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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 29.09.1999
Aktenzeichen: B 6 KA 38/98 R
Rechtsgebiete: EBM-Ä


Vorschriften:

EBM-Ä Nr 2935
EBM-Ä Nr 2960
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Verkündet am 29. September 1999

in dem Rechtsstreit

Az: B 6 KA 38/98 R

Kläger und Revisionskläger,

Prozeßbevollmächtigte:

gegen

Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein, Emanuel-Leutze-Straße 8, 40547 Düsseldorf,

Beklagte und Revisionsbeklagte,

beigeladen:

Ärztekammer Nordrhein, Tersteegenstraße 31, 40474 Düsseldorf.

Der 6. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 29. September 1999 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Engelmann, die Richter Dr. Wenner und Dr. Kretschmer sowie die ehrenamtliche Richterin Dr. Dawid und den ehrenamtlichen Richter Dr. Merz

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 1. April 1998 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat der Beklagten die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten. Im übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Gründe:

I

Der Kläger ist in K. als Anästhesiologe zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen und betreibt eine schmerztherapeutisch ausgerichtete Praxis. Er ist berechtigt, an der "Vereinbarung über die ambulante Behandlung von chronisch schmerzkranken Patienten" (Schmerztherapie-Vereinbarung) nach Anl 12 des Arzt-/Ersatzkassenvertrages (EKV-Ä) vom 1. Juli 1994 teilzunehmen (Beschluß der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung <KÄV> vom 2. Mai 1995). Er wendet ua minimal-invasive neurodestruktive Verfahren an (radiofrequente, kyrochirurgische oder chemische Nervenzerstörungen mittels einer unter die Haut eingeführten Kanüle oder Sonde).

Mit Berichtigungsbescheid vom 6. Dezember 1995 und Widerspruchsbescheid vom 19. April 1996 lehnte die Beklagte es im Wege der sachlich-rechnerischen Richtigstellung ab, die vom Kläger für das Quartal III/1995 in zahlreichen Behandlungsfällen angesetzten Gebührenpositionen nach Nr 2935 ("Neurolyse, als selbständige Leistung") und Nr 2960 ("operative Denervation der kleinen Wirbelgelenke") des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes für die ärztlichen Leistungen (EBM-Ä) sowie nach den Zuschlag-Nrn 81 und 82 zu vergüten, da es sich um für den Kläger fachfremde, auch keiner analogen Bewertung zugängliche Leistungen handele.

Das dagegen angerufene Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben (Urteil vom 18. Dezember 1996): Der Kläger verfüge als Schmerztherapeut über eine besondere, von der Beklagten anerkannte Qualifikation, so daß ihm angesichts der in der medizinischen Realität längst interdiszipliniär - und nicht allein von Neurochirurgen - erbrachten streitigen Leistungen bei chronisch Schmerzkranken zu Unrecht Fachfremdheit entgegengehalten werde. Die Zuordnung der Leistungen zum Abschnitt N VIII. "Neurochirurgie" des EBM-Ä belege die Fachfremdheit nicht.

Im von der Beklagten angestrengten Berufungsverfahren hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) die Ärztekammer Nordrhein beigeladen und eine Stellungnahme der Bundesärztekammer vom 24. Juli 1997 ausgewertet, welcher der Kläger mit einem Gutachten des Privatdozenten Dr. C. M. (Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin des Klinikums der C. -A. -U. K. ) vom 16. März 1998 entgegengetreten ist. Mit Urteil vom 1. April 1998 hat das LSG das Urteil des SG abgeändert und die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, zwar sei der Leistungsinhalt der streitigen Gebührenpositionen jeweils erfüllt. Es handele sich aber um für den Kläger als einem für das Fachgebiet der Anästhesiologie zugelassenen Vertragsarzt fachfremde Leistungen. Auch wenn der Kläger persönlich dafür eine hinreichende Qualifikation besitze, müsse er sich im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung auf Leistungen des Gebietes beschränken, für das er zugelassen sei. Das im Bezirk der Ärztekammer Nordrhein maßgebliche Weiterbildungsrecht ordne die Leistungen nach den Nrn 2935 und 2960 nicht dem Gebiet der Anästhesiologie, sondern der Neurochirurgie zu. Diese Bewertung folge auch aus der Stellungnahme der Bundesärztekammer und dem Gutachten von Dr. M. . Dieser habe selbst eingeräumt, daß allein die Facharztausbildung in der Anästhesiologie nicht ausreiche, um eine spezielle schmerztherapeutische Tätigkeit auszuüben, und dafür eine freiwillige qualifizierte Fortbildung notwendig sei. Die irreversible Unterbrechung eines Nervs sei nicht Weiterbildungsinhalt. Der Schmerztherapie-Vereinbarung und der sie ausfüllenden Honorierungsvereinbarung sei nicht zu entnehmen, daß jeder teilnehmende Arzt alle Leistungen zur Versorgung Schmerzkranker unabhängig von seiner Gebietsbezeichnung abrechnen dürfe. Der Umstand, daß die streitigen Leistungen in der medizinischen Realität interdisziplinär erbracht würden, sei nicht geeignet, verbindliche Normen des Weiterbildungsrechts und des EBM-Ä unwirksam werden zu lassen. Auch das Bundessozialgericht (BSG) habe in seiner Entscheidung vom 27. Oktober 1987 - 6 RKa 34/86 - (BSGE 62, 224 = SozR 2200 § 368a Nr 19) entgegen der Auffassung des Klägers Anästhesiologen nicht das Recht zugebilligt, für die anästhesiologische Tätigkeit erforderliche Laboruntersuchungen regelmäßig durchzuführen. Mit dem Gesichtspunkt der "Einheit des Arztberufes" lasse sich die Position des Klägers ebenfalls nicht untermauern; denn Fachgebietsgrenzen seien im Interesse einer Verbesserung der ärztlichen Versorgung durch Spezialisierung hinzunehmen. Es handele sich vorliegend auch weder um Leistungen, die nicht eindeutig zuzuordnen oder neu seien, noch um bloße Adnexleistungen oder mit einer Fachbehandlung im Zusammenhang stehende untergeordnete Leistungen.

Dieses Urteil greift der Kläger mit der vom LSG zugelassenen Revision an. Er untermauert sein Vorbringen aus den Vorinstanzen und macht nunmehr auch geltend, die Beklagte habe durch unbeanstandete Abrechnung seiner entsprechenden Leistungen in den Quartalen I und II/1995 Vertrauensschutz in die Abrechnungsfähigkeit der Nrn 2935 und 2960 EBM-Ä hervorgerufen. Es entspreche weder der Rechtslage und der medizinischen Realität noch dem Patienteninteresse, diese Leistungen als für Anästhesisten und Schmerztherapeuten fachfremd zu erklären. Zu Unrecht habe das LSG im Ergebnis nach der Dauer der schmerztherapeutischen Behandlung unterschieden, um für die irreversible Nervenausschaltung die Zuständigkeit der Neurochirurgie zu begründen; eine perkutane Injektionsbehandlung - gleich, ob mit Lokalanästhetika oder mit neurolytischen Substanzen - gehöre ganz unstreitig zum Fachgebiet der Anästhesiologie. Als auf die Schmerztherapie spezialisierter niedergelassener Anästhesist müsse er auch alle von ihm erlernten Blöcke der Schmerztherapie zur Anwendung bringen dürfen. Das System des gegliederten Facharztwesens werde nicht verlassen, da die streitigen Leistungen inzwischen nicht mehr interdisziplinär erbracht würden. Vielmehr hätten die Methoden der Anästhesiologie - die teilweise auch von anderen Fachgebieten beherrscht würden - die operativen Leistungen abgelöst; dies folge auch aus Änderungen des EBM-Ä im Bereich der Radiologie, die zum 1. April 1999 eingetreten seien. Da kein offener operativer Eingriff stattfinde, handele es sich nicht um einen chirurgischen Eingriff. Die Maßnahmen nach den Nrn 2935 und 2960 seien oft die ultima ratio für chronische Schmerzpatienten. Hier könne der Anästhesist nicht mehr mit dem für "das Grundleiden" zuständigen Arzt zusammenarbeiten. Das Gutachten von Dr. M. belege die Notwendigkeit, Diagnostik, Indikationsstellung und Durchführung der Neurolyse und Denervation in die Hand von anästhesiologischen Schmerztherapeuten zu legen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 1. April 1998 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 18. Dezember 1996 zurückzuweisen,

hilfsweise,

die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die beigeladene Ärztekammer, die keinen Antrag stellt, vertritt die Auffassung, daß der Kläger auf der Grundlage des geltenden Weiterbildungsrechts mit seinem Begehren keinen Erfolg haben könne. Da die Zusatzbezeichnung "Schmerztherapie" in ihrem Bereich bislang nicht eingeführt worden sei, könne er aus dieser von ihm in Anspruch genommenen Bezeichnung auch keine besonderen Rechte herleiten. Ziel anästhesiologischer Maßnahmen sei es normalerweise, Schmerz vorübergehend (temporär) mittels mechanischer Irritation oder elektrischer Reizung auszuschalten, während es hier um die definitive Ausschaltung von Nervenreizen gehe. Die geltende Weiterbildungsordnung gehe mit ihrer Zuständigkeit von Neurochirurgen davon aus, daß derjenige, der durch operative Verfahren einen Nerv durchtrenne, auch am ehesten über Fachkompetenz bei geschlossenen Verfahren verfüge. Fachlich sprächen allerdings trotz der prinzipiell interdisziplinären Konzeption der Schmerztherapie einige Argumente dafür, dem schmerztherapeutisch erfahrenen Anästhesiologen zu gestatten, nicht nur eine temporäre, sondern auch eine dauerhafte Ausschaltung von Nerven vorzunehmen.

II

Die Revision des Klägers ist nicht begründet.

Das LSG hat zutreffend entschieden, daß der Kläger als für das Fachgebiet der Anästhesiologie zugelassener Vertragsarzt im Quartal III/1995 Leistungen nach Nrn 2935, 2960 EBM-Ä gegenüber der Beklagten nicht abrechnen durfte, weil diese Leistungen nicht in sein Fachgebiet fielen und für ihn fachfremd waren. Dabei kann im Ergebnis offen bleiben, ob - wovon die Beteiligten und das LSG ausgegangen sind - die vom Kläger durchgeführten minimal-invasiven neurodestruktiven Verfahren dem Inhalt der dem neuro-chirurgischen Fachgebiet zugeordneten Leistungen und Geb-Nrn 2935 und 2960 EBM-Ä entsprechen. Denn die Revision des Klägers kann auch dann keinen Erfolg haben, wenn seine Behandlungsweise den Inhalt der Nrn 2935 und 2960 EBM-Ä erfüllte.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats wird der Tätigkeitsbereich eines Gebietsarztes durch die auf landesrechtlicher Grundlage beruhende Gebietsbezeichnung in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise bestimmt und begrenzt (s schon BVerfGE 33, 125, 167; zuletzt Urteile des Senats vom 18. Oktober 1995 - SozR 3-2500 § 95 Nr 7, vom 20. März 1996 SozR 3-2500 § 95 Nr 9 und vom 29. Januar 1997 - SozR 3-2500 § 72 Nr 7; ferner Urteil vom 27. Oktober 1987 - BSGE 62, 224, 226 ff = SozR 2200 § 368a Nr 19, jeweils mwN). Die Heilberufs- bzw Kammergesetze der Länder und/oder die auf der Grundlage von Ermächtigungen in diesen Gesetzen von den Ärztekammern der Länder erlassenen Weiterbildungsordnungen normieren die Verpflichtung derjenigen Ärzte, die - wie der Kläger - Gebietsbezeichnungen führen, ihre Tätigkeit auf dieses Fachgebiet zu beschränken. Für den Kläger folgt diese Verpflichtung aus § 41 Abs 1 des Heilberufsgesetzes Nordrhein-Westfalen iVm § 22 der Weiterbildungsordnung für die nordrheinischen Ärzte vom 29. April, wie das LSG in Anwendung dieser nicht revisiblen (§ 162 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) landesrechtlichen Vorschriften dargelegt hat.

Die Bindung eines Arztes an die Grenzen seines Fachgebietes trifft ihn, wie der Senat zuletzt im Urteil vom 18. Oktober 1995 (SozR 3-2500 § 95 Nr 7) ausführlich aufgezeigt hat, auch in seiner Eigenschaft als Vertragsarzt, obwohl dies im Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) und in der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) nicht ausdrücklich so bestimmt ist. Der Senat hat dies im einzelnen aus einer Zusammenschau der Vorschriften des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung abgeleitet. Die Gründe, die in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Senats unter verfassungsrechtlichen Aspekten für die Aufgliederung der ärztlichen Tätigkeit in verschiedene Fachdisziplinen und die Notwendigkeit der Beschränkung des für ein Fachgebiet zugelassenen Arztes auf die Tätigkeit in diesem Fachgebiet angeführt worden sind, haben weiterhin Gültigkeit. Bei der Bindung an das Fachgebiet und der damit verbundenen Beurteilung der Fachfremdheit einer Leistung ist allerdings jeweils zu beachten, daß Vertragsärzte - gleich auf welcher Regelungsebene - aus verfassungsrechtlichen Gründen (Art 3 Abs 1 und Art 12 Abs 1 Grundgesetz <GG>) nicht von der Honorierung solcher vertragsärztlichen Leistungen ausgeschlossen werden dürfen, die in den Kernbereich ihres Fachgebietes fallen bzw die für ihr Gebiet wesentlich und prägend sind (so - in unterschiedlichem Zusammenhang - etwa für die Tätigkeit von Laborärzten bei Basislaboruntersuchungen auf Überweisung BSGE 78, 91 = SozR 3-5540 § 25 Nr 2; für Grundleistungen der hausärztlichen Versorgung bei einem hausärztlich tätigen Internisten BSG SozR 3-2500 § 87 Nr 17; für die rheumatologische Tätigkeit von Orthopäden Urteil vom 20. Januar 1999 - B 6 KA 9/98 R <und 16/98 R> - BSGE 83, 218 = SozR 3-2500 § 87 Nr 21; vgl auch BSGE 82, 55, 59 = SozR 3-2500 § 135 Nr 9).

Diese Grundsätze gelten auch für den Bereich der Anästhesiologie. Aus der höchstrichterlichen Anerkennung der Zuständigkeit von Anästhesisten für schmerztherapeutische Behandlungen kann entgegen der Auffassung des Klägers nicht hergeleitet werden, ihm stehe von vornherein ein Anspruch auf Honorierung seiner vertragsärztlichen Tätigkeit für sämtliche schmerztherapeutischen Diagnose- und Therapieformen unabhängig davon zu, ob sie vielleicht ganz oder teilweise auch einem anderen Fachgebiet als dem der Anästhesiologie zuzuordnen sind.

Der Senat hat in seinem Urteil vom 13. März 1991 (BSGE 68, 190 = SozR 3-2500 § 95 Nr 1), durch das erstmals die Zulässigkeit schmerztherapeutischer Tätigkeit von Anästhesisten bestätigt worden ist, die Bindung des einzelnen Vertragsarztes an die Grenzen seines Fachgebietes nicht in Frage gestellt. Er hat an der Notwendigkeit der sachgerechten Abgrenzung der einzelnen ärztlichen Fachgebiete festgehalten und näher ausgeführt, daß ein Anästhesist für schmerztherapeutische Verfahren ausgebildet und qualifiziert sein kann und dabei nicht auf Überweisungsfälle beschränkt ist (BSGE aaO S 193 f). Aus dem Urteil ergibt sich dagegen nicht, daß einem "Arzt für Schmerztherapie" - auf einen solchen Status beruft sich der Kläger - ein eigenständiges Berufsbild und Tätigkeitsfeld zugewiesen werden müßte, welches ihn dann von der Bindung an die landesrechtlich festgelegten und auch bei der vertragsärztichen Tätigkeit einzuhaltenden Fachgebietsgrenzen weitgehend dispensieren könnte (s auch Urteil vom 18. Oktober 1995, SozR 3-2500 § 95 Nr 7 S 28). Solange es im Bezirk der beigeladenen Ärztekammer und der Beklagten in der landesrechtlichen Weiterbildungsordnung kein eigenständiges Gebiet der Schmerztherapie gibt, kann ein dort zugelassener Vertragsarzt bei der Erbringung schmerztherapeutischer Leistungen nicht von den bestehenden Fachgebietsgrenzen freigestellt werden. Wer als zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassener Facharzt schmerztherapeutischer Tätigkeit nachgehen will, hat keinen Anspruch darauf, daß diese das Tätigkeitsfeld von Ärzten anderer Fachgebiete mit umfaßt (so bereits für das Verhältnis der anästhesiologischen zur allgemeinärztlichen und chirotherapeutisch-orthopädischen Tätigkeit das Urteil des Senats vom 18. Oktober 1995 aaO).

Vor diesem Hintergrund steht der Berechtigung des Klägers, als Facharzt für Anästhesiologie die streitigen perkutanen Neurolysen und operativen Denervationen nach Nrn 2935, 2960 EBM-Ä abrechnen zu dürfen, entgegen, daß diese Eingriffe nicht zum Fachgebiet der Anästhesiologie gehören, sondern dem Fachgebiet der Neurochirurgie zuzurechnen sind. Dies ergibt sich, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, in Anwendung der maßgeblichen Vorschriften des Weiterbildungsrechts im Bereich der Beigeladenen.

Das LSG hat aus den Bestimmungen der hier einschlägigen Weiterbildungsordnung der Ärztekammer Nordrhein vom 29. April 1994 einschließlich ihrer Anlagen (Rheinisches Ärzteblatt 12/1994 vom 28. November 1994 = MinBl NRW S 1536) und ihrer Richtlinien über den Inhalt der Weiterbildung gefolgert, daß das dort genauer definierte Gebiet der Anästhesiologie die streitigen Leistungen nicht umfaßt, sie vielmehr dem Fachgebiet der Neurochirurgie zugeordnet sind. Dieses Ergebnis hat das Berufungsgericht sowohl durch die Stellungnahme der Bundesärztekammer vom 24. Juli 1997 als auch durch das von Klägerseite eingereichte Gutachten von Privatdozent Dr. M. bestätigt gesehen. In nicht zu beanstandender Weise hat das LSG darauf abgestellt, daß das in Abschnitt I Nr 2 der Anlage zur Weiterbildungsordnung definierte Gebiet der Anästhesiologie selbst durchgeführte operative Eingriffe nicht beinhaltet. Diese Leistungen sind weder Teil des Ausbildungsinhalts über "Eingehende Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten" in Abschnitt I Nr 2, noch werden sie bei der Vermittlung "einfacher" Kenntnisse genannt; dagegen findet die operative Behandlung von Erkrankungen des Nervensystems Erwähnung unter Nr 24 bei der Beschreibung des Weiterbildungsrahmens für den Bereich der Neurochirurgie. In Nr 24 der Richtlinien über den Inhalt der Weiterbildungsordnung sind nämlich bei den Neurochirurgen ausdrücklich Eingriffe mittels Neurolyse aufgeführt. Auch in den Muster-Richtlinien über den Inhalt der Weiterbildung (Beschluß des Vorstandes der Bundesärztekammer vom 7. April 1994) wird bei den Bestimmungen für Neurochirurgen (zu Nr 24 unter 2.1.2) das Erfordernis von 10 Eingriffen an peripheren und vegetativen Nerven, "zB ... Neurolyse" genannt, während entsprechende Hinweise bei den Bestimmungen für Anästhesiologen fehlen. In Einklang hiermit steht, daß die Bundesärztekammer in ihrer im Berufungsverfahren abgegebenen Stellungnahme vom 24. Juli 1997 eine Zugehörigkeit der streitigen Leistungen zum Weiterbildungsinhalt des Gebietes Anästhesiologie verneint hat. Schließlich hat auch die Beigeladene im Revisionsverfahren darauf aufmerksam gemacht, daß das im streitbefangenen Zeitraum geltende Weiterbildungsrecht einem schwerpunktmäßig operativ tätigen Arzt am ehesten die Fachkompetenz für Nervendurchtrennungen zuweise. Diese Zuordnung ist schlüssig und steht mit Bundesrecht in Einklang. Ihr entspricht nämlich die Einordnung der Leistungen in Abschnitt N VIII. (Neurochirurgie) des EBM-Ä.

Die vom Kläger mit der Revision hiergegen vorgebrachten Gesichtspunkte führen zu keinem anderen Ergebnis. Zwar ist einzuräumen, daß bei den streitigen Leistungen das Behandlungsziel auf dem Gebiet der Schmerzbekämpfung liegt und dabei zwangsläufig auf das Nervensystem eingewirkt werden muß, so daß die Fachdisziplin des Klägers berührt ist. Die dabei zur Anwendung gelangende minimal-invasive Methode als besondere ärztliche Behandlungs- und Operationstechnik ist jedoch eher dem Kernbereich des (neuro-)chirurgischen Leistungsspektrums zuzurechnen. Eine Operation wird schon im allgemeinen medizinischen Sinne gekennzeichnet als zu diagnostischen oder therapeutischen Zwecken durchgeführter "chirurgischer Eingriff" in den lebenden menschlichen Organismus (so Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 258. Aufl 1998, S 1156). Die minimal-invasive Methode wird als möglichst schonende und wenig belastende Operationstechnik herkömmlich ebenfalls dem Fachgebiet der Chirurgie zugeordnet (etwa: Pschyrembel, aaO, Stichwort "Chirurgie, minimal-invasive", S 267). Wertungsmäßig steht bei den Nrn 2935 und 2960 EBM-Ä die Verletzung der körperlichen Integrität durch ein Eindringen mit bestimmten Instrumenten in den Körper im Vordergrund, was die ärztliche Tätigkeit dann zu einer schwerpunktmäßig chirurgischen macht. Diese Behandlungstechnik hebt sich durch die nachhaltige, weil irreversible Entfernung oder Zerstörung von Gewebe von einer bloßen, jedem Arzt geläufigen, dem Patienten subkutan zu verabreichenden Injektion deutlich ab. Demgegenüber tritt beim unmittelbaren ärztlichen Leistungsgeschehen der Aspekt der Schmerzausschaltung durch Herbeiführung der Unempfindlichkeit gegen Schmerzreize, also dasjenige, was gerade das Fachgebiet der Anästhesie auszeichnet, zunächst zurück. Das unmittelbare Leistungsgeschehen und nicht das Behandlungsziel steht aber regelmäßig bei der Umschreibung der Gebührenpositionen des EBM-Ä im Vordergrund. Unter einer in Nr 2935 EBM-Ä ohne genauere Eingrenzung aufgeführten, mit 1000 Punkten bewerteten "Neurolyse" werden in der Medizin im übrigen nicht nur Eingriffe zu Zwecken der Schmerzbekämpfung verstanden, sondern auch solche zur Verfolgung anderer Behandlungsziele, etwa zur Behebung von Lähmungen, zur Lösung von Verwachsungen um einen Nerven oder zur Isolierung intakter Nervenfaserbündel aus narbig verändertem Nervengewebe (vgl Pschyrembel, aaO, S 1115, Stichwort "Neurolyse"). Weil diese ärztlichen Behandlungsformen bei dem Patienten zu einem irreversiblen körperlichen Zustand führen, erscheint es nicht sachwidrig, sie vorrangig in die Verantwortung von Operateuren - Chirurgen - zu legen. Daß die perkutane Setzung von Injektionen unter Verabreichung von betäubenden oder schmerzstillenden Substanzen seit jeher zum klassischen Berufsbild der Anästhesiologie gehört, schließt wegen der sich dergestalt manifestierenden Nachhaltigkeit des Eingriffs bei Neurolysen und operativen Denervationen die vorgenommene Wertung nicht aus. Erst durch eine explizite Änderung des ärztlichen Weiterbildungs- und Berufsrechts könnte diese Wertung mit Wirkung für die Zukunft modifiziert werden.

Eine Befugnis zur Abrechnung der streitigen Leistungen läßt sich auch nicht aus der vom Kläger aufgrund seiner Aus- und Weiterbildung sowie seiner beruflichen Erfahrungen geltend gemachten besonderen Qualifikation herleiten. Denn aus der berufsrechtlichen Aufgliederung des einheitlichen Arztberufes in verschiedene Fachdisziplinen und der (auch) vertragsärztlichen Beschränkung der ärztlichen Tätigkeit auf das Fachgebiet, für das der Arzt zugelassen ist, folgt zwingend, daß es für die Einhaltung der Fachgebietsgrenzen und die Beurteilung der Fachfremdheit auf derartige in der Person des Arztes liegende Gesichtspunkte nicht ankommt (s bereits Urteil vom 18. Oktober 1995 - SozR 3-2500 § 95 Nr 7 S 29). Dem steht nämlich die Notwendigkeit entgegen, die einzelnen ärztlichen Disziplinen sachgerecht und klar, unabhängig von individuellen Besonderheiten des betroffenen Arztes abgrenzen zu müssen. Daher sind in diesem Zusammenhang die persönliche Qualifikation für ein anderes Fachgebiet, die berufsrechtliche Berechtigung zur Führung von Zusatzbezeichnungen oder der Nachweis der fachlichen Qualifikation zur Abrechnung besonderer vertragsärztlicher Leistungen ohne Belang.

Die Begrenzung der vertragsärztlichen Abrechnungsbefugnis des Klägers auf Leistungen aus dem Gebiet der Anästhesiologie wird deshalb nicht dadurch in Frage gestellt, daß er berechtigt ist, an der Versorgung chronisch schmerzkranker Patienten nach § 3 der Schmerztherapie-Vereinbarung (Anl 12 EKV) teilzunehmen. Wie der Senat in seinem Urteil vom 18. Oktober 1995 (BSG SozR 3-2500 § 95 Nr 7 S 29) gleichfalls entschieden hat, findet sich in dieser Vereinbarung und der sie ausführenden Honorierungsvereinbarung zwischen der Beklagten und dem Verband der Angestellten-Krankenkassen vom 17. August 1994 kein Anhaltspunkt dafür, daß jeder teilnehmende Arzt alle Leistungen zur Versorgung Schmerzkranker, wie sie in § 2 der Anl 12 EKV beschrieben sind, unabhängig von seiner Fachgebietsbezeichnung, abrechnen darf (ähnlich für die Fachfremdheit der Durchführung von Sonographien bei Erfüllung der Voraussetzungen nach den Ultraschall-Richtlinien BSG SozR 3-2500 § 135 Nr 3 S 8). Daran hält der Senat fest.

Soweit der Kläger schließlich etwas aus der für Radiologen geltenden Nr 5222 EBM-Ä ableiten will, die ua eine Doppelabrechnung mit der im vorliegenden Fall streitigen Nr 2960 ausschließt, kann ihm nicht gefolgt werden. Aus dem Umstand, daß die Nr 2960 für Radiologen im Rahmen der Computertomographie während der hier streitigen Zeit nicht abrechnungsfähig war, können keine Schlüsse darauf gezogen werden, ob ein Anästhesist im Quartal III/1995 berechtigt war, Leistungen nach dieser im Abschnitt N VIII. des EBM-Ä für Neurochirurgen vorgesehenen Gebührenposition zu erbringen. Daß die Leistung Nr 5522 im Jahre 1999 geändert worden ist, gibt für die rechtliche Beurteilung der Leistungen Nr 2935 und Nr 2960 EBM-Ä bei der Berufsgruppe der Anästhesisten im Jahre 1995 ebenfalls nichts her.

Es sind auch - wie das LSG zutreffend erkannt hat - keine sonstigen rechtlichen Gesichtspunkte erkennbar, die dem Kläger trotz genereller Fachfremdheit ausnahmsweise aus besonderen Gründen einen Anspruch auf Vergütung der streitigen Leistungen Nr 2935 und Nr 2960 EBM-Ä einräumen könnten. Weder handelt es sich bei den abgerechneten Leistungen um Notfallbehandlungen noch um Adnexleistungen, um Leistungen also, bei denen dem behandelnden Arzt ausnahmsweise im Einzelfall die Überweisung an einen anderen Gebietsarzt nicht zumutbar wäre, noch um fachfremde Leistungen, die im Verhältnis zu der vorgenommenen Fachbehandlung von gänzlich untergeordneter Bedeutung sind (vgl BSG SozR 2200 § 368a Nr 20 mwN).

Da - wie dargelegt - sachliche Gründe für die Zuordnung der Nrn 2935 und 2960 EBM-Ä zum neuro-chirurgischen Leistungsspektrum sprechen, fehlt es auch an einer den Urteilen des Senats vom 20. Januar 1999 - B 6 KA 9/96 R (BSGE 83, 218 = SozR 3-2500 § 87 Nr 21) und B 6 KA 16/96 R (jeweils zur Unzulässigkeit des Ausschlusses von orthopädischen Rheumatologen bei Nr 16 EBM-Ä) vergleichbaren Sachlage und damit an einem Verstoß gegen Art 3 Abs 1 GG.

Weiter ergibt sich nichts aus einem etwa zu Gunsten des Klägers zu beachtenden Vertrauensschutz. Dieser Gesichtspunkt könnte nur Bedeutung erlangen, wenn die beklagte KÄV für einen längeren Zeitraum die systematisch fachfremde Tätigkeit des Vertragsarztes wissentlich geduldet hätte (BSG SozR 3-2500 § 95 Nr 9 S 38 f mwN). Abgesehen davon, daß der Kläger den hierauf bezogenen Tatsachenvortrag unzulässig (vgl §§ 162, 163 SGG) erstmals im Revisionsverfahren geltend macht, müßte hier zu seinen Lasten ins Gewicht fallen, daß er erst nach Erhalt des Beschlusses der Beklagten vom 2. Mai 1995 berechtigt war, (mit Wirkung für die Zukunft) an der Schmerztherapie-Vereinbarung teilzunehmen. Selbst wenn für die Quartale I und II/1995 tatsächlich eine Honorierung der streitigen Gebührenpositionen entsprechend seinen Abrechnungen erfolgt sein sollte, die auch in der Folgezeit Bestand hatte, durfte er angesichts der nur wenige Monate umfassenden Zeitspanne daraus jedenfalls noch nicht auf eine bestimmte, seine Abrechnungsbefugnis für die Nrn 2935 und 2960 EBM-Ä nicht in Frage stellende Verwaltungspraxis der Beklagten schließen.

Es fehlen auch hinreichende Anhaltspunkte dafür, daß in der hier streitigen Zeit, also im Quartal III/1995, die Anpassung des Weiterbildungsrechts an geänderte Verhältnisse willkürlich unterblieben wäre (zu diesem Aspekt BSG SozR 3-1500 § 96 Nr 3 S 8). Dagegen spricht schon, daß der Deutsche Ärztetag erst 1996 die Aufwertung der schmerztherapeutischen Tätigkeit im Rahmen des ärztlichen Weiterbildungsrechts beschlossen hat. Im Verlaufe des Rechtsstreits haben sich jedoch - nicht zuletzt auch aufgrund der Äußerungen der Beigeladenen - gleichwohl Hinweise dafür ergeben, daß im Laufe der zurückliegenden Jahre ein Entwicklungsprozeß eingetreten zu sein scheint, der im medizinischen Alltag zu einem faktischen Aufgabenzuwachs bei den schmerztherapeutisch tätigen Anästhesiologen über die herkömmlichen Fachgebietsgrenzen hinaus geführt hat. Unter Berücksichtigung dieses Umstandes werden der für den EBM-Ä zuständige Bewertungsausschuß (im Rahmen seiner Verpflichtung zur Prüfung, ob die Leistungsbeschreibungen und ihre Bewertungen noch dem Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechen, § 87 Abs 2 Satz 2 SGB V) und die Beigeladene zu erwägen haben, ob die ausschließliche Zuordnung von Neurolysen zum Fachgebiet der Neurochirurgie weiterhin Bestand haben kann (zu entsprechenden Prüfungspflichten im Zusammenhang mit anderen Gebührenpositionen bereits zB BSG SozR 3-5533 Nr 115 Nr 1 S 4, Nr 763 Nr 1 S 5 sowie Nr 2145 Nr 1 S 4). Für eine differenziertere Regelung könnte sprechen, daß - wie oben dargestellt - unter dem Begriff "Neurolyse" in Nr 2935 EBM-Ä ein medizinisches Verfahren verstanden wird, das möglicherweise unter dem Blickwinkel der Belange einer effektiven Schmerztherapie einer genaueren Aufgliederung bedarf. Die Gerichte sind indes zu einer solchen Änderung des ärztlichen Weiterbildungs- und Vergütungsrechts grundsätzlich nicht berufen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG.

Ende der Entscheidung

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