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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 02.06.2004
Aktenzeichen: B 7 AL 102/03 R
Rechtsgebiete: SGB III


Vorschriften:

SGB III § 422 Abs 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

in dem Rechtsstreit

Az: B 7 AL 102/03 R

Der 7. Senat des Bundessozialgerichts hat ohne mündliche Verhandlung am 2. Juni 2004 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Udsching, die Richter Dr. Steinwedel und Eicher sowie den ehrenamtlichen Richter Gimpel und die ehrenamtliche Richterin Dörr

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 31. Juli 2003 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass sie verurteilt wird, den Bescheid vom 22. Februar 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. März 2001 teilweise aufzuheben und dem Kläger Fahrkosten für die Dauer der Bildungsmaßnahme unter Zugrundelegung einer Wegstreckenentschädigung in Höhe von 43 Pfennig je Kilometer zu zahlen.

Die Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten auch für das Revisionsverfahren zu erstatten.

Gründe:

I

Der Kläger begehrt höhere Fahrkosten für die Zeit vom 5. Februar 2001 bis zum 31. Januar 2003.

Mit Bescheid vom 22. Februar 2001 (in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. März 2001) hatte die Beklagte - nach entsprechender Beratung - dem zuvor arbeitslosen Kläger für eine (anerkannte) berufliche Weiterbildungsmaßnahme (Umschulung zum Kaufmann in der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft) ua Fahrkosten für die Zeit vom 5. Februar 2001 bis zum 9. Januar 2003 in Höhe von 24 Raten zu je DM 251,56 (beruhend ua auf einer Kilometerpauschale von DM 0,38) bewilligt. Im Juli 2001 beantragte der Kläger "das Fahrgeld neu"; dieses habe sich auf DM 0,43/km erhöht. Mit Bescheid vom 16. August 2001 lehnte die Beklagte diesen Antrag ab; § 6 Bundesreisekostengesetz (BRKG) sei mit Wirkung ab 6. April 2001 geändert und am selben Tage im BGBl I, S 472, verkündet worden; somit gälten die neuen Sätze nur für Maßnahmen, die nach dem 6. April 2001 begonnen hätten. Der Widerspruchsbescheid vom 29. August 2001 brachte keine Abhilfe: In analoger Anwendung des § 426 Abs 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) seien bei Gesetzesänderungen die bisher geltenden Regelungen weiterhin anzuwenden, wenn der Anspruch vor der Verkündung des geänderten Gesetzes entstanden sei bzw die Fortbildungsmaßnahme begonnen habe.

Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 5. Dezember 2001 den Bescheid vom 16. August 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. August 2001 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, unter Abänderung des Bescheides vom 22. Februar 2001 dem Kläger unter Zugrundelegung von DM 0,43/km Fahrkosten in Höhe von weiteren DM 194,40 zu zahlen.

Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 31. Juli 2003 die vom SG zugelassene Berufung der Beklagten zurückgewiesen, den Tenor des Urteils jedoch wie folgt klargestellt: "Der Bescheid der Beklagten vom 16. August 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. August 2001 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, den Bescheid vom 22. Februar 2001 abzuändern und dem Kläger Fahrkosten für die Dauer der Bildungsmaßnahme unter Zugrundelegung einer Wegstreckenentschädigung in Höhe von 22 Cent je Kilometer zu zahlen." Der geltend gemachte Anspruch stütze sich auf § 48 Abs 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) iVm § 330 Abs 3 Satz 1 SGB III. Wenn der Gesetzgeber nach Erlass des Bescheides eine für den Leistungsempfänger begünstigende Regelung rückwirkend in Kraft setze, sei dies eine wesentliche Änderung der Verhältnisse. Hieran ändere auch § 422 Abs 1 SGB III nichts. Zwar seien hiernach auf Leistungen der aktiven Arbeitsförderung die Vorschriften in der vor dem Tag des Inkrafttretens der Änderung geltenden Fassung weiter anzuwenden, wenn vor diesem Tag der Anspruch entstanden, die Leistung zuerkannt worden sei oder die Maßnahme begonnen habe. Im vorliegenden Fall sei jedoch die Änderung des § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 4 BRKG rückwirkend zum 1. Januar 2001 wirksam geworden, so dass sie vor und nicht nach Beginn der Maßnahme (5. Februar 2001) in Kraft getreten sei. Die Norm des § 422 Abs 1 SGB III entfalte ihre Sperrwirkung nicht, wenn eine gesetzliche Regelung zu Gunsten des Leistungsempfängers rückwirkend vor dem im Gesetz genannten Stichtag in Kraft trete.

Hiergegen richtet sich die vom LSG zugelassene Revision der Beklagten. Sie rügt sinngemäß eine Verletzung des § 422 Abs 1 SGB III. Zu deren Auslegung sei der mit dieser Vorschrift verfolgte Zweck heranzuziehen (hierzu BT-Drucks 13/4941 S 226). Hiernach aber sollten zur Verwaltungsvereinfachung die Arbeitsämter die im Zeitpunkt der Bewilligung geltenden Vorschriften für laufende Fälle regelmäßig weiter anwenden. Ziel des Gesetzgebers sei gewesen, dass Entscheidungen, die zum Zeitpunkt ihres Ergehens zutreffend gewesen seien, nicht wegen späterer Rechtsänderung noch einmal aufzugreifen seien. Die rückwirkende Änderung des § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 4 BRKG zum 1. Januar 2001 sei keine hiervon abweichende Sonderregelung.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 31. Juli 2003 und das Urteil des Sozialgerichts Nordhausen vom 5. Dezember 2001 aufzuheben sowie die Klage abzuweisen.

Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.

II

Die zulässige Revision ist mit der aus dem Entscheidungssatz ersichtlichen Maßgabe unbegründet. Der Kläger hat Anspruch auf höhere Fahrkosten als mit Bescheid vom 22. Februar 2001 (in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. März 2001) bewilligt; dieser ist entgegen dem angefochtenen Bescheid vom 16. August 2001 (in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. August 2001) insoweit von der Beklagten aufzuheben (§ 330 Abs 3 Satz 1 SGB III iVm § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB X).

1. Nach § 83 Abs 1 Nr 1 SGB III (hier idF des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes vom 24. März 1997, BGBl I 594 <AFRG>; seit dem Ersten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2002, BGBl I 4607: § 81 SGB III) können als Weiterbildungskosten Fahrkosten für Fahrten zwischen Wohnung und Bildungsstätte (Pendelfahrten) übernommen werden, bei Benutzung sonstiger (nicht öffentlicher) Verkehrsmittel nach Abs 2 Satz 1 Teilsatz 2 dieser Vorschrift bis zur Höhe der Wegstreckenentschädigung nach § 6 Abs 1 des BRKG. Satz 2 bestimmt, dass, wenn Kosten für Pendelfahrten übernommen werden, die Kosten monatlich in Höhe der zu Beginn der Teilnahme anfallenden Kosten zu übernehmen sind.

Zum Zeitpunkt des Beginns der Teilnahme an der Maßnahme (5. Februar 2001) galt § 6 Abs 1 BRKG zunächst noch idF der Verordnung vom 29. November 1991 (BGBl I 2154 mit Wirkung vom 1. Oktober 1991), wonach die Wegstreckenentschädigung je Kilometer bei Benutzung von Kraftfahrzeugen mit einem Hubraum von mehr als 600 ccm 38 Pfennig betrug (§ 6 Abs 1 Satz 1 Nr 4 BRKG). Diese Vorschrift wurde jedoch durch die Verordnung zur Änderung reisekostenrechtlicher Vorschriften vom 28. März 2001 (BGBl I, 472, ausgegeben am 6. April 2001) dahingehend geändert, dass in Nr 4 die Zahl "38" durch die Zahl "43" ersetzt wurde (Art 1 Nr 4 der Verordnung); nach ihrem Art 3 trat die Verordnung rückwirkend mit Wirkung vom 1. Januar 2001 in Kraft.

2. Als Übergangsbestimmung für Leistungen der aktiven Arbeitsförderung (hierzu zählt auch die Förderung der beruflichen Weiterbildung, darin inbegriffen die Übernahme von Weiterbildungskosten: § 3 Abs 4, § 77 Abs 1, § 83 SGB III) bestimmt § 422 Abs 1 SGB III (ebenfalls idF des AFRG): Wenn dieses Gesetzbuch (das SGB III) geändert wird, sind, soweit nichts Abweichendes bestimmt ist, bis zum Ende der Leistungen oder der Maßnahme die Vorschriften in der vor dem Tag des Inkrafttretens der Änderung geltenden Fassung weiter anzuwenden, wenn vor diesem Tag

1. der Anspruch entstanden ist,

2. die Leistung zuerkannt worden ist oder

3. die Maßnahme begonnen hat, wenn die Leistung bis zum Beginn der Maßnahme beantragt worden ist.

Die Beklagte meint, diese Vorschrift sei auf den Fall des Klägers so anzuwenden, dass während der Gesamtdauer seiner Umschulung (Februar 2001 bis Januar 2003) die Reisekostensätze des § 6 Abs 1 BRKG in der zu Beginn der Maßnahme geltenden Fassung zu übernehmen sind.

3.a) Diese Meinung geht bereits deswegen fehl, weil die Übergangsvorschrift auf die Änderung der Reisekostensätze von vornherein nicht anwendbar ist; hierin liegt keine "Änderung dieses Gesetzbuches" iS des § 422 Abs 1 SGB III.

Zweck dieser Vorschrift ist, wie von der Beklagten zu Recht auf der Grundlage der Gesetzesmaterialien angeführt, ua, die Arbeitsämter dadurch zu entlasten, dass die zu Maßnahmebeginn geltenden Vorschriften für laufende Fälle in der Regel weiter anwendbar bleiben (vgl zu Rückforderungsfällen bereits die Senatsurteile vom 21. März 2002, BSGE 89, 192 = SozR 3-4300 § 422 Nr 2, vom 15. August 2002 - B 7 AL 132/01 R sowie vom 6. Februar 2003 - B 7 AL 38/02 R, Breith 2003, 524).

Dem kann jedoch nicht entnommen werden, dass auch die regelmäßigen, auf Grund bestimmter Berechnungsgrundlagen zu zahlenden Leistungen während der Gesamtdauer einer Maßnahme unverändert bleiben: Besonders deutlich wird dies am Beispiel des Unterhaltsgeldes (Uhg); auch insoweit handelt es sich als solches um eine Leistung der aktiven Arbeitsförderung (§ 3 Abs 1 Nr 6, Abs 4, § 77 Abs 1, §§ 153 ff SGB III), wie von § 422 Abs 1 SGB III angesprochen. Dennoch ist das Uhg, ebenso wie das Arbeitslosengeld, regelmäßig nach den jeweils geltenden Anpassungsfaktoren anzupassen (§ 157 Abs 1 Nr 2, § 138, § 151 Abs 2 Nr 1 SGB III), ohne dass diskutiert wurde, ob entweder das Uhg gar nicht anzupassen ist oder stets nur nach dem zur Zeit seiner Bewilligung (bzw bei Beginn der Maßnahme) geltenden Anpassungsfaktor.

Nichts anderes gilt dann aber auch für die (wenn auch seltener vorgenommene) Anpassung der Reisekostensätze nach § 6 Abs 1 BRKG. Dem steht § 83 Abs 2 Satz 2 SGB III nicht entgegen. Er gilt, wie der Wortlaut deutlich macht, nur für die Übernahme der tatsächlich anfallenden Kosten, nicht für die pauschale Wegstreckenentschädigung des BRKG. Bei § 83 Abs 2 Satz 1 Teilsatz 2 SGB III handelt es sich um eine dynamische Verweisung (hierzu Senatsurteil vom 10. Februar 2004 - B 7 AL 94/02 R), dh eine Verweisung auf eine anderweitige Gesetzesvorschrift in ihrer jeweiligen Fassung. Dies ist dem Regelungszusammenhang zu entnehmen. Denn sonst hätte nahe gelegen, die Entschädigungssätze im SGB III selbst festzuschreiben. Eine derartige Regelung sollte aber gerade vermieden werden. Hierin liegt der Sinn dieser dynamischen Verweisung: Die von vornherein vorhersehbaren nötigen Anpassungen an die Kostenentwicklung müssen nicht für jede Vorschrift und für jedes Gesetz einzeln vorgenommen werden, vielmehr sollen die Reisekostensätze des § 6 Abs 1 BRKG für alle einschlägigen Regelungsbereiche in ihrer jeweiligen Fassung gelten. Folglich verweist § 83 Abs 2 Satz 1 Teilsatz 2 SGB III notwendigerweise stets nur auf die jeweils geltenden Sätze zur Wegstreckenentschädigung nach § 6 Abs 1 BRKG, ohne dass diese für die Dauer einer Maßnahme festgeschrieben wären. Auf derartige Leistungsanpassungen stellt der § 422 Abs 1 SGB III nicht ab.

b) Nachdem § 422 Abs 1 SGB III insoweit von vornherein nicht anwendbar ist, ist eine entsprechende Änderung auch rückwirkend, ab dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens, vorzunehmen: Dann ist durch die Neufassung des § 6 Abs 1 BRKG nachträglich eine Änderung in den rechtlichen Verhältnissen eingetreten, die gemäß § 48 Abs 1 Satz 1 iVm Satz 2 Nr 1 SGB X einer Aufhebung der Bewilligung der Fahrkosten mit deren Beginn und deren Neufestsetzung nach den neuen Sätzen erforderlich macht (vgl BSG 28. Mai 1997, SozR 3-2600 § 93 Nr 3 S 17).

c) Denn die Verordnung zur Änderung reisekostenrechtlicher Vorschriften vom 28. März 2001 hat § 6 Abs 1 BRKG geändert. Bedenkenfrei ist, dass insoweit eine Verordnung ein Parlamentsgesetz geändert hat. Dies entspricht der Regelung des § 24 Abs 1 BRKG, wonach der Bundesminister des Inneren ermächtigt wird, durch Rechtsverordnung ua die in § 6 dieses Gesetzes festgesetzten Beträge veränderten wirtschaftlichen Verhältnissen anzupassen. Verweist das SGB III auf § 6 Abs 1 BRKG, so hat es damit auch die mögliche Änderung dieser Vorschrift im Verordnungswege nach § 24 Abs 1 BRKG mit in seinen Willen übernommen.

Eine derartige Ermächtigung zur "Gesetzesänderung durch Verordnung" widerspricht nicht der Verfassung. Die Verpflichtung des Gesetzgebers, in allen grundlegenden normativen Bereichen die wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen, schließt Ermächtigungen zu ergänzenden Regelungen durch Rechtsverordnung nicht aus, sofern die wesentlichen Entscheidungen in dem formellen Gesetz einschließlich der Ermächtigungsnormen enthalten sind. Der Vorrang des formellen Gesetzes steht gesetzesändernden Rechtsverordnungen nicht entgegen, wenn die gesetzesverdrängende Wirkung auf einem ausdrücklich zugunsten der Rechtsverordnung reduzierten - subsidiären - Geltungsanspruch des Gesetzes beruht. Gemäß Art 80 Abs 1 Satz 2 GG muss der Gesetzgeber im formellen Gesetz selbst die Entscheidung darüber treffen, welche Fragen durch die Rechtsverordnung geregelt werden sollen, die Grenzen der Regelung festsetzen und das Ziel angeben (Bundesverfassungsgericht <BVerfG>, Kammerbeschluss vom 4. Mai 1997 - 2 BvR 509/96, NJW 1998, 669, 670 mwN). Diesen Anforderungen trägt § 24 Abs 1 BRKG Rechnung.

d) Ebenso wenig verfassungsrechtlich bedenklich ist, dass § 83 Abs 2 SGB III damit im Ergebnis nicht auf ein Parlamentsgesetz, sondern auf eine Verordnung des Bundesministers des Inneren verweist. Dass Gesetze auch auf Verordnungen dynamisch verweisen dürfen, ist anerkannt (vgl BVerfG, Kammerbeschluss vom 21. Juli 1992 - 2 BvR 858/92, NJW 1993, 1909, 1910 sogar für das Strafrecht; allg s Schenke in: Festschrift Fröhler, 1980, 87, 110 ff).

4. Selbst wenn man im Übrigen der Argumentation zu 3.a) nicht folgt und § 422 Abs 1 SGB III für anwendbar hält, gilt im Ergebnis nichts Abweichendes:

a) Dann wäre zwar mit der Änderung der Sätze der Wegstreckenentschädigung nach § 6 Abs 1 BRKG zum 1. Januar 2001 auch das SGB III ("dieses Gesetzbuch") geändert worden. Denn mit einer dynamischen Verweisung werden die Vorschriften, auf die verwiesen wird, zum Normbestandteil der Verweisungsvorschrift (hier des § 83 SGB III, mithin des SGB III: "dieses Gesetzbuches"; allg s Senatsurteil vom 14. Juli 1994, BSGE 74, 296, 300 = SozR 3-6117 § 9 Nr 1 mwN).

b) Gleichzeitig aber gälte Folgendes: Wendet man § 422 Abs 1 SGB III auf ein, wie hier, mit Rückwirkung in Kraft tretendes neues Recht an, so folgt bereits aus dessen Wortlaut, dass dieses dann anzuwenden ist, wenn die Rückwirkung auch den Stichtag nach § 422 Abs 1 Nr 1, 2 oder 3 SGB III umfasst. Dies wiederum führt zur Anwendung des § 6 Abs 1 BRKG in der Fassung der Verordnung vom 28. März 2001, da die Leistung nach dem Inkrafttreten der Neufassung zuerkannt worden war und auch die Maßnahme danach begonnen hat, wobei sie bis zu ihrem Beginn beantragt worden war (§ 422 Abs 1 Nr 2 und 3 SGB III). In der Neufassung des § 6 Abs 1 BRKG wiederum liegt dann die Änderung iS des § 48 Abs 1 SGB X (s hierzu oben unter 3.b).

c) Gegen diese Auslegung spräche nicht, dass hiermit § 422 Abs 1 SGB III sein Regelungsziel nicht voll erreicht. Dieses beschreibt, wie von der Revision angeführt, die Gesetzesbegründung (BT-Drucks 13/4951, S 226 zu § 422) wie folgt: "Um Beziehern von Leistungen der aktiven Arbeitsförderung, insbesondere Arbeitgebern und Trägern von Maßnahmen Planungssicherheit zu geben und die Arbeitsämter vom Aufrollen laufender Fälle zu entlasten, sollen die zu Maßnahmebeginn bzw im Zeitpunkt der Bewilligung geltenden Vorschriften für laufende Fälle regelmäßig weiter anwendbar bleiben, soweit nicht Sonderregelungen etwas anderes bestimmen." Für den Fall der Verkündung einer auf einen der Stichtage des § 422 Abs 1 SGB III rückwirkenden Neuregelung aber bleibt der Arbeitsverwaltung das "Aufrollen laufender Fälle" nicht erspart.

Freilich steht die oben beschriebene Gesetzesanwendung nach dem Wortlaut der Vorschrift auch nicht im logischen Widerspruch zu den zitierten Gesetzgebungsmaterialien. Denn dort ist zum einen nur davon die Rede, dass die Arbeitsämter vom Aufrollen laufender Fälle "zu entlasten" seien, nicht jedoch davor, sie gänzlich davor zu bewahren.

5. Demgegenüber will die Beklagte (im Übrigen auch für die Übernahme von Fahrkosten im Rahmen der Förderung der Berufsausbildung: § 67 Abs 2; siehe hierzu DA 67.2.2, Fassung: Mai 2001) die Änderung für die Sätze der Wegstreckenentschädigung nach § 6 Abs 1 Satz 1 BRKG erst ab dem Tag der Verkündung der Neufassung dieser Vorschrift, ab dem 6. April 2001 berücksichtigen: Für Bewilligungszeiträume, die nach dem 5. April 2001 beginnen, sollen die neuen Sätze gelten; für die Bewilligungszeiträume, die vor dem 6. April 2001 begonnen haben, die alten Beträge (hier: DM 0,38/km).

Diese Handhabung entspricht jedoch auch dann nicht dem Gesetz, wenn man § 422 SGB III für einschlägig hielte (s hierzu oben unter 3.): Sie widerspricht der in § 83 Abs 2 SGB III (ebenso in § 67 Abs 2 und entsprechend auch in § 46 Abs 2 SGB III, letztgenannte Vorschrift befasst sich mit dem Fahrkosten innerhalb der Bewerbungskosten) enthaltenen dynamischen Verweisung auf die "Wegstreckenentschädigung nach § 6 Abs 1 des Bundesreisekostengesetzes". Diese wird durch das SGB III in keiner Weise, etwa hinsichtlich der Geltungsdauer (zB: "erst mit Wirkung ab Verkündung einer Änderung der Entschädigungssätze") eingeschränkt. Dass die Änderungen der Sätze für die Wegstreckenentschädigung nach § 6 Abs 1 BRKG auch rückwirkend erfolgen können, war im übrigen für den Gesetzgeber des SGB III durchaus erkennbar: Denn die bis 31. Dezember 2000 maßgebenden Sätze galten laut der "Verordnung zur Änderung reisekostenrechtlicher Vorschriften und der Verordnung zu § 6 Abs 2 des Bundesreisekostengesetzes" vom 29. November 1991 (BGBl I 2154) rückwirkend ab 1. Oktober 1991.

6. Zu Recht haben die Vorinstanzen die Beklagte zur Leistung der Fahrkosten in Höhe der vollen Wegstreckenentschädigung nach § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 4 BRKG nF (DM 0,43/km) verurteilt und kein Bescheidungsurteil erlassen. Der Beklagten steht im gegenwärtigen Stand des Verfahrens hinsichtlich der Höhe der Wegstreckenentschädigung kein Ermessen (mehr) zu. Denn dieses ist ihr durch die Neufassung des § 6 Abs 1 BRKG jedenfalls nicht erneut eröffnet worden (allg gegen ein Ermessen in Anwendung des § 83 SGB III: Niewald in: Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 4 RdNr 381, 398). Sie hatte sich bereits mit Bescheid vom 22. Februar 2001 (in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. März 2001) dafür entschieden, dem Kläger die Wegstreckenentschädigung nach dem vollen Satz des § 6 Abs 1 Nr 4 BRKG zu bewilligen. Hieran hat die Gesetzesneufassung nichts geändert.

Keinen Bedenken begegnet, dass das LSG im vorliegenden Höhenstreit ein Grundurteil (§ 130 SGG) erlassen hat (Senatsurteil vom 4. September 2001, BSGE 88, 299, 300 = SozR 3-4300 § 137 Nr 1).

7. Der Entscheidungssatz des Berufungsurteils ist jedoch in zweierlei Hinsicht mit einer klarstellenden Maßgabe zu versehen:

a) Die Beklagte ist nicht zu verpflichten, den "Bescheid vom 22. Februar 2001 abzuändern", sondern den "Bescheid vom 22. Februar 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. März 2001 teilweise aufzuheben" (analoge Anwendung des § 95 SGG auf das Verfahren nach § 48 Abs 1 SGB X; Angleichung an den Wortlaut der letztgenannten Vorschrift).

b) Die Beklagte ist nicht zu verurteilen, dem Kläger Fahrkosten für die Dauer der Bildungsmaßnahme unter Zugrundelegung einer Wegstreckenentschädigung in Höhe von "22 Cent" je Kilometer zu zahlen. Denn die Maßnahme hat noch im Jahre 2001, also unter Geltung der DM und des Wegstreckenentschädigungssatzes von "43 Pfennig" (im Übrigen - marginal - weniger als 22 Cent) je Kilometer begonnen; hiernach richtet sich gemäß § 83 Abs 2 Satz 2 SGB III die Berechnung der "monatlich in Höhe der zu Beginn der Teilnahme anfallenden Kosten", die während der gesamten Maßnahme zu zahlen sind. Eine Umrechnung in Euro hat erst für die Auszahlung unter Geltung der neuen Währung zu erfolgen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.



Ende der Entscheidung

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