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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 22.03.2006
Aktenzeichen: B 6 KA 44/04 R
Rechtsgebiete: EBM-Ä


Vorschriften:

EBM-Ä Nr 273
EBM-Ä Nr 793
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

in dem Rechtsstreit

Verkündet am 22. März 2006

Az: B 6 KA 44/04 R

Der 6. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 22. März 2006 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Engelmann, die Richter Dr. Clemens und Gasser sowie die ehrenamtliche Richterin Dr. Wiese und den ehrenamtlichen Richter Dr. Korschanowski

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts für das Land Brandenburg vom 10. März 2004 und des Sozialgerichts Potsdam vom 31. Januar 2001 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat der Beklagten ihre außergerichtlichen Kosten für alle Rechtszüge zu erstatten.

Gründe:

I

Streitig ist die Abrechenbarkeit einer vertragsärztlichen Leistung.

Der Kläger ist als Anästhesist zur vertragsärztlichen Versorgung im Bezirk der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) zugelassen. Die Beklagte versagte ihm im Quartal IV/1997 Vergütungen nach Nr 273 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für vertragsärztliche Leistungen <EBM-Ä> (Infusion, intravenös oder in das Knochenmark, von mindestens 10 Minuten Dauer) in den Fällen, in denen er die Infusion über einen Zugang eingebracht hatte, der am selben Tag bereits für eine Dialysebehandlung gelegt und genutzt worden war (224 Ansätze à 130 Punkte = 29.120 Punkte). Sie führte zur Begründung aus, die Vergütung nach Nr 273 EBM-Ä setze das Legen des Zugangs voraus; dieses sei aber schon durch das Honorar für die Dialyse abgegolten.

Das vom Kläger nach erfolglosem Widerspruch angerufene Sozialgericht (SG) hat seiner Klage stattgegeben und die Beklagte verurteilt, ihm die bisher versagten Leistungen nach Nr 273 EBM-Ä nachzuvergüten (Urteil vom 31. Januar 2001). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 10. März 2004). Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beklagte habe den Ansatz der Nr 273 EBM-Ä nicht richtig stellen dürfen. Die Einbringung von Medikamenten durch einen bereits zur Dialyse genutzten Zugang erfülle den Leistungstatbestand der Infusion vollständig, denn das Legen eines Zugangs werde nicht vorausgesetzt. Der Abrechnungsausschluss gemäß der Anmerkung zu Nr 793 EBM-Ä greife nicht ein, weil die Einbringung der Medikamente nicht dem Anlegen, Steuern oder Beenden der Dialyse gedient habe. Auch der Abrechnungsausschluss für Teilleistungen sei nicht einschlägig, weil die Medikamenteninfusion eine vollständige Leistung darstelle, auch wenn nicht speziell dafür ein Zugang gelegt worden sei. Die Regelung der Präambel zu Abschnitt C II EBM-Ä mit der Begrenzung auf die einmalige Berechnung der Nr 273 EBM-Ä im Falle der Nutzung desselben Zuganges für mehrere Injektionen, Infusionen und Transfusionen am gleichen Behandlungstag greife ebenfalls nicht ein, weil die Dialyse keine Injektion oä im Sinne dieser Regelung sei.

Mit ihrer Revision beanstandet die Beklagte eine fehlerhafte Anwendung des EBM-Ä. Sie hat sich nach Vorliegen des Urteils des Bundessozialgerichts (BSG) vom 8. September 2004 (B 6 KA 37/03 R - SozR 4-5533 Nr 273 Nr 1) auf dessen Argumentation bezogen.

Die Beklagte beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts für das Land Brandenburg vom 10. März 2004 und des Sozialgerichts Potsdam vom 31. Januar 2001 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision als unzulässig zu verwerfen,

hilfsweise, die Revision zurückzuweisen.

Er verteidigt das Berufungsurteil. Dem anders lautenden Urteil des BSG vom 8. September 2004 könne nicht gefolgt werden, denn der Leistungstatbestand der Nr 273 EBM-Ä werde bereits durch die Vornahme einer Infusion erfüllt. Gegenteiliges ergebe sich nicht aus der Präambel zu Abschnitt C II EBM-Ä. Diese beschränke nur das Honorar für mehrfache Infusionen über einen bereits vorhandenen Zugang am gleichen Behandlungstag auf den einmaligen Ansatz der Nr 273 EBM-Ä. Die Regelung, die die Vergütung für solche Infusionen lediglich in ihrer Häufigkeit begrenze, zeige zugleich, dass die Vornahme einer Infusion schon als solche grundsätzlich den Tatbestand der Nr 273 EBM-Ä erfülle. Das Legen des Zugangs sei also kein notwendiger Bestandteil des Leistungsinhalts der Nr 273 EBM-Ä.

II

Die Revision der Beklagten ist begründet. Die Urteile des LSG und des SG sind aufzuheben und die Klage ist abzuweisen. Die vorgenommenen sachlich-rechnerischen Richtigstellungen sind rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die von ihm begehrten Vergütungen nach Nr 273 EBM-Ä für Einleitungen von Infusionen über einen bereits vorhandenen Zugang.

Die KÄV ist zu sachlich-rechnerischen Richtigstellungen befugt, soweit ein Vertragsarzt bei seiner Quartalsabrechnung Gebührennummern ansetzt, deren Tatbestand durch seine Leistungen nicht erfüllt ist oder die er aus anderen Gründen nicht in Ansatz bringen darf (zB Fachfremdheit der Leistung oder Leistungsausschluss). Rechtsgrundlage dafür sind § 45 Abs 2 Satz 1 Bundesmantelvertrag-Ärzte in der seit 1. Januar 1995 geltenden und § 34 Abs 4 Satz 2 Ersatzkassenvertrag-Ärzte in der seit 1. Juli 1994 geltenden Fassung, die auf der Grundlage von § 83 Abs 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch <SGB V> (idF des Gesundheits-Reformgesetzes vom 20. Dezember 1988, BGBl I 2477) vereinbart, dann auf der Grundlage des § 83 Abs 1 SGB V (idF des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21. Dezember 1992, BGBl I 2266) geändert wurden. Nach diesen - für die hier betroffene Abrechnung des Quartals IV/1997 maßgeblichen sowie im Primär- und Ersatzkassenbereich im Wesentlichen gleich lautenden - Vorschriften hat die KÄV die Befugnis, die von den Vertragsärzten eingereichten Abrechnungen rechnerisch und gebührenordnungsmäßig zu prüfen und nötigenfalls richtig zu stellen, was auch im Wege nachgehender Richtigstellung erfolgen kann. Dabei kann das Richtigstellungsverfahren von Amts wegen oder auf Antrag einer Krankenkasse durchgeführt werden (vgl BSGE 89, 90, 93 f = SozR 3-2500 § 82 Nr 3 S 6 zum ärztlichen Bereich; ebenso zum zahnärztlichen Bereich BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 5 RdNr 8).

Hiernach war die Beklagte berechtigt, die vom Kläger für das Quartal IV/1997 vorgenommenen Ansätze der Nr 273 EBM-Ä sachlich-rechnerisch richtig zu stellen, soweit die Infusionen über einen Zugang erfolgten, der für am selben Tag durchgeführte Dialysebehandlungen gelegt worden war. Dies ergibt die Auslegung der einschlägigen Leistungsbestimmungen des EBM-Ä. Für deren Auslegung ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats in erster Linie der Wortlaut der Bestimmungen maßgeblich. Dies gründet sich zum einen darauf, dass das vertragliche Regelwerk dem Ausgleich der unterschiedlichen Interessen von Ärzten und Krankenkassen dient und es vorrangig Aufgabe des Bewertungsausschusses selbst ist, Unklarheiten zu beseitigen (vgl BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 5 RdNr 11 mwN; SozR 4-5533 Nr 273 Nr 1 RdNr 7; SozR 4-2500 § 87 Nr 10 RdNr 10). Zum anderen entspricht die primäre Bindung an den Wortlaut dem Gesamtkonzept des EBM-Ä als einer abschließenden Regelung, die keine Ergänzung oder Lückenfüllung durch Rückgriff auf andere Leistungsverzeichnisse bzw Gebührenordnungen oder durch analoge Anwendung zulässt. Nur soweit der Wortlaut eines Leistungstatbestandes zweifelhaft ist und es seiner Klarstellung dient, ist Raum für eine systematische Interpretation im Sinne einer Gesamtschau der in innerem Zusammenhang stehenden vergleichbaren oder ähnlichen Gebührenregelungen. Eine entstehungsgeschichtliche Auslegung kommt ebenfalls nur bei unklaren oder mehrdeutigen Regelungen in Betracht und kann nur anhand von Dokumenten erfolgen, in denen die Urheber der Bestimmungen diese in der Zeit ihrer Entstehung selbst erläutert haben (BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 5 RdNr 11 und Nr 10 RdNr 10, jeweils mwN). Leistungsbeschreibungen dürfen weder ausdehnend ausgelegt noch analog angewendet werden (BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 5 RdNr 11 mwN; SozR 4-5533 Nr 273 Nr 1 RdNr 7).

Diese Grundsätze werden durch die im EBM-Ä selbst enthaltenen Allgemeinen Bestimmungen ergänzt. Nach der Allgemeinen Bestimmung A Nr 1 Satz 2 EBM-Ä ist eine Leistung nicht selbstständig abrechenbar, wenn sie Bestandteil einer anderen abrechenbaren Leistung ist. Wie das BSG wiederholt ausgeführt hat, regelt dieser Abrechnungsausschluss nicht nur den Fall der so genannten Spezialität, bei der ein Leistungstatbestand notwendigerweise zugleich mit einem anderen erfüllt wird. Hierüber hinaus erfasst er auch die Konstellation, dass eine Leistung im Zuge einer anderen typischerweise miterbracht wird und der für sie erforderliche Aufwand im Regelfall hinter dem für die andere Leistung zurücktritt. In diesen Fällen ist die eine Leistung durch die Vergütung für die andere mit abgegolten (BSG, Urteil vom 25. August 1999 - B 6 KA 57/98 R -, MedR 2000, 201, 203; vgl auch BSG SozR 5535 Nr 12 Nr 1 S 2 und 4 sowie BSG SozR 5535 Nr 49 Nr 1 S 3; s zuletzt BSG SozR 4-5533 Nr 273 Nr 1 RdNr 10).

In Anwendung dieser Maßstäbe muss es auch bei Berücksichtigung der Ausführungen des Klägers bei dem Ergebnis des Urteils vom 8. September 2004 bleiben, dass für eine Infusion, die über einen Zugang zur Vene erfolgte, der am selben Tag bereits für eine Dialyse gelegt und genutzt worden war, keine Vergütung nach Nr 273 EBM-Ä beansprucht werden kann (BSG SozR 4-5533 Nr 273 Nr 1 RdNr 6 ff). Wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist und wovon auch das angefochtene Urteil ausgeht, betrifft das Vergütungsbegehren des Klägers allein solche Infusionen, die er zwar wegen anderer Erkrankungen, aber an dem selben Tag und über denselben Zugang vornahm, den er bereits für die Durchführung der Dialyse genutzt hatte. In diesen Fällen besteht über das Honorar für die Dialyse hinaus kein Anspruch, bei Vornahme einer Infusion zusätzlich eine Vergütung nach Nr 273 EBM-Ä zu erhalten. Dies ergibt sich insbesondere aus der Präambel des Abschnitts C II EBM-Ä, die klarstellt, dass die Leistungspositionen für Injektionen, Infusionen und Transfusionen nur einmal je Behandlungstag berechnungsfähig sind, wenn sie über einen bereits liegenden Zugang erfolgen. Diese Leistungen sind somit ohne Legen eines Zugangs insgesamt nur einmal je Behandlungstag abrechenbar, und einzeln sind sie nur dann zu vergüten, wenn auch jeweils ein Zugang gelegt wird (so im Grundsatz auch Köhler/Hess, Kölner Kommentar zum EBM, Stand Juni 2004, Nr 273 Erläuterungen Abs 2 <S 346>, und BSG SozR 4-5533 Nr 273 Nr 1 RdNr 10 aE). Die Vergütung für eine Injektion, Infusion oder Transfusion setzt also grundsätzlich voraus, dass auch der jeweilige Zugang gelegt wird. Wird ein bereits an Vortagen gelegter Zugang genutzt, so wird gemäß der Präambel eine Pauschalvergütung im Sinne eines einmaligen Ansatzes der Leistungsposition je Behandlungstag gewährt (s dazu Wezel/Liebold, Handkommentar zum EBM mit BMÄ und E-GO, Stand Juli 2004, Vorbem vor Nr 251, S 9 C-7). Hiermit wird honoriert, dass die weitere Nutzung eines bereits liegenden Zugangs an folgenden Behandlungstagen insofern einen Zusatzaufwand erfordert, als der Zugang kontrolliert - ggf auch desinfiziert und durchgespült sowie abgedeckt - werden muss.

Die Beklagte versagte daher dem Kläger zu Recht die von ihm abgerechneten Ansätze der Nr 273 EBM-Ä. Denn durch die Vergütung für die Dialyse war das Legen dieses Zugangs mitvergütet worden, wie sich aus der Leistungsbeschreibung der Nr 792 iVm 793 EBM-Ä ergibt (s Nr 793 EBM-Ä, Anmerkung, Satz 3 betr Maßnahmen zum Anlegen der Dialyse). Da diese Leistung also bereits als Bestandteil der Dialyse abgerechnet worden war, konnte sie gemäß der Allgemeinen Bestimmung A Nr 1 Satz 2 des EBM-Ä nicht mehr für den Leistungstatbestand der Nr 273 EBM-Ä herangezogen werden. Es lag auch keine Fallgestaltung vor, die von der Präambel des Abschnitts C II EBM-Ä erfasst wird. Die Infusionen waren nämlich nicht an einem folgenden Behandlungstag über einen bereits an vorangegangenen Tagen gelegten Zugang durchgeführt worden, wofür nach der Präambel für alle Infusionen des Tages zusammen die Nr 273 EBM-Ä einmal zu vergüten wäre.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 Sozialgerichtsgesetz in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden und hier noch anzuwendenden Fassung (vgl BSG SozR 3-2500 § 116 Nr 24 S 115 ff).

Ende der Entscheidung

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