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Gericht: Bundessozialgericht
Beschluss verkündet am 28.01.2004
Aktenzeichen: B 6 KA 95/03 B
Rechtsgebiete: SGG
Vorschriften:
SGG § 160 Abs 2 Nr 3 | |
SGG § 151 Abs 1 |
BUNDESSOZIALGERICHT Beschluss
in dem Rechtsstreit
Az: B 6 KA 95/03 B
Der 6. Senat des Bundessozialgerichts hat am 28. Januar 2004 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Engelmann, die Richter Dr. Wenner und Dr. Clemens sowie die ehrenamtliche Richterin Dr. Wiese und den ehrenamtlichen Richter Dr. Korschanowski
beschlossen:
Tenor:
Auf die Beschwerde der Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 8. April 2003 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe:
I
Zwischen der als Psychologische Psychotherapeutin zur vertragspsychotherapeutischen Versorgung zugelassenen Klägerin und der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) ist die Höhe des Honorars in den Quartalen I/1999 bis IV/1999 umstritten.
In dem nach erfolglosem Widerspruchsverfahren eingeleiteten Klageverfahren hat die Klägerin insoweit obsiegt, als das Sozialgericht (SG) die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verpflichtet hat, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. In dem unter dem Aktenzeichen (Az) S 14 KA 533/00 (SG Kiel) geführten Klageverfahren ist der Beklagten am 5. März 2002 ein Urteil vom 31. Oktober 2001 mit dem Az S 14 KA 537/00 betreffend den Kläger Heiko B. zugestellt worden. Nachdem der Bevollmächtigte der Klägerin, dem ebenfalls ein entsprechendes Urteil zugestellt worden war, das Gericht auf den Fehler aufmerksam gemacht hatte, hat der Vorsitzende der 14. Kammer des SG Kiel unter dem Az S 14 KA 533/00 beschlossen, das Urteil zu berichtigen sowie Az und Klägername zu ersetzen. Zugleich sind die Beteiligten aufgefordert worden, die ihnen zugestellten Urteilsausfertigungen an das Gericht "zum Zwecke der Berichtigung" zu übersenden (Beschlüsse und Verfügung vom 12. März 2002, der Beklagten am 28. März 2002 zugestellt). Die Beklagte übersandte daraufhin unter dem 4. April 2002 das Urteil "zwecks Berichtigung" an das Gericht. Gegen das ihr am 16. Mai 2002 in der berichtigten Fassung zugeleitete Urteil richtet sich die am 17. Juni 2002 (Montag) beim Berufungsgericht eingegangene Berufung der Beklagten.
Das Landessozialgericht (LSG) hat diese als unzulässig verworfen, weil die Berufungsfrist des § 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht gewahrt sei. Das Urteil vom 31. Oktober 2001 sei der Beklagten am 5. März 2002 zugestellt worden. Zwar sei die zugestellte Urteilsausfertigung fehlerhaft gewesen und die Beklagte habe wunschgemäß die ihr ursprünglich zugestellte Ausfertigung dem Gericht zur Berichtigung zurückgesandt. Die Berufungsfrist habe jedoch spätestens mit Zustellung des Berichtigungsbeschlusses am 28. März 2002 zu laufen begonnen und sei deshalb am Montag, dem 29. April 2002, abgelaufen. Die Berufung vom 17. Juni 2002 habe die Frist nicht gewahrt (Urteil vom 8. April 2003 - zugestellt am 4. August 2003 -).
Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht die Beklagte als Verfahrensmangel (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG) geltend, das Berufungsgericht habe ihre Berufung zu Unrecht als verfristet angesehen. Die Frist des § 151 Abs 1 SGG habe erst mit Zustellung des berichtigten Urteils am 16. Mai 2002 zu laufen begonnen und sei durch ihre am Montag, dem 17. Juni 2002, bei Gericht eingegangene Berufung gewahrt worden.
II
Die Beschwerde der Beklagten ist zulässig und begründet.
Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zu Unrecht als unzulässig verworfen. Die Frist des § 151 Abs 1 SGG, wonach die Berufung bei dem LSG innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen ist, hat die Beklagte durch ihre Berufung vom 17. Juni 2002 gewahrt. Die für sie maßgebliche Berufungsfrist lief erst am Montag, dem 17. Juni 2002 (§ 64 Abs 3 SGG), ab, weil die den Lauf der Berufungsfrist auslösende Zustellung (§ 135 SGG) erst am 16. Mai 2002 erfolgt ist.
Die am 5. März 2002 erfolgte Zustellung des Schriftstücks mit dem Az S 14 KA 537/00, das ein am 31. Oktober 2001 verkündetes Urteil in dem Rechtsstreit eines Heiko B. betrifft, hat die Berufungsfrist ebenso wenig in Lauf gesetzt wie die Zustellung des Berichtigungsbeschlusses vom 12. März 2002. Der Senat kann offen lassen, ob die Zustellung des genannten Schriftstücks unter dem Az S 14 KA 537/00 überhaupt als wirksame Zustellung des Urteils im hier betroffenen Verfahren S 14 KA 533/00 anzusehen ist. Bei wesentlichen Zustellungsmängeln wird die Rechtsmittelfrist nicht in Gang gesetzt (vgl Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage, 2002, § 151 RdNr 7; derselbe in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner [Hrsg], Verwaltungsgerichtsordnung, Stand Januar 2000, § 124a RdNr 30). Ein solcher Zustellungsmangel kann bei wesentlichen Mängeln der Urteilsausfertigung vorliegen, so zB, wenn das Urteil ua das Aktenzeichen, unter dem das Verfahren geführt worden ist, und die Beteiligten nicht korrekt wiedergibt, wie das hier der Fall gewesen ist. Jedenfalls hat die Berufungsfrist erst mit Zustellung des berichtigten Urteils zu laufen begonnen, weil das Gericht selbst noch während des ersten Monats nach Zustellung des fehlerhaften Schriftstücks mit Verfügung vom 12. März 2002 die Beteiligten aufgefordert hat, die ihnen übersandten Ausfertigungen zum Zwecke der Berichtigung an das Gericht zurückzusenden.
Allerdings hat die Berichtigung eines Urteils wegen offenbarer Unrichtigkeit im Sinne des § 138 Satz 1 SGG regelmäßig keinen Einfluss auf den Beginn und Lauf von Rechtsmittelfristen. Die Berichtigung ändert an dem Beginn der durch die Zustellung der unberichtigten Fassung in Lauf gesetzten Rechtsmittelfrist nichts (BGHZ 89, 184, 186; BGH NJW 2003, 2991, 2992; einschränkend BGHZ 113, 228, 231 jeweils zu § 319 ZPO; Zöller/Vollkommer, ZPO, 24. Auflage, 2004, § 319 RdNr 25; Meyer-Ladewig, SGG, aaO, § 138 RdNr 4b; Kopp/Schenke, VwGO, 13. Auflage, 2003, § 118 RdNr 11). Abweichend von diesem Grundsatz beginnt mit der Zustellung des Berichtigungsbeschlusses bzw der erneuten Zustellung des berichtigten Urteils eine neue Rechtsmittelfrist, wenn die unberichtigte Urteilsfassung nicht klar genug war, um die Grundlage für die Entschließungen und das weitere Handeln der Partei zu bilden (Zöller/Vollkommer, aaO, RdNr 25), oder wenn erst die berichtigte Urteilsfassung zweifelsfrei erkennen lässt, gegen wen das Rechtsmittel zu richten ist (BGHZ 113, 228, 231). Dasselbe gilt, wenn das Gericht die Unrichtigkeit bemerkt und die Urteilsausfertigungen zum Zwecke der Berichtigung zurückfordert. In einer solchen Situation können die Beteiligten den Eingang der berichtigten Ausfertigung abwarten und dann innerhalb der Monatsfrist des § 151 Abs 1 SGG prüfen, ob Rechtsmittel eingelegt werden sollen (vgl BVerwG, Beschluss vom 22. März 1991 - 7 B 30.91 - DVBl 1992, 775, 776; Meyer-Ladewig, aaO, § 151 RdNr 7; Kopp/Schenke, aaO, § 118 RdNr 11). Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat dies damit begründet, dass in einer Situation, in der das Gericht selbst die zugestellten Ausfertigungen von den Beteiligten zurückerbittet, für diese nicht erkennbar ist, wie wesentlich die Berichtigungen seien würden. Daher hätten insbesondere die Bevollmächtigten der Beteiligten keinen Anlass, die zurückerbetenen Urteilsausfertigungen ihrerseits zu vervielfältigen, um die Prüfung zu ermöglichen, ob und mit welcher Begründung ein zulässiges Rechtsmittel eingelegt werden sollte. Die Rechtsmittelfrist, die auch eine Überlegungsfrist darstelle, würde nicht unerheblich verkürzt, wenn man sie bereits von der Zustellung der unrichtigen Ausfertigung an laufen ließe (BVerwG, aaO, S 776). In allen Verfahrensordnungen ist der Grundsatz anerkannt, dass sich Fehler des Gerichts nicht in der Weise auswirken dürfen, dass die Rechtsmittelmöglichkeiten der Beteiligten beeinträchtigt oder gar vereitelt werden (vgl BGHZ 113, 228, 231). Auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten darf der Rechtsmittelzugang nicht unzumutbar erschwert werden (vgl Zöller/Vollkommer, aaO, RdNr 25a), insbesondere dann nicht, wenn die eingetretenen Komplikationen in der Sphäre des Gerichts ihre Ursache haben. Nach diesen Grundsätzen hatte die Beklagte, nachdem sie vom SG aufgefordert worden war, die ihr am 5. März 2002 zugestellte Ausfertigung des Urteils vom 31. Oktober 2001 zum Zwecke der Berichtigung an das Gericht zurückzusenden, keinen Anlass, vor Zustellung des berichtigten Urteils Rechtsmittel einzulegen.
Die Auffassung des Berufungsgerichts, zumindest die Zustellung des Berichtigungsbeschlusses am 28. März 2002 habe die Frist des § 151 Abs 1 SGG in Lauf gesetzt, trifft nicht zu. Der Berichtigungsbeschluss des Kammervorsitzenden vom 12. März 2002, der keine gesetzliche Grundlage nennt, hat die Beklagte nicht veranlassen können, von sich aus gleichsam eine korrekte und vollständige Urteilsausfertigung zu erstellen, indem sie Az, Rubrum und Tenor des Verfahrens S 14 KA 533/00 mit dem ihr unter dem Az S 14 KA 537/00 zugestellten Schriftstück in Sachen Heiko B. kombiniert. Bei Fehlern im Az und der Angabe der Beteiligten handelt es sich nicht um Schreib- oder Rechenfehler oder eine ähnliche offenbare Unrichtigkeit iS des § 138 SGG, die für jeden Beteiligten offensichtlich und deren Korrektur eine reine Förmlichkeit ist. Das ergibt sich hier schon daraus, dass das LSG als Rechtsgrundlage für den Berichtigungsbeschluss des SG § 139 SGG annimmt, was sich aus der Änderung des Beschlusses des SG vom 12. März 2002 durch den Kammervorsitzenden am 13. Mai 2002 ergeben soll. Es ist nicht erkennbar, wie ein gerichtlicher Beschluss vom 12. März 2002, der am 28. März 2002 zugestellt worden ist, der aber in seinem wesentlichen Inhalt (Auswechslung der Rechtsgrundlage) durch Beschluss vom 13. Mai 2002 geändert worden ist, die Berufungsfrist in Lauf setzen kann, obwohl der Beklagten erst am 16. Mai 2002 eine hinsichtlich Az und Rubrum zutreffende Urteilsausfertigung zugestellt worden ist. Die allgemeinen Erwägungen des Berufungsgerichts hinsichtlich der Vertrautheit der Beklagten mit den Sachproblemen der die angemessene Vergütung psychotherapeutischer Leistungen betreffenden Streitigkeiten sind in diesem Zusammenhang unerheblich.
Nach § 160a Abs 5 SGG in der seit dem 2. Januar 2002 geltenden Fassung des 6. SGG-Änderungsgesetzes vom 17. August 2001 (BGBl I 2144, 2150) kann das Bundessozialgericht im Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen, wenn die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliegen. Das ist hier der Fall, weil das Urteil des LSG - Verwerfung der Berufung der Beklagten als unzulässig - auf der unzutreffenden Annahme beruht, die Berufung der Beklagten sei nicht fristgemäß eingelegt worden. Der Senat macht von der Zurückverweisungsmöglichkeit Gebrauch. Das LSG wird bei seiner erneuten Entscheidung auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.
Ende der Entscheidung
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