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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 29.09.1999
Aktenzeichen: B 6 KA 45/98 R
Rechtsgebiete: KÄV


Vorschriften:

KÄV
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Verkündet am 29. September 1999

in dem Rechtsstreit

Az: B 6 KA 45/98 R

1.

2.

Kläger und Revisionskläger,

Prozeßbevollmächtigter:

gegen

Kassenärztliche Vereinigung Hamburg, Humboldtstraße 56, 22083 Hamburg,

Beklagte und Revisionsbeklagte,

beigeladen:

Berufungsausschuß für Ärzte - Hamburg -, Humboldtstraße 56, 22083 Hamburg.

Der 6. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 29. September 1999 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Engelmann, die Richter Dr. Wenner und Dr. Clemens sowie die ehrenamtliche Richterin Dr. Dawid und den ehrenamtlichen Richter Dr. Merz

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Klägerin zu 2) gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 4. Februar 1998 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Klägerin zu 2) die außergerichtlichen Kosten für das sozialgerichtliche Verfahren nur der Beklagten zu erstatten hat.

Die Klägerin zu 2) hat der Beklagten die Hälfte der außergerichtlichen Kosten für das Revisionsverfahren zu erstatten. Im übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Gründe:

I

Streitig ist, ob Vertragsärzte von der Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) beanspruchen können, daß diese die Erteilung von Ermächtigungen an Krankenhausärzte anficht.

Der Kläger zu 1) ist als Arzt für Radiologie und Strahlenheilkunde zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Er betreibt eine Praxis, seit 1995 mit strahlentherapeutischem Schwerpunkt, die früher in Form einer Gemeinschaftspraxis, derzeit als Einzelpraxis geführt wird. An der Gemeinschaftspraxis war zuletzt die Klägerin zu 2) - Ärztin für Radiologie - beteiligt. Diese hat zum Ablauf des Jahres 1998 auf ihre Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung verzichtet.

Der Zulassungsausschuß für Ärzte - Hamburg - ermächtigte wiederholt mehrere Krankenhausärzte am Universitäts-Krankenhaus E. und am Allgemeinen Krankenhaus St. G., die als Radiologen und Strahlentherapeuten tätig sind, im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung ambulante strahlentherapeutische Leistungen zu erbringen. Nachdem die Kläger seit Januar 1995 eine strahlentherapeutische Praxis betrieben hatten, bejahten die Zulassungsgremien zwar weiterhin einen Bedarf für die Ermächtigungen der Krankenhausärzte. Sie schränkten die früher unbegrenzten Ermächtigungen der beigeladenen Ärzte jedoch in der Weise ein, daß die strahlentherapeutischen Leistungen im wesentlichen nur auf Überweisung solcher Hamburger Vertragsärzte, die zur Teilnahme an der Onkologie-Vereinbarung berechtigt sind, sowie auf Überweisung durch auswärtige Vertragsärzte erbracht werden konnten. Bestimmte weitere strahlentherapeutische Leistungen durften zudem nur im Anschluß an mehrtägige Tumorbehandlungen und nur bis zum Ablauf des auf die Entlassung folgenden Quartals auf Überweisung durch Vertragsärzte erbracht werden. Die in den Entscheidungen des Zulassungsausschusses enthaltenen Beschränkungen der Ermächtigungen auf bestimmte Fallzahlen pro Quartal hob der beigeladene Berufungsausschuß auf die Widersprüche der Krankenhausärzte, der beklagten KÄV und der Ersatzkassenverbände, mit denen diese das Entstehen von Versorgungslücken geltend gemacht hatten, auf. Diese Maßnahmen hätten sich nicht als geeignetes Mittel zur Steuerung der Versorgung mit strahlentherapeutischen Leistungen erwiesen. Die Ermächtigungen waren bis zum 30. Juni 1997 befristet (Beschlüsse des Berufungsausschusses vom 29. Mai 1996).

Auf die Anträge der Krankenhausärzte hin ermächtigte der Zulassungsausschuß diese mit Beschlüssen vom 18. Juni 1997 für die Zeit vom 1. Juli 1997 bis 30. Juni 2000 im bisherigen Umfang. Die Erstreckung der Ermächtigungen bis zum 30. Juni 2000 sei notwendig, da nicht davon auszugehen sei, daß die speziell von den ermächtigten Ärzten erbrachten Leistungen von den Vertragsärzten sichergestellt werden könnten.

Die Kläger erhoben gegen die Ermächtigungen Widerspruch, den der beigeladene Berufungsausschuß jedoch zurückwies, weil ein Recht einzelner Vertragsärzte auf Schutz vor Konkurrenz durch Krankenhausärzte nicht bestehe. Auch mit ihrer Klage, Berufung und Revision sind sie erfolglos geblieben (vgl BSG, Urteil vom 29. September 1999 - B 6 KA 30/98 R -, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

Nachdem der Zulassungsausschuß am 18. Juni 1997 beschlossen hatte, die Krankenhausärzte wiederum zu ermächtigen, haben die Kläger bei der beklagten KÄV beantragt, daß diese auch ihrerseits Widersprüche gegen die Ermächtigungen erhebe (Schreiben vom 26. Juni 1997). Dies lehnte die Beklagte jedoch ab (Schreiben vom 28. Juli 1997). Hiergegen haben die Kläger das Sozialgericht (SG) angerufen, mit dem Begehren, die Beklagte zur Widerspruchserhebung zu verpflichten. Als die einmonatige Frist für die Erhebung eines Widerspruchs gegen die zwischenzeitlich schriftlich abgefaßten und zugestellten Beschlüsse vom 18. Juni 1997 abgelaufen war, haben die Kläger - mit Schriftsatz vom 25. September 1997 - das Klageverfahren nunmehr mit dem Antrag fortgeführt, daß festgestellt werde, die Beklagte sei verpflichtet gewesen, gegen die Beschlüsse des Zulassungsausschusses Widersprüche einzulegen und die Widerspruchsverfahren durchzuführen. Sie führten dazu aus, es bestehe Wiederholungsgefahr und sie beabsichtigten, wegen des Unterlassens der Widerspruchserhebung Schadensersatz geltend zu machen.

Das SG hat die Klage abgewiesen. In dem Urteil vom 4. Februar 1998 ist ausgeführt, deren Fortführung als Feststellungsklage sei auf der Grundlage des § 55 Sozialgerichtsgesetz (SGG) unbedenklich. Eine Fortsetzungsfeststellungsklage iS des § 131 Abs 1 Satz 3 SGG wäre dagegen problematisch, weil keine Verpflichtungsklage vorgelegen habe, da die begehrte Widerspruchserhebung keinen Verwaltungsakt darstelle. Die Klage sei aber unbegründet. Die Beklagte sei zur Widerspruchserhebung zwar berechtigt, aber nicht verpflichtet gewesen. Die in § 75 Abs 2 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) normierte Aufgabe der KÄVen, die Rechte der Vertragsärzte gegenüber den Krankenkassen wahrzunehmen, umfasse allerdings auch die Rechtswahrnehmung gegenüber den Gremien der sog gemeinsamen Selbstverwaltung. Zur Wahrnehmung jedweder Interessen einzelner Vertragsärzte sei sie jedoch nicht verpflichtet. Sie müsse sich am Gemeininteresse der Vertragsärzteschaft orientieren und auch ihre Aufgabe der Sicherstellung der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung berücksichtigen. Im Falle unterschiedlicher Interessen sei eine Abwägung erforderlich, wobei ihr ein Beurteilungs- und Entscheidungsspielraum zustehe. Gegen Entscheidungen der gemeinsamen Selbstverwaltung brauche sie im Zweifel nicht vorzugehen, weil diesen Gremien gerade die Abwägung gegenläufiger Interessen zugewiesen sei. Der Fall, daß die Ablehnung der Widerspruchserhebung etwa willkürlich sei, liege nicht vor.

Mit ihren (Sprung-)Revisionen haben die Kläger gerügt, das SG hätte ihrem Feststellungsbegehren stattgeben müssen. Zu den Aufgaben der KÄV könne es auch gehören, Einzelinteressen von Vertragsärzten wahrzunehmen. Die Beklagte habe dabei den ihr zustehenden Beurteilungs- und Entscheidungsspielraum überschritten. Wenn die Ermächtigungserteilungen - wie hier - willkürlich seien, gebiete das Interesse der Vertragsärzteschaft, die Beschlüsse anzufechten. Darauf habe der einzelne betroffene Vertragsarzt, dessen Interessen stellvertretend für die der Gesamtärzteschaft stünden, ein subjektives Recht.

Im Verlaufe des Revisionsverfahrens hat der Prozeßbevollmächtigte der Kläger erklärt, daß er die Klägerin zu 2) nicht mehr vertrete. Der Kläger zu 1) hat in der mündlichen Verhandlung - nach Erörterung der Sachlage und Hinweis auf die Senatsentscheidung BSG SozR 3-2500 § 75 Nr 8 - seine Revision zurückgenommen.

Die Klägerin zu 2) beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 4. Februar 1998 aufzuheben und festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet war, gegen die Beschlüsse des Zulassungsausschusses für Ärzte - Hamburg - vom 18. Juni 1997, durch die die Krankenhausärzte Prof. Dr. A., Dr. C., Prof. Dr. H., Dr. J. und Prof. Dr. B. ermächtigt wurden, Widerspruch einzulegen.

Die Beklagte und der Beigeladene beantragen,

die Revision der Klägerin zu 2) zurückzuweisen.

II

Die zulässige Revision der Klägerin zu 2) hat keinen Erfolg.

Die Revision ist nicht dadurch unzulässig geworden, daß der Prozeßbevollmächtigte während des Revisionsverfahrens mitgeteilt hat, die Klägerin zu 2) werde durch ihn nicht mehr vertreten. Er hatte für sie bereits schriftsätzlich, entsprechend den Anforderungen des § 164 Abs 2 Sätze 1 und 3 iVm § 166 SGG, Anträge gestellt und die Revision begründet. Prozeßhandlungen, die ein Prozeßbevollmächtigter vor der Mandatsbeendigung vollzogen hat, bleiben wirksam, auch wenn kein neuer Prozeßbevollmächtigter bestellt wird (stRspr, zB BSG SozR Nr 22 zu § 166 SGG; vgl auch BFHE 126, 506 ff, und BFH, Urteil vom 7. Juli 1992 - VIII R 2/87 -, insoweit in BFHE 168, 322 und BStBl II 1993, 328 nicht veröffentlicht; siehe ferner Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 2. Aufl 1997, Kapitel IX RdNr 255).

Der Zulässigkeit der Revision der Klägerin zu 2) steht auch nicht das Ende ihrer Zulassung als Vertragsärztin entgegen. Dadurch ist die für Rechtsmittel erforderliche Beschwer nicht entfallen. Für das Rechtsmittel eines Klägers genügt nach herrschender Meinung eine formelle Beschwer in dem Sinne, daß die vorinstanzliche Entscheidung seinem Begehren nicht oder jedenfalls nicht in vollem Umfang entsprochen hat (s zB BSGE 43, 1, 2 f = SozR 1500 § 131 Nr 4 S 4 f; vgl auch zB BFHE 120, 348, 352). Im übrigen ist aber auch eine sogenannte materielle Beschwer gegeben. Denn für solche Zulässigkeitsvoraussetzungen kommt es maßgeblich auf den Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels an (vgl BSG SozR 3-1500 § 145 Nr 2 S 3 mwN). Damals war die Klägerin zu 2) noch Vertragsärztin und durch die Ermächtigungen beschwert.

Die Revision der Klägerin zu 2) ist aber unbegründet. Das SG hat ihre Klage zu Recht abgewiesen.

Das für die Feststellungsklage erforderliche Feststellungsinteresse, dessen Vorliegen in jedem Stadium des Verfahrens zu prüfen ist und das bis zur abschließenden letztinstanzlichen Entscheidung vorliegen muß, ist weggefallen. Denn sie ist mit Ablauf des Jahres 1998 aus der vertragsärztlichen Versorgung ausgeschieden, also nicht mehr Vertragsärztin. Nur als solche könnte sie ein rechtliches Interesse an der Feststellung haben, daß die KÄV verpflichtet gewesen sei, Widerspruch gegen Ermächtigungen für Krankenhausärzte zu erheben. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte für ihre mögliche Wiederzulassung und die Wiederaufnahme der strahlentherapeutischen Tätigkeit im Bezirk der Beklagten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG. Einer Kostenentscheidung zugunsten des Beigeladenen steht entgegen, daß nach § 193 Abs 4 SGG öffentlich-rechtliche Institutionen nur als Kläger oder Beklagte Kosten erstattet erhalten können (BSGE 78, 284, 290 f = SozR 3-2500 § 311 S 29 ff). Weil das SG dies bei seiner Kostenentscheidung nicht berücksichtigt hat, hat der Senat dessen Urteil insoweit modifiziert.

Ende der Entscheidung

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