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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 20.01.1999
Aktenzeichen: B 6 KA 82/97 R
Rechtsgebiete: SGB V


Vorschriften:

SGB V § 120 Abs 1 Satz 1
SGB V § 120 Abs 3 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Verkündet am 20. Januar 1999

in dem Rechtsstreit

Az: B 6 KA 82/97 R

Kläger und Revisionskläger,

Prozeßbevollmächtigte:

gegen

Kassenärztliche Vereinigung Südwürttemberg, Haldenhaustraße 11, 72770 Reutlingen,

Beklagte und Revisionsbeklagte.

Der 6. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 20. Januar 1999 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Engelmann, die Richter Kruschinsky und Dr. Clemens sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. Birkner und Dr. Bluttner

für Recht erkannt:

Auf die Revision des Klägers werden die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. Oktober 1997 und des Sozialgerichts Reutlingen vom 28. Februar 1996 aufgehoben und die Beklagte unter Aufhebung der Honorarbescheide für die Quartale I bis III/1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Mai 1994 und für die Quartale IV/1993 bis III/1995 verpflichtet, über die Vergütungsansprüche des Klägers für diese Quartale unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden.

Die weitergehende Revision des Klägers wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten für alle Rechtszüge zu erstatten.

Gründe:

I

Das klagende Universitätsklinikum begehrt von der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) eine höhere Vergütung für die Leistungen seiner Abteilung Klinische bzw Medizinische Genetik in den Quartalen I/1993 bis III/1995.

Die Abteilung - damals noch: Klinische Genetik - war bis Ende 1991 als Poliklinik gemäß § 117 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zur ambulanten Behandlung von Versicherten und ab 1992 als ärztlich geleitete Einrichtung gemäß § 31 Abs 1 Buchst a Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) - auch noch über das Jahr 1995 hinaus - ermächtigt (Beschlüsse des Zulassungsausschusses und der Beteiligungskommission vom 25. März 1992). Die Ermächtigung erstreckte sich darauf, auf Überweisung humangenetische Leistungen sowie genetische Beratungen durchzuführen, sofern sie aus ambulanter klinischer Behandlung sowie durch im KÄV-Bezirk an der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Ärzte veranlaßt waren, und später auf genetische Beratungen von Versicherten auch mit Wohnsitz andernorts in Baden-Württemberg. Die Ermächtigungsbeschlüsse lauteten dahin, daß die Vergütung pauschaliert werden könne (so im Primärkassenbereich) bzw 90 % der Vergütung nach den für Vertragsärzte geltenden Grundsätzen betrage (so im Ersatzkassenbereich).

Während für die Jahre bis 1991 in den Vergütungsverträgen, die die Beklagte mit den Krankenkassen bzw ihren Verbänden abgeschlossen hatte, Pauschalen je poliklinischem Behandlungsfall festgelegt und im Jahr 1992 Einzelleistungsvergütungen - mit einer Absenkung gegenüber dem Bewertungsmaßstab für kassenärztliche Leistungen (BMÄ) und der Ersatzkassen-Gebührenordnung (E-GO) um 10 % - vereinbart waren, sahen die am 17. August 1993 abgeschlossenen Verträge für die Jahre von 1993 bis 1995 Gesamtpauschalen vor, deren Summe unabhängig von der Fallzahl war.

Gegen die Honorarbescheide, die die Beklagte auf der Grundlage dieser Verträge für die Quartale I/1993 bis III/1993 erließ (Bescheide vom 15. Juli 1993 und 17. Januar 1994), erhob der Kläger jeweils Widerspruch mit dem Begehren nach höherer Vergütung. Diese Widersprüche wies die Beklagte zurück (Bescheid vom 31. Mai 1994).

Das vom Kläger angerufene Sozialgericht (SG) hat die weiteren Honorarbescheide für die Quartale IV/1993 bis III/1995 in sein Verfahren einbezogen. Es hat die Klagen gegen alle Honorarbescheide abgewiesen (Urteil vom 28. Februar 1996).

Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) der Berufung teilweise stattgegeben und sie im übrigen - überwiegend - abgewiesen. In dem Urteil vom 22. Oktober 1997 ist ausgeführt, die Vereinbarungen vom 17. August 1993 seien wirksam zustande gekommen; sie hätten auch mit Rückwirkung ab dem 1. Januar 1993 abgeschlossen werden können. Daß der Kläger nicht beteiligt worden sei, hindere die Verbindlichkeit für sie nicht. In den Verträgen habe die Vergütung gemäß § 120 Abs 3 SGB V pauschaliert werden können. Dies gelte gleichermaßen für Polikliniken wie für ermächtigte ärztlich geleitete Einrichtungen, so daß die Statusänderung ab 1992 unerheblich sei. Zu beanstanden sei lediglich die Einzelberechnung des als Bezugsgröße dienenden Budgets 1991.

Der Kläger macht mit der vom LSG zugelassenen Revision geltend, bei der Pauschalierung gemäß § 120 Abs 3 SGB V habe nicht an das Vergütungsvolumen des Jahres 1991 angeknüpft werden dürfen. Er nehme seit 1992 mit einem anderen Status - als ermächtigte ärztlich geleitete Einrichtung - an der kassen- bzw vertragsärztlichen Versorgung teil. Ihm müsse auch zugute kommen, daß seine Leistungen unverzichtbar seien, wie sich aus der Tatsache seiner Ermächtigung ergebe. Wegen der grundsätzlichen Gleichstellung ermächtigter und zugelassener Leistungserbringer müßten ihm entsprechend den für Vertragsärzte geltenden Grundsätzen Vergütungen nach Art und Umfang seiner Leistungen gewährt werden. § 120 Abs 3 SGB V dispensiere insoweit nicht von den nach Abs 1 Satz 1 zu beachtenden vertragsärztlichen Vergütungsgrundsätzen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. Oktober 1997, soweit es seine Berufung zurückgewiesen hat, und das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 15. Juli 1993 sowie die Honorarbescheide für die Quartale I bis III/1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Mai 1994 und für die Quartale IV/1993 bis III/1995 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine zusätzliche Vergütung von 543.527,75 DM zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das Berufungsurteil für zutreffend. Fehl gehe die Meinung des Klägers, wegen der mit Wirkung ab 1. Januar 1992 erteilten Ermächtigung als ärztlich geleitete Einrichtung habe nicht an das Vergütungsvolumen des Jahres 1991 angeknüpft werden dürfen. Die Abteilung habe schon 1991 auch den allgemeinen Versorgungsbedarf sichergestellt. Die Art und Weise der Pauschalierung, nämlich ohne Rücksicht auf die Zahl der Behandlungsfälle, sei nicht zu beanstanden.

II

Die Revision des klagenden Universitätsklinikums hat im wesentlichen Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile und der angefochtenen Honorarbescheide für die Quartale I/1993 bis III/1995. Diese sind entgegen der Auffassung des LSG und SG rechtswidrig.

Dem Begehren der beklagten KÄV, daß auch über die Honorarbescheide für die weiteren Quartale ab IV/1995 entschieden werde, kann nicht entsprochen werden (§ 168 Satz 1, § 171 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>).

Die Rechtswidrigkeit der Honorarbescheide für die Quartale I/1993 bis III/1995 folgt daraus, daß die der Vergütungsberechnung zugrunde gelegten Verträge nicht den Anforderungen des § 120 Abs 3 Satz 1 iVm Abs 1 Satz 1 SGB V entsprechen. Da es sich bei den Verträgen um sog Normsetzungsverträge handelt, die unmittelbare Wirkung gegenüber den leistungserbringenden Krankenhäusern bzw ärztlich geleiteten Einrichtungen entfalten (vgl BSGE 76, 48, 51 f = SozR 3-2500 § 120 Nr 5 S 29), werden sie auf Klage eines Normunterworfenen gegen einen auf sie gestützten Verwaltungsakt inzident überprüft, ohne daß es des Rückgriffs darauf bedarf, ob ein Verbotsgesetz iS des § 58 Abs 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) iVm § 134 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) vorliegt.

Nach § 120 Abs 1 Satz 1 SGB V werden die im Krankenhaus erbrachten ambulanten ärztlichen Leistungen der ermächtigten Krankenhausärzte, Polikliniken und sonstiger ermächtigter ärztlich geleiteter Einrichtungen nach den für Vertragsärzte geltenden Grundsätzen aus der vertragsärztlichen Gesamtvergütung vergütet. Nach § 120 Abs 3 Satz 1 SGB V kann die Vergütung pauschaliert werden.

Die Pauschalierung kann, wie der Senat bereits ausgeführt hat, im Wege gesamtvertraglicher Vereinbarung geregelt werden, wobei die betroffene Institution nicht beteiligt zu werden braucht (BSGE 76, 48, 51 = SozR 3-2500 § 120 Nr 5 S 28/29; vgl auch BSGE aaO S 52 = SozR aaO S 29/30 zur Nichtbeteiligung der Leistungserbringer).

Inhaltlich besteht für die Pauschalierung ein weiter Spielraum, der aber nicht unbegrenzt ist (vgl BSG SozR 3-2500 § 120 Nr 8 S 42 mwN). Die Regelung des § 120 Abs 3 SGB V steht unter der Vorgabe des Abs 1 Satz 1, wonach die von der Institution erbrachten ambulanten ärztlichen Leistungen nach den für Vertragsärzte geltenden Grundsätzen vergütet werden (zum Zusammenhang von Abs 3 mit Abs 1 Satz 1 vgl zB BSGE 76, 48, 51 = SozR 3-2500 § 120 Nr 5 S 29 und BSG SozR aaO Nr 6 S 34). Dies bedeutet, daß Pauschalierungen die für die vertragsärztliche Vergütung geltenden Grundsätze nicht völlig außer acht lassen dürfen (vgl auch H. Heinze, in: Gesamtkommentar Sozialversicherung, Bd 3 - SGB V -, § 120 SGB V Anm 5). Deren Kernstück ist die Verteilung der Gesamtvergütung nach Art und Umfang der Leistungen (§ 85 Abs 4 Satz 3 SGB V), auch soweit durch Honorarverteilungsregelungen die Vergütung budgetiert werden kann. So kann zB in Anlehnung an den typischerweise anfallenden Umfang der Leistungen pro Fall im Rahmen des § 120 Abs 3 Satz 1 SGB V eine Berechnung der Vergütung nach Kopf- oder Fallpauschalen vereinbart werden (vgl BSGE 76, 48, 51 = SozR aaO Nr 5 S 29 mit Hinweis auf § 85 Abs 2 Satz 2 SGB V).

Diesen Maßstäben werden die Vergütungsverträge, die die beklagte KÄV und die Krankenkassen bzw ihre Verbände am 17. August 1993 für die Vergütung der Leistungen der Abteilung Klinische bzw Medizinische Genetik - einer ermächtigten ärztlich geleiteten Einrichtung - abgeschlossen haben, nicht gerecht. Die Vereinbarung der Pauschalen für die Vergütung der Leistungen des klagenden Universitätsklinikums entspricht nicht den gesetzlichen Vorgaben.

In den Verträgen wird die Vergütung der in den Jahren 1993 bis 1995 von der Abteilung Klinische bzw Medizinische Genetik erbrachten ambulanten vertragsärztlichen Leistungen festgelegt (§ 5 Abs 1 und 2). Die Bestimmung des § 2 Abs 1 der Verträge, wonach die Leistungen nach den für Vertragsärzte geltenden Grundsätzen in Form vierteljährlicher Pauschbeträge je Behandlungsfall vergütet werden, stellt lediglich eine Rahmenregelung dar. Die reale Höhe der Vergütung ergab sich erst aus § 2 Abs 2. Darin war für die Leistungen eines jeden Jahres eine Gesamtpauschale vorgesehen. Deren Höhe richtete sich nach dem Vergütungsvolumen für 1991 in Verbindung mit Steigerungen für die Folgejahre entsprechend den Steigerungen der beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder der Krankenkassen, der sog Bruttogrundlohnsumme (§ 2 Abs 2 Satz 2). Aus dem Gesamtbetrag errechnete sich mittels Division durch die Fallzahlen die jeweilige Pauschale pro Behandlungsfall (§ 2 Abs 2 Satz 3). Aufgrund dieser Bestimmungen war die Höhe der Gesamtpauschale unabhängig von der Zahl der Behandlungsfälle. Dementsprechend sank die sog Fallpauschale mit Zunahme der Fallzahl. Beispielsweise führte die Erhöhung der Fallzahl auf ein Mehrfaches dazu, daß die Vergütung je Fall auf einen Bruchteil sank. Damit fehlt der vereinbarten Pauschale der Bezug zu Art und Umfang der Leistungen und damit zu den für Vertragsärzte geltenden Vergütungsgrundsätzen. Im Ergebnis wird die Vergütung für die vom Kläger erbrachten Leistungen budgetiert. Eine derartige Budgetierung ohne Anknüpfung an das tatsächliche Behandlungsaufkommen könnte nur bei Vorliegen eines rechtfertigenden Grundes akzeptiert werden, so beispielsweise dann, wenn davon ausgegangen werden konnte, die Fallzahl werde ungefähr konstant bleiben, oder wenn bei Steigerungen der Fallzahl anzunehmen war, daß dies auf dem willkürlichen eigenen Verhalten des Klägers bzw seiner Abteilung für Genetik beruhe und dieses Risiko daher von ihm zu tragen sei (zu solchem Gesichtspunkt vgl BT-Drucks 11/2237 zu § 129 Abs 3, S 203). Derartige Umstände sind aber weder im Berufungsurteil festgestellt noch von einem der Beteiligten geltend gemacht worden. Im Gegenteil war die Ermächtigung auf die Behandlung von Überweisungsfällen begrenzt, was gegen die Möglichkeit spricht, daß der Kläger - bzw seine Abteilung für Genetik - Fallzahlsteigerungen selbst bewirken konnte (vgl zu diesem Gesichtspunkt BSG, Urteil vom 9. September 1998 - B 6 KA 55/97 R - S 7 und 9, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen).

Bei dieser Sachlage ist ein rechtfertigender Grund, lediglich Vergütungs-Gesamtbeträge für die Leistungen in den Jahren 1993 bis 1995 unabhängig von der Zahl der Behandlungsfälle festzulegen und damit das Risiko der Fallzahlerhöhung auf den Kläger zu verlagern, nicht erkennbar. Dementsprechend ist die Vergütungsregelung mit dem Wesen der für Vertragsärzte geltenden Vergütungsgrundsätze nicht vereinbar und hält sich damit nicht mehr in dem nach § 120 Abs 3 Satz 1 SGB V bestehenden Rahmen für Pauschalierungen.

Die wegen des Verstoßes gegen § 120 Abs 3 Satz 1 SGB V unwirksamen Vergütungsregelungen sind neu zu vereinbaren. Auf deren Grundlage sind von der Beklagten neue Honorarbescheide zu erlassen.

Soweit der Kläger über eine Neubescheidung hinausgehend die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung eines konkreten zusätzlichen Betrages begehrt, ist seine Revision zurückzuweisen. Die Zuerkennung einer höheren Vergütung setzt, wie ausgeführt, eine entsprechende neue Regelung voraus.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und Abs 4 SGG.

Ende der Entscheidung

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