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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 29.01.2008
Aktenzeichen: B 7/7a AL 20/06 R
Rechtsgebiete: MTV


Vorschriften:

MTV § 4.4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

Verkündet am 29. Januar 2008

in dem Rechtsstreit

Az: B 7/7a AL 20/06 R

Der 7. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 29. Januar 2008 durch den Vorsitzenden Richter Eicher, die Richter Dr. Koloczek und Coseriu sowie den ehrenamtlichen Richter Kovar und die ehrenamtliche Richterin Geppert

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 13. Juli 2005 aufgehoben und die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 19. November 2003 zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

Gründe:

I

Der Rechtsstreit betrifft die Zahlung von Struktur-Kurzarbeitergeld (Struktur-KuG) ab 1. Oktober 2001 für neun Arbeitnehmer.

Die Klägerin ist ein Komplettanbieter im Bereich von Transfer-, Qualifizierungs-, und Personaldienstleistungen; ein Betriebsrat existiert nicht. Am 12. September 2001 beantragte sie Struktur-KuG für Arbeitnehmer der Firma A. GmbH, die in einer unter ihrer Trägerschaft zu bildenden betriebsorganisatorisch eigenständigen Einheit (beE) zusammengefasst werden sollten. Zuvor war am 3. September 2001 zwischen der A. GmbH, ihrem Betriebsrat und der Industriegewerkschaft Metall (IG Metall) eine Betriebsvereinbarung über die Schaffung neuer Personalstrukturen abgeschlossen worden. Danach sollten bei der A. GmbH bei gleichzeitiger Einschränkung wesentlicher Betriebsteile und der Zusammenlegung und Umstrukturierung von Abteilungen Personalanpassungsmaßnahmen in erheblichem Umfang durchgeführt und nicht produktionsnotwendige Arbeitsplätze im Betrieb stufenweise bis zum 30. Juni 2002 abgebaut werden. Um die Personalstärke von 186 auf 89 Arbeitnehmer zurückzuführen, war eine Reduzierung um sieben Arbeitsplätze im Bereich "Einkauf", zwanzig Arbeitsplätze im Bereich "Lager" und 70 Arbeitsplätze im Bereich "Produktion" beabsichtigt. Den von der Entlassung betroffenen Arbeitnehmern sollte angeboten werden, in die unter der Trägerschaft der Klägerin zu bildende beE überzuwechseln, in der ihnen eine angepasste berufliche Qualifizierung ermöglicht und die Aufnahme in den ersten Arbeitsmarkt erleichtert werden sollte. Für die Beschäftigten der Fa. A. GmbH hatte diese am 3. September 2001 mit der IG Metall einen Haustarifvertrag (Inkrafttreten: 15. September 2001) zum Manteltarifvertrag (MTV) für die Beschäftigten in der Metallindustrie Südwürttemberg/Hohenzollern vom 11. Dezember 1996/16. Dezember 1997 vereinbart, wonach § 4.4 MTV keine Anwendung findet, der eine ordentliche Kündigung von Beschäftigten, die das 53., aber noch nicht das 65. Lebensjahr vollendet haben, und dem Betrieb mindestens drei Jahre angehören, ausgeschlossen ist.

Am 22. Oktober 2001 zeigte die Klägerin einen Arbeitsausfall mit Arbeitsentgeltausfall in der beE ab 1. Oktober 2001 bis 30. September 2003 für insgesamt 30 namentlich benannte Arbeitnehmer an, die der Betriebsvereinbarung gemäß in der beE zusammengefasst worden waren. Die Beklagte stellte fest, dass die allgemeinen Voraussetzungen für die Gewährung von Struktur-KuG nach §§ 170, 175 Sozialgesetzbuch - Drittes Buch - Arbeitsförderung (SGB III) erfüllt seien, lehnte die Zahlung von Kug aber für neun Arbeitnehmer (H. E., J. G., H. W., H. Z., W. B., G. F., V. I., K. K. und P. S. ) ab, weil die in dem MTV enthaltene Kündigungsbeschränkung für Personen, die das 53. Lebensjahr vollendet hätten und dem Betrieb mindestens drei Jahre angehörten, der Gewährung von Kug entgegen stehe; diese Arbeitnehmer bedürften wegen ihrer Unkündbarkeit keiner Zusammenfassung in einer beE (Bescheid vom 5. Dezember 2001; Widerspruchsbescheid vom 17. Januar 2002).

Während die hiergegen erhobene Klage beim Sozialgericht (SG) Reutlingen Erfolg hatte (Gerichtsbescheid vom 19. November 2003), hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg den Gerichtsbescheid des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 13. Juli 2005). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, dass der Haustarifvertrag vom 3. September 2001 zwar auf Grund der Zustimmung der betroffenen Arbeitnehmer anwendbar sei; diese hätten hierdurch wirksam auf den in § 4.4 MTV geregelten Kündigungsschutz verzichten können. Die betroffenen neun Arbeitnehmer würden aber nicht unter den Schutzzweck des § 175 SGB III fallen. Der Gesetzgeber habe nur die Arbeitnehmer als schutzwürdig gesehen, die auf Grund der Strukturanpassungen von Massenentlassungen bedroht seien. Die mögliche Entlassungsbedrohung sei jedoch erst durch den Haustarifvertrag und die Zustimmung der betroffenen Arbeitnehmer selbst geschaffen worden. Ursache für das bestehende Entlassungsrisiko sei damit nicht die Strukturanpassungsmaßnahme im eigentlichen Sinne, sondern der zulässige Verzicht der Betroffenen auf eine ihnen zustehende Rechtsposition.

Mit der Revision rügt die Klägerin, das LSG nehme zu Unrecht an, dass der tarifliche Kündigungsschutz gemäß § 4.4 MTV erst durch die Zustimmung der Arbeitnehmer entfallen sei. Der Kündigungsschutz sei unabhängig von einer individuellen Zustimmung betroffener Arbeitnehmer aufgehoben worden. Selbst wenn man anderer Auffassung sei, stehe der Schutzzweck des § 175 SGB III der Bewilligung von Struktur-Kug nicht entgegen. Die betroffenen Arbeitnehmer hätten zu Recht darauf vertraut, dass der zuvor abgeschlossene Haustarifvertrag wirksam sei.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des SG zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, dass das Urteil des LSG nicht zu beanstanden sei.

II

Die Revision der Klägerin ist begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>). Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung von Struktur-Kug für die neun im Tenor der SG-Entscheidung genannten Arbeitnehmer.

Gegenstand des Verfahrens, das die Klägerin als Prozessstandschafterin dieser neun Arbeitnehmer führt (vgl dazu: BSGE 22, 181, 183; BSGE 38, 94, 95 f = SozR 1500 § 75 Nr 4 S 3 f; BSG SozR 4-4300 § 323 Nr 1 S 4), ohne dass deren Beiladung nach § 75 Abs 2 SGG notwendig wäre (BSG SozR 4-4300 § 323 Nr 1 S 4), ist der Bescheid vom 5. Dezember 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Januar 2002. Richtige Klageart ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 iVm Abs 4, § 56 SGG). Das Verwaltungsverfahren für die Gewährung von Kug ist idR zweistufig ausgestaltet. Mit der Anzeige des Arbeitsausfalls nach § 173 Abs 1 SGB III, die der Arbeitgeber oder die Betriebvertretung - soweit vorhanden - erstattet, wird eine verselbstständigte Entscheidung (Anerkennungsbescheid; BSG SozR 4100 § 64 Nr 5 S 13 f) der Agentur für Arbeit darüber herbeigeführt, ob einzelne Voraussetzungen für die Gewährung von Kug (erheblicher Arbeitsausfall, betriebliche Voraussetzungen) vorliegen (§ 173 Abs 3 SGB III, hier in der Normfassung des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes <AFRG> vom 24. März 1997 - BGBl I 594). Dem Anerkennungsverfahren schließt sich üblicherweise erst das Leistungsverfahren an, in dem in der zweiten Stufe jeweils für Zeiträume, die durch den Leistungsantrag (§ 323 Abs 2 SGB III) bestimmt werden, das den Arbeitnehmern zustehende Kug und die dem Arbeitgeber zustehenden Zuschüsse bewilligt werden (§§ 177 ff SGB III; vgl zum Verwaltungsverfahren: BSG, Urteil vom 15. Februar 1990 - 7 RAr 22/89 -, NZA 1990, 705 f mwN; s auch Söhngen in Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 6 RdNr 86 ff). Werden die betrieblichen Voraussetzungen und das Vorliegen eines erheblichen Arbeitsausfalls für die Gewährung von Kug dem Grunde nach anerkannt, Kug auf Antrag des Arbeitgebers für namentlich benannte Arbeitnehmer in diesem Bescheid jedoch ausdrücklich abgelehnt, sind die zwei Stufen des Verwaltungsverfahrens in einem Bescheid zusammengefasst, so dass die verbundene Anfechtungs- und Leistungsklage zulässig ist (BSG, Urteil vom 15. Februar 1990, aaO); es bedarf dann keines gesonderten Leistungsantrages mehr. So liegt der Fall hier. Die Beklagte hat im Bescheid vom 5. Dezember 2001 nach der von ihr vorgenommenen Prüfung durch Verwaltungsakt das Vorliegen der in § 170 SGB III und § 175 SGB III (idF des Einmalzahlungs-Neuregelungsgesetzes vom 21. Dezember 2000 - BGBl I 1971) genannten Voraussetzungen für die Gewährung von Kug anerkannt, Kug für neun Arbeitnehmer durch weitere Verfügung (= Verwaltungsakt) im Hinblick auf § 4.4 MTV aber gleichzeitig abgelehnt.

Die bezeichneten Arbeitnehmer haben ab Beginn des Arbeitsausfalls am 1. Oktober 2001 (Anzeige über den Arbeitsausfall am 22. Oktober 2001; § 173 Abs 2 SGB III) einen Anspruch auf Struktur-Kug (§ 169 SGB III idF des AFRG iVm § 175 SGB III). Nach § 175 Abs 1 SGB III besteht Anspruch auf Struktur-Kug auch in den Fällen eines nicht nur vorübergehenden Arbeitsausfalls, wenn (1.) Strukturveränderungen für einen Betrieb mit einer Einschränkung und Stilllegung des ganzen Betriebs oder von wesentlichen Betriebsteilen verbunden sind und mit Personalanpassungsmaßnahmen einhergehen und (2.) die vom Arbeitsausfall betroffenen Arbeitnehmer zur Vermeidung von Entlassungen einer erheblichen Anzahl von Arbeitnehmern des Betriebes (§ 17 Abs 1 des Kündigungsschutzgesetzes) in einer beE zusammengefasst sind. Da die Beklagte in dem Anerkennungsbescheid die allgemeinen (§ 169 Nr 1 iVm 170 SGB III: erheblicher Arbeitsausfall) sowie die in § 175 SGB III normierten Voraussetzungen - mit einer Einschränkung (dazu später) - bereits bestandskräftig festgestellt hat, bedarf es im vorliegenden Verfahren auch hierüber keiner Entscheidung mehr. Zu prüfen bleibt allerdings noch, ob bei den durch Kurzarbeit mit Arbeitsentgeltausfall (§ 169 Nr 1 SGB III) betroffenen neun Arbeitnehmern die persönlichen Voraussetzungen für die Zahlung von Struktur-Kug vorliegen. Die betrieblichen Voraussetzungen des § 169 Nr 2 SGG iVm § 171 SGG (Beschäftigung mindestens eines Arbeitnehmers regelmäßig im Betrieb) sind ohnehin erfüllt.

Auch die persönlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Kug nach § 169 Nr 3 SGB III iVm § 172 Abs 1 SGB III (idF des AFRG) liegen vor. Diese sind erfüllt, wenn (1.) der Arbeitnehmer nach Beginn des Arbeitsausfalls eine versicherungspflichtige Beschäftigung fortsetzt, aus zwingenden Gründen aufnimmt oder im Anschluss an die Beendigung eines Berufsausbildungsverhältnisses aufnimmt, (2.) das Arbeitsverhältnis nicht gekündigt oder durch Aufhebungsvertrag aufgelöst ist und (3.) der Arbeitnehmer nicht vom Kurzarbeitergeldbezug ausgeschlossen ist. Für das Struktur-Kug als Sonderform des Kug finden die allgemeinen Regelungen über das Kug allerdings nur Anwendung, soweit § 175 SGB III dem nicht entgegensteht (allgemeine Meinung; vgl nur Bieback in Gagel, SGB III, § 175 RdNr 11, 56 mwN, Stand Juli 2003). Hinsichtlich der persönlichen Voraussetzungen gelten damit die in § 172 Abs 1 Nr 3 iVm § 172 Abs 2 und 3 SGB III genannten Ausschlussgründe und (ab 1. Januar 2002) § 172 Abs 1 a SGB III (Kug bei Arbeitsunfähigkeit für den Entgeltfortzahlungszeitraum) während § 172 Abs 1 Nr 2 SGB III von § 175 Abs 3 SGB III (Leistungsanspruch auch für gekündigte Arbeitnehmer oder bei Auflösung des Arbeitsvertrags durch Aufhebungsvertrag) verdrängt und § 172 Abs 1 Nr 1 SGB III durch die Regelung des § 175 Abs 1 Satz 1 Nr 2 iVm Abs 2 SGB III (Zusammenfassung in einer beE) modifiziert wird.

Ausschlussgründe für die Gewährung von Kug liegen nicht vor. Ausgeschlossen sind nach § 172 Abs 2 SGB III Arbeitnehmer, (1.) die als Teilnehmer an einer beruflichen Weiterbildungsmaßnahme Unterhaltsgeld oder Übergangsgeld beziehen, wenn diese Leistung nicht für eine neben der Beschäftigung durchgeführte Teilzeitmaßnahme gezahlt wird, (2.) während der Zeit, in der sie Krankengeld beziehen, oder (3.) die in einem Betrieb des Schaustellergewerbes oder einem Theater-, Lichtspiel- oder Konzertunternehmen beschäftigt sind. Ausgeschlossen sind nach § 172 Abs 3 SGB III daneben Arbeitnehmer, wenn und solange sie bei einer Vermittlung nicht in der vom Arbeitsamt verlangten und gebotenen Weise mitwirken. Nach den Feststellungen des LSG liegt keiner der genannten Ausschlussgründe bei den neun Arbeitnehmern vor. Diese waren nach dem Anerkennungsbescheid der Beklagten auch in einer beE zusammengefasst, und zwar nicht nur vorübergehend, um anschließend einen anderen Arbeitsplatz des Betriebs zu besetzen (§ 175 Abs 1 Satz 1 Nr 2 iVm Abs 2 SGB III).

Weitere von § 172 SGB III abweichende Regelungen enthält § 175 SGB III nicht. Die Voraussetzungen des § 175 Abs 1 Nr 1 SGB III (Strukturveränderungen mit Personalanpassung) hat die Beklagte ausdrücklich anerkannt. Ob der einzelne Arbeitnehmer, für den Kug gezahlt werden soll, ordentlich kündbar ist, ist für die Gewährung von Struktur-Kug entgegen der Ansicht der Beklagten und des LSG ohne Belang, so dass die Frage, ob der Haustarifvertrag wirksam den bereits erworbenen Kündigungsschutz aufheben konnte, nicht beantwortet werden muss. Eine entsprechende persönliche Voraussetzung wird in § 175 SGB III tatbestandlich gerade nicht geregelt. Schon der Wortlaut gibt - anders als die Nachfolgeregelung des § 216 b Abs 4 Nr 1 SGB III (Transfer-Kug) - keinen Anhaltspunkt dafür, dass die vom Arbeitsausfall betroffenen Arbeitnehmer nur dann einen Anspruch auf Struktur-Kug haben, wenn sie selbst von Arbeitslosigkeit bedroht sind. Während nach der Nachfolgeregelung des § 216 b Abs 4 SGB III die persönlichen Voraussetzungen ausdrücklich nur dann erfüllt sind, wenn der Arbeitnehmer "von Arbeitslosigkeit bedroht ist" (vgl § 216 b Abs 4 Nr 1 SGB III), setzt § 175 Abs 1 Nr 2 SGB III (nur) voraus, dass die vom Arbeitsausfall betroffenen Arbeitnehmer zur Vermeidung von Entlassungen "einer erheblichen Anzahl von Arbeitnehmern" des Betriebes (§ 17 Abs 1 des Kündigungsschutzgesetzes <KSchG>) in einer beE zusammengefasst sind, ohne dass deren Identität mit den Arbeitnehmern verlangt wird, deren Entlassung vermieden werden soll. Ein solches am Wortlaut der Norm orientiertes Verständnis ergibt sich insbesondere bei systematischer und teleologischer Auslegung. Sinn und Zweck des Struktur-Kugs war es, Massenentlassungen iS von § 17 KSchG zur Entlastung des Arbeitsmarktes in den Fällen zu vermeiden, in denen eine dauerhafte Umstellung des Betriebsablaufs Personalanpassungsmaßnahmen in erheblichem Umfang nach sich zog (BR-Drucks 550/96 S 186). § 175 SGB III bindet die Voraussetzungen an die Gewährung des Struktur-Kug nicht an das Schicksal des einzelnen Arbeitnehmers, also an den Erhalt seines Arbeitsplatzes, sondern an die Situation des jeweiligen Betriebes, seiner Strukturkrise und deren Auswirkungen (vgl auch Bieback in Gagel, SGB III, § 175 RdNr 56, Stand Juli 2003).

Struktur-Kug kann dabei auch dazu dienen, die im Betrieb verbliebenen Arbeitsplätze abzusichern, die nicht durch Struktur-Kug gefördert werden, also generell Entlassungen zu vermeiden. Nicht anders ist der Bezug auf § 17 KSchG zu verstehen. Deshalb ist nicht maßgeblich darauf abzustellen, ob die in einer beE zusammengefassten Arbeitnehmer selbst von einer Entlassung bedroht sind, sondern ob überhaupt Entlassungen - auch der im Betrieb verbleibenden Arbeitnehmer - in der von § 17 KSchG vorgegebenen Größenordnung durch die Zusammenfassung der von dem Arbeitsausfall betroffenen Arbeitnehmer in einer beE vermieden werden können. Auch § 175 Abs 2 SGB III zwingt nicht etwa deshalb zu einer anderen Auslegung der Norm, weil nicht ordentlich kündbare Arbeitnehmer keiner Qualifizierungsmaßnahmen bedürften. Zum einen ist § 175 Abs 2 SGB III ohnehin nur eine Sollvorschrift, zum anderen bedarf auch oder sogar erst recht der nicht ordentlich kündbare, idR ältere Arbeitnehmer, der durch Eigenkündigung, Aufhebungsvertrag oder (rechtswidrige, gerichtlich aber nicht angegriffene) Arbeitgeberkündigung seinen Arbeitsplatz verlieren wird, nachhaltiger Qualifizierungsmaßnahmen zu einer erfolgreichen Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt.

Selbst wenn man mit der Beklagten jedoch verlangen wollte, dass der in der beE beschäftigte Arbeitnehmer selbst von Arbeitslosigkeit bedroht sein muss, würde dies wohl nichts an dem Ergebnis ändern. § 17 SGB III enthält eine Legaldefinition für den Personenkreis der von Arbeitslosigkeit bedrohten Arbeitnehmer. Von Arbeitslosigkeit bedrohte Arbeitnehmer sind danach Personen, die versicherungspflichtig beschäftigt sind, alsbald mit der Beendigung der Beschäftigung rechnen müssen und voraussichtlich nach Beendigung der Beschäftigung arbeitslos werden. Diese Voraussetzungen sind bei den betroffenen neun Arbeitnehmern wohl selbst dann gegeben, wenn der Haustarifvertrag im Hinblick auf die Rechsprechung des BAG (AP Nr 20 zu § 1 TVG Tarifverträge: Lufthansa; AP Nr 7 zu § 1 TVG Tarifverträge: Gewerkschaften) keine Anwendung finden sollte. § 17 SGB III setzt hinsichtlich des bevorstehenden Beschäftigungsendes lediglich die durch konkrete objektive Anhaltspunkte gerechtfertigte Annahme (Prognose) voraus, dass die Beschäftigung in absehbarer Zeit beendet sein wird, was allerdings vom LSG hätte festgestellt werden müssen. Auch eine zu erwartende rechtswidrige Kündigung, ein Aufhebungsvertrag oder die Eigenkündigung rechtfertigen den Schluss auf eine drohende Arbeitslosigkeit (Estelmann in Eicher/Schlegel, SGB III, § 17 RdNr 23, Stand Juni 2001; Siefert-Hänsle in PK-SGB III, 2. Aufl 2004, § 17 RdNr 4). Maßgebend für eine etwa zu fordernde drohende Arbeitslosigkeit wäre folglich unabhängig von der Wirksamkeit des Haustarifvertrages allein die ernste Absicht des Arbeitgebers, die neun betroffenen Arbeitnehmer zu entlassen. Eine solche Absicht ist - ohne dass es auf die Rechtmäßigkeit einer Kündigung ankäme - durch die in der Anzeige über den Arbeitsausfall beigefügte Übersicht über die zu kündigenden Arbeitnehmer jedenfalls dokumentiert. Diese Übersicht nennt ausdrücklich die neun betroffenen Arbeitnehmer als außerordentlich zu kündigende Arbeitnehmer. Einer hypothetischen kündigungsrechtlichen Einzelfallprüfung, bezogen auf die beabsichtigte ordentliche bzw außerordentliche Kündigung, unter Berücksichtigung der Tarifgebundenheit der Arbeitnehmer, der Rechtmäßigkeit des Haustarifvertrages oder eines etwaigen Verzichts des Arbeitnehmers auf tarifvertraglich erworbene Rechte, bedürfte es danach nicht (vgl zu § 216 b Abs 4: Estelmann in Eicher/Schlegel, SGB III, § 216b RdNr 104, Stand Juni 2007).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Ende der Entscheidung

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