenden Rückfahrten kein weiteres Honorar nach Nr 40 EBM-Ä beanspruchen. Mit der Vergütung nach Nr 33 EBM-Ä, durch die für die "Begleitung eines Patienten durch den behandelnden Arzt beim Transport zur unmittelbar notwendigen stationären Behandlung" 600 Punkte gewährt werden, und den weiteren Vergütungen für die sonstigen bei der notärztlichen Behandlung des Patienten erbrachten Leistungen ist der gesamte Aufwand des Arztes, den dieser im Zusammenhang mit der Rettungsfahrt hat, abgegolten. Dies entspricht der Abrechnungspraxis bei Besuchen und Visiten nach Abschnitts B. III. ("Besuche, Visiten, ..."). Diese werden abgegolten durch die Vergütung nach den Nr 25 ff EBM-Ä und das Honorar für die erbrachten ärztlichen Leistungen; dazu kommt bei Benutzung des eigenen Pkw die entsprechende Entfernungspauschale gemäß Nr 7160 ff, 7234 ff BMÄ/E-GO.

Eine Vergütung des Zeitaufwands für die Rückfahrt vom Krankenhaus zur Rettungswache ist nach Nr 40 EBM-Ä nicht möglich; denn dieser Leistungstatbestand ("Verweilen, ohne Erbringung berechnungsfähiger Leistungen, wegen der Erkrankung erforderlich, je vollendete halbe Stunde 900 Punkte") ist nicht erfüllt.

Das "Verweilen" muss gemäß dem Wortlaut der Nr 40 EBM-Ä zum einen "ohne Erbringung berechnungsfähiger Leistungen" erfolgen (deshalb kann die Nr 40 nicht zusätzlich für die Begleitfahrt selbst angesetzt werden, weil hier schon die Nr 33 EBM-Ä eingreift). Zum anderen muss das Verweilen "wegen der Erkrankung erforderlich" sein. Dies erfordert einen Zeitaufwand wegen der konkreten Betreuung einer Erkrankung, was zugleich die Anwesenheit bei dem Patienten oder jedenfalls die Überwachung des konkreten Patienten mit jederzeitiger Eingriffsmöglichkeit voraussetzt. In diesem Sinne hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 2. April 2003 vom "Verweilen bei einem Patienten" gesprochen (BSG SozR 4-5533 Nr 40 Nr 1 RdNr 10 bis 12). Der gegenteiligen Ansicht, wonach über die Nr 40 EBM-Ä tendenziell die Abrechenbarkeit aller Zusatzzeiten ab 30 Minuten in Betracht komme (Kölner Kommentar zum EBM, 2. Aufl, Stand 1. Juni 2004, Gebührennr 40 S 198; vgl auch Wezel/Liebold, Handkommentar zum EBM mit BMÄ und E-GO, 6. Aufl, Stand 1. Juli 2004, Gebührennr 33, S 9 B - 87, Abschnitt "Verweilgebühren"), ist nicht zu folgen. Sie berücksichtigt nicht das Merkmal der Nr 40 EBM-Ä "wegen der Erkrankung erforderlich". Zudem liefe sie auf eine Honorierung für einen Zeitaufwand hinaus, bei dem kein Patientenkontakt stattfindet und dem die konkrete Zielrichtung des Erkennens, der Heilung, der Verhütung der Verschlimmerung oder der Linderung einer Krankheit fehlt.

Der Zeitaufwand des Klägers bei den Rückfahrten zur Rettungswache - nach der Ablieferung des Patienten im Krankenhaus mit Übergabe an die dortigen Ärzte - konnte nicht als "Verweilen" iS der Nr 40 EBM-Ä qualifiziert werden, da seine Tätigkeit jetzt nicht mehr auf die Betreuung eines konkreten Patienten und seiner Erkrankung bezogen war. Das Ziel, wieder für eine neue Rettungsfahrt zur Verfügung zu stehen, stellt sich ebenfalls nicht als hinreichend konkrete Betreuung eines neuen Patienten und seiner Erkrankung dar. Der gesamte Aufwand des Arztes, den dieser im Zusammenhang mit der Rettungsfahrt hat - also auch sein Zeitaufwand für die Rückfahrt -, ist durch das Honorar gemäß Nr 33 EBM-Ä zuzüglich der weiteren Vergütungen für bei der notärztlichen Behandlung des Patienten erbrachte Leistungen abgegolten (im Ergebnis wie hier SG Frankfurt am Main, Urteil vom 12. März 2003 - S 19 KA 3659/00 betr Begleitfahrt zu stationärer Behandlung).

Ein Anspruch des Klägers auf Vergütungen nach Nr 40 EBM-Ä für die Quartale III/1997 bis II/1998 kann schließlich auch nicht darauf gegründet werden, dass die Beklagte ihm in früheren Quartalen solche Vergütungen gewährt hatte. Denn ein Anspruch auf Wiederholung von Unrecht besteht grundsätzlich nicht. Dies gilt im Falle früherer eigener Begünstigungen ebenso, wie es durch die Rechtsfigur "keine Gleichbehandlung im Unrecht" für den Fall rechtswidriger Begünstigungen anderer Personen anerkannt ist (s dazu BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 1 RdNr 20 mwN; vgl auch BSG USK 99159 S 946). Den früheren Quartalshonorarbescheiden kann auch nicht etwa eine bindende Anerkennung der Abrechenbarkeit der Nr 40 EBM-Ä entnommen werden, weil diesem Entscheidungselement - mangels entsprechender normativer Regelung - weder eine Tatbestands- noch eine Feststellungswirkung zukommt (vgl BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 12 RdNr 17).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden und hier noch anzuwendenden Fassung (vgl BSG SozR 3-2500 § 116 Nr 24 S 115 ff).

Ende der Entscheidung

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