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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 05.08.1999
Aktenzeichen: B 7 AL 6/99 R
Rechtsgebiete: AFG


Vorschriften:

AFG § 136 Abs 2b
AFG § 112 Abs 7
Bei der Bemessung von Arbeitslosenhilfe können statt einer Vollzeit- auch mehrere beitragspflichtige Teilzeitbeschäftigungen berücksichtigt werden, jedenfalls soweit das Arbeitsförderungsgesetz Anwendung findet.
BUNDESSOZIALGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Verkündet am 5. August 1999

in dem Rechtsstreit

Az: B 7 AL 6/99 R

Kläger und Revisionskläger,

Prozeßbevollmächtigte:

gegen

Bundesanstalt für Arbeit, Regensburger Straße 104, 90478 Nürnberg,

Beklagte und Revisionsbeklagte.

Der 7. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 5. August 1999 durch die Vizepräsidentin Dr. Wolff, die Richter Eicher und Dr. Spellbrink sowie den ehrenamtlichen Richter Hannig und die ehrenamtliche Richterin Geppert

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Klägers wird der Beschluß des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 14. Dezember 1998 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe:

I

Der Kläger begehrt höhere Arbeitslosenhilfe (Alhi) für die Zeit vom 19. April bis 13. Dezember 1993.

Der im Jahre 1960 geborene Kläger war bis 17. April 1990 als Hilfsarbeiter in einem metallverarbeitenden Betrieb in Karlsruhe im Rahmen eines Vollzeitarbeitsverhältnisses tätig. Ab 18. April 1990 bezog er Arbeitslosengeld (Alg), vom 18. Februar bis 30. September 1991 - mit einer kurzen Unterbrechung - Unterhaltsgeld und vom 16. Oktober bis 12. Dezember 1991 (bis zur Erschöpfung des Anspruchs) wiederum Alg. Das Alg war zunächst nach einem sich aus einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden ergebenden Arbeitsentgelt bemessen worden, weil der Kläger wegen der Notwendigkeit der Betreuung von vier minderjährigen Kindern (Geburt des jüngsten Kindes im Jahre 1985) nach Ansicht der Beklagten nur für eine Teilzeittätigkeit verfügbar war. Ab 13. Dezember 1991 bezog der Kläger Anschluß-Alhi; dabei ging die Beklagte - wie schon beim vorausgehenden Alg-Bezug - wieder von einem sich aus einer Vollzeitbeschäftigung ergebenden Bemessungsentgelt aus (zuletzt 720,00 DM).

Am 13. April 1993 beantragte der Kläger die Fortzahlung von Alhi nach Ablauf des am 17. April 1993 endenden Bewilligungszeitraums; dabei gab er an, wegen der Betreuung seiner Kinder nur vormittags von 8.00 bis 12.00 Uhr und abends von 19.00 bis 23.00 Uhr arbeiten zu können. Die Beklagte bewilligte ihm ab 19. April 1993 Alhi in Höhe von wöchentlich 184,80 DM - nach einem sich aus einer Teilzeitbeschäftigung ergebenden Bemessungsentgelt von 390,00 DM, Leistungsgruppe B und einer Nettolohnersatzquote von 58 % - (Bescheid vom 29. April 1993; Widerspruchsbescheid vom 8. Juli 1993), weil der Kläger nur von 8.00 bis 12.00 Uhr (20 Wochenstunden) zur Verfügung stehe und als Helfer im Metallbereich bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 36 Stunden ein monatliches Arbeitsentgelt von 3.014,64 DM brutto erzielen könne. Nachdem der Kläger jedoch später erklärte, ab 14. Dezember 1993 wieder für eine Tätigkeit in der Zeit zwischen 7.00 und 17.00 Uhr zur Verfügung zu stehen, gewährte die Beklagte Alhi ab 14. Dezember 1993 nach einem aus einer Vollzeittätigkeit errechneten Bemessungsentgelt von 730,00 DM.

Beim Sozialgericht (SG) hat der Kläger für die Zeit vom 19. März bis 13. Dezember 1993 höhere Alhi beansprucht und erklärt, abends auch bis 24.00 Uhr und für andere Tätigkeiten als die eines Helfers im Metallbereich zur Verfügung zu stehen; das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 16. Januar 1996). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Beschluß vom 14. Dezember 1998). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf höhere Alhi. Zu Recht habe die Beklagte gemäß § 136 Abs 2b Arbeitsförderungsgesetz (AFG) iVm § 112 Abs 7 AFG das Bemessungsentgelt nach der Beschäftigung bestimmt, für die der Kläger in Betracht komme; dies sei eine Tätigkeit als Schlosserhelfer in Lohngruppe 6 des Metalltarifvertrags (Arbeitsentgelt in Höhe von 3.014,64 DM monatlich/regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 36 Stunden), für die der Kläger jedoch nur mit 20 Wochenstunden zur Verfügung stehe. Vollzeittätigkeiten mit der vom Kläger gewünschten Lage und Verteilung der Arbeitszeit (7.00 bis 12.00 Uhr und 19.00 bis 24.00 Uhr) seien nicht arbeitsmarktüblich, und zwei Teilzeitbeschäftigungen nebeneinander lasse das Gesetz als gesetzlichen Maßstab für das Bemessungsentgelt nicht zu. Es könne deshalb dahinstehen, ob es für eine zweite Teilzeitbeschäftigung in den Abendstunden, etwa in dem vom Kläger angeführten Gastronomiebereich, überhaupt einen Teilzeitarbeitsmarkt für Männer gebe, ob also eine solche Teilzeitarbeit den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts entspreche.

Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 136 Abs 2b AFG iVm § 112 Abs 7 AFG. Bei der Bestimmung des Bemessungsentgelts für die Alhi nach diesen Vorschriften müsse von zwei Teilzeitbeschäftigungen ausgegangen werden, für die er zur Verfügung stehe; es sei kein Grund erkennbar, die Verfügbarkeit nur für eine Teilzeittätigkeit oder eine vollschichtige Tätigkeit als Maßstab für das nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes erzielbare Arbeitsentgelt anzusehen. Maßgebend sei allein, ob und in welchem Umfang er für beitragspflichtige Beschäftigungen zur Verfügung stehe und ob solche Beschäftigungen unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarkts auch ausgeübt werden könnten; dies sei sowohl hinsichtlich einer Beschäftigung in den Vormittagsstunden als auch in den Abendstunden der Fall. Soweit die einschlägigen Vorschriften des AFG von einer Beschäftigung sprächen, sei zu berücksichtigen, daß es mittlerweile durch zunehmende Flexibilisierung des Arbeitsmarkts durchaus üblich sei, mehrere Teilzeitbeschäftigungen nebeneinander auszuüben.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Beschluß des LSG und das Urteil des SG aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 21. April/29. April 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Juli 1993 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 19. März bis 13. Dezember 1993 höhere Alhi zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, die gesetzlichen Bestimmungen ließen es nicht zu, bei der Bemessung der Alhi nach dem vom Kläger erzielbaren Verdienst auf zwei Teilzeitbeschäftigungen abzustellen. Für eine Vollzeitbeschäftigung jedenfalls habe der Kläger bei der von ihm gewünschten tageszeitlichen Verteilung der Arbeitszeit nicht zur Verfügung gestanden.

II

Die Revision des Klägers ist iS der Aufhebung der Entscheidung des LSG und der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>). Zwar ergeben die Entscheidungsgründe des mit der Revision angefochtenen, gemäß § 153 Abs 4 SGG ergangenen Beschlusses eine Gesetzesverletzung; die tatsächlichen Feststellungen des LSG ermöglichen indes keine Entscheidung darüber, ob der angefochtene Beschluß sich aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 170 Abs 1 Satz 2 SGG).

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 29. April 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Juli 1993, soweit mit diesem die Zahlung höherer Alhi als 184,80 DM wöchentlich abgelehnt worden ist. Darüber hinaus hat der Kläger in seinem schriftsätzlich gestellten Antrag die Aufhebung eines vom SG als vorläufig bezeichneten Bescheids vom 21. April 1993 beantragt. Ob dies dem wahren Willen des Klägers entspricht, ist zweifelhaft; gegebenenfalls wäre über den vom Kläger erhobenen Anspruch zu entscheiden, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein (§ 123 SGG). Dies hat das LSG bei seiner erneuten Entscheidung zu klären. Dabei wird zu beachten sein, daß sich der dem Senat nicht vorliegende Bescheid vom 21. April 1993, falls es sich, was naheliegt, um einen Vorschußbescheid iS des § 42 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I) gehandelt haben sollte, durch Erlaß des endgültigen Bescheids erledigt hätte (vgl nur BSG SozR 3-4100 § 112 Nr 28 S 126 ff); der Vorschußbescheid würde den endgültigen Bescheid in keiner Weise präjudizieren (BSG aaO, S 127 mwN). Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn es sich bei dem Bescheid vom 21. April 1993 nicht um einen - als solchen erkennbaren (vgl zu dieser Voraussetzung BSG aaO, S 127 mwN) - Vorschußbescheid, sondern um einen anderen Bescheid vorläufiger Art oder einen endgültigen Bescheid handeln würde; dann gingen von diesem Bescheid, auf dessen Grundlage offenbar keine Zahlungen erfolgt sind, gegebenenfalls Rechtswirkungen aus, die die Beklagte nach § 45, 48 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) hätte beseitigen müssen. Da die Sache jedoch ohnedies an das LSG zurückzuverweisen ist, kann die weitere Abklärung des Streitgegenstandes und der sich aus einem anderen als einem Vorschußbescheid ergebenden Rechtsfolgen für den Bescheid vom 29. April 1993 dem LSG überlassen bleiben.

Ob der Kläger einen Anspruch auf höhere Alhi für den streitigen Zeitraum hat, beurteilt sich nach § 136 AFG (idF, die die Vorschrift durch das Gesetz zur Änderung von Förderungsvoraussetzungen im AFG und in anderen Gesetzen <AFGuaÄndG> vom 18. Dezember 1992 - BGBl I 2044 - bzw ab 27. Juni 1993 durch das Gesetz zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms vom 23. Juni 1993 - BGBl I 944 - erhalten hat). Dabei sind gemäß § 139a Abs 2 AFG für die Wiederbewilligung von Alhi nach Ablauf des Bewilligungszeitraums die gesetzlichen Voraussetzungen ohne Bindung an frühere Bewilligungsbescheide in vollem Umfang zu überprüfen (BSGE 82, 198, 211 = SozR 3-4100 § 242v Nr 1; BSG SozR 3-4100 § 136 Nr 3 S 4 ff; BSG, Urteil vom 25. Juni 1998 - B 7 AL 128/97 R -, unveröffentlicht). Hinsichtlich des Anspruchsgrundes ist davon auszugehen, daß die Voraussetzungen für die Alhi nach § 134 AFG vorlagen (Arbeitslosigkeit, Verfügbarkeit zumindest für eine Teilzeittätigkeit von 8.00 bis 12.00 Uhr - vgl insoweit zu § 134 Abs 4 Satz 2 AFG BSGE 67, 276, 277 mwN = SozR 3-4100 § 134 Nr 5 -, Arbeitslosmeldung, Alhi-Antrag, kein Anspruch auf Alg mangels Erfüllung der Anwartschaft, Alg-Bezug innerhalb der Vorfrist, volle Bedürftigkeit mangels zu berücksichtigenden Einkommens bzw Vermögens - §§ 137, 138 AFG).

Nach § 136 Abs 1 Nr 1 AFG beträgt die Höhe der Alhi für Arbeitslose, die - wie der Kläger - mindestens ein Kind iS des § 32 Abs 1, 4 und 5 des Einkommensteuergesetzes haben, 58 % (Nettolohnersatzquote). Der konkrete Alhi-Leistungssatz ergibt sich unter Berücksichtigung des Arbeitsentgelts (Abs 2; Bemessungsentgelt) und der Lohnsteuerklasse (§ 134 Abs 4 Satz 1 AFG iVm § 113 AFG) aus der AFG-Leistungsverordnung 1993 (§ 136 Abs 3 AFG iVm § 111 Abs 2 Satz 2 bis 6 AFG). Vorliegend hat die Beklagte zu Recht eine Nettolohnersatzquote von 58 % (= erhöhter Leistungssatz) zugrunde gelegt. Ob die Leistungsgruppe B zu Recht angenommen wurde, mag das LSG gegebenenfalls prüfen; nach Aktenlage ist dies jedoch nicht zu beanstanden. Unter Umständen wird das LSG jedoch für den Fall, daß zur Bestimmung des Bemessungsentgelts von zwei Teilzeitbeschäftigungen auszugehen ist (vgl hierzu später), wie im Falle der Gewährung von Alg/Alhi im Anschluß an mehrere im Bemessungszeitraum gleichzeitig nebeneinander ausgeübte Tätigkeiten vorzugehen und deshalb den Leistungssatz nach der Steuerklasse zu bestimmen haben, die im Falle der Aufnahme einer einzigen Beschäftigung den Steuerabzug bestimmen würde (vgl hierzu BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 3). Nach Aktenlage dürfte dies jedoch auch dann die Steuerklasse II sein.

Einer endgültigen Beurteilung entzieht sich die Bestimmung des von der Beklagten und vom LSG angenommenen Bemessungsentgelts (in Höhe von 390,00 DM), das sich durch Rundung des maßgeblichen wöchentlichen Arbeitsentgelts ergibt (§§ 134 Abs 4 Satz 1, 112 Abs 1 Satz 1 und Abs 10 AFG). Insoweit greift nicht § 136 Abs 2 Satz 1 Nr 1 AFG ein, der als maßgebendes Arbeitsentgelt das Arbeitsentgelt bezeichnet, nach dem sich zuletzt das Alg gerichtet hat. Weil das Ende des Bemessungszeitraums (§§ 134 Abs 4 Satz 1, 112 Abs 2 AFG), der bei der Anschluß-Alhi identisch ist mit dem des Alg (vgl nur BSG SozR 3-4100 § 136 Nr 3 S 5 mwN), am 19. April 1993 in jedem Falle länger als drei Jahre zurücklag, ist das für die Bemessung der Alhi maßgebende Arbeitsentgelt gemäß § 136 Abs 2b AFG nach § 112 Abs 7 AFG neu festzustellen; dabei sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, und zwar auch solche, die eine Bemessung zugunsten des Arbeitslosen ermöglichen (BSGE 66, 11, 19 f = SozR 4100 § 112 Nr 52).

Nach § 112 Abs 7 AFG (hier idF, die § 112 AFG durch das AFGuaÄndG erhalten hat) ist von dem am Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Arbeitslosen maßgeblichen tariflichen oder mangels einer tariflichen Regelung von dem ortsüblichen Arbeitsentgelt derjenigen Beschäftigung auszugehen, für die der Arbeitslose nach seinem Lebensalter und seiner Leistungsfähigkeit unter billiger Berücksichtigung seines Berufes und seiner Ausbildung nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes in Betracht kommt. Bei der Bestimmung des erzielbaren Arbeitsentgelts ist jedoch ein sich aus einem Dreijahresrhythmus zu errechnender Neubemessungsstichtag zu beachten, also der am Tage nach Ablauf des dritten Jahres nach dem Ende des Bemessungszeitraums erzielbare Verdienst zu ermitteln (BSG SozR 3-4100 § 136 Nr 3 S 8), und zwar wie bei der Bestimmung des Regelbemessungsentgelts unter Berücksichtigung eines Stundenlohns - Lohnfaktor - und der regelmäßigen tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit - Zeitfaktor - (vgl nur BSG SozR 4100 § 112 Nr 53 S 260).

Hierzu fehlen ausreichende tatsächliche Feststellungen, die es dem Senat ermöglichen, die vom LSG vorgenommene tarifliche Einstufung zu überprüfen und die auch rechtliche Elemente beinhaltende Aussage nachzuvollziehen, im Jahre 1993 sei jegliche Vollzeitbeschäftigung mit der vom Kläger gewünschten tageszeitlichen Verteilung der Arbeitszeit arbeitsmarktunüblich gewesen (vgl zum Problem der revisionsrechtlichen Prüfung BSG SozR 3-4100 § 64 Nr 3 S 18). Das LSG hat darüber hinaus zu Unrecht bei der "fiktiven" Bemessung der Alhi nach § 112 Abs 7 AFG nur auf den erzielbaren Verdienst in einer Beschäftigung statt in zwei Beschäftigungen abgestellt; an diesem Punkt folgt der Senat nicht der Rechtsansicht des LSG, das Gesetz erlaube nicht die Berücksichtigung zweier Teilzeitbeschäftigungen, weil es auch keine Verfügbarkeit iS des § 103 AFG für mehrere Teilzeitbeschäftigungen gebe.

Nicht einschlägig dürfte vorliegend § 136 Abs 2 Satz 2 AFG sein. Danach richtet sich die Alhi zwar ebenfalls nach dem Arbeitsentgelt iS des § 112 Abs 7 AFG, solange der Arbeitslose aus Gründen, die in seiner Person oder in seinen Verhältnissen liegen, nicht mehr das für die Bemessung der Alhi zuletzt maßgebende Arbeitsentgelt erzielen kann; gleichwohl ist zwischen einer Anwendung dieser Norm und der des § 136 Abs 2b AFG zu unterscheiden. Denn die Neubemessungsstichtage differieren (vgl zu § 136 Abs 2 Satz 2 BSG SozR 4100 § 136 Nr 4 S 18 und zu § 136 Abs 2b BSG SozR 3-4100 § 136 Nr 3), so daß sich hieraus auch unterschiedliche Dynamisierungsstichtage ergeben (§§ 134 Abs 4 Satz 1, 136 Abs 2b Satz 2, § 112a Abs 1 Satz 3 AFG in der bis 26. Juni 1993 geltenden Fassung, die die Vorschrift durch das Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung vom 18. Dezember 1989, BGBl I 2261, erhalten hat - ab 27. Juni 1993 § 112a Abs 3 Satz 1 AFG).

§ 136 Abs 2 Satz 2 AFG (vgl ab 1. Januar 1998 § 200 Abs 2 Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - <SGB III>) setzt eine Änderung der Verdienstmöglichkeiten aufgrund persönlicher Umstände voraus, während § 136 Abs 2b AFG eine turnusmäßige - alle positiven und negativen Entwicklungen unter Einschluß der Änderung des Arbeitsmarktes berücksichtigende - Überprüfung der Verdienstmöglichkeiten vorsieht (vgl BT-Drucks 10/3923 S 25 Nr 30). Sinn des § 136 Abs 2 Satz 2 AFG ist es, bestimmte Gründe bereits vor der in § 136 Abs 2b AFG vorgesehenen turnusmäßigen Überprüfung zu erfassen, die zu einer Herabsetzung der Alhi führen können, und zwar nur solche, die sich nicht allein aus den Verhältnissen des Arbeitsmarktes ergeben (vgl Ebsen in Gagel, AFG, Stand Januar 1998, RdNr 51 zu § 136). Bei § 136 Abs 2 Satz 2 AFG ist deshalb die sich nach der Änderung der persönlichen Verhältnisse ergebende Verdienstmöglichkeit mit dem für die Alhi ansonsten maßgebenden Arbeitsentgelt zu vergleichen; dies setzt bei einer Wiederbewilligung von Alhi nach Ablauf eines Bewilligungszeitraums zwangsläufig die Prüfung voraus, nach welchem Arbeitsentgelt die Alhi vorher zu bestimmen war, nicht welches Bemessungsentgelt der Alhi zuvor tatsächlich zugrunde lag. War aber nach Ablauf eines Dreijahreszeitraums bereits eine Neubemessung nach § 136 Abs 2b AFG vorzunehmen, die die Beklagte mit der Wiederbewilligung nachzuholen hatte (vgl BSG SozR 3-4100 § 136 Nr 3), ist dieses Arbeitsentgelt der Vergleichsmaßstab. § 136 Abs 2 Satz 2 AFG kann mithin erst dann eingreifen, wenn aufgrund einer Änderung der persönlichen Umstände nach dem Neubemessungsstichtag auch dieses ermittelte Arbeitsentgelt nicht mehr erzielbar wäre. Hierfür sind keine Anhaltspunkte erkennbar. Würde man das Verhältnis von § 136 Abs 2 Satz 2 AFG und § 136 Abs 2b AFG anders sehen, wäre der Beklagten die Möglichkeit eröffnet, durch eine Neubemessung nach Abs 2 Satz 2 auch den Dynamisierungszeitpunkt zu Lasten des Arbeitslosen zu verschieben, weil das neue Arbeitsentgelt erst nach Ablauf eines Jahres seit dem Tag, der dem Zeitraum vorausgeht, für den die Alhi neu bemessen worden ist, anzupassen ist (vgl hierzu bei § 136 Abs 2 Satz 2 AFG: BSG SozR 4100 § 136 Nr 4 S 18; BSG, Urteil vom 14. September 1990 - 7 RAr 132/89 -, DBlR Nr 3757 zu § 136 AFG).

Mißt sich die Rechtmäßigkeit des Vorgehens der Beklagten an § 136 Abs 2b AFG, weil schon vor dem streitigen Zeitraum eine Neufestsetzung nach dieser Bestimmung hätte vorgenommen werden müssen, die die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid nachholen durfte und mußte, so wird das LSG zunächst genau den Bemessungszeitraum zu ermitteln haben (vgl BSGE 77, 244, 247 ff = SozR 3-4100 § 112 Nr 24); hierzu fehlen tatsächliche Feststellungen des LSG. Das Ende des Bemessungszeitraums bestimmt dann den festen Dreijahresrhythmus, der sich auch nicht dadurch ändern kann, daß die Beklagte unter Umständen schon zu einem früheren Zeitpunkt eine Neubemessung nach § 136 Abs 2 Satz 2 AFG hätte vornehmen können. Abgesehen davon, daß § 136 Abs 2b Satz 2 AFG mit seiner Verweisung auf § 112a Abs 1 Satz 3 AFG nicht ohne weiteres so verstanden werden muß, daß eine Änderung des Dynamisierungsstichtags auch automatisch eine Änderung des Dreijahreszeitraums zur Folge haben muß (so aber die Beklagte in ihren Durchführungsanweisungen und der Senat im Urteil vom 14. September 1990 - 7 RAr 132/89 -, DBlR Nr 3757 zu § 136 AFG, in einem obiter dictum), kann dies keinesfalls dann gelten, wenn eine Neubemessung überhaupt nicht vorgenommen worden ist (davon ausgehend, ohne dies zu problematisieren: BSG SozR 3-4100 § 136 Nr 3). Dies zeigt schon der Wortlaut des § 112a Abs 1 Satz 3 AFG (im Ergebnis BSG, Urteil vom 14. September 1990 - 7 RAr 132/89 -, DBlR Nr 3757 zu § 136 AFG). Eine Verschiebung des Dreijahresrhythmus allein dadurch, daß eine Neubemessung der Alhi nach § 136 Abs 2 Satz 2 AFG möglich gewesen wäre, würde die Beklagte im übrigen vor kaum lösbare verwaltungspraktische Probleme stellen.

Das LSG wird danach zu ermitteln haben, welches Arbeitsentgelt der Kläger zu dem nach dem Dreijahresrhythmus maßgebenden Stichtag erzielen konnte. Insoweit ist der Entscheidung des LSG bereits nicht zu entnehmen, für welche Tätigkeiten der Kläger nach seinem Lebensalter und seiner Leistungsfähigkeit unter billiger Berücksichtigung seines Berufs und seiner Ausbildung überhaupt in Betracht kam. Zudem fehlen tatsächliche Feststellungen des LSG, die eine Beurteilung des gesetzlichen Tatbestandsmerkmals der "Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes" ermöglichen; zu diesem Rechtsbegriff hat das BSG bereits ausgeführt, es sei darauf abzustellen, ob der Arbeitslose eine realistische Chance habe, das Arbeitsentgelt zu verdienen; dies setze voraus, daß auf dem erreichbaren Arbeitsmarkt Arbeitsplätze für die entsprechende Beschäftigung in nennenswertem Umfang vorhanden seien (BSG, Urteil vom 9. November 1989 - 11/7 RAr 63/87 -, DBlR Nr 3574a zu § 112 AFG). Die Frage des erzielbaren Arbeitsentgelts stehe in einem unlösbaren Zusammenhang mit den Fragen, für welche Beschäftigung der Arbeitslose der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehe und auf welche Beschäftigungen sich die Vermittlungsbemühungen der Beklagten erstrecken müßten (BSG aaO; BSGE 74, 174, 176 = SozR 4100 § 112 Nr 42). Die Ausführungen des LSG lassen nicht erkennen, woran es sich bei seiner Aussage rechtlich orientiert hat, eine Vollzeittätigkeit des Klägers mit der von ihm gewünschten Lage und Verteilung der Arbeitszeit (8.00 bis 12.00 Uhr, 19.00 bis 24.00 Uhr) sei arbeitsmarktunüblich.

Ebensowenig ist nachvollziehbar, ob der angenommene Verdienst als Verdienst einer Teilzeitbeschäftigung der für den Kläger günstigste ist. Zwar steht § 112 Abs 7 AFG, wie bereits ausgeführt, in einem unlösbaren Zusammenhang mit der Frage der Verfügbarkeit nach § 103 AFG. Dies bedeutet indes nicht, daß im Rahmen des § 112 Abs 7 AFG nur auf die Beschäftigungen abzustellen wäre, die die Beklagte einem Arbeitslosen zumuten dürfte. Dem Arbeitslosen steht es vielmehr frei, sich zur Begründung von Ansprüchen der Arbeitsvermittlung für an sich nicht zumutbare Beschäftigungen zur Verfügung zu stellen. Das Merkmal der Zumutbarkeit in § 103 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG ist also lediglich für die Frage bedeutsam, welche Beschäftigungen der Arbeitslose nach Art und Umfang auszuüben bereit und in der Lage sein muß, um die für den erhobenen Anspruch auf Alhi erforderliche Voraussetzung der Verfügbarkeit für die Arbeitsvermittlung zu erfüllen. Es begrenzt dagegen nicht den Kreis der Beschäftigungen, für die sich der Arbeitslose zur Herstellung und Aufrechterhaltung von Ansprüchen wegen Arbeitslosigkeit zur Verfügung stellen kann (BSGE 70, 180, 183 = SozR 3-4100 § 103 Nr 7; BSG SozR 4100 § 103 Nr 6 S 13 f). Dies gilt nicht nur für die Art der Tätigkeiten, sondern entgegen der Ansicht des LSG auch für die Frage, ob ein Arbeitsloser bereit ist, sich für mehr als ein die Beitragspflicht begründendes Beschäftigungsverhältnis zur Verfügung zu stellen.

Zwar ist der Beklagten zuzugestehen, daß der Wortlaut des § 112 Abs 7 AFG von einer Beschäftigung ausgeht und der Gesetzgeber in § 112 AFG insgesamt wohl nicht an die Möglichkeit zweier nebeneinander zu berücksichtigender Teilzeitbeschäftigungen gedacht hat (vgl BSG SozR 4100 § 112 Nr 7 S 25; SozR 3-4100 § 111 Nr 3 S 15); jedoch bedeutet dies nicht, daß bei Anwendung des § 112 Abs 7 AFG auch nur von dem Verdienst einer die Beitragspflicht begründenden (§ 103 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG) Beschäftigung auszugehen ist. Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund einer fortschreitenden Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und der Forderung nach immer stärkerer Flexibilität der Arbeitnehmer, also angesichts eines Strukturwandels der Arbeitswelt mit verstärktem Trend zur Teilzeitarbeit und zur Aufnahme mehrerer nebeneinander bestehender Beschäftigungsverhältnisse. Die Regelung des § 150 SGB III über die Zahlung von Teil-Alg widerspricht dem nicht. Im Gegenteil: Sie zeigt gerade, daß der Gesetzgeber einem Strukturwandel der Arbeitswelt sogar dadurch Rechnung trägt, daß er nunmehr bei mehreren nebeneinander bestehenden beitragspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen und dem Verlust einer der Beschäftigungen in Abweichung vom Recht des AFG auch wegen Teilarbeitslosigkeit eine Leistung zubilligt. Schließlich ist schon bisher in den Fällen, in denen der Arbeitslose im Bemessungszeitraum mehrere nebeneinander bestehende, die Beitragspflicht begründende Beschäftigungsverhältnisse ausgeübt hat, Alg unter Berücksichtigung beider Verdienste gewährt worden (vgl: BSG SozR 4100 § 112 Nr 7; SozR 3-4100 § 111 Nr 3). Die Bestimmung des erzielbaren Verdienstes nach § 112 Abs 7 AFG aus zwei die Beitragspflicht begründenden Beschäftigungsverhältnissen ist damit keineswegs systemwidrig.

Das LSG wird aber noch festzustellen haben, ob der Kläger tatsächlich in der Lage und bereit war, nebeneinander zwei beitragspflichtige Teilzeitbeschäftigungen auszuüben. Jedenfalls war der Kläger nach den den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) bereit und in der Lage, nicht nur zwei, sondern auch nur eine Teilzeitbeschäftigung (in der Zeit von 8.00 bis 12.00 Uhr) zu verrichten. Aus diesem Grund bedarf es keines näheren Eingehens darauf, daß der Arbeitslose, der sich subjektiv mehr zumutet, als ihm objektiv zugemutet werden darf, auch bereit sein muß, gegebenenfalls nur eine ihm objektiv zumutbare (Teilzeit-)Tätigkeit auszuüben, um seine Arbeitslosigkeit zu beenden.

Bei der Bestimmung des erzielbaren Arbeitsentgelts wird das LSG zudem gegebenenfalls zu ermitteln haben, ob und für welche zweite beitragspflichtige Beschäftigung des Klägers auf dem erreichbaren Arbeitsmarkt Arbeitsplätze in nennenswertem Umfang vorhanden waren (vgl BSG, Urteil vom 9. November 1989 - 11/7 RAr 63/87 -, DBlR Nr 3574a zu § 112 AFG), und zwar in Form von Teilzeitarbeitsplätzen für Männer (vgl hierzu BSGE 67, 276, 277 = SozR 3-4100 § 134 Nr 5). An diesem Punkt deckt sich die Prüfung des Tatbestandsmerkmals der "Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes" in § 112 Abs 7 AFG mit der Voraussetzung der "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes" im Rahmen der Verfügbarkeit nach § 103 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG (vgl zu § 103: BSGE 67, 276, 277 = SozR 3-4100 § 134 Nr 5; BSGE 72, 206, 212 mwN = SozR 3-4100 § 103a Nr 1).

Sollte das LSG zur Erkenntnis gelangen, daß der Kläger subjektiv und objektiv für eine zweite Teilzeitbeschäftigung in den Abendstunden zur Verfügung stand, wird es bei der Bestimmung des Lohnfaktors vom Durchschnitt der erzielbaren Stundenlöhne auszugehen haben (siehe zur vergleichbaren Situation des Bemessungsentgelts bei im Bemessungszeitraum nebeneinander ausgeübten Beschäftigungen BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 3). Zur Bestimmung des Zeitfaktors, mit dem der Stundenlohn zu vervielfältigen ist, ist wiederum der Durchschnitt der beiden tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeiten (§ 112 Abs 3 Satz 1, Abs 4 AFG) zu bilden. Nur dies entspricht Praktikabilitätserwägungen und der in § 112 Abs 3 Satz 1 AFG enthaltenen Regelung zum Regelbemessungsentgelt, die in gleicher Weise auch für die Bestimmung des Entgelts nach § 112 Abs 7 AFG gelten muß. Zwar hat der Senat in einer Entscheidung vom 21. März 1978 (BSG SozR 4100 § 112 Nr 7) entschieden, daß bei der Berechnung des Alg das in der Arbeitsstunde durchschnittlich erzielte Arbeitsentgelt mit der Zahl der Arbeitsstunden nach der längsten tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit der Beschäftigungsverhältnisse zu vervielfachen ist, wenn ein Arbeitnehmer im Bemessungszeitraum mehrere Beschäftigungsverhältnisse nebeneinander ausgeübt hat (offengelassen in BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 3); Ausgangspunkt jener Entscheidung war indes, daß der Arbeitslose neben einer Vollzeittätigkeit eine Teilzeittätigkeit mit einer geringeren tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit ausgeübt hat. Diese Rechtsprechung kann nicht auf § 112 Abs 7 AFG übertragen werden, wenn es um die Bestimmung des "für die volle Arbeitszeit" erzielbaren Arbeitsentgelts nur mit Hilfe mehrerer die Beitragspflicht begründender Beschäftigungen geht. Dann jedenfalls wäre die Wahl des günstigsten Zeitfaktors nicht gerechtfertigt, weil sie zu zufälligen Ergebnissen führt; vielmehr sind nicht zuletzt aus Praktikabilitätsgründen typisierend unterschiedliche regelmäßige tarifliche wöchentliche Arbeitszeiten nur mit dem Durchschnittswert zu berücksichtigen.

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

Ende der Entscheidung

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