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Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 20.01.2000
Aktenzeichen: B 7 AL 12/99 R
Rechtsgebiete: AFG
Vorschriften:
AFG § 112 Abs. 5 Nr. 4 |
BUNDESSOZIALGERICHT
Im Namen des Volkes Urteil
in dem Rechtsstreit
Az: B 7 AL 12/99 R
Klägerin und Revisionsklägerin,
Prozeßbevollmächtigte:
gegen
Bundesanstalt für Arbeit,Regensburger Straße 104, 90478 Nürnberg,
Beklagte und Revisionsbeklagte.
Der 7. Senat des Bundessozialgerichts hat ohne mündliche Verhandlung am 20. Januar 2000 durch die Vizepräsidentin Dr. Wolff, die Richter Eicher und Dr. Spellbrink sowie die ehrenamtlichen Richter Leingärtner und Höchst
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 11. Dezember 1998 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe:
I
Die Klägerin begehrt höheres Arbeitslosengeld (Alg) ab 1. Januar 1995.
Die im Jahre 1948 geborene Klägerin war bis zum 31. Dezember 1991 in Ost-Berlin bei einem Verlag beschäftigt. Die Beklagte bewilligte der Klägerin Alg ab 1. Januar 1992 nach einem Bemessungsentgelt von 360,00 DM (Monatslohn 1.546,97 DM). Vom 1. März 1993 bis 31. Dezember 1994 war die Klägerin in einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (ABM) im Beitrittsgebiet (sog produktive Arbeitsförderung) nach § 249h Arbeitsförderungsgesetz (AFG) beschäftigt. In den Monaten Juli bis Dezember 1994 arbeitete die Klägerin abweichend von der üblichen tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden vereinbarungsgemäß 32 Stunden wöchentlich. In den Monaten Juli bis September 1994 erzielte sie ein Entgelt von jeweils monatlich 2.674,34 DM und in den Monaten Oktober bis Dezember 1994 von jeweils 2.741,19 DM. Die Beklagte bewilligte der Klägerin ab 1. Januar 1995 Alg nach einem Bemessungsentgelt von 620,00 DM auf der Grundlage des zuletzt in der ABM erzielten Entgelts und einer Arbeitszeit von 32 Wochenstunden und unter Zugrundelegung des allgemeinen Leistungssatzes von 60 % (Bescheid vom 23. Dezember 1994).
Dem Widerspruch der Klägerin half die Beklagte insoweit ab, als sie den erhöhten Leistungssatz von 67 % zugrunde legte (Bescheid vom 18. Januar 1995). Hingegen blieb der weitergehende Widerspruch, ihr höheres Alg nach einem höheren Bemessungsentgelt zu gewähren, erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 1. Februar 1995).
Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) durch Urteil vom 6. März 1997 die vorgenannten Bescheide der Beklagten geändert und diese verurteilt, der Klägerin Alg ab 1. Januar 1995 nach einem gerundeten wöchentlichen Bemessungsentgelt von 790,00 DM zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt, das Alg der Klägerin sei hier gemäß § 112 Abs 5 Nr 4 Satz 2 AFG iVm § 112 Abs 7 AFG zu berechnen. Zwar sei das von der Klägerin in der ABM erzielte Arbeitsentgelt bereits höher gewesen als das Arbeitsentgelt, nach dem zuletzt vor der ABM das Alg bemessen worden sei. Aus § 112 Abs 5 Nr 4 Satz 1 AFG könne jedoch nicht gefolgert werden, daß ein Rückgriff auf § 112 Abs 7 AFG iVm § 112 Abs 5 Nr 4 Satz 2 AFG in einem solchen Falle ausgeschlossen wäre. Da die Klägerin nach Überzeugung der Kammer ab 1. Januar 1995 monatlich 3.426,48 DM brutto hätte verdienen können, sei die Alg-Bemessung ab 1. Januar 1995 auf der Grundlage eines entsprechenden Bemessungsentgelts von 790,00 DM vorzunehmen gewesen.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es in seinem Urteil vom 11. Dezember 1998 ausgeführt, die Beklagte habe die Höhe des Alg zutreffend berechnet. Insbesondere sei gemäß § 112 Abs 4 Nr 3 AFG die vereinbarte Arbeitszeit von 32 Stunden zugrunde zu legen gewesen. Ein höheres Alg stehe der Klägerin auch nicht gemäß § 112 Abs 5 Nr 4 AFG zu. Diese Vorschrift bezwecke, daß der Teilnehmer an einer ABM keine Nachteile erleide, wenn die Tätigkeit in der ABM niedriger vergütet werde als eine zuvor ausgeübte Tätigkeit, durch die eine (alte) Anwartschaft auf Alg begründet worden sei. Gemäß § 112 Abs 5 Nr 4 Satz 1 AFG sei daher zunächst eine Vergleichsberechnung anzustellen, ob das aus der ABM erzielte Arbeitsentgelt mindestens das Arbeitsentgelt erreiche, nach dem das frühere Alg oder die Arbeitslosenhilfe (Alhi) bemessen worden sei, wobei erforderliche Dynamisierungen vorzunehmen seien. Das der Klägerin hier aufgrund der neu erworbenen Anwartschaft in der ABM zugesprochene Alg beruhe auf einem Bemessungsentgelt, das mit 620,00 DM höher liege als das dynamisierte Bemessungsentgelt, das vor der ABM der Alg-Berechnung zugrunde gelegen habe (ab 1. Januar 1995: 590,00 DM). Aus der Entstehungsgeschichte sowie aus Sinn und Zweck des § 112 Abs 5 Nr 4 AFG folge, daß in allen Fällen, in denen das aus der ABM resultierende Bemessungsentgelt höher liege als das Bemessungsentgelt des zuvor bezogenen Alg, ein Rückgriff auf § 112 Abs 7 AFG iVm § 112 Abs 5 Nr 4 Satz 2 AFG nicht mehr möglich sein solle. In einem solchen Falle komme § 112 Abs 5 Nr 4 AFG insgesamt überhaupt nicht zur Anwendung. Im übrigen sei auch zweifelhaft, ob die vom SG im Rahmen des § 112 Abs 7 AFG angestellten Erwägungen zutreffend seien, weil auch hier möglicherweise die von der Klägerin zuletzt geleistete Arbeitszeit von 32 Stunden wöchentlich zu berücksichtigen gewesen sei.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Revision. Sie rügt eine Verletzung des § 112 Abs 5 Nr 4 AFG. Durch diese Norm solle sichergestellt werden, daß ein Arbeitsloser durch die Teilnahme an einer ABM nicht schlechter gestellt werde, als wenn er durchgängig arbeitslos gewesen wäre. Folge man der Auslegung des LSG, so werde Arbeitslosigkeit gegenüber Beschäftigung präferiert. Schließlich hätte zum 1. Januar 1995 auch dann eine Neuberechnung gemäß § 112 Abs 7 AFG stattfinden müssen, wenn sie (die Klägerin) fortlaufend arbeitslos gewesen wäre. Das LSG übersehe, daß in der Literatur die Auffassung vertreten werde, im Einzelfall könne über § 112 Abs 5 Nr 4 Satz 2 AFG iVm § 112 Abs 7 AFG der Arbeitslose bessergestellt werden, als er nach § 112 Abs 5 Nr 4 Satz 1 AFG stünde.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 11. Dezember 1998 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 6. März 1997 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie beruft sich auf den Inhalt des angefochtenen Urteils.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>).
II
Die Revision der Klägerin ist iS der Zurückverweisung begründet. Das Urteil des LSG beruht auf einer Verletzung des § 112 Abs 5 Nr 4 AFG (idF, die § 112 durch das Beschäftigungsförderungsgesetz 1994 <BeschfG 1994> vom 26. Juli 1994, BGBl I 1786, erhalten hat).
Das LSG ist zu Unrecht davon ausgegangen, daß im vorliegenden Fall § 112 Abs 5 Nr 4 AFG insgesamt nicht zu einem höheren Arbeitsentgelt führen könne, weil das aus der ABM resultierende Arbeitsentgelt bereits höher liege als das Arbeitsentgelt, nach dem das Alg zuletzt bemessen worden sei (§ 112 Abs 5 Nr 4 Satz 1 AFG) und deshalb ein Rückgriff auf § 112 Abs 5 Nr 4 Satz 2 iVm § 112 Abs 7 AFG ausgeschlossen sei. Dieser Rechtsansicht kann der Senat nicht folgen. Vielmehr ist § 112 Abs 5 Nr 4 Satz 2 AFG anzuwenden und bei der Feststellung des Arbeitsentgelts mindestens das Arbeitsentgelt nach § 112 Abs 7 AFG zugrunde zu legen, weil der letzte Tag des für den bisherigen Anspruch maßgebenden Bemessungszeitraums bei Entstehung des neuen, aus der ABM erworbenen Anspruchs länger als drei Jahre zurückliegt. Ob das nach § 112 Abs 7 AFG zu ermittelnde Arbeitsentgelt höher ist als das der Klägerin aufgrund der allgemeinen Bemessungsregeln nach § 112 Abs 1 bis Abs 4a AFG zustehende Bemessungsentgelt aufgrund des in der ABM erworbenen neuen Alg-Anspruchs, kann mangels tatsächlicher Feststellungen des LSG nicht beurteilt werden.
Grundsätzlich ist nach § 112 Abs 5 Nr 4 Satz 1 AFG, der gemäß § 249h Abs 2 Satz 5 AFG (idF, die § 249h durch das BeschfG 1994 erhalten hat) auf Maßnahmen der produktiven Arbeitsförderung nach § 249h AFG entsprechend anwendbar ist, bei der Feststellung des Arbeitsentgelts für die Zeit einer Beschäftigung, die im Rahmen einer Maßnahme zur Arbeitsbeschaffung nach den §§ 91 bis 96 gefördert worden ist, mindestens das Arbeitsentgelt zugrunde zu legen, nach dem das Alg oder die Alhi zuletzt bemessen worden ist; dabei ist das letzte Arbeitsentgelt gemäß § 112a Abs 1 AFG zu dynamisieren (§ 112 Abs 5 Nr 4 Satz 1 zweiter Halbsatz AFG). Nach § 112 Abs 5 Nr 4 Satz 2 AFG ist dann, wenn der letzte Tag des für den bisherigen Anspruch maßgebenden Bemessungszeitraums bei Entstehung des neuen Anspruchs länger als drei Jahre zurückliegt, mindestens das Arbeitsentgelt nach § 112 Abs 7 AFG zugrunde zu legen. § 112 Abs 5 Nr 4 AFG bezweckt insgesamt, Nachteile zu vermeiden, die durch Annahme einer (niedriger bezahlten) ABM entstehen könnten (so bereits der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung bei der Einführung des § 112 Abs 5 Nr 2a AFG durch das Vierte AFG-Änderungsgesetz <4. AFGÄndG> vom 12. Dezember 1977, BGBl I 2557; vgl BT-Drucks 8/1053, S 13; ebenso BR-Drucks 503/92, S 23 zu § 112 Abs 5 Nr 4 AFG idF des Gesetzes zur Änderung von Fördervoraussetzungen im AFG und in anderen Gesetzen vom 18. Dezember 1992, BGBl I 2044).
Dementsprechend hat die Beklagte hier im Rahmen des nach § 112 Abs 5 Nr 4 AFG anzustellenden Vergleichs das nach den allgemeinen Bemessungsregeln zu bestimmende Bemessungsentgelt ermittelt, das aus dem in der Maßnahme nach § 249h AFG neu erworbenen Anspruch der Klägerin auf Alg herrührte. Durch die Teilnahme an der ABM hat die Klägerin eine neue Anwartschaft auf Alg gemäß § 104 AFG (idF, die die Vorschrift durch das Erste Gesetz zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms <1. SKWPG> vom 21. Dezember 1993, BGBl I 2353 erhalten hat) erworben. Im sechsmonatigen Bemessungszeitraum von Juli bis Dezember 1994 (§ 112 Abs 2 Satz 1 AFG iVm § 242q Abs 7 AFG idF des 1. SKWPG) erzielte sie durchschnittlich ein monatliches Entgelt von 2.707,76 DM. Hieraus errechnet sich gemäß § 112 Abs 2, Abs 3 Satz 2 AFG iVm § 112 Abs 10 AFG ein Bemessungsentgelt von 620,00 DM.
Die Beklagte hat hierbei auch folgerichtig ihrer Berechnung die von der Klägerin tatsächlich geleistete wöchentliche Arbeitszeit von 32 Stunden zugrunde gelegt. Nach § 112 Abs 4 Nr 3 AFG iVm § 112 Abs 4a AFG (idF des BeschfG 1994) ist als tarifliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit iS des § 112 Abs 3 Satz 1 AFG die vereinbarte Arbeitszeit zugrunde zu legen, wenn nicht nur vorübergehend weniger als die tariflichen oder üblichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitsstunden vereinbart waren, soweit sich aus § 112 Abs 4a AFG nichts anderes ergibt. Nach § 112 Abs 4a AFG (eingefügt durch das BeschfG 1994) ist dann, wenn die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit im Bemessungszeitraum aufgrund einer Teilzeitvereinbarung nicht nur vorübergehend auf weniger als 80 vH der tariflichen regelmäßigen Arbeitszeit gemindert war, als tarifliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit die längste regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit zugrunde zu legen, die für den Arbeitslosen während eines sechs Monate umfassenden zusammenhängenden Zeitraums galt, dessen letzter Tag am Ende der Entstehung des Anspruchs nicht länger als drei Jahre zurückliegt (Satz 1). Im Falle der Klägerin betrug die tarifliche regelmäßige Arbeitszeit nach den Feststellungen des LSG 40 Wochenstunden, so daß sie mit 32 Wochenstunden genau 80 vH der tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit gearbeitet hat und die Voraussetzungen des § 112 Abs 4a Satz 1 AFG mithin nicht vorliegen. Ob sich - ungeachtet des § 112 Abs 4a Satz 1 AFG - aus Satz 2 eine höhere Arbeitszeit ergäbe, wenn die Zahl der Arbeitsstunden zu berücksichtigen wäre, nach denen das Alg zuletzt bemessen worden ist, kann offenbleiben. Denn § 112 Abs 4a Satz 2 AFG kann hier schon deshalb nicht zugunsten der Klägerin zur Anwendung gelangen, weil der letzte Tag des für den bisherigen Anspruch maßgebenden Bemessungszeitraums (31. Dezember 1991) länger als drei Jahre zurückliegt (§ 112 Abs 4a Satz 2 zweiter Halbsatz AFG). Deshalb kann auch dahinstehen, ob § 112 Abs 4a AFG aufgrund der Übergangsregelung des § 242t Abs 4 (idF des BeschfG 1994) im Falle der Klägerin überhaupt zur Anwendung kommt.
Die Beklagte hätte mithin zu Recht unter Zugrundelegung des Zeitfaktors von 32 Stunden gemäß § 112 Abs 3 Satz 1 AFG iVm § 112 Abs 4 Nr 3 AFG ein aus der ABM resultierendes Bemessungsentgelt von 620,00 DM errechnet und bei der Feststellung des Arbeitsentgelts zugrunde gelegt, wenn sich nicht aus § 112 Abs 5 Nr 4 Satz 2 iVm § 112 Abs 7 AFG ein höheres Arbeitsentgelt ergäbe. § 112 Abs 5 Nr 4 Satz 1 AFG kann hier schon deshalb keine Anwendung finden, weil der letzte Tag des für den bisherigen Anspruch maßgebenden Bemessungszeitraums (31. Dezember 1991) bei Entstehung des neuen Anspruchs am 1. Januar 1995 länger als drei Jahre zurücklag. Deshalb kommt es im vorliegenden Fall auf die vom LSG im Rahmen des § 112 Abs 5 Nr 4 Satz 1 AFG vorgenommene Vergleichsberechnung, bei der das zuletzt dem Alg zugrundeliegende dynamisierte Bemessungsentgelt (590,-- DM) mit dem Bemessungsentgelt aus der ABM (620,-- DM) verglichen worden ist, von vornherein nicht an.
Entgegen der Rechtsansicht des LSG schließt der Umstand, daß das aus der ABM errechnete Bemessungsentgelt höher ist als das dynamisierte Bemessungsentgelt, das zuletzt dem Alg zugrunde gelegen hat, nicht die Anwendung des § 112 Abs 5 Nr 4 Satz 2 AFG und damit des § 112 Abs 7 AFG aus. Liegt der letzte Tag des für den bisherigen Anspruch maßgebenden Bemessungszeitraums bei Entstehung des neuen Anspruchs länger als drei Jahre zurück, ist nach dieser Regelung "mindestens" das Arbeitsentgelt nach Abs 7 zugrunde zu legen. Damit sieht § 112 Abs 5 Nr 4 Satz 2 AFG unter der genannten Voraussetzung eine weitere Vergleichsberechnung vor, die durch das Gesetz vom 18. Dezember 1992 (BGBl I 2044) mit Wirkung zum 1. Januar 1993 eingeführt worden ist. In der Gesetzesbegründung (BR-Drucks 503/92) wird ausgeführt, Satz 2 stelle klar, daß auch bei der Bemessung nach § 112 Abs 5 Nr 4 AFG Arbeitsentgelte, die der Arbeitslose vor länger als drei Jahren erzielt hat, außer Betracht blieben, weil in diesen Fällen die Vermutung nicht mehr gerechtfertigt sei, daß der Arbeitslose dieses Arbeitsentgelt auch in Zukunft verdienen könne. An die Stelle dieses Arbeitsentgelts trete - wie im Falle des § 112 Abs 7 AFG - das tarifliche Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose nach seinen Kenntnissen und Fähigkeiten auf dem Arbeitsmarkt erzielen könnte. Sowohl aus dem Wortlaut als auch aus Sinn und Zweck des § 112 Abs 5 Nr 4 Satz 2 AFG folgt mithin, daß bei der Feststellung des Arbeitsentgelts das nach § 112 Abs 7 AFG ermittelte Arbeitsentgelt iS eines Mindestarbeitsentgelts (falls es höher ist als das Arbeitsentgelt aus der ABM) immer dann zugrunde zu legen ist, wenn - wie hier - der letzte Tag des für den bisherigen Alg-Anspruch maßgebenden Bemessungszeitraums bei der Entstehung des neuen Anspruchs aus der ABM länger als drei Jahre zurückliegt.
Für eine "Sperrwirkung" des § 112 Abs 5 Nr 4 Satz 1 AFG, wie sie das LSG für den Fall angenommen hat, daß das aus der ABM herrührende Bemessungsentgelt bereits höher ist als des zuletzt bezogenen Alg, bietet die Normformulierung des § 112 Abs 5 Nr 4 AFG keinen Anhalt. Auch aus der historischen Entwicklung des § 112 Abs 5 Nr 4 AFG kann nichts anderes abgeleitet werden. Nach § 112 Abs 5 Nr 2a AFG idF des 4. AFGÄndG (vom 12. Dezember 1977, BGBl I 2557) konnte für den Fall, daß das in der ABM erzielte Arbeitsentgelt niedriger lag als das Arbeitsentgelt, nach dem zuvor der Alg-Anspruch bemessen worden war, nicht mehr auf dieses frühere Arbeitsentgelt zurückgegriffen werden, wenn der letzte Tag des für den bisherigen Anspruch maßgebenden Bemessungszeitraums länger als drei Jahre zurücklag. Die Dreijahresgrenze des § 112 Abs 5 Nr 2a Satz 2 AFG aF wirkte als objektive zeitliche Schranke, bei deren Überschreiten ein Rückgriff auf das zuvor erzielte Arbeitsentgelt ausgeschlossen war. Dies galt auch, wenn der Arbeitslose aufgrund des in der ABM erzielten niedrigeren Entgelts eine erhebliche Einbuße bei der Höhe des Alg im Verhältnis zu dem vor Eintritt in die Maßnahme erhaltenen Alg oder Alhi hinnehmen mußte (vgl BSG SozR 4100 § 112 Nrn 49, 51 und 52; BSG, Urteil vom 8. Juni 1989 - 7 RAr 40/88 -, DBlR Nr 3519a zu § 112 AFG; Urteil vom 12. Juli 1989 - 7 RAr 62/88 -, DBlR Nr 3519a zu § 112 AFG). Die Regelung des § 112 Abs 5 Nr 2a AFG aF bzw des ab 1. Januar 1982 an seine Stelle getretenen § 112 Abs 5 Nr 4 AFG aF (idF des Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetzes <AFKG> vom 22. Dezember 1981, BGBl I 1497) wurde dabei auch von der Rechtsprechung als "unbefriedigend" kritisiert (insbesondere BSG SozR 4100 § 112 Nr 51, S 244), soweit die Teilnahme an einer ABM dazu führen konnte, daß der Arbeitslose danach ein Alg erhielt, dessen Höhe unter der Alhi lag, die er ohne Teilnahme an der Maßnahme weiterhin erhalten hätte, nur weil die Dreijahresfrist des § 112 Abs 5 Nr 4 Satz 2 AFG einen Rückgriff auf das frühere Arbeitsentgelt ausschloß. Durch die Neufassung des § 112 Abs 5 Nr 4 AFG zum 1. Januar 1993 sollte dieser Kritik Rechnung getragen werden. Im Gegensatz zum vorherigen Rechtszustand führt seit dem 1. Januar 1993 die Tatsache, daß der letzte Tag des Bemessungszeitraums länger als drei Jahre zurückliegt, nicht mehr automatisch dazu, daß das in der ABM erzielte (neue) Arbeitsentgelt zwingend zugrunde zu legen ist. Vielmehr ist nach Überschreiten der Dreijahresgrenze nunmehr gemäß § 112 Abs 5 Nr 4 Satz 2 AFG in einem selbständigen Prüfungsschritt das Arbeitsentgelt nach § 112 Abs 7 AFG zu ermitteln und dieses Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose nach seinen Fähigkeiten und Kenntnissen auf dem Arbeitsmarkt noch erzielen kann, bei der Feststellung des Arbeitsentgelts zugrunde zu legen, falls es höher ist als das aus der ABM erzielte Entgelt.
Bei § 112 Abs 5 Nr 4 Satz 1 und Satz 2 AFG handelt es sich mithin um zwei verschiedene Vergleichsberechnungen, die je nachdem anzuwenden sind, ob der letzte Tag des für den früheren Anspruch auf Alg oder Alhi maßgebenden Bemessungszeitraums bei Entstehung des neuen Anspruchs aus der ABM innerhalb von drei Jahren liegt (Satz 1) oder länger als drei Jahre zurückliegt (Satz 2). Im letztgenannten Falle kommt dann nur eine Vergleichsberechnung nach Satz 2 in Betracht, eine solche nach Satz 1 scheidet von vornherein aus. Ist das nach § 112 Abs 1 bis 4a AFG zu berücksichtigende Arbeitsentgelt aus der ABM höher als das nach § 112 Abs 5 Nr 4 Satz 2 AFG zu ermittelnde Arbeitsentgelt nach § 112 Abs 7 AFG, so ist zugunsten des Arbeitslosen von dem Arbeitsentgelt aus der ABM auszugehen. Ist das nach § 112 Abs 7 AFG ermittelte Arbeitsentgelt höher, so ist dieses ("mindestens") bei der Feststellung des Arbeitsentgelts zugrunde zu legen. Der Klägerin könnte hier also ein Anspruch auf höheres Alg ab 1. Januar 1995 zustehen, wenn sich nach § 112 Abs 7 iVm § 112 Abs 5 Nr 4 Satz 2 AFG ein höheres Arbeitsentgelt ergeben würde als das in der ABM zuletzt erzielte Arbeitsentgelt. Würde jedoch das Bemessungsentgelt von 620,00 DM höher liegen als das nach § 112 Abs 7 iVm § 112 Abs 5 Nr 4 Satz 2 AFG zu ermittelnde Arbeitsentgelt der Klägerin, so würde ihr jedenfalls das Alg in der ihr bisher zugesprochenen Höhe verbleiben.
Das LSG ist nicht in eine Prüfung nach § 112 Abs 7 AFG eingetreten und hat mithin keine tatsächlichen Feststellungen dazu getroffen, für welche Beschäftigung die Klägerin nach ihrem Lebensalter und ihrer Leistungsfähigkeit unter billiger Berücksichtigung ihres Berufs und ihrer Ausbildung nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarkts in Betracht kommt. Ebenso fehlt es an Feststellungen, welches tarifliche oder mangels einer tariflichen Regelung ortsübliche Entgelt die Klägerin in dieser - noch festzustellenden - Beschäftigung erzielen könnte bzw ab 1. Januar 1995 hätte erzielen können. Dabei wird das LSG auch zu erwägen haben, ob auch im Rahmen der Prüfung des § 112 Abs 7 AFG nach dem Sinn dieser Regelung bei der Bestimmung des erzielbaren tariflichen Arbeitsentgelts die Regelungen über die regelmäßige tarifliche Arbeitszeit iS des § 112 Abs 3 und Abs 4 AFG (Zeitfaktor) zu berücksichtigen sind. Der Senat hat bereits in einem Urteil vom 9. November 1989 (SozR 4100 § 112 Nr 53) entschieden, daß auch im Rahmen des § 112 Abs 7 AFG von der "regelmäßigen tariflichen" Arbeitszeit auszugehen ist, woraus folgen könnte, daß bei der Bestimmung der tariflichen Arbeitszeit im Rahmen des § 112 Abs 7 AFG die Prinzipien des § 112 Abs 3 und Abs 4 AFG zu berücksichtigen sind (zur Differenzierung von Lohn- und Zeitfaktor im Rahmen der Prüfung des § 112 Abs 7 AFG vgl zuletzt Urteil des Senats vom 5. August 1999 - B 7 AL 6/99 R -, zur Veröffentlichung vorgesehen, s S 10 f des Umdrucks). So wäre etwa daran zu denken, daß eine vereinbarte Verkürzung der Arbeitszeit in der vor der ABM zurückgelegten Beschäftigung auch für die Bemessung nach § 112 Abs 5 Nr 4 Satz 2 iVm § 112 Abs 7 AFG zu beachten wäre. Entsprechende Erwägungen hat das LSG bereits angedeutet. Einer endgültigen Entscheidung hierüber bedarf es zum gegenwärtigen Zeitpunkt aber noch nicht, weil das LSG bei der Ermittlung des am Wohnsitz der Klägerin maßgeblichen tariflichen Arbeitsentgelts iS des § 112 Abs 7 AFG ohnedies noch den Lohnfaktor zu bestimmen hat.
Des weiteren wird das LSG zu prüfen haben, für welchen Leistungszeitraum die Klägerin Alg beansprucht und ob ggf weitere Bescheide nach § 96 SGG in den Rechtsstreit einzubeziehen sind.
Das LSG wird auch über die Kosten des Rechtsstreits unter Berücksichtigung des Ausgangs des Revisionsverfahrens abschließend zu entscheiden haben.
Ende der Entscheidung
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