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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 06.02.2008
Aktenzeichen: B 6 KA 7/07 R
Rechtsgebiete: SGB V


Vorschriften:

SGB V § 140a Abs 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

Verkündet am 6. Februar 2008

in dem Rechtsstreit

Az: B 6 KA 7/07 R

Der 6. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 6. Februar 2008 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Engelmann, die Richter Dr. Wenner und Gasser sowie den ehrenamtlichen Richter Dr. Walmuth und die ehrenamtliche Richterin Dr. Pfeiffer für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Beklagten werden das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 13. Dezember 2006 und das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 12. Dezember 2005 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits für alle Rechtszüge.

Gründe:

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Voraussetzungen für den Einbehalt von Gesamtvergütungsanteilen zur Finanzierung von Verträgen der integrierten Versorgung erfüllt sind.

Die beklagte Betriebskrankenkasse trat verschiedenen Verträgen bei, welche die BKK-IKK-Arbeitsgemeinschaft Baden-Württemberg mit Krankenhäusern und Rehabilitationseinrichtungen - jeweils aus dem Bereich der ehemaligen Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) Nord-Württemberg - abgeschlossen hatte. Diese Vereinbarungen sind als Verträge der integrierten Versorgung gemäß §§ 140a ff SGB V bezeichnet. Sie betreffen jeweils die stationäre hüft- und knieendoprothetische Komplexversorgung mit umfassender Behandlung der Patienten unter Einschluss sowohl der Akutbehandlung im Krankenhaus als auch der Anschlussheilbehandlung in einer Rehabilitationseinrichtung. Als Vergütung hierfür sind Komplexfallpauschalen vorgesehen, die sämtliche im Rahmen des Vertrags erbrachte Leistungen - einschließlich derjenigen der kooperierenden Rehabilitationskliniken - abgelten.

Die Beklagte meldete die genannten Verträge als solche der integrierten Versorgung an die von der Deutschen Krankenhausgesellschaft, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und den Spitzenverbänden der Krankenkassen eingerichtete gemeinsame Registrierungsstelle und behielt von den Gesamtvergütungszahlungen, die sie für die Monate Oktober und November 2004 zu entrichten hatte, einen Betrag von 6.800 Euro ein.

Die KÄV Nord-Württemberg, deren Rechtsnachfolgerin seit dem 1.1.2005 die KÄV Baden-Württemberg ist, hat Klage auf Zahlung der ausstehenden Gesamtvergütungsanteile erhoben. Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt (Urteil vom 12.12.2005). Das Landessozialgericht (LSG) hat deren Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 13.12.2006 - juris; Parallelentscheidung veröffentlicht in SGb 2007, 621 = MedR 2007, 318 = GesR 2007, 125). Es ist der Ansicht der Klägerin gefolgt, die von der Beklagten zur Rechtfertigung des Gesamtvergütungseinbehalts in Bezug genommenen Verträge seien keine Integrationsverträge im Sinne des § 140a SGB V. Nach § 140d SGB V stehe die Anschubfinanzierung nur für die Finanzierung von zulässigen Integrationsverträgen zur Verfügung. Dazu gehörten die von der Beklagten angeführten Verträge nicht, weil in ihnen weder eine interdisziplinär-fachübergreifende noch eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende Versorgung gestaltet werde. Eine interdisziplinär-fachübergreifende Versorgung im Sinne der gesetzlichen Regelung liege nicht vor, da keine Kooperation von Hausärzten und Fachärzten oder auch von Fachärzten unterschiedlicher Gebiete erfolge; hierunter falle weder die traditionelle Zusammenarbeit unterschiedlicher Abteilungen innerhalb eines Krankenhauses noch die Einbeziehung nachfolgender Rehabilitationsbehandlungen. Auch eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende Versorgung werde nicht organisiert. Leistungssektoren im Sinne des § 140a SGB V seien die Versorgungssektoren, die das Leistungserbringerrecht in seiner jeweils spezifischen Ausprägung geschaffen habe. Hierzu zählten die akutstationäre Versorgung, die Heil- bzw Hilfsmittelversorgung, die Arzneimittelversorgung sowie die vertragsärztliche und vertragszahnärztliche Versorgung. Für eine sektorenübergreifende Versorgung müsse der vertraglich vereinbarte Versorgungsauftrag mindestens zwei dieser Sektoren umfassen. Den gesetzlichen Regelungen könne nicht entnommen werden, dass die - ambulante oder stationäre - Rehabilitation als eigenständiger Leistungssektor zu qualifizieren sei.

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 140a Abs 1 Satz 1 SGB V. Das Berufungsgericht verkenne, dass als Leistungssektor im Sinne dieser Vorschrift nicht nur die ambulante und stationäre Versorgung, sondern auch die Rehabilitation anzusehen sei. Bei der Krankenhausbehandlung und der Rehabilitation handele es sich zwar um die gleiche Versorgungsstufe, aber um verschiedene Versorgungssektoren. Unterschiede bestünden insbesondere bei den Finanzierungs- und Vergütungssystemen für den Akutbereich einerseits und für den Bereich der stationären Rehabilitation andererseits, aber auch beim Zulassungsverfahren, im Leistungsrecht und im Leistungserbringerrecht. Die Schnittstellenprobleme beim Übergang vom Krankenhaus zur Rehabilitationseinrichtung würden durch Verträge der vorliegenden Art im Sinne der Zielsetzung der §§ 140a ff SGB V überwunden, sodass diese als Verträge der integrierten Versorgung anzuerkennen seien.

Die Beklagte beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 13.12.2006 und des Sozialgerichts Stuttgart vom 12.12.2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das Berufungsurteil für zutreffend und ist darüber hinaus der Ansicht, dass die Abgrenzung zwischen einer interdisziplinär-fachübergreifenden Versorgung und einer Leistungssektoren übergreifenden Versorgung unzulässig verwischt würde, wenn die Versorgung mit Leistungen der Rehabilitation einerseits und sämtliche Leistungsarten des SGB V andererseits als jeweils eigenständige Leistungssektoren behandelt werden. Krankenhäuser und Rehabilitationseinrichtungen stünden gemäß §§ 111, 111b SGB V gemeinsam im stationären Sektor; ihre Verzahnung begründe deshalb keine integrierte Versorgung. Allein die Notwendigkeit eines Schnittstellenmanagements eröffne noch nicht die Möglichkeit, Verträge der integrierten Versorgung im Sinne von § 140a SGB V abzuschließen.

II

Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Berufungsgericht hätte das Urteil des SG aufheben und die Klage abweisen müssen. Die Beklagte war berechtigt, im Hinblick auf die hier zu beurteilenden Verträge Beträge "zur Förderung der integrierten Versorgung" gemäß § 140d Abs 1 Satz 1 SGB V in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GMG vom 14.11.2003, BGBl I 2190) von den Gesamtvergütungszahlungen einzubehalten, die sie für die Monate Oktober und November 2004 gemäß § 85 Abs 1 SGB V zu entrichten hatte. Denn die mit Krankenhäusern und Rehabilitationseinrichtungen abgeschlossenen Verträge erfüllen die Anforderungen der §§ 140a ff SGB V.

1. Wie der Senat grundlegend im Urteil vom 6.2.2008 zum Barmer Hausarztvertrag ausgeführt hat (Az B 6 KA 27/07 R - RdNr 10 - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen), dürfen die von einer Krankenkasse nach § 140d Abs 1 Satz 1 SGB V einbehaltenen Mittel gemäß Satz 3 aaO ausschließlich zur Finanzierung der nach § 140c Abs 1 Satz 1 SGB V vereinbarten Vergütungen verwendet werden. Nach dieser Vorschrift legen die Verträge zur integrierten Versorgung die Vergütung der in diesem Rahmen erbrachten Leistungen fest.

Die Regelung des § 140d Abs 1 SGB V über die Anschubfinanzierung der integrierten Versorgung ist seit ihrem Inkrafttreten zum 1.1.2004 mehrfach geändert worden (vgl Senatsurteil vom 6.2.2008, aaO, RdNr 11). Zum einen ist durch das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz (VÄndG vom 22.12.2006, BGBl I 3439) die ursprünglich bis Ende 2006 befristete Anschubfinanzierung bis Ende 2008 verlängert und die Pflicht zur Rückzahlung nicht zweckentsprechend verbrauchter Mittel bis zum 31.3.2009 aufgeschoben worden. Zum anderen sind durch das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-WSG vom 26.3.2007, BGBl I 378) zum 1.4.2007 in § 140d Abs 1 SGB V die Sätze 2 bis 4 eingefügt worden. Danach dürfen die Mittel der Anschubfinanzierung, bei deren Einsatz die Partner der Integrationsverträge in der Anfangsphase großen Spielraum haben sollten (Begr des Gesetzentwurfs zum GKV-WSG, BT-Drucks 16/3100, S 152, Zu Nr 121, Zu Buchst a, Zu Doppelbuchst aa), nur noch für voll- und teilstationäre Leistungen der Krankenhäuser und für ambulante vertragsärztliche Leistungen verwendet werden, soweit nicht "Aufwendungen für besondere Integrationsaufgaben" betroffen sind.

Über diese Änderungen hinaus sind die Regelungen über die integrierte Versorgung in den §§ 140a bis 140h SGB V idF des GKV-Gesundheitsreformgesetzes 2000 (GKVRefG 2000) vom 22.12.1999 (BGBl I 2626) in einem weiteren Punkt verschärft worden. Diese Bestimmungen waren durch eine enge Verzahnung von Regel- und Integrationsversorgung gekennzeichnet (vgl Senatsurteil vom 6.2.2008, aaO, RdNr 21). Der Sicherstellungsauftrag der KÄVen sollte durch die integrierte Versorgung unberührt bleiben (Begr des Gesetzentwurfs der Regierungsfraktionen, BT-Drucks 14/1245, S 92, Zu § 140b, Zu Abs 6). Deshalb mussten nach § 140b Abs 6 SGB V idF des GKVRefG 2000 die KÄVen Integrationsverträgen zustimmen, soweit Vertragsärzte daran beteiligt waren. Diese "Verschränkung zwischen dem Sicherstellungsauftrag und der einzelvertraglichen Absprache zur integrierten Versorgung" (Begr des Gesetzentwurfs zum GMG, BT-Drucks 15/1525, S 129, Zu Nr 113, Zu Buchst a) hat der Gesetzgeber durch das GMG beseitigt. Nach § 140a Abs 1 Satz 2 SGB V (seit der Neufassung durch das GKV-WSG zum 1.4.2007 Satz 3) ist der Sicherstellungsauftrag der KÄVen eingeschränkt, "soweit die Versorgung der Versicherten nach diesen Verträgen durchgeführt wird". Integrierende Versorgungsformen umfassen nach der Konzeption des Gesetzes regelmäßig die ambulante Versorgung durch Vertragsärzte und die voll- oder teilstationäre Behandlung im Krankenhaus, was zugleich die finanzielle Beteiligung der KÄVen und der Krankenhäuser bei der Bereitstellung der Mittel für die Anschubfinanzierung nach § 140d Abs 1 SGB V rechtfertigt.

Die verschärften Anforderungen an Abschluss und Gegenstand von Verträgen der integrierten Versorgung gelten für die hier zu beurteilenden nicht, weil diese bereits im Jahr 2004 abgeschlossen wurden (vgl Senatsurteil vom 6.2.2008, aaO, RdNr 11, 21). Auch die oben genannte - seit dem 1.4.2007 durch § 140d Abs 1 Satz 2 SGB V enger gefasste - Vorgabe für die Verwendung von Mitteln der Anschubfinanzierung ist auf die hier zu beurteilenden Verträge nicht anzuwenden; denn in § 140d Abs 1 Satz 3 SGB V ist ausdrücklich bestimmt, dass dies nicht für Verträge gilt, die vor dem 1.4.2007 abgeschlossen wurden (hierzu s auch BSG, aaO, RdNr 11).

2. Wie der Senat zur Auslegung und Anwendung der vorgenannten Regelungen ausgeführt hat (BSG, Urteil vom 6.2.2008, aaO, RdNr 12), sind die Krankenkassen auf der Grundlage des § 140d Abs 1 Satz 1 SGB V nur berechtigt, Gesamtvergütungsanteile zur Finanzierung konkreter Integrationsverträge einzubehalten. Das ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit aus der Formulierung der Vorschrift, "soweit die einbehaltenen Mittel zur Umsetzung von nach § 140b geschlossenen Verträgen erforderlich sind". Mit dieser Regelung wäre es nicht vereinbar, wenn Krankenkassen pauschal und ohne näheren Hinweis auf Inhalt und finanzielles Volumen von Integrationsverträgen zunächst Gesamtvergütungsbestandteile einbehielten und allenfalls auf der Grundlage des § 140d Abs 1 Satz 5 SGB V nach drei Jahren (ganz oder anteilig) zurückerstatteten (zutreffend Felix/Brockmann, NZS 2007, 623, 630; insoweit unzutreffend LSG Brandenburg, Beschluss vom 1.11.2004 - L 5 B 105/04 KA ER - MedR 2005, 62).

3. Verträge zur integrierten Versorgung iS des § 140a Abs 1 Satz 1 SGB V können nur über eine "interdisziplinär-fachübergreifende" oder über eine "verschiedene Leistungssektoren übergreifende" Versorgung geschlossen werden.

Der Begriff der interdisziplinär-fachübergreifenden Versorgung setzt eine Kooperation von Hausärzten und Fachärzten (hierzu s Senatsurteil vom 6.2.2008, aaO, RdNr 13) oder von Fachärzten unterschiedlicher Gebiete voraus. Die Kooperationen müssen die Fachgebietsgrenzen des ärztlichen Weiterbildungsrechts überschreiten. Sie müssen zudem im ambulanten Bereich über die traditionelle Zusammenarbeit durch Überweisungen an Ärzte eines anderen Fachgebiets bzw im stationären Bereich über die traditionelle Zusammenarbeit der Abteilungen der unterschiedlichen Fachgebiete innerhalb eines Krankenhauses hinausgehen. Hierfür unzureichend ist insbesondere die Zusammenarbeit zwischen dem Arzt bzw der Abteilung des operierenden Fachgebiets und dem Anästhesisten bzw seinem Fachgebiet, wie sie traditionellerweise ohnehin in jeder Einrichtung stattfindet. Erforderlich ist vielmehr, wie im Urteil des LSG zutreffend ausgeführt ist, ein Konzept längerfristiger, gemeinsam aufeinander abgestimmter Behandlungen von Haus- und Fachärzten oder von Fachärzten unterschiedlicher Gebiete, wobei die Anforderungen im Einzelnen keiner Entscheidung im Rahmen des vorliegenden Verfahrens bedürfen. Das Vorliegen einer dieser Formen interdisziplinär-fachübergreifender Versorgung hat das LSG hinsichtlich der hier zu beurteilenden Verträge im Ergebnis verneint (LSG-Urteil unter C. 2.). Die Beklagte hat dies in ihrer Revisionsbegründung auch nicht mehr angegriffen.

Zu den Voraussetzungen einer "verschiedene Leistungssektoren übergreifenden" Versorgung hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 6.2.2008 Stellung genommen (vgl Senatsurteil, aaO, RdNr 13, 15, 16). Der Begriff der Leistungssektoren iS des § 140a Abs 1 Satz 1 SGB V ist gesetzlich nicht definiert (so Senatsurteil, aaO, RdNr 15 mit Hinweis auch auf die Begr des Gesetzentwurfs zum GMG, BT-Drucks 15/1525, S 129, Zu Nr 113 <§ 140a>, Zu Buchst a). Sein Inhalt ist deshalb nur durch eine am Zweck der integrierten Versorgung orientierte Auslegung zu bestimmen (Beule, Rechtsfragen der integrierten Versorgung, 2003, S 25). Die Zielrichtung dieser Versorgungsform besteht vor allem darin, die starren Grenzen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung zu durchbrechen und den Krankenkassen die Möglichkeit zu eröffnen, außerhalb der bisherigen Regelversorgung eine alternative Versorgungsstruktur zu entwickeln. Es soll eine Verzahnung der verschiedenen Leistungssektoren stattfinden, zum einen, um eine wirtschaftlichere Versorgung zu ermöglichen, zum anderen aber auch, um für die Versicherten die medizinischen Behandlungsabläufe zu verbessern, zB Wartezeiten, Doppeluntersuchungen und Behandlungsdiskontinuitäten zu vermeiden (vgl Baumann <geb. Beule>, JurisPK-SGB V, § 140a RdNr 2). Ausgehend von dieser allgemeinen Zielsetzung des Gesetzes ist der Begriff der "leistungssektorenübergreifenden Versorgung" funktionell zu bestimmen. Ausgangspunkt ist jeweils das Leistungsgeschehen und dessen inhaltlicher Schwerpunkt. "Übergreifend" ist dementsprechend eine Versorgung, die Leistungsprozesse, die in der traditionellen Versorgung inhaltlich und institutionell getrennt sind, nunmehr verknüpft. Behandlungsansatz und Ausrichtung des einzelnen Leistungsprozesses (zB hausärztliche Versorgung, ambulante Versorgung insgesamt, operative Behandlung, medizinische Rehabilitation) geben den entscheidenden Hinweis darauf, ob einzelne Behandlungsmaßnahmen Teil desselben Leistungssektors sind oder unterschiedlichen Sektoren angehören. Eine Operation (zB Implantation eines neuen Gelenks) und die anschließende Rehabilitation (zB Mobilisierung) dienen unterschiedlichen medizinischen Zwecken und sind in der Regelversorgung auch institutionell getrennt. Insoweit betreffen sie (auch) verschiedene Leistungssektoren iS des § 140a Abs 1 SGB V.

Wichtigster Anwendungsfall einer Versorgung, die verschiedene Leistungssektoren miteinander verknüpft, ist die Verzahnung von ambulanten und stationären Behandlungen (vgl Senatsurteil vom 6.2.2008, aaO, RdNr 17). Diese Art von Verknüpfungen wird bei der Erläuterung der Ziele der Integrationsversorgung bereits in der Überschrift besonders hervorgehoben (Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000 <GKV-Gesundheitsreform 2000>, BT-Drucks 14/1245 S 55). Diese Versorgungsstruktur soll "Brücken über die Gräben der Versorgung schlagen". Neben das mehr als 100 Jahre bestehende Versorgungssystem alter Art soll eine Innovation gestellt werden, in der eine bessere, effektivere, die Angebote der Sektoren integrierende und die Ressourcen schonende Versorgung der Versicherten bewirkt wird (von Schwanenflügel, NZS 2006, 285, 287).

Daraus kann allerdings nicht abgeleitet werden, nur solche Verträge seien von § 140a Abs 1 SGB V erfasst, die Leistungen aus den beiden "Hauptsektoren" anbieten (vgl Senatsurteil vom 6.2.2008, aaO, RdNr 18). Vielmehr sind unter Zugrundelegung eines funktionellen Ansatzes sowohl innerhalb des ambulanten als auch innerhalb des stationären Hauptsektors weitere Leistungssektoren zu unterscheiden, die Gegenstand von Integrationsverträgen sein können. Beispiel für ein integriertes Versorgungsangebot ohne Einbeziehung des stationären Sektors ist etwa die Verzahnung von ambulanten Operationen und anschließender Versorgung der Patienten in ambulanten Rehabilitationseinrichtungen. Die Ziele der integrierten Versorgung, nämlich ua die Vermeidung unnötiger Doppeluntersuchungen, von Koordinationsproblemen im Behandlungsablauf und von Wartezeiten, können durch ein derartiges Angebot erreicht werden. Auch innerhalb des stationären Behandlungsbereichs ist eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende Versorgung möglich und bisweilen vom Regelungszweck der Vorschriften für die integrierte Versorgung geboten. So kann etwa die Verknüpfung der Akutbehandlung in einem Krankenhaus - zB Durchführung einer Operation oder Behandlung eines Schlaganfalls - mit der anschließenden medizinischen Rehabilitation in stationären Einrichtungen Gegenstand eines Integrationsvertrages sein. Auch zwischen dem Akutkrankenhaus und dem Träger einer stationären Rehabilitationseinrichtung bestehen im traditionellen Versorgungssystem Schnittstellenprobleme, die im Interesse der betroffenen Patienten durch ein Versorgungsangebot aus einer Hand überwunden werden können.

Über das Erfordernis einer verschiedene Leistungssektoren übergreifenden Versorgung hinaus sind Verträge der in § 140b Abs 1 SGB V - idF des GMG - genannten Vertragspartner nur dann solche der integrierten Versorgung, wenn durch sie auch Leistungen, die bislang Gegenstand der vertragsärztlichen Versorgung sind, künftig ersetzt werden. Das ergibt sich aus der Konzeption der Integrationsversorgung als einer Alternative zur Regelversorgung, wie sie den Vorschriften der §§ 140a bis 140d SGB V seit ihrer Neufassung durch das GMG zugrunde liegt (vgl dazu insbes Senatsurteil vom 6.2.2008, aaO, RdNr 14, 20 ff).

4. Diese Grundsätze bedürfen für den Fall der Verknüpfung verschiedener Leistungsangebote von und mit Krankenhäusern weiterer Differenzierung. Solche Verzahnungen reichen, da - wie unter 2. ausgeführt - eine integrierte Versorgung die Verknüpfung verschiedener Leistungssektoren bedeutet, die in der traditionellen Regelversorgung inhaltlich und institutionell getrennt sind, nur unter bestimmten Voraussetzungen für die Anerkennung als integrierte Versorgung im Sinne der §§ 140a ff SGB V aus.

Eine integrierte Versorgung kann zB - wie schon oben erwähnt - durch Verknüpfung von stationärer Akutbehandlung und stationärer Rehabilitation erreicht werden, weil diese Leistungssektoren in der traditionellen Versorgung inhaltlich und institutionell typischerweise getrennt sind. Diese Trennung ist in den bisherigen Strukturen immer dann gegeben, wenn es sich um unterschiedliche Einrichtungen handelt, sodass sich deren Verknüpfung für eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende Versorgung eignen kann. Aber auch in den selteneren Fällen, in denen ein Träger übergreifend sowohl ein Krankenhaus als auch eine Rehabilitationseinrichtung betreibt, können Verknüpfungen dieser unterschiedlichen Angebote eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende Versorgung im Sinne einer integrierten Versorgung gemäß §§ 140a ff SGB V bilden. Denn Art und Inhalt der jeweils zu erbringenden Leistungen sind im Krankenhaus einerseits und in der Rehabilitationseinrichtung andererseits unterschiedlich; insoweit werden im Übrigen im Regelfall auch verschiedene Leistungserbringer tätig, selbst wenn einzelne Personen in beiden Bereichen zum Einsatz kommen sollten.

Unzureichend für eine integrierte Versorgung ist es im Regelfall dagegen, wenn innerhalb eines Krankenhauses nur die stationär und die ambulant erbrachten ärztlichen Behandlungen miteinander verknüpft werden, wie in den Senatsurteilen vom 6.2.2008 in den Verfahren B 6 KA 5/07 R und B 6 KA 6/07 R mit näheren Ausführungen dargelegt ist.

5. Unter Zugrundelegung dieser Differenzierungen ergibt sich, dass die hier zu beurteilenden Verträge die Voraussetzungen einer verschiedene Leistungssektoren übergreifenden Versorgung im Sinne der §§ 140a ff SGB V erfüllen. Diese Verträge, bei denen Vertragspartner der Beklagten jeweils sowohl ein Krankenhaus bzw ein Krankenhausverbund als auch eine Rehabilitationseinrichtung sind, verknüpfen - für die Fälle stationärer hüft- bzw knieendoprothetischer Versorgung - die Bereiche der Akutbehandlung und der stationären Rehabilitation, die in der traditionellen Versorgung typischerweise inhaltlich und institutionell getrennt sind. Sie regeln insoweit eine umfassende Behandlung der Patienten. Als Vergütung hierfür sind jeweils Komplexfallpauschalen vereinbart, die sämtliche im Rahmen des Vertrags erbrachten Leistungen - einschließlich derjenigen der kooperierenden Rehabilitationskliniken - abgelten.

Von diesem Inhalt her regeln die Verträge jeweils eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende Versorgung im Sinne einer integrierten Versorgung gemäß §§ 140a ff SGB V.

6. Aus der Anerkennung der Verträge als integrierte iS der §§ 140a ff SGB V folgt, dass die Beklagte berechtigt war, Teile der von ihr zu entrichtenden Gesamtvergütungszahlungen einzubehalten. Die Höhe von 6.800 Euro für die Monate Oktober und November 2004 ergibt sich aus den Angaben der Beteiligten und den von ihnen eingereichten Unterlagen. Anhaltspunkte für Unrichtigkeiten der Berechnung sind nicht zu erkennen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung von § 154 Abs 1 Verwaltungsgerichtsordnung.

Ende der Entscheidung

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