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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 01.04.2004
Aktenzeichen: B 7 AL 14/04 R
Rechtsgebiete: SGB III


Vorschriften:

SGB III § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

in dem Rechtsstreit

Verkündet am 1. April 2004

Az: B 7 AL 14/04 R

Der 7. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 1. April 2004 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Udsching, die Richter Dr. Steinwedel und Dr. Spellbrink sowie die ehrenamtliche Richterin Geppert und den ehrenamtlichen Richter Lohre

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 27. Februar 2003 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe:

I

Die Beteiligten streiten um die Höhe des Arbeitslosengeldes (Alg) der Klägerin vom 1. Januar bis 18. April 1998 und die Höhe der Arbeitslosenhilfe (Alhi) vom 19. April 1998 bis 31. August 1998, sowie um Erstattungsforderungen der Beklagten für den Zeitraum vom 1. Januar 1998 bis 31. August 1998. Zwischen den Beteiligten ist streitig, von welcher Lohnsteuerklasse der Klägerin bei der Bestimmung der Leistungsgruppe auszugehen ist.

Die Beklagte bewilligte der im Jahre 1963 geborenen Klägerin ab 18. Oktober 1997 Alg nach Leistungsgruppe C (Lohnsteuerklasse III) für 156 Tage. Zum 1. Januar 1998 wechselte die Klägerin die Lohnsteuerklasse. Ab diesem Zeitpunkt war auf ihrer Lohnsteuerkarte die Lohnsteuerklasse V eingetragen. Die Klägerin bezog Alg nach Leistungsgruppe C (Lohnsteuerklasse III) bis 18. April 1998.

Am 5. April 1998 beantragte sie Alhi. Eine Angabe über die zum Jahresbeginn 1998 neu eingetragene Lohnsteuerklasse V machte sie hierbei nicht. Durch Bescheid vom 4. Mai 1998 bewilligte die Beklagte der Klägerin Alhi ab 19. April 1998 bis zum 18. April 1999 nach Leistungsgruppe C (Lohnsteuerklasse III) und einem Bemessungsentgelt von 1.010,00 DM unter Berücksichtigung eines Anrechnungsbetrags von 69,63 DM wöchentlich in Höhe von 354,55 DM wöchentlich. Dieser Bescheid enthielt den Hinweis, dass die Höhe der Leistung vorläufig festgesetzt werde und es sich insoweit um einen Vorschuss gemäß § 42 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) handele. Die Klägerin legte gegen diesen Bescheid Widerspruch ein. Im Juni 1998 übersandte die Klägerin sodann ihre Lohnsteuerkarte für 1998 in Kopie. Auf ein Anhörungsschreiben der Beklagten zur Überzahlung von Alg für den Zeitraum vom 1. Januar bis 18. April 1998 äußerte sie im Oktober 1998, sie habe im Dezember 1997 nicht wissen können, dass sich die gesetzlichen Bestimmungen bezüglich der Leistungsklassen so gravierend ändern würden. Sie sei vom Arbeitsamt nicht auf die Änderungen und die Meldepflicht hingewiesen worden. Mit Bescheid vom 26. Oktober 1998 hob die Beklagte die Bewilligung von Alg für den Zeitraum vom 1. Januar bis 18. April 1998 teilweise auf und forderte Erstattung von 2.822,04 DM. Den Widerspruch wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 19. Februar 1999).

Mit Bescheiden vom 25. September 1998 forderte die Beklagte sodann für die Zeit vom 19. April bis 31. August 1998 die Erstattung eines überzahlten Alhi-Betrags in Höhe von 2.043,90 DM gemäß § 42 SGB I. Zum anderen bewilligte sie Alhi endgültig für die Zeit vom 19. April 1998 bis 18. April 1999 in Höhe von wöchentlich 258,57 DM (Bemessungsentgelt 1.010 DM; Leistungsgruppe D - erhöhter Leistungssatz). Mit Widerspruchsbescheid vom 13. Oktober 1998 wies die Beklagte sodann den Widerspruch gegen den Bescheid vom 4. Mai 1998 idF des Bescheides vom 25. September 1998 zur Höhe der Alhi ab 19. April 1998 zurück. Den Widerspruch gegen den Erstattungsbescheid vom 25. September 1998 wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 28. Dezember 1998 zurück. Die Beklagte sei berechtigt gewesen, den überzahlten Vorschuss gemäß § 42 Abs 2 SGB I in Höhe von 2.043,90 DM (für den Zeitraum vom 19. April bis 31. August 1998) zurückzufordern.

Die Klägerin hat zunächst auch gegen weitere Bescheide für die Zeit nach dem 1. September 1998 Klagen erhoben, die das Sozialgericht (SG) unter einem Aktenzeichen verbunden hat. Das SG hat durch Urteil vom 24. März 2000 den Bescheid der Beklagten vom 25. September 1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Dezember 1998 betreffend die Erstattung überzahlter Alhi für den Zeitraum vom 19. April bis zum 31. August 1998 aufgehoben, weil die Erstattung nicht auf § 42 Abs 2 SGB I gestützt werden könne. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.

Hiergegen haben die Beklagte und die Klägerin Berufung eingelegt. Das Sächsische Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 27. Februar 2003 auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG geändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hat es zurückgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, die Berufung der Beklagten hinsichtlich der Teilaufhebung von Alhi für den Zeitraum vom 19. April bis 31. August 1998 sei begründet. Es sei in dem Bewilligungsbescheid unmissverständlich zum Ausdruck gebracht worden, dass die Leistung lediglich als vorläufige bewilligt und ein Vorschuss gemäß § 42 SGB I gezahlt werde. Die Berufung der Klägerin sei hingegen insgesamt nicht begründet. Die Höhe der ihr zustehenden Leistungen folge aus § 137 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III). Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Neuregelung in § 137 Abs 4 SGB III bestünden nicht. Weder Art 14 Grundgesetz (GG) noch Art 3 Abs 1 GG seien durch die Regelung in § 137 Abs 4 SGB III beeinträchtigt. Die Lohnersatzfunktion des Alg mit existenzsichernder Wirkung sei nur erreichbar, wenn die Feststellung und Auszahlung des Alg sobald als möglich erfolge. Hierzu sei die Anknüpfung an die bescheinigten Lohnsteuerklassen zweckmäßig. Die Klägerin habe auch grob fahrlässig gehandelt, als sie die Änderung ihrer Lohnsteuerklasse gegenüber der Beklagten nicht angezeigt habe. Der Klägerin sei die Auswirkung eines Lohnsteuerklassenwechsels auf die Leistungshöhe grundsätzlich bewusst gewesen.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer - vom Senat zugelassenen - Revision. Sie rügt eine Verletzung des § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III. Insbesondere macht sie geltend, dass diese Norm gegen Art 3 und Art 14 GG verstoße. Das Urteil des LSG sei zunächst insoweit rechtswidrig, als für den Zeitraum vom 1. Januar bis 18. April 1998 die Teilaufhebung des Alg-Anspruchs auf § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz Zehntes Buch (SGB X) gestützt werde. Indem es die individuelle Einsichts- und Urteilsfähigkeit der Klägerin zum Maßstab der groben Fahrlässigkeit iS des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB X gemacht habe, habe das LSG den Fahrlässigkeitsmaßstab verkannt, den das Bundessozialgericht (BSG) seit seinem Urteil vom 29. August 2002 (Hinweis auf BSG B 11 AL 31/02 R) bei einem nicht gemeldeten Lohnsteuerklassenwechsel anwende. Zudem sei die ab 1. Januar 1998 geltende Regelung in § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III, wonach ein Steuerklassenwechsel unabhängig von der steuerrechtlichen Zweckmäßigkeit dann wirksam sei, wenn sich aus dem Wechsel eine niedrigere Leistung ergebe, verfassungswidrig.

Die Beteiligten haben in der mündlichen Verhandlung am 1. April 2004 durch Teilvergleich den streitigen Zeitraum auf die im Antrag aufgeführten Bescheide begrenzt.

Die Klägerin beantragt,

1. das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 27. Februar 2003 aufzuheben und das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 24. März 2000 unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten zu ändern und

2. den Bescheid der Beklagten vom 26. Oktober 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Februar 1999 und den Bescheid vom 25. September 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Dezember 1998 aufzuheben, sowie die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 25. September 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Oktober 1998 zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 19. April bis 31. August 1998 Arbeitslosenhilfe unter Zugrundelegung der Lohnsteuerklasse III (Leistungsgruppe C) zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II

Die Revision ist im Sinne der Zurückverweisung begründet (§ 170 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz). Auf Grund der tatsächlichen Feststellungen des LSG kann nicht abschließend entschieden werden, ob die Klägerin im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen ist, als hätte sie den Lohnsteuerklassenwechsel zum 1. Januar 1998 nicht vorgenommen. In diesem Falle wäre zunächst der auf § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB X iVm § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III gestützte (Teil-)Aufhebungsbescheid der Beklagten rechtswidrig, weil der Klägerin auch ab 1. Januar 1998 Alg unter Zugrundelegung der Leistungsgruppe C (Lohnsteuerklasse III) zustünde und keine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten wäre. Weiterhin hätte die Klägerin dann auch für die Zeit vom 19. April 1998 bis 31. Dezember 1998 einen Anspruch auf Alhi unter Zugrundelegung der Lohnsteuerklasse III gehabt, weshalb auch die weiteren (Teil-)Aufhebungsbescheide über Alhi rechtswidrig wären.

Die Beklagte kann die Bewilligung von Alg bzw Alhi nur dann wegen eines vorangegangenen Steuerklassenwechsels auf Grund von § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III teilweise aufheben, wenn sie den Betroffenen bereits bei der Antragstellung bzw vor der Leistungsbewilligung hinreichend über die Auswirkungen eines Wechsels der Steuerklassen auf die Höhe der Sozialleistung informiert hat. Die Beklagte trifft insoweit eine besondere Beratungspflicht, weil die in § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III angeordnete Rechtsfolge andernfalls nicht zu rechtfertigen wäre. Diese Regelung begegnet ebenso verfassungsrechtlichen Bedenken wie das Gesamtkonzept der Norm des § 137 Abs 4 Satz 1 SGB III (hierzu unter 1). Der Senat schließt sich insoweit dem 11. Senat des BSG an, der bereits verfassungsrechtliche Zweifel gegen § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III erhoben hat (BSG SozR 3-4300 § 137 Nr 3). Diese Bedenken sind zum einen darin begründet, dass § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III das Eigentumsgrundrecht des Arbeitslosen aus Art 14 Abs 1 GG berührt (vgl 1a). Zum anderen bestehen Bedenken gegenüber der unzureichenden Normenklarheit des Regelungskonzepts des § 137 Abs 4 Satz 1 SGB III insgesamt. Hier treten auch Wertungswidersprüche zwischen den Rechtsfolgen des § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 1 SGB III und denen des § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III auf (vgl zum Ganzen 1b). Deshalb müssen dem verheirateten Versicherten die leistungsrechtlichen (arbeitsförderungsrechtlichen) Konsequenzen eines Lohnsteuerklassenwechsels hinreichend klar und deutlich vor Augen geführt werden. Die Beklagte kann den verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 137 Abs 4 SGB III dadurch begegnen, dass sie die Betroffenen jeweils bereits bei Arbeitslosmeldung bzw Leistungsbewilligung gesondert und eingehend auf die Gefahren eines steuerrechtlichen Lohnsteuerklassenwechsels für den arbeitsförderungsrechtlichen Anspruch und eine konkrete Beratungsnotwendigkeit durch die Arbeitsämter (jetzt: Agenturen für Arbeit) hinweist (im Einzelnen unter 2). Die von der Beklagten ausgehändigten Merkblätter in ihrer gegenwärtigen Fassung genügen dieser spezifischen Hinweispflicht, die ausschließlich den Lohnsteuerklassenwechsel von Ehegatten betrifft, nicht, weil sie lediglich den Gesetzestext paraphrasieren und wegen ihres Umfangs die für Laien notwendige Warnung vor einem Steuerklassenwechsel nicht sicherstellen können. Ihrer Beratungspflicht kann die Beklagte nur dadurch genügen, dass sie im Einzelnen deutlich und von dem üblichen Merkblatt getrennt einen Hinweis auf die Gefahren des Lohnsteuerklassenwechsels gibt, der auch für die Laiensphäre verständlich macht, welche leistungsrechtlichen Gefahren bei einem Lohnsteuerklassenwechsel drohen können. Aus der Verletzung dieser Hinweis- und Beratungspflicht der Beklagten kann dem Arbeitslosen ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch erwachsen (vgl unter 3). Die bisherige Rechtsprechung des BSG im Rahmen des § 113 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) zur "Tatbestandswirkung der eingetragenen Lohnsteuerklasse" steht einem solchen Herstellungsanspruch nicht entgegen.

1. § 137 Abs 4 Satz 1 SGB III begegnet verfassungsrechtlichen Bedenken.

a) Das Eigentumsrecht des Art 14 Abs 1 GG ist bereits deshalb berührt, weil die Neuregelung des § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III eine deutliche Verschlechterung gegenüber dem bisherigen Rechtszustand unter Geltung des AFG bis 31. Dezember 1997 darstellt. Der Anspruch der Klägerin auf Alg ist im vorliegenden Fall bereits im Jahre 1997 entstanden. Die dreijährige Rahmenfrist des § 124 Abs 1 SGB III wurde mithin unter Geltung des AFG erfüllt, weshalb dieses Anwartschaftsrecht durch die Neuregelung tangiert wurde. Wie vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bereits mehrfach entschieden (vgl BVerfGE 72, 9; 74, 9, 25; 74, 203, 213; 76, 220, 235; 92, 365, 404), fällt der Anspruch auf Alg unter den Schutzbereich des Art 14 Abs 1 GG (vgl Papier in Maunz/Dürig, GG, RdNr 152 ff zu Art 14 GG, 40. Lfg, Juni 2002). Die Neuregelung des § 137 Abs 4 SGB III berührt den Schutzbereich dieses Grundrechts, soweit die unter Geltung des AFG bereits zurückgelegte Anwartschaft mit einer neuen Belastung (§ 137 Abs 4 Satz 1 SGB III) beschwert wird. Dahinstehen kann deshalb, inwieweit auch die Bewilligung von Alg ebenfalls bereits eine eigentumsgeschützte Position zu Gunsten der Klägerin darstellt, in die nachträglich auf Grund der in § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III normierten Rechtsfolge eingegriffen wurde.

Der "Eingriffscharakter" des § 137 Abs 4 SGB III erschließt sich zunächst aus einer rechtsgeschichtlichen Betrachtung der Behandlung des Lohnsteuerklassenwechsels unter Ehegatten im AFG. Zunächst wurde im AFG die Lohnsteuerklasse bei der Höhe des Alg überhaupt nicht berücksichtigt. Nach §§ 111, 112 AFG wurde ab 1969 lediglich ein "Hauptbetrag" (nebst Familienzuschlägen) ermittelt, für dessen Höhe die vorherige Lohnsteuerklasse des Arbeitslosen irrelevant war. Mit dem Haushaltsstrukturgesetz-AFG vom 18. Dezember 1975 (BGBl I 3113) wurde zum 1. Januar 1976 erstmals die Berechnung des Alg nach Leistungsgruppen (entsprechend der Lohnsteuerklasse) eingeführt. Der neue § 113 AFG sah eine Berücksichtigung des Wechsels von Lohnsteuerklassen nur vor, wenn der Ehegatte des Arbeitslosen nunmehr keine oder nur noch eine Teilzeitbeschäftigung ausübte. § 113 Abs 2 AFG idF des Fünften Gesetzes zur Änderung des AFG (5. AFG-ÄndG) vom 23. Juli 1979 (BGBl I 1189; in Kraft ab 1. August 1979) bestimmte schließlich, dass ein Steuerklassenwechsel zwischen Ehegatten bei der Höhe des Alg nur berücksichtigt wird, wenn der Arbeitslose dies beantragt. Es stand mithin zur Disposition des Arbeitslosen, ob er den Lohnsteuerklassenwechsel arbeitsförderungsrechtlich berücksichtigt haben wollte. Mit Wirkung zum 1. Januar 1981 wurde § 113 Abs 2 AFG durch das Steuerentlastungsgesetz 1981 vom 16. August 1980 (StEntlG 1981, BGBl I 1381) neu gefasst. § 113 Abs 2 AFG lautete nunmehr:

"(2) Haben Ehegatten die Steuerklassen gewechselt, so werden die neu eingetragenen Lohnsteuerklassen von dem Tage an berücksichtigt, an dem die Änderung wirksam wird. Entsprechen die neu eingetragenen Lohnsteuerklassen an diesem Tage offensichtlich nicht dem Verhältnis der monatlichen Arbeitslöhne beider Ehegatten, so sind die diesem Verhältnis entsprechenden Lohnsteuerklassen für die Höhe des Arbeitslosengeldes maßgebend. Ein Ausfall des Arbeitslohns, der den Anspruch auf eine lohnsteuerfreie Lohnersatzleistung begründet, bleibt bei der Beurteilung des Verhältnisses der monatlichen Arbeitslöhne außer Betracht."

Diese Fassung des § 113 Abs 2 AFG galt im Wesentlichen unverändert von 1981 bis zum Inkrafttreten des SGB III am 1. Januar 1998. Lediglich Satz 4 des Abs 2 wurde durch das Gesetz zur Änderung von Fördervoraussetzungen im AFG und in anderen Gesetzen vom 18. Dezember 1992 (BGBl I, 2044) angefügt.

Zur Begründung der Neufassung des § 113 Abs 2 AFG ist in den Materialien des StEntlG 1981 (BT-Drucks 8/3901, S 77) ausgeführt:

"Ein Steuerklassenwechsel soll künftig immer dann berücksichtigt werden, wenn der Steuerklassenwechsel objektiv geboten war, beispielsweise, wenn sich der Arbeitsverdienst eines Ehegatten nach der Ausstellung der Lohnsteuerkarten erheblich verändert hat. In diesen Fällen sollen die Lohnsteuerklassen maßgebend sein, die dem Verhältnis der Arbeitslöhne beider Ehegatten entsprechen."

Es war also klar erkennbarer Wille des Gesetzgebers, die "objektive Gebotenheit" eines Steuerklassenwechsels zwischen Ehegatten zu überprüfen. Unter Geltung des § 113 Abs 2 AFG hatte sich die Praxis so entwickelt, dass bei jedem Steuerklassenwechsel von Ehegatten eine Zweckmäßigkeitsprüfung seitens der Bundesanstalt (jetzt: Bundesagentur) für Arbeit (BA) zu erfolgen hatte. Bezogen zu dem Zeitpunkt, zu dem der Steuerklassenwechsel wirksam wurde, beide Ehegatten Arbeitsentgelte, so war eine steuerrechtliche Zweckmäßigkeitsprüfung vorzunehmen; bezog ein Ehegatte oder bezogen beide in diesem Zeitpunkt Entgeltersatzleistungen, so war eine fiktive steuerrechtliche Zweckmäßigkeitsprüfung unter Berücksichtigung des Arbeitsentgelts erforderlich, das vor dem Bezug der Entgeltersatzleistung verdient worden war (arbeitsförderungsrechtliche Tunlichkeitsprüfung). Die von Ehepartnern geänderten Lohnsteuerklassen wurden jeweils arbeitsförderungsrechtlich zu Grunde gelegt, wenn die neu eingetragenen Lohnsteuerklassen "den geringsten gemeinsamen Lohnsteuerabzug zur Folge haben" (so Urteil des Senats vom 11. Februar 1988, BSG SozR 4100 § 113 Nr 7, S 44; Zusammenfassung der Rspr des BSG zu § 113 Abs 2 AFG in dem Urteil des Senats vom 4. September 2001 - BSGE 88, 299, 302 f). Das Arbeitsamt war unter Geltung des § 113 Abs 2 AFG bei einem Steuerklassenwechsel immer verpflichtet, die materielle Richtigkeit der Steuerklassenwahl im Einzelnen zu überprüfen und auch das Alg nach dem Ergebnis dieser Prüfung zu berechnen (vgl auch BSG SozR 4100 § 113 Nr 11, S 64 f). Im hier zu entscheidenden Fall hätte die Klägerin also unter Geltung des § 113 Abs 2 AFG Alg nach einer anderen Leistungsgruppe beziehen können, weil angesichts der - nicht im Einzelnen festgestellten - Einkünfte ihres Ehemanns aus abhängiger Beschäftigung die Lohnsteuerklassenkombination IV/IV (Klägerin/Ehemann) materiell (angesichts der Einkommensverhältnisse: aktuelles Arbeitsentgelt des Ehemannes, Arbeitsentgelt der Klägerin vor dem Alg-Bezug) wohl die richtige war. § 113 Abs 2 AFG erlaubte es mithin, dass der Ehemann der Klägerin Steuern nach Lohnsteuerklasse III bezahlt hätte, während die Klägerin Alg unter Zugrundelegung einer "besseren" Lohnsteuerklasse als der eingetragenen Klasse V (sei es ebenfalls nach Steuerklasse III oder nach IV) erhalten konnte.

Dieses Ergebnis lässt sich unter Geltung des § 137 Abs 4 SGB III einfachrechtlich nicht mehr rechtfertigen. § 137 Abs 4 Satz 1 SGB III enthält zwei Alternativen der Berücksichtigung des Lohnsteuerklassenwechsels zwischen Ehegatten, je nach dem, ob sich aus dem Wechsel ein höherer Anspruch auf Alg ergeben könnte.

- Hätte die Klägerin auf Grund des Wechsels der Lohnsteuerklasse einen Anspruch auf höheres Alg, so prüft die BA, ob die neu eingetragenen Lohnsteuerklassen dem Verhältnis der monatlichen Arbeitsentgelte beider Ehegatten entsprechen (§ 137 Abs 4 Satz 1 Nr 1 SGB III).

- Hätte die Klägerin auf Grund des Wechsels der Lohnsteuerklasse einen Anspruch auf niedrigeres Alg, findet der Wechsel mithin zu Ungunsten der Klägerin statt (vgl zur Struktur des § 137 Abs 4 SGB III insbes Pilz in Gagel, § 137 SGB III RdNr 61 ff, Stand Juli 2003), so braucht die BA hingegen keine arbeitsförderungsrechtliche Tunlichkeitsprüfung mehr vorzunehmen, sie kann ohne jede materielle Prüfung in der Sache von der arbeitsförderungsrechtlich ungünstigeren Kombination zu Lasten der Ehepartner ausgehen (§ 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III).

Letzteres ist im vorliegenden Fall geschehen. Die Klägerin hat die Lohnsteuerklasse V gewählt, die arbeitsförderungsrechtlich wegen ihrer Untunlichkeit zu einer geringeren Leistung führt, obwohl sie steuerrechtlich -möglicherweise - zweckmäßiger ist. Auf Grund der Norm des § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III muss sie sich an dieser (arbeitsförderungsrechtlich ungünstigen) Wahl festhalten lassen. § 137 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB III entbindet die BA gänzlich von einer materiellen Prüfung der arbeitsförderungsrechtlichen Tunlichkeit der Lohnsteuerklassenwahl.

Mithin stellt § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III eine Verschlechterung des Rechtszustandes im Vergleich zu § 113 Abs 2 AFG dar. Die Neufassung des § 137 Abs 4 SGB III insgesamt wird in den Materialien zum Arbeitsförderungs-Reformgesetz (AFRG) vom Gesetzgeber mit lediglich einem Satz wie folgt gerechtfertigt:

"Die Vorschrift entspricht in neuem Aufbau im Wesentlichen den §§ 111 Abs 2, 113 AFG. Die Neuregelung zum Steuerklassenwechsel von Ehegatten soll stärker als das geltende Recht (§ 113 Abs 2 AFG) Manipulationen zu Lasten der Arbeitslosenversicherung verhindern" (BT-Drucks 13/4941, S 179).

Die Verfassungsgemäßheit des § 137 Abs 4 SGB III ist auch im Lichte dieser Gesetzesbegründung zu würdigen. Denn der Wechsel des "Regimes" von § 113 Abs 2 AFG zu § 137 Abs 4 SGB III könnte die Klägerin in ihrem Eigentumsgrundrecht aus Art 14 Abs 1 GG beeinträchtigen. Eine das Eigentumsrecht einschränkende Norm muss den Anforderungen genügen, die an eine Inhalts- und Schrankenbestimmung iS des Art 14 Abs 1 Satz 2 GG zu stellen sind (vgl Spellbrink, in: Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, § 39 RdNr 40 ff). Regelungen, die zu Eingriffen in eigentumsrechtlich geschützte Positionen führen, sind nur zulässig, wenn sie durch Gründe des öffentlichen Interesses unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt sind. Dabei müssen die Eingriffe zur Erreichung des angestrebten Ziels geeignet und erforderlich sein, insbesondere dürfen sie den Betroffenen nicht übermäßig belasten und für ihn deswegen unzumutbar sein (beispielhaft BVerfGE 76, 220, 238 f). Das genannte Regelungsziel des Gesetzgebers, Manipulationen zu Lasten der Arbeitslosenversicherung zu verhindern, ist in der vorliegenden Fallkonstellation (Klägerin hat bereits Alg nach Lohnsteuerklasse III <Leistungsgruppe C> bewilligt erhalten) nicht zu erreichen (so bereits zutreffend: Urteil des 11. Senats vom 29. August 2002, SozR 3-4300 § 137 Nr 3, S 15 ff). Die Klägerin erhielt bereits das für sie höchstmögliche Alg. Ein Lohnsteuerklassenwechsel in eine Lohnsteuerklasse, aus der sich ein niedrigeres Alg ergibt, stellt keine Manipulation zu Lasten der Arbeitslosenversicherung dar. Von daher stimmt bereits der angegebene Gesetzeszweck nicht mit der tatsächlichen Auswirkung des § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III überein.

Diese zu erheblichen Leistungseinschränkungen führende Regelung ist aber auch im Hinblick auf andere denkbare Ziele nicht erforderlich. Eine Regelung ist erforderlich, wenn keine anderen, den Bürger weniger belastenden Maßnahmen zur Verfügung stehen, mit denen das gleiche Ziel erreicht werden kann. Eine solche Regelung lag mit § 113 Abs 2 AFG vor, die auch den (arbeitsförderungsrechtlichen) Schutz von Ehepartnern bei der Wahl von "falschen" Lohnsteuerklassen nach Eintritt von Arbeitslosigkeit bezweckte. Den oben zitierten Vorgängerregelungen des § 137 Abs 4 SGB III kann ein gewisser Schutzzweck zu Gunsten von Ehepaaren nicht abgesprochen werden, den § 137 Abs 4 SGB III weitgehend aufhebt. Zwar war die obligatorische Zweckmäßigkeitsprüfung gemäß § 113 Abs 2 Satz 2 AFG verwaltungsaufwändig, jedoch ist nach dem Gesamtkonzept des § 137 Abs 4 Satz 1 SGB III die Beklagte keineswegs von jeder Zweckmäßigkeitsprüfung befreit, vielmehr hat sie eine solche in unsystematischer und tendenziell gleichheitswidriger (Art 3 Abs 1 GG) Weise durchzuführen (vgl sogleich 1b), wenn Ehepartner eine Lohnsteuerklassenkombination wählen, die zu einem höheren Alg führt (§ 137 Abs 4 Satz 1 Nr 1 SGB III). Hieraus folgt nicht, dass der Gesetzgeber das Regelungskonzept des § 113 Abs 2 Satz 2 AFG (aus verfassungsrechtlichen Gründen) nicht hätte aufgeben dürfen. Vielmehr ist lediglich festzuhalten, dass das neue Konzept des § 137 Abs 4 SGB III nicht erforderlich war in dem Sinne, dass eine den Bürger weniger belastende gesetzliche Regelung nicht denkbar wäre bzw zu demselben Ergebnis führen könnte. Dabei kann auch dahinstehen, ob die ursprüngliche Regelung des AFG ab 1969 vorzugswürdig wäre, nach der die Lohnsteuerklasse sich überhaupt nicht auf die Höhe des Alg auswirkte. Letztlich kann dies dahinstehen, zeigt der Vergleich unterschiedlicher Regelungsmöglichkeiten doch, dass die Regelung des § 137 Abs 4 Satz 1 SGB III jedenfalls im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht erforderlich war. Im Hinblick auf die ab dem Jahre 2006 bestehende Rechtslage bleibt zu überdenken, ob eine Überprüfung des Lohnsteuerklassenwechsels von Ehegatten unter dem Gesichtspunkt der Verwaltungspraktikabilität ganz aufgegeben werden könnte. Nach den Regelungen des Gesetzes zur Reform am Arbeitsmarkt (vom 24. Dezember 2003, BGBl I 3002) wird der Anspruch auf Alg gemäß § 127 SGB III im Regelfall (für unter 55-jährige) nur noch zwölf Monate betragen. Da durch die Regelungen des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (sog "Hartz IV-Gesetz" vom 24. Dezember 2003, BGBl I 2954) die Anschluss-Alhi ab 1. Januar 2005 gänzlich entfallen wird, dürfte sich bei einem dann im Regelfall einjährigen Bezug von Alg verstärkt die Frage stellen, inwiefern der Gesetzgeber nicht generell bei der Höhe des Alg an die bei Arbeitslosmeldung vorliegende Lohnsteuerklasse anknüpfen könnte, ohne dass spätere Wechsel überhaupt Berücksichtigung finden.

Unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit ergeben sich Bedenken auch aus der Relation von gesetzgeberischem Ziel (Vermeidung von Missbrauch bzw Verwaltungsvereinfachung) und Tragweite des Eingriffs beim Versicherten. Letzterer verliert faktisch - zusammen mit seinem Ehegatten - das Recht, die steuerlich sinnvolle Steuerklasse zu wählen auch dann, wenn vor Eintritt der Arbeitslosigkeit die zweckmäßigen Lohnsteuerklassen gewählt worden waren. Hinzu kommt, dass die Auswirkungen des § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III keinesfalls minimal und ohne weiteres hinnehmbar sind. Die Klägerin "verliert" hier im konkreten Fall in nur knapp vier Monaten Arbeitslosigkeit Alg in Höhe von etwa 2.800,00 DM und auch von April bis August Alhi in Höhe von weiteren 2.000,00 DM, die sie auch nicht später zurückerhält, weil ein "Alg-Jahresausgleich" nicht stattfindet. Durch § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III erleidet sie mithin eine substanzielle Einbuße an ihrem eigentumsgeschützten Recht auf Alg. Stellt man die Bedürfnisse des Bürgers - die unter Geltung des § 113 Abs 2 AFG noch gewahrt waren - und die Bedürfnisse der Verwaltung gegenüber (insbesondere, wenn man berücksichtigt, dass nach § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 1 SGB III weiterhin eine intensive Zweckmäßigkeitsprüfung geboten ist), so bestehen erhebliche Bedenken, ob die Neuregelung des § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III als dem Arbeitslosen zumutbar betrachtet werden kann.

b) Der Übergang von dem Regelungskonzept des § 113 Abs 2 AFG zu dem des § 137 Abs 4 SGB III kann im Rahmen des Art 3 Abs 1 GG auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Verwaltungspraktikabilität gerechtfertigt werden. Unter diesem Gesichtspunkt hat das BVerfG typisierende und pauschalierende Regelungen bei der Bestimmung der Höhe des Alg im Regelfall für zulässig erachtet (vgl Osterloh in Sachs, GG, 3. Aufl 2002, RdNr 104 ff zu Art 3 GG; Spellbrink in Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, § 39 RdNr 148 ff, jeweils mwN). Die Gewährung von Alg ist ein Massenphänomen und soll nicht mit aufwändigen Einzelfallprüfungen belastet werden, wobei das BVerfG auch betont hat, dass es im Interesse des Leistungsempfängers liege, die Leistung zeitnah (schnell) zu erhalten (vgl BVerfGE 63, 255, 262). Indessen rechtfertigt die Notwendigkeit der Ordnung und verwaltungspraktikablen Bearbeitung von Massenerscheinungen in Form typisierender Regelungen nicht jede Härte im Einzelfall. Die Grenzen zulässiger Typisierung hat das BVerfG wie folgt umschrieben: Eine Typisierung setze voraus, "dass die durch sie eintretenden Härten und Ungerechtigkeiten nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betreffen und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv ist. Wesentlich ist ferner, ob die Härten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären; hierfür sind auch praktische Erfordernisse der Verwaltung von Gewicht" (vgl BVerfGE 84, 348, 360; vgl auch BVerfGE 87, 234, 255 f; 91, 93, 115).

Insofern bestehen vielmehr Bedenken gegen das Regelungskonzept des § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 1 und Nr 2 SGB III. Wenn einzig die Verwaltungspraktikabilität im Vordergrund der Regelung stehen würde, so ist die unterschiedliche Behandlung von Lohnsteuerklassenwechseln, die zu einem höheren und solchen, die zu einem niedrigeren Alg führen, kaum zu rechtfertigen. Denn nach § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 1 SGB III hat die Beklagte eine (verwaltungsaufwändige) materielle Zweckmäßigkeitsprüfung des Lohnsteuerklassenwechsels vorzunehmen, wenn der Alg-Anspruch des Arbeitslosen auf Grund des Lohnsteuerklassenwechsels höher ausfallen würde. Insoweit ist gegenüber der alten Rechtslage nach § 113 Abs 2 AFG keine Änderung eingetreten. Die Neuregelung kann im Einzelfall aber zu Ergebnissen führen, die im Widerspruch zur pauschalen Berücksichtigung der für das Alg "schlechteren" Lohnsteuerklasse nach § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III stehen.

Lag etwa bei einem arbeitslosen Ehepartner bei Arbeitslosmeldung zunächst die Lohnsteuerklasse V vor und war diese auch der Bewilligung zu Grunde gelegt worden (Leistungsgruppe D), wechselte dieser Arbeitslose aber später in Lohnsteuerklasse III (Leistungsgruppe C), so ist dieser Wechsel im Sinne des Gesetzgebers wohl "manipulativ", da mit ihm eine höhere Leistung bezweckt wird. (Einen solchen Wechsel hat die Klägerin im Übrigen im Jahre 1999 wieder vorgenommen). Dieser "manipulative" Wechsel ist zu Gunsten des Arbeitslosen aber auch dann zu berücksichtigen, wenn sich nach der Zweckmäßigkeitsprüfung ergibt, dass die Kombination der Lohnsteuerklassen IV/IV die zweckmäßigste für das Ehepaar gewesen wäre. Denn im Rahmen der Zweckmäßigkeitsprüfung nach § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 1 SGB III genügt die Wahl einer bloß "zweckmäßigeren" Lohnsteuerklassenkombination (vgl BSGE 88, 299 = SozR 3-4300 § 137 Nr 1). Die Wahl der zweckmäßigsten Kombination ist hier gerade nicht erforderlich. Insofern bestehen Bedenken, ob diese unterschiedliche Behandlung von Ehepaaren auch im Lichte des Art 3 Abs 1 GG gerechtfertigt werden kann. Während bei dem Ehepaar, dessen Leistungsempfänger in eine arbeitsförderungsrechtlich "schlechtere" Lohnsteuerklasse wechselt, diese gemäß § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SGB III ohne jede Prüfung zu Grunde gelegt wird, wird zu Gunsten des Alg-Empfängers, der eine günstigere (und die Solidargemeinschaft mithin stärker belastende) Lohnsteuerklassenkombination wählt, eine umfangreiche und aufwändige Zweckmäßigkeitsprüfung durchgeführt, an deren Abschluss ihm auch dann das höchstmögliche Alg nach Leistungsgruppe C (Lohnsteuerklasse III) zusteht, wenn die Kombination IV/IV steuerrechtlich die richtige gewesen wäre.

Als völlig "ungereimt" und nicht berechenbar erweist sich das Regelungskonzept des § 137 Abs 4 SGB III schließlich im Fall einer Zweckmäßigkeitsprüfung nach § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 1 SGB III, bei der ebenfalls ein Wechsel des Leistungsempfängers von Lohnsteuerklasse V in Lohnsteuerklasse III erfolgt, die Kombination III/V sich aber noch nicht einmal als die zweckmäßigere erweist, weil etwa das zu berücksichtigende Arbeitsentgelt des Partners leicht über dem der Berechnung des Alg zu Grunde liegenden Arbeitsentgelt des Arbeitslosen liegt. Stellt die Beklagte in diesem Fall nach einer aufwändigen Zweckmäßigkeitsprüfung im Rahmen des § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 1 SGB III fest, dass die Lohnsteuerklassenkombination IV/IV die zweckmäßigste wäre, so scheidet eine Berücksichtigung dennoch aus, wenn die bisherige Lohnsteuerklasse V die zweckmäßigere Lohnsteuerklasse und die vom Leistungsempfänger tatsächlich gewählte Klasse III die unzweckmäßigste aller drei möglichen Kombinationen ist. In diesem letzteren Fall wird dem Arbeitslosen dann aber auch die Gewährung von Alg nach der zweckmäßigen Lohnsteuerklasse IV verweigert, weil nach den zu Grunde liegenden Arbeitsentgelten der beiden Ehepartner für den Leistungsempfänger die neu gewählte Lohnsteuerklasse III nicht einmal die zumindest zweckmäßigere gewesen wäre. (Dies ist im vorliegenden Falle für die Zeiträume ab 11. Januar 1999 offenbar geschehen). Die Beklagte müsste hier aber lediglich das mit erheblichem Aufwand gewonnene Ergebnis noch in einem Bescheid "umsetzen", was sie aber auf Grund des § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 1 SGB III unterlassen darf.

Hierbei ist auch zu beachten, dass nach § 137 Abs 4 Satz 1 iVm § 137 Abs 4 Satz 2 SGB III hinsichtlich der Ermittlung der jeweils für den steuerrechtlichen Vergleich zu Grunde zu legenden Arbeitsentgelte der Ehegatten auf den Tag abzustellen ist, an dem der Lohnsteuerklassenwechsel wirksam wurde (vgl umfassend BSG SozR 4100 § 113 Nr 7). Damit ist insbesondere für einen Arbeitslosen, der bereits im Bezug einer Lohnersatzleistung ist, auch die Frage, von welchem (insofern fiktiven) Arbeitsentgelt bei ihm die Arbeitsverwaltung gemäß § 137 Abs 4 Satz 2 SGB III jeweils ausgehen wird, nicht einfach zu beantworten, sodass stets von Unwägbarkeiten abhängig ist, von welchem "Arbeitsentgelt" bei dem Vergleich der Ehegatteneinkommen auszugehen ist bzw welche Gestaltung sich als zweckmäßig (oder zweckmäßiger) erweist und ggf im Rahmen des § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 1 SGB III noch zu berücksichtigen ist oder nicht. Der Senat tritt nicht zuletzt deshalb den Ausführungen des 11. Senats des BSG bei, der auf den Wertungswiderspruch zwischen den steuerrechtlichen Regelungen und deren arbeitsförderungsrechtlichen Konsequenzen hingewiesen hat (BSG SozR 3-4300 § 137 Nr 3, S 15 f). Die dem Leistungsempfänger bereits durch Bescheid bewilligte grundrechtsgeschützte Rechtsposition (Anspruch auf Alg nach Leistungsgruppe C) wird nachträglich eingeschränkt, nur weil er eine steuerrechtlich zulässige und vielleicht sogar steuerrechtlich erwünschte Handlungsoption wahrgenommen hat. Arbeitsförderungsrechtlich lässt sich diese - zum Teil erhebliche - Einbuße jedenfalls nicht rechtfertigen. Die Beitragshöhe bemisst sich ohnehin nach dem Bruttoentgelt (§ 341 Abs 3 SGB III), ohne dass es hierfür auf die Lohnsteuerklasse ankäme, und durch den Wechsel der Lohnsteuerklasse ändert sich auch am leistungsrechtlichen Status des Arbeitslosen (Verfügbarkeit, Beschäftigungssuche) nichts. Die Gefahr erheblicher Einbußen bei der Höhe des Alg wegen eines Steuerklassenwechsels erschließt sich dem Laien somit nicht unmittelbar, und es kann keinesfalls unterstellt werden, dass die Folgen sich aus der "Natur der Sache" herleiten oder "auf der Hand liegen".

Von daher vermag auch das Argument, der Arbeitslose wähle schließlich "in freier Entscheidung" die für ihn arbeitsförderungsrechtlich schlechtere Lohnsteuerklasse und müsse sich folglich an dieser "freien Wahl" festhalten lassen (ebenso Pawlak in Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, § 11 RdNr 323), wenig zu überzeugen. Dieses Argument könnte nur verfangen, wenn unterstellt werden könnte, dass die Ehegatten unter Berücksichtigung aller Rechtsfolgen (unter Unterstellung der fiktiven Situation einer rationalen Wahl) die Steuerklassenwahl getroffen hätten. Wie dargelegt ist es aber auch für einen Fachmann äußerst schwer einzuschätzen, welche leistungsrechtlichen Folgen ein Lohnsteuerklassenwechsel haben kann. Auch der hier zu entscheidende Fall zeigt, dass die steuerrechtlich aktuell zweckmäßigere Wahl für die Ehegatten (Ehefrau Lohnsteuerklasse V/Ehemann Lohnsteuerklasse III) ab 1. Januar 1998 zwar einen möglicherweise Steuervorteil zur Folge hatte, arbeitsförderungsrechtlich aber zu erheblichen Einbußen bei der Klägerin führte, die auch nicht - im Rahmen eines "Alg-Jahresausgleichs" - wieder reparabel sind. Von einer "freien Wahl" der Lohnsteuerklasse durch den Arbeitslosen kann danach nur ausgegangen werden, wenn ihm zuvor die arbeitsförderungsrechtlichen Konsequenzen eines derartigen Wechsels deutlich vor Augen geführt worden sind (hierzu sogleich unter 2.)

2. Die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das Regelungskonzept des § 137 Abs 4 Satz 1 SGB III zwingen nicht zu einer Vorlage gemäß Art 100 Abs 1 GG an das BVerfG, weil die Beklagte ihnen durch Maßnamen im Verwaltungsvollzug begegnen kann. Die aus den Ungereimtheiten des Regelungskonzepts des § 137 Abs 4 SGB III und aus dem Wertungswiderspruch zur steuerrechtlichen Gestaltungsfreiheit sich ergebenden verfassungsrechtlichen Bedenken greifen nicht mehr durch, wenn der Arbeitslose rechtzeitig in die Lage versetzt wird, eine sachgerechte Entscheidung zu treffen. Dies erfordert allerdings einen das übliche Maß erheblich übersteigende Beratung. Auch insoweit stimmt der erkennende Senat mit dem 11. Senat überein (BSG SozR 3-4300 § 137 Nr 3 S 17). Die Beklagte ist zunächst generell gehalten, verheiratete Arbeitslose auf die Rechtsfolgen des § 137 Abs 4 Satz 1 Nr 1 und Nr 2 SGB III hinzuweisen und sie vor einem Lohnsteuerklassenwechsel ohne vorherige Beratung durch die Agenturen für Arbeit zu warnen. Ein solcher Hinweis muss über die übliche Aushändigung eines Merkblattes deutlich hinausgehen, da das Merkblatt sachnotwendig eine solche Vielzahl von Informationen enthält, dass in der Menge die besonderen Gefahren des Lohnsteuerklassenwechsels nicht ausreichend betont werden und damit von einem Laien nicht ausreichend verarbeitet werden können. Hieraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass das Merkblatt der Beklagten generell ein untaugliches Mittel der Aufklärung und Beratung der Versicherten darstellt. Vielmehr ist lediglich und ausschließlich der besonderen Situation im Rahmen des Lohnsteuerklassenwechsels Verheirateter Rechnung zu tragen. Nur die verfassungsrechtlichen Zweifel gegenüber § 137 Abs 4 SGB III begründen eine gesonderte und hervorgehobene Beratungspflicht der Beklagten, die über die übliche Aushändigung eines Merkblattes hinausgeht. Denn erst durch die konkrete, auf die Warnung folgende Beratung, die dem Versicherten als Laien deutlich macht, in welche leistungsrechtlichen Gefahren er sich im Arbeitsförderungsrecht bei einem steuerrechtlich sinnvollen Steuerklassenwechsel mit seinem Ehepartner begibt, wird der Arbeitslose überhaupt in die Lage versetzt, eine rationale Wahl (unter Abschätzung aller Rechtsfolgen) zu treffen. Nur wenn - eine intensivere Beratung durch die Beklagte unterstellt - der Versicherte sich bewusst (in Ansehung der arbeitsförderungsrechtlichen Folgen) für eine bestimmte Lohnsteuerklassenkombination entschieden bzw trotz der vorherigen Warnhinweise, den Wechsel ohne weitere Beratung einzuholen vollzogen hat, kann der Versicherte an eine "freie Wahl" der Steuerklasse gebunden werden und hat die mit dieser Wahl verbundenen arbeitsförderungsrechtlichen Konsequenzen zu tragen. Diese Information zu geben war die Beklagte jedenfalls im Oktober 1997 in der Lage, da die Änderung des Regelungskonzepts durch das AFRG vom 24. März 1997 (BGBl I 594) erfolgt war. Nimmt der Arbeitslose das Beratungsangebot, das mit der Warnung ausgesprochen wurde, nicht wahr, so geht dies zu Lasten des Arbeitslosen und auch sogar zu Lasten seines Ehegatten.

Die Merkblätter der Beklagten für die Jahre 1998 und später genügen diesen Anforderungen nicht. In dem Merkblatt für 1998, von dem noch nicht einmal festgestellt ist, dass die Klägerin es erhalten hat, wird erst auf S 26 (!) im Wesentlichen der Gesetzestext des § 137 Abs 4 SGB III paraphrasiert. Zwar ist in einem schwarzen Kasten der Hinweis hervorgehoben: "Ein Lohnsteuerklassenwechsel kann in der Regel nur einmal jährlich vorgenommen werden. Bitte holen Sie deshalb vorher Rat ein." Mit diesem gesonderten Hinweis, den die Beklagte in ihrem Revisionsvorbringen ebenfalls hervorhebt, ist aber noch nicht deutlich gemacht, dass überhaupt und welche Gefahren bei einem Steuerklassenwechsel für die Anspruchshöhe drohen. Gerade ein Arbeitsloser, der bereits Alg nach Leistungsgruppe C (Lohnsteuerklasse III) erhält, muss hier einen Hinweis erhalten, der ihm klar aufzeigt, dass jeder Lohnsteuerklassenwechsel eine erhebliche Anspruchseinbuße im Rahmen der Arbeitslosenversicherung zur Folge haben kann. Dieser Hinweis muss außerhalb des üblichen Merkblattes etwa auf einem gesonderten Blatt erfolgen und inhaltlich so gefasst sein, dass für einen Laien verständlich und klar zu erkennen ist, dass das Alg bei einem Lohnsteuerklassenwechsel niedriger ausfallen kann und ein solcher Schritt damit in jedem Falle leistungsrechtlich "gefährlich" ist. Das LSG wird dabei ggf auch aufzuklären haben, inwieweit die Klägerin im Oktober 1997 nicht noch zusätzlich inhaltlich falsch beraten worden ist, denn das Merkblatt 1997 gab auf S 25 noch den der Klägerin günstigen Text des § 113 Abs 2 AFG wieder. Hierzu hat die Klägerin seit dem Verwaltungsverfahren vorgetragen, sie habe nicht wissen können, dass sich die gesetzlichen Bestimmungen zum 1. Januar 1998 so erheblich verändert hätten.

3. Wenn die Beklagte den aufgezeigten Beratungspflichten nicht nachgekommen ist, kann der Klägerin aus der Verletzung dieser Pflichten ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch erwachsen. Der erkennende Senat hat im Urteil zum Parallelverfahren B 7 AL 52/03 R vom 1. April 2004 im Einzelnen begründet, dass die bisherige Rechtsprechung des BSG der Anwendung dieses Rechtsinstituts im Bereich des "Steuerklassenwechsels" nicht entgegen steht.

Sollte die Beklagte ihre Beratungspflichten verletzt haben, könnte die Klägerin von der Beklagten so gestellt werden, als hätte sie den Wechsel zur Lohnsteuerklasse V zum 1. Januar 1998 nicht vorgenommen. Ob die subjektiven Voraussetzungen des § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X iVm § 330 Abs 3 SGB III vorliegen und im Hinblick auf die unterlassene Meldung des Steuerklassenwechsels - wie der 11. Senat angenommen hat - nach einem generellen Maßstab der groben Fahrlässigkeit zu beurteilen sind (SozR 3-4300 § 137 Nr 3 S 16), lässt der Senat noch offen, zumal dieser in Fallkonstellationen, in denen keine Erstattungsforderung gemäß §§ 48, 50 SGB X im Raume steht, ohnehin nicht zur Ausräumung der verfassungsrechtlichen Bedenken beitragen kann. Der Senat hat insoweit Bedenken, dem 11. Senat zu folgen, zumal dieser seine Entscheidung im Hinblick auf die vorliegende Entscheidung des Senats zum sozialrechtlichen Herstellungsanspruch möglicherweise nicht aufrechterhalten wird. Es ist deshalb untunlich, in der Sache selbst zu entscheiden (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Das LSG wird noch Feststellungen zur Kausalität der Pflichtverletzung für das Handeln der Klägerin zu treffen haben. Es ist im Einzelnen festzustellen, ob sie den Wechsel in Lohnsteuerklasse V zum 1. Januar 1998 unterlassen hätte, wenn die Beklagte sie zuvor entsprechend der oben unter 2) aufgezeigten Anforderungen beraten hätte.

Das LSG wird auch abschließend über die Kosten des Rechtsstreits zu befinden haben.

Ende der Entscheidung

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