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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 10.05.2007
Aktenzeichen: B 7a AL 30/06 R
Rechtsgebiete: SGB III


Vorschriften:

SGB III § 125 Abs 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

in dem Rechtsstreit

Verkündet am 10. Mai 2007

Az: B 7a AL 30/06 R

Der 7a. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 10. Mai 2007 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Udsching, die Richter Dr. Spellbrink und Dr. Koloczek sowie die ehrenamtlichen Richter Liedtke und Rohkamm für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 17. März 2006 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe:

I

Streitig ist die Gewährung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) für die Zeit vom 9. September 2003 bis 31. Dezember 2004.

Die 1959 geborene Klägerin bezog zunächst bis zur Erschöpfung des Anspruchs Arbeitslosengeld (Alg) und anschließend ab 3. November 1992 Alhi bzw Unterhaltsgeld (Uhg), jeweils mit kurzzeitigen Unterbrechungen. Außerdem übte sie geringfügige Nebenbeschäftigungen aus. Auf Grund gesundheitlicher Beeinträchtigungen wurde sie mehrfach durch den ärztlichen Dienst der Beklagten begutachtet. Zuletzt empfahl ein Gutachter im Jahre 1999 eine langsame Steigerung der Arbeitszeit, beginnend mit drei bis unter sechs Stunden täglich; bei einem Fehlschlag hielt er nur noch eine Eingliederung in einer Werkstatt für behinderte Menschen (<WfbM>; früher Werkstatt für Behinderte) für möglich. Nach Teilnahme der Klägerin an einer Berufsfindungsmaßnahme Mitte 2002 und im Anschluss an eine Zwischenbeschäftigung als Hauswirtschaftshilfe Ende 2002 schlug die Beklagte bei einer Vorsprache am 20. Februar 2003 eine Maßnahme in einer WfbM vor. Da die Klägerin sich weigerte, an einer solchen Maßnahme teilzunehmen, hob die Beklagte die Bewilligung der Alhi mit Wirkung zum 20. Februar 2003 bestandskräftig auf.

Erst bei einer erneuten persönlichen Vorsprache am 9. September 2003 beantragte die Klägerin die Wiederbewilligung von Alhi. Ab 15. November 2003 bezog sie sodann Sozialhilfe. Bei einer weiteren Vorsprache im November 2003 teilte sie mit, einen bereits anberaumten Termin beim ärztlichen Dienst nicht wahrnehmen zu können, weil sie den Anwalt wechsele. Mit Bescheid vom 22. März 2004 lehnte die Beklagte den Antrag auf Alhi ab, weil die Klägerin der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung stehe. Sie habe erklärt, dass sie nicht an einer Maßnahme in einer WfbM teilnehmen wolle und sie habe es abgelehnt, sich amtsärztlich untersuchen zu lassen. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 26. Mai 2004).

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 4. April 2005 abgewiesen, weil nicht bewiesen sei, dass die Klägerin den Vermittlungsbemühungen der Beklagten gesundheitlich zur Verfügung stehe. Die Klägerin habe sich geweigert, sich begutachten zu lassen und die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden. Aus den vorhandenen Unterlagen lasse sich die erforderliche richterliche Überzeugung nicht gewinnen. Da es sich um eine anspruchsbegründende Tatsache handele, gehe dies zu Lasten der Klägerin. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 17. März 2006 den Gerichtsbescheid sowie die Bescheide der Beklagten aufgehoben und diese verurteilt, der Klägerin vom 9. September 2003 bis 31. Dezember 2004 Alhi zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt, es sei zwar nicht festzustellen, ob die Klägerin arbeitsfähig sei. Eine Beweislastentscheidung könne jedoch nicht erfolgen, weil § 125 Abs 1 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) iVm § 198 Satz 2 Nr 1 SGB III das gesundheitliche Leistungsvermögen solange fingiere, bis eine positive Feststellung der verminderten Erwerbsfähigkeit durch den Rentenversicherungsträger vorliege. Dies sei hier nicht der Fall. Die fehlende Mitwirkung der Klägerin könne nicht durch Ablehnung der Leistung wegen fehlender objektiver Verfügbarkeit sanktioniert werden, sondern nur über ein Verfahren nach den §§ 60 ff Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) oder § 125 Abs 2 SGB III. Die Arbeitsbereitschaft der Klägerin sei bewiesen, weil diese keine Einschränkungen ihres tatsächlichen Leistungsvermögens geltend mache und sich der Arbeitsvermittlung uneingeschränkt zur Verfügung stelle. Subjektive Verfügbarkeit fehle auch bei begründetem Verdacht eines verminderten Leistungsvermögens nicht, wenn der Arbeitslose sich für leistungsfähiger halte, als er tatsächlich sei. Die Arbeitsbereitschaft könne nicht verneint werden, wenn ein Arbeitsplatz im Arbeitsbereich einer WfbM angeboten und abgelehnt werde. Denn solche Arbeiten seien weder berufliche Eingliederungsmaßnahmen noch gehörten sie zum allgemeinen Arbeitsmarkt. Vielmehr dienten sie erst dem Übergang auf den allgemeinen Arbeitsmarkt (§ 136 Abs 1 Satz 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX).

Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte im Wesentlichen, das LSG habe den Grundsatz der objektiven Beweislast unrichtig angewandt. Auf Grund der vorhandenen Beweismittel habe das LSG auch ohne weitere Ermittlungen von fehlender Arbeitsfähigkeit ausgehen müssen. Auf die Weigerung, an einer Maßnahme in einer WfbM teilzunehmen, komme es nicht an. Auch aus § 125 Abs 1 Satz 1 SGB III folge nichts Gegenteiliges, denn das LSG habe die gesetzlichen Voraussetzungen dieser sog Nahtlosigkeitsregelung nicht vollständig festgestellt. Das LSG habe allein auf die fehlende Entscheidung des Rentenversicherungsträgers abgestellt und nicht auf die Minderung der Leistungsfähigkeit. Schließlich habe es zu Unrecht die Arbeitsbereitschaft bejaht. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (<BSG> Hinweis auf SozR 4100 § 103 Nr 40) müsse die Arbeitsbereitschaft grundsätzlich alle der objektiven Leistungsfähigkeit des Arbeitslosen entsprechenden und nach Art und Umfang zumutbaren Beschäftigungen umfassen.

Sie beantragt daher,

das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 17. März 2006 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des SG Mannheim vom 4. April 2004 zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des LSG für zutreffend. Wegen der Sperrwirkung des § 125 SGB III müsse die Beklagte von der objektiven Verfügbarkeit ausgehen, solange der Rentenversicherungsträger noch nicht positiv eine verminderte Erwerbsfähigkeit festgestellt habe. Sie habe ihre Leistungsfähigkeit auch unter Beweis gestellt, indem sie erfolgreich einen Vorbereitungslehrgang für die Abschlussprüfung zur staatlich geprüften Hauswirtschafterin absolviert und Ende 2002 auch als Hauswirtschaftshelferin gearbeitet habe. Der Weg über das Verfahren nach § 66 SGB I sei versperrt, denn die Beklagte habe die Formvorschriften nicht eingehalten. Die Arbeitsbereitschaft scheitere schließlich nicht an der Weigerung, in einer WfbM zu arbeiten, denn diese Arbeitsplätze gehörten nicht zum allgemeinen Arbeitsmarkt.

II

Die zulässige Revision der Beklagten ist iS der Aufhebung der Entscheidung des LSG und der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>). Zu Unrecht hat das LSG angenommen, für den Anspruch der Klägerin auf Alhi vom 9. September 2003 bis 31. Dezember 2004 könne die Arbeitsfähigkeit der Klägerin gemäß § 125 SGB III unterstellt werden. Vielmehr fehlen ausreichende tatsächliche Feststellungen dazu, ob die gesetzlichen Voraussetzungen einer so genannten Nahtlosgewährung gemäß § 125 Abs 1 SGB III überhaupt vorliegen (siehe unten 2). Wenn dies nicht der Fall ist, fehlen jedenfalls Feststellungen dazu, ob tatsächlich Arbeitsfähigkeit der Klägerin iS des § 119 Abs 3 SGB III bestand (siehe unten 3). Ferner fehlen ausreichende Feststellungen, um ggf die Arbeitsbereitschaft der Klägerin iS des § 119 Abs 4 SGB III beurteilen zu können (siehe unten 4). Ebenso kann nicht entschieden werden, ob eine Sperrzeit wegen Arbeitsablehnung oder Ablehnung einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme eingetreten sein könnte (siehe unten 5).

1. Anspruch auf Alhi haben nach § 190 Abs 1 SGB III idF des Dritten Gesetzes zur Änderung des SGB III (3. SGB III-ÄndG) vom 22. Dezember 1999 (BGBl I 2624) Arbeitnehmer, die arbeitslos sind (Nr 1), sich beim Arbeitsamt (jetzt Agentur für Arbeit) arbeitslos gemeldet haben (Nr 2), einen Anspruch auf Alg nicht haben, weil sie die Anwartschaftszeit nicht erfüllt haben (Nr 3), in der Vorfrist Alg bezogen haben, ohne dass der Anspruch wegen des Eintritts von Sperrzeiten mit einer Dauer von insgesamt 24 Wochen erloschen ist (Nr 4), und bedürftig sind (Nr 5). Die Voraussetzungen der Nr 2 bis 5 sind nach den Feststellungen des LSG erfüllt. Ob das LSG auch zutreffend von der Arbeitslosigkeit der Klägerin ab 9. September 2003 ausgegangen ist, kann allerdings auf Grund der Feststellungen des LSG nicht beurteilt werden.

Arbeitslos ist nach § 118 Abs 1 SGB III idF des Ersten Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze (1. SGB III-ÄndG) vom 16. September 1997 (BGBl I 2970) iVm § 198 Satz 2 Nr 1 SGB III (zuletzt geändert durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze <2. SGB III-ÄndG> vom 21. Juli 1999; BGBl I 1648), wer vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (Beschäftigungslosigkeit; Nr 1) und eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Std wöchentlich umfassende Beschäftigung sucht (Beschäftigungssuche; Nr 2). Die Klägerin stand nach den bindenden Feststellungen des LSG im streitbefangenen Zeitraum nicht in einem Beschäftigungsverhältnis iS des § 118 Abs 1 Nr 1 SGB III.

Eine Beschäftigung sucht nach § 119 Abs 1 SGB III (idF des 1. SGB III-ÄndG), wer alle Möglichkeiten nutzt und nutzen will, um seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden (Nr 1) und den Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamtes zur Verfügung steht (Verfügbarkeit; Nr 2). Anhaltspunkte für eine fehlende aktive Beschäftigungssuche der Klägerin iS des § 119 Abs 1 Nr 1 SGB III liegen nicht vor. Ob die Klägerin den Vermittlungsbemühungen der Beklagten iS des § 119 Abs 2 SGB III zur Verfügung stand, ob sie also arbeitsfähig iS des § 119 Abs 3 und ihrer Arbeitsfähigkeit entsprechend arbeitsbereit war, kann nicht beurteilt werden.

2. Arbeitsfähig ist ein Arbeitsloser nach § 119 Abs 3 SGB III, der eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Std wöchentlich umfassende Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarktes aufnehmen und ausüben (Nr 1), an Maßnahmen zur beruflichen Eingliederung in das Erwerbsleben teilnehmen (Nr 2) und Vorschlägen des Arbeitsamtes (jetzt Agentur für Arbeit) zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten kann und darf (Nr 3). Nach den bindenden Feststellungen des LSG kann davon ausgegangen werden, dass die Klägerin eingliederungsfähig iS der Nr 2 und erreichbar iS der Nr 3 war. Das LSG konnte allerdings nicht dahinstehen lassen, ob die Klägerin tatsächlich gemäß § 119 Abs 3 Nr 1 SGB III zur Aufnahme einer versicherungspflichtigen, mindestens 15 Wochenstunden umfassenden Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des für sie in Betracht kommenden Arbeitsmarktes fähig war. Das LSG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass eine Entscheidung nach Beweislastgrundsätzen nicht erfolgen könne, weil eine Feststellung der Arbeitsfähigkeit auf Grund der Regelung des § 125 Abs 1 Satz 1 SGB III solange verwehrt sei, wie noch keine Feststellung des zuständigen Rentenversicherungsträgers vorliege.

Zu Unrecht hat es das LSG unterlassen, die tatsächlichen Voraussetzungen für die Nahtlosgewährung zu prüfen. § 125 Abs 1 SGB III versperrt nicht von vornherein jede tatsächliche Feststellung der Bundesagentur bzw der Gerichte zur gesundheitlichen Leistungsfähigkeit des Antragstellers (vgl BSGE 84, 262, 264 f = SozR 3-4100 § 105a Nr 7 S 33 f). Die Sperrwirkung des § 125 Abs 1 SGB III hindert die Bundesagentur nur daran, den Anspruch auf Alg bzw Alhi auf Grund eigener Feststellungen wegen fehlender objektiver Verfügbarkeit abzulehnen. Für die Beantwortung der Rechtsfrage, ob verminderte Erwerbsfähigkeit iS der gesetzlichen Rentenversicherungsträger besteht (Satz 1 aE), ist allein der zuständige Träger der gesetzlichen Rentenversicherung zuständig (Satz 2). Damit wird der Bundesagentur jedoch nicht zugleich die Befugnis zu tatsächlichen Feststellungen in Bezug auf die materiellen Tatbestandsvoraussetzungen (zum materiellen Charakter der Fiktion vgl BSG SozR 4100 § 134 Nr 14 S 49) genommen. Dies wird in dem Urteil des BSG vom 9. September 1999 (SozR 3-4100 § 105a Nr 7 S 35) bestätigt. Danach hat die Bundesagentur (damals Bundesanstalt) zur Feststellung des Umfangs zumutbarer Arbeiten und zur Beurteilung der subjektiven Verfügbarkeit das tatsächliche Leistungsvermögen eigenständig zu ermitteln. Dies ist nur möglich, wenn die Sperrwirkung derartige Feststellungen nicht schon a priori ausschließt.

Die Anwendbarkeit der Nahtlosigkeitsregelung des § 125 Abs 1 Satz 1 SGB III setzt mithin die Feststellung der Tatbestandsmerkmale dieser Norm voraus. Dies macht es erforderlich, in eigener Verantwortung Ermittlungen zur prognostischen Betrachtung des gesundheitlichen Zustandes anzustellen (so Behrend in Eicher/Schlegel, SGB III, § 125 RdNr 29, 32 - Stand 2004; Winkler in Gagel, SGB III mit SGB II, § 125 RdNr 24 - Stand 2006; die Befugnis der Bundesagentur, die mindestens sechsmonatige Dauer der Leistungsminderung mit Ausnahme von Zweifelsfällen zu prognostizieren, betonen: Brand in Niesel, SGB III, 3. Aufl 2005, § 125 RdNr 3; Dalichau/Grüner, SGB III, § 125 Anm 3 - Stand 1998; S. Knickrehm in GK-SGB III, § 125 RdNr 35 - Stand 1998; Valgolio in Hauck/Noftz, SGB III, § 125 RdNr 6 - Stand 2005; Klöcker, NZS 2005, 181, 182; grundsätzlich gegen eine Prüfungsbefugnis: Lauer in PK-SGB III, 2. Aufl 2004, § 125 RdNr 8). Es soll gerade nicht jede Leistungsminderung die Fiktion der Arbeitsfähigkeit nach § 125 SGB III erzeugen, sondern nur eine Leistungsminderung auf weniger als 15 Std wöchentlich über eine Dauer von mehr als sechs Monaten. Gegen eigenverantwortliche Ermittlungen spricht auch nicht der Sinn und Zweck der Nahtlosgewährung, denn diese will nicht jedwede Leistungslücke ausschließen, sondern nur eine solche auf Grund unterschiedlicher Beurteilung der Erwerbsfähigkeit durch die Bundesagentur einerseits und den zuständigen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung andererseits.

Folglich war dem erkennenden Senat auch in seiner - von den Beteiligten angeführten - Entscheidung vom 20. Oktober 2005 (SozR 4-1500 § 103 Nr 5) ein Rückgriff auf § 125 SGB III verwehrt. Dort war über eine Aufhebung der Bewilligung von Alhi gemäß § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zu befinden. Die Beklagte hatte in der Weigerung des dortigen Klägers, sich untersuchen zu lassen, eine rechtserhebliche Änderung iS des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X gesehen und deshalb angenommen, dass die Verfügbarkeit für die Arbeitsvermittlung gänzlich entfallen sei. Zwar war in der Revision ausschließlich die Auswirkung der Weigerung auf den Bestand der Bewilligung zu prüfen. Würde aber § 125 Abs 1 SGB III der eigenverantwortlichen Feststellung des gesundheitlichen Leistungsvermögens durch die Bundesagentur grundsätzlich entgegenstehen, so wäre es auf die Weigerung an der Untersuchung teilzunehmen, allein schon wegen der Sperrwirkung dieser Vorschrift nicht angekommen, und es hätte nicht einer Abgrenzung zu § 66 SGB I bedurft.

Ein anderes Verständnis des § 125 Abs 1 SGB III folgt auch nicht aus den seinem Abs 2 mit Wirkung zum 1. Januar 2004 durch das Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 (BGBl I 2848) angefügten Sätzen 4 und 5. Nach § 125 Abs 2 Satz 5 SGB III gilt Satz 4 entsprechend (Ruhen des Anspruches), wenn der Arbeitslose durch sein Verhalten die Feststellung der Erwerbsminderung verhindert hat. Die Klägerin hat zwar im vorliegenden Fall durch ihre Weigerung Feststellungen behindert. § 125 Abs 2 Satz 5 SGB III bezieht sich aber nur auf die Feststellungen desjenigen Leistungsträgers, bei dem nach Satz 4 die medizinische Rehabilitation oder die Teilhabe am Arbeitsleben beantragt wurde (Behrend aaO, § 125 RdNr 103; Lauer aaO, § 125 RdNr 20 aE; Brand aaO, § 125 RdNr 17), also gerade nicht auf Feststellungen der Beklagten.

Bleiben nach Erschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten Zweifel an der Dauer und dem Umfang der Leistungsminderung, so wird zu entscheiden sein, zu wessen Lasten diese gehen. In der Literatur wird zum Teil vertreten, dass bei Zweifeln über die Dauer der Leistungsminderung die Nahtlosgewährung zur Anwendung komme und der Rentenversicherungsträger von der Bundesagentur einzuschalten sei, weil anderenfalls die Vorschrift des § 125 SGB III häufig ins Leere liefe (S. Knickrehm in GK-SGB III, § 125 RdNr 15; Klöcker, NZS 2005 aaO S 182 mwN). Diese Ansicht überzeugt nicht, denn es handelt sich im Ergebnis um eine Beweislastentscheidung und die Beweislast für anspruchsbegründende Tatsachen trägt derjenige, der seinen Anspruch auf die Fiktion des § 125 SGB III stützt, hier also die Klägerin.

3. Können die Voraussetzungen für die Nahtlosgewährung - trotz nachgeholter Ermittlungen und eingehender Beweiswürdigung - nicht zur vollen Überzeugung des LSG bewiesen werden, und wird sodann die Arbeitsfähigkeit zu Ungunsten der beweisbelasteten Klägerin nicht fingiert, wird zu prüfen sein, ob sie tatsächlich zur Aufnahme einer versicherungspflichtigen, mindestens 15 Wochenstunden umfassenden Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des für sie in Betracht kommenden Arbeitsmarktes iS des § 119 Abs 3 Nr 1 SGB III fähig war. Denn aus dem Umstand allein, dass kein Fall der Nahtlosgewährung vorliegt, folgt noch nicht automatisch, dass objektive Verfügbarkeit besteht. Die Unanwendbarkeit des § 125 SGB III kann gerade auch Folge einer Beweislastentscheidung sein. Zu Recht weist das LSG auf das Urteil des erkennenden Senats vom 20. Oktober 2005 (SozR 4-1500 § 103 Nr 5) hin. Hiernach ist allein aus der Weigerung der Klägerin, bei der Sachverhaltsaufklärung mitzuwirken, noch nicht auf ein Fehlen der Verfügbarkeit zu schließen. Die fehlende Mitwirkung könnte für sich allenfalls im Rahmen des § 66 Abs 1 Satz 2 SGB I entscheidungserheblich sein. Für die Feststellung der Arbeitsfähigkeit iS des § 119 Abs 3 Nr 1 SGB III kommt es demgegenüber darauf an, ob zunächst von Amts wegen alle Ermittlungsmöglichkeiten ausgeschöpft worden sind und im Rahmen der Beweiswürdigung - unter Berücksichtigung der Weigerung der Klägerin, an weiteren ärztlichen Begutachtungen teilzunehmen - die richterliche Überzeugung vom Bestehen oder Nichtbestehen einer relevanten gesundheitlichen Leistungsminderung gewonnen werden kann. Kann die erforderliche Überzeugung nicht gewonnen werden, ist eine Beweislastentscheidung zu treffen. Eine entsprechende Beweiswürdigung oder Beweislastentscheidung wird das LSG ggf nachzuholen haben.

4. Sofern tatsächlich gemäß § 119 Abs 3 Nr 1 SGB III Arbeitsfähigkeit bestehen sollte oder gemäß § 125 Abs 1 SGB III fingiert werden könnte, wird das LSG festzustellen haben, ob auch Arbeitsbereitschaft entsprechend der tatsächlichen Arbeitsfähigkeit der Klägerin bestanden hat (§ 119 Abs 2 SGB III). Ein Arbeitsloser muss bereit sein, eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Std wöchentlich umfassende Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarktes aufzunehmen und auszuüben, an Maßnahmen zur beruflichen Eingliederung in das Erwerbsleben teilzunehmen und Vorschlägen des Arbeitsamtes (jetzt Agentur für Arbeit) zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge zu leisten. Das LSG führt hierzu in seinen Entscheidungsgründen nur aus, dass die Klägerin sich geweigert habe, sich auf einen Arbeitsplatz in einer WfbM vermitteln zu lassen. Im Tatbestand wird lediglich von einer "Maßnahme" in einer WfbM gesprochen. Feststellungen zu einer Weigerung der Klägerin nach der erneuten Antragstellung am 9. September 2003 hat das LSG nicht getroffen, ebenso wenig wie Feststellungen zum Inhalt der Vermittlungsgespräche mit der Klägerin vorliegen. Die Weigerung der Klägerin im letzten vorangegangenen Leistungsbezug am 20. Februar 2003 ist insofern unerheblich. Die erforderlichen Feststellungen zum Zeitpunkt und Inhalt des Angebots der Beklagten wird das LSG ggf nachholen müssen. Dabei wird insbesondere die Art und Rechtsnatur der der Klägerin angebotenen "Maßnahme" in einer WfbM zu ermitteln sein.

Die Auffassung des LSG, die Klägerin habe der angebotenen Maßnahme in einer WfbM nicht zur Verfügung stehen müssen, weil diese Tätigkeit nicht zum allgemeinen Arbeitsmarkt zähle und auch nicht der beruflichen Eingliederung diene, trifft in dieser Allgemeinheit nicht zu. § 136 Abs 1 Satz 3 SGB IX, wonach Maßnahmen in einer WfbM nur den Übergang in den allgemeinen Arbeitsmarkt ermöglichen bzw fördern wollen, also gerade noch nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt selbst liegen, ist nur dann einschlägig, wenn es sich um arbeitnehmerähnliche Werkstattbeschäftigte iS des § 138 Abs 1 SGB IX handelt, bei denen nicht die Erbringung der Arbeitsleistung im Vordergrund steht, sondern die Betreuung und Förderung des behinderten Menschen (Finke/Kadoke in Ernst/Adloch/Seel, SGB IX, § 138 RdNr 15 - Stand 2005). Anders als in den anderen Zweigen der Sozialversicherung (§ 5 Abs 1 Nr 7, 8 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch <SGB V>; § 20 Abs 1 Nr 7, 8 Elftes Buch Sozialgesetzbuch <SGB XI>; § 1 Nr 2a und b Sechstes Buch Sozialgesetzbuch <SGB VI>; vormals: Gesetz über die Sozialversicherung Behinderter <SVBehindertenG> vom 7. Mai 1975 BGBl I 1061) ist die Versicherungspflicht zur Arbeitslosenversicherung nicht für jegliche Tätigkeit behinderter Menschen in einer WfbM gesetzlich vorgegeben. Die Vorschrift des § 138 SGB IX betrifft nicht diejenigen im Arbeitsbereich einer WfbM beschäftigten behinderten Menschen, die Arbeitnehmer sind, dh die in einem regulären Arbeits- bzw Berufsbildungsverhältnis stehen (Götze in Hauck/Noftz, SGB IX, K § 138 RdNr 5 f - Stand 2003).

Tätigkeiten im Arbeitsbereich einer WfbM können entgegen der Annahme des LSG der Versicherungspflicht zur Arbeitslosenversicherung unterliegen und sind dann bei Prüfung der Arbeitsbereitschaft im Rahmen der Zumutbarkeit zu berücksichtigen. Bereits zum Arbeitsförderungsgesetz hat das BSG am 1. Juni 1978 (BSGE 46, 244 = SozR 4100 § 168 Nr 7) entschieden, dass im Produktionsbereich (jetzt Arbeitsbereich) einer WfbM Beitragspflicht (jetzt Versicherungspflicht, §§ 24 ff SGB III) besteht, wenn nach den Umständen des Einzelfalles (Arbeitsvertrag, Weisungsunterworfenheit, Eingliederung in den Betrieb, leistungsgerechte Entlohnung, etc) eine abhängige Beschäftigung vorliegt. Sofern alle Merkmale eines Beschäftigungsverhältnisses iS des § 7 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) erfüllt sich, bestehen gegen die Anwendung der Vorschriften über die Beitragspflicht (jetzt Versicherungspflicht) in der Arbeitslosenversicherung keine Bedenken (BSGE 46, 244, 248 = SozR 4100 § 168 Nr 7 S 8; BSG SozR 5085 § 1 Nr 2 S 7; Götze aaO, K § 138 RdNr 5 - Stand 2003; Finke/Kadoke aaO, § 138 RdNr 14; Schlegel in Eicher/Schlegel, SGB III § 344 RdNr 36 - Stand 2003; Marschner in GK-SGB III § 344 RdNr 17 - Stand 2006; Timme in Hauck/Noftz, SGB III, § 344 RdNr 14 - Stand 2007). Anders als im Arbeitsbereich sind hingegen Teilnehmende im Eingangs- und Berufsbildungsbereich der WfbM in keinem Fall Arbeitnehmer, denn sie sind nach den §§ 36, 138 Abs 4 SGB IX nicht in die Werkstatt eingegliedert (Götze aaO, K § 36 RdNr 4 - Stand 2007).

Sofern Versicherungspflicht besteht, handelt es sich bei einer Tätigkeit im Arbeitsbereich auch um eine Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des für den behinderten Arbeitslosen in Betracht kommenden Arbeitsmarktes. Dafür spricht schon der Wortlaut des § 119 Abs 3 Nr 1 SGB III ("für ihn in Betracht kommend"), aber auch der Vergleich mit anderen versicherungspflichtigen Arbeitnehmern. Kommt auf Grund einer Behinderung objektiv nur eine versicherungspflichtige Tätigkeit im Arbeitsbereich einer WfbM in Betracht, so wäre es bedenklich, diesen Personenkreis von den Versicherungsleistungen des SGB III auszunehmen (Steinmeyer in Gagel, SGB III mit SGB II, § 119 RdNr 166 f - Stand 2005), jedenfalls sofern derartige Tätigkeiten mit den vorhandenen Einschränkungen in beachtlicher Zahl vorhanden sind (BSG SozR 4100 § 168 Nr 7 S 9).

Zu Unrecht geht die Beklagte im Übrigen unter Hinweis auf eine Entscheidung des erkennenden Senats vom 21. April 1988 (SozR 4100 § 103 Nr 40) davon aus, die Arbeitsbereitschaft des Arbeitslosen dürfe nicht über das objektiv gegebene Maß seiner Leistungsfähigkeit hinausgehen. Ein solcher Grundsatz ist der zitierten Entscheidung nicht zu entnehmen.

5. Bestand nach den nachzuholenden Feststellungen auch Arbeitsbereitschaft der Klägerin, so wird das LSG noch zu entscheiden haben, ob die Ablehnung einer "Maßnahme" in einer WfbM den Eintritt einer Sperrzeit nach § 144 Abs 1 Satz 2 Nr 2 (Arbeitsablehnung) SGB III idF des Gesetzes zur Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente <Job-AQTIV-Gesetz> vom 10. Dezember 2001 (BGBl I 3443) auslösen kann. Hierbei wird insbesondere der Charakter der angebotenen Maßnahme zu würdigen und zu prüfen sein, inwiefern dem Arbeitslosen ein wichtiger Grund zur Seite stehen kann, eine solche Maßnahme als unzumutbar abzulehnen.

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

Ende der Entscheidung

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