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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Beschluss verkündet am 10.12.2008
Aktenzeichen: B 6 KA 37/08 B
Rechtsgebiete: SGG


Vorschriften:

SGG § 160 Abs 2 Nr 1
SGG § 160a Abs 2 Satz 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Beschluss

in dem Rechtsstreit

Az: B 6 KA 37/08 B

Der 6. Senat des Bundessozialgerichts hat am 10. Dezember 2008 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Wenner, die Richter Gasser und Engelhard sowie die ehrenamtliche Richterin Dr. Bert und den ehrenamtlichen Richter Dr. Seegers

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 9. April 2008 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 350,00 Euro festgesetzt.

Gründe:

I

Die klagende kinderärztliche Gemeinschaftspraxis hat im Klage- und Berufungsverfahren von der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) höheres Honorar für Notfalldienstleistungen in den Quartalen IV/00 bis III/01 begehrt. Umstritten war, ob Notdienstleistungen gegenüber eigenen Patienten der Praxis außerhalb des Praxisbudgets zu vergüten sind. Das hat das Landessozialgericht (LSG) nur für die im organisierten Notfalldienst erbrachten Leistungen, aber - anders als das Sozialgericht - nicht für die im Rahmen einer von den Kinderärzten in J. eigenständig eingerichteten Rufbereitschaft angenommen. Nach Auffassung des LSG sind derartige Leistungen gemäß den Allgemeinen Bestimmungen A I. Teil B Nr 1.4 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä in der bis zum 30.6.2003 geltenden Fassung) nicht budgetrelevant und demzufolge gesondert zu vergüten. Eine Differenzierung zwischen eigenen und Fremdpatienten sei nicht zulässig und durch die rechtlichen Grundlagen nicht gedeckt, da der EBM-Ä gegenüber dem HVM der Beklagten als lex specialis anzusehen sei.

Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil macht die Beklagte geltend, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung.

II

Die Beschwerde der Beklagten bleibt ohne Erfolg.

Ihr Vorbringen, der Rechtssache komme grundsätzliche Bedeutung zu (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG), entspricht zwar den Darlegungsanforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG. Die Beschwerde ist mithin zulässig. Sie ist aber unbegründet, denn nicht alle Erfordernisse für die Revisionszulassung sind erfüllt. Diese setzt eine Rechtsfrage voraus, die in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 19 S 34 f; Nr 30 S 57 f mwN; BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 19).

Es ist bereits zweifelhaft, ob die von der Beklagten aufgeworfene Rechtsfrage,

ob ein Ausschuss der Partner der Bundesmantelverträge durch eine Regelung im einheitlichen Bewertungsmaßstab eine eindeutige und abschließende Definition in den Bestimmungen der Bundesmantelverträge abändern kann;

in dem mit der Beschwerde angestrebten Revisionsverfahren überhaupt entscheidungserheblich ist. Die Entscheidungserheblichkeit ist zu verneinen, wenn die Rechtsfrage zur Entscheidung des Rechtsstreits nicht notwendigerweise geklärt werden muss, etwa weil der geltend gemachte Anspruch auch aus einem anderen nahe liegenden Grunde als dem, auf den das LSG abgestellt hat, begründet ist (Becker, SGb 2007, 261, 267 mwN).

Dies dürfte vorliegend der Fall sein, weil sich der Anspruch der Klägerin auf eine (höhere) Vergütung ihrer Notfallleistungen außerhalb des Praxisbudgets nicht erst aus der Regelung in Abschnitt A I. Teil B Nr 1.4 der Allgemeinen Bestimmungen zum EBM-Ä in der hier maßgeblichen Fassung ergibt, sondern bereits aus der Regelung in Nr 1.1 aaO. Diese ordnet an, dass (ua) die von Ärzten im organisierten Notdienst erbrachten Leistungen nicht der Budgetierung unterliegen. Die Verpflichtung zur Herausnahme der im Not(fall)dienst erbrachten Leistungen aus der Budgetierung ergibt sich somit nicht erst daraus, dass Notfälle nicht zu den budgetrelevanten Fällen gezählt werden, sondern bereits daraus, dass derartige Leistungen generell nicht der Budgetierung unterliegen. In den Erläuterungen zu dieser Regelung (Mitteilungen der Herausgeber: "Die Einführung der Praxisbudgets zum 1. Juli 1997", DÄ 1997, S A-860, 862, Nr 5.4 c) ist ausgeführt: "Leistungen, die im organisierten Notfalldienst einer KÄV erbracht werden, werden aus der Budgetierung ausgenommen".

Hierbei handelt es sich um eine originäre EBM-Regelung, nicht um eine den Bundesmantelvertrag abändernde Regelung, sodass sich die von der Beklagten aufgeworfene Frage hier nicht stellt. Wie eine KÄV es bewerkstelligt, Notfallleistungen abrechnungstechnisch von anderen Leistungen abzugrenzen - etwa in Form der aufgehobenen HVM-Bestimmung - bedarf erst recht keiner Klärung.

Unabhängig hiervon mangelt es der von der Beklagten aufgeworfenen Rechtsfrage an der Klärungsbedürftigkeit. Diese fehlt nicht nur dann, wenn die Rechtsfrage schon beantwortet ist, sondern auch dann, wenn zwar noch keine Rechtsprechung zu dieser Konstellation, aber bereits zu Teilaspekten vorliegt und sich hieraus die Antwort auf die Rechtsfrage ohne Weiteres ableiten lässt (zur Verneinung der Klärungsbedürftigkeit im Falle klarer Antwort s zB BSG SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6; SozR 3-2500 § 75 Nr 8 S 34; SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; vgl auch BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f). Diese Anforderungen sind verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl zB BVerfG [Kammer], Beschluss vom 29. Mai 2001 - 1 BvR 791/01 -, und früher schon BVerfG [Kammer], SozR 3-1500 § 160a Nr 6 S 10 f; Nr 7 S 14; s auch BVerfG [Kammer], DVBl 1995, 35).

Dass ein von der Beklagten so bezeichneter "Ausschuss" der Partner der Bundesmantelverträge, bei dem es sich konkret um den Bewertungsausschuss iS des § 87 Abs 1 und 3 SGB V handelt, durch eine Regelung im einheitlichen Bewertungsmaßstab Vorgaben oder Definitionen der Bundesmantelverträge modifizieren kann, ergibt sich ohne weiteres aus des bisherigen Rechtsprechung des Senats.

Die Vereinbarung der Bewertungsmaßstäbe - als einer Normsetzung durch Vertrag (stRspr des Senats, vgl insbesondere BSGE 71, 42, 49 = SozR 3-2500 § 87 Nr 4 S 12 ff; BSGE 90, 61, 63 = SozR 3-2500 § 87 Nr 35 S 202; BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2, jeweils RdNr 65; s auch BVerfG SozR 4-2500 § 87 Nr 6 RdNr 13, 18) - erfolgt zwar nicht unmittelbar zwischen den Vertragspartnern der Bundesmantelverträge, sondern durch gesonderte Bewertungsausschüsse (§ 87 Abs 1 Satz 1 SGB V), jedoch wird deren Handeln den Partnern der Bundesmantelverträge als eigenes zugerechnet (BSGE 89, 259, 263 = SozR 3-2500 § 87 Nr 34 S 191; BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2 aaO). Dass der Bewertungsmaßstab ggf in einem schiedsamtsähnlichen Verfahren durch den Erweiterten Bewertungsausschuss festgesetzt wird, ändert nichts daran, dass es sich dabei um vertragliche Vereinbarungen zwischen den Spitzenverbänden der Krankenkassen (bzw dem Spitzenverband Bund) und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung handelt (vgl BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2, jeweils RdNr 66); diese sind Normgeber des EBM-Ä (BSG, aaO, RdNr 65). Entsprechend hat der Senat den Bewertungsausschuss ungeachtet seiner Verselbständigung in ständiger Rechtsprechung (vgl BSGE 73, 131, 133 = SozR 3-2500 § 85 Nr 4 S 20; BSGE 90, 61, 64 = SozR 3-2500 § 87 Nr 35 S 20; BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2, jeweils RdNr 65; zuletzt Urteil vom 28.5.2008, B 6 KA 9/07 R, SozR 4-2500 § 85 Nr 42 RdNr 26, zur Veröffentlichung auch in BSGE vorgesehen) als "Vertragsorgan" bezeichnet, durch das die Partner der Bundesmantelverträge den EBM-Ä vereinbaren.

Damit ist geklärt, dass der Bewertungsausschuss nicht lediglich ein (Unter-)Ausschuss des Normgebers "Bundesmantelvertragspartner" ist, sondern den Normgeber in der besonderen Organisationsform "Vertragsorgan" repräsentiert. Einheitlicher Bewertungsmaßstab und Bundesmantelvertrag haben somit letztlich denselben Normgeber. Schon diese Normgeber-Identität führt zur Bejahung der von der Beklagten aufgeworfenen Frage, da es innerhalb desselben Normgebers nicht zwei unterschiedlich gewichtige Hierarchieebenen - mit und ohne Berechtigung zur Abänderung der Normen - geben kann. Kompetenzkonflikte resultieren hieraus im Regelfall nicht, denn das Gesetz hat dem Bewertungsausschuss durch § 87 SGB V bestimmte originäre Aufgaben übertragen und sie damit der - ansonsten nach § 82 SGB V bestehenden - Zuständigkeit der Bundesmantelvertragspartner entzogen. Innerhalb dieses speziellen Aufgabenbereichs hält sich auch die hier in Rede stehende Ausgestaltung der Praxisbudgets (vgl BSGE 86, 16, 19 ff = SozR 3-2500 § 87 Nr 23 S 119 ff; BSGE 89, 259, 260 f = SozR 3-2500 § 87 Nr 34 S 188 f; BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 3 RdNr 14 f). Somit war (und ist) der Beschwerdeausschuss generell berechtigt, im Rahmen der Ausgestaltung von Regelungen des EBM-Ä Bestimmungen der Bundesmantelverträge zu modifizieren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 154 ff Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Als erfolgloser Rechtsmittelführer hat die Beklagte die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen (§ 154 Abs 2 VwGO).

Die Festsetzung des Streitwerts hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1, § 47 Abs 1 und 3 Gerichtskostengesetz (GKG). Dabei war nicht auf das Interesse der Klägerin, sondern auf die Anträge des Rechtsmittelführers abzustellen (§ 47 Abs 1 GKG) und somit nur der im Beschwerdeverfahren verbliebene Streitgegenstand - die höhere Vergütung der am 25. und 26.5.2001 im Rahmen des Notfalldienstes erbrachten Behandlungen - zugrunde zu legen.

Ende der Entscheidung

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