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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 08.02.2007
Aktenzeichen: B 7a AL 38/06 R
Rechtsgebiete: SGB III, GG


Vorschriften:

SGB III F: 16.02.2001 § 129
SGB III F: 23.12.2003 § 133 Abs 1
SGB III F: 19.11.2004 § 133 Abs 1
SGB III F: 23.12.2003 § 134
SGB III F: 23.12.2003 § 434j Abs 5
SGB III F: 19.11.2004 § 434j Abs 5a
GG Art 3 Abs 1
GG Art 14 Abs 1
GG Art 20 Abs 3

Entscheidung wurde am 25.04.2007 korrigiert: die Rechtsgebiete, die Vorschriften und der Verfahrensgang wurden geändert, Stichworte und ein amtlicher Leitsatz wurden hinzugefügt
1. Die Neuregelung des Arbeitslosengeldbemessungsrechts ab 1.1.2005 macht für laufende Fälle eine Anpassung an das neue Recht erforderlich, die verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist.

2. Das frühere (wöchentliche) Bemessungsentgelt (= durchschnittliches Bruttoentgelt im Bemessungszeitraum) ist auf ein tägliches Bemessungsentgelt umzustellen, indem der frühere, gerundete Betrag (= Bemessungsentgelt nach altem Recht) durch 7 geteilt wird.


BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

in dem Rechtsstreit

Verkündet am 8. Februar 2007

Az: B 7a AL 38/06 R

Der 7a. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 8. Februar 2007 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Udsching, die Richter Eicher und Dr. Spellbrink sowie die ehrenamtlichen Richterinnen Dörr und Hesse

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 6. April 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I

Im Streit ist die Zahlung höheren Arbeitslosengeldes (Alg) für die Zeit ab 14. Januar 2005 (49,86 € täglich statt 49,70 €).

Die Beklagte bewilligte dem geschiedenen, kinderlosen Kläger mit Wirkung ab 20. August 2004 Alg für die Dauer von 780 Tagen in Höhe von 349,02 € wöchentlich (= 49,86 € täglich) nach einem (wöchentlichen) Bemessungsentgelt von 1.175,00 € (Bescheid vom 2. August 2004). Diese Bewilligung änderte sie zunächst mit Wirkung ab 1. Januar 2005 dahin ab, dass wegen der Neuregelung des Bemessungsrechts für das Alg im Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung (SGB III) nur noch 49,70 € täglich (nach einem nunmehr täglichen Bemessungsentgelt von 168,17 €) gezahlt würden (Bescheid vom 2. Januar 2005; Widerspruchsbescheid vom 1. Februar 2005). Da der Bescheid vom 2. Januar 2005 dem Kläger erst am 13. Januar 2005 zuging, hob sie diesen Bescheid später für die Zeit bis 13. Januar 2005 auf (Bescheid vom 6. April 2006).

Die gegen den Ausgangsbescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheids erhobene Klage mit dem Ziel, höheres Alg als für die Zeit bis 31. Dezember 2004 nach einem täglichen Bemessungsentgelt von 170,69 €, nicht - wie von der Beklagten entschieden - unter Berücksichtigung der für das Jahr 2004, sondern für das Jahr 2005 geltenden günstigeren Steuerregelungen zu zahlen, blieb erst- und zweitinstanzlich erfolglos (Urteil des Sozialgerichts <SG> vom 9. August 2005; Urteil des Landessozialgerichts <LSG> vom 6. April 2006). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, zum 1. Januar 2005 habe das Alg-Bemessungsrecht eine wesentliche Änderung iS des § 48 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) erfahren. Insbesondere sei das Bemessungsentgelt des Alg im Einzelnen anders als zuvor zu berechnen und außerdem von einem wöchentlichen auf einen täglichen Betrag umzustellen. Zwar sei in § 434j Abs 5 SGB III normiert, dass das Bemessungsentgelt nach dem vom 1. Januar 2005 geltenden Recht nur neu festzusetzen sei, soweit dies auf Grund eines Sachverhalts erforderlich werde, der nach dem 31. Dezember 2004 eingetreten sei; gleichwohl sei eine Umrechnung schon wegen des Wechsels vom wöchentlichen zum täglichen Bemessungsentgelt (= durchschnittlicher Bruttoverdienst im Bemessungszeitraum) erforderlich. Zudem sei die frühere (jährliche) (Neu-)Bestimmung des konkreten Leistungssatzes des Alg auf der Basis des der jährlichen Leistungsentgeltverordnung zu entnehmenden Leistungsentgelts (= pauschaliertes Nettoentgelt) entfallen und durch eine individuellere Bestimmung des § 133 Abs 1 SGB III ersetzt worden. Danach berechne sich das Alg ausgehend vom Bemessungsentgelt unter Abzügen für die Lohnsteuer und den Solidaritätszuschlag sowie einer Sozialversicherungspauschale. Die Lohnsteuer selbst sei für Altfälle einheitlich gemäß § 434j Abs 5a SGB III nach der Lohnsteuertabelle für das Jahr 2004 zu ermitteln. Unter Zugrundelegung dieser Kriterien habe die Beklagte dem Kläger jedenfalls keine zu geringen Leistungen zugestanden. Die gesetzlichen Regelungen verstießen weder gegen Art 14 Abs 1 Grundgesetz (GG) noch gegen Art 3 Abs 1 GG.

Mit seiner Revision rügt der Kläger einen Verstoß gegen Art 14 Abs 1 GG. Er ist der Ansicht, das im Jahre 2004 bewilligte Alg hätte nicht herabgesetzt werden dürfen. Dem müsse durch eine entsprechende Auslegung des § 434j Abs 5 SGB III Rechnung getragen werden. Danach genieße der ihm im Jahre 2004 zugestandene Alg-Anspruch Bestandsschutz.

Der Kläger beantragt,

die Urteile des LSG und des SG sowie den Bescheid der Beklagten vom 2. Januar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Februar 2005 und des Bescheides vom 6. April 2006 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt

die Revision zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, die Entscheidung des LSG sei nicht zu beanstanden.

II

Die Revision des Klägers ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>).

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 2. Januar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Februar 2005 und des Teilanerkenntnisses vom 6. April 2006, gegen den sich der Kläger mit einer Anfechtungsklage wehrt (§ 54 Abs 1 SGG). Mit der Revision begehrt er lediglich noch die Weiterzahlung des für die Zeit vor dem 1. Januar 2005 bewilligten Alg; anders als noch beim LSG verlangt er keine höheren Leistungen als die bis 31. Dezember 2004 gezahlten. Bereits im Berufungsverfahren hat der Kläger im Übrigen die Klage insoweit zurückgenommen, als sie außerdem noch die Zahlung von Alg nicht nur - wie nach dem neuen Recht - für einheitlich 30 Tage pro Monat, sondern - wie nach altem Recht - für jeden Tag im Monat betraf.

Der Kläger hat jedoch keinen Anspruch auf höheres Alg als das ihm zugebilligte (49,70 € täglich); die Beklagte hat zu Recht die Bewilligung gemäß § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X teilweise aufgehoben. Dies ergibt sich aus den seit 1. Januar 2005 geltenden Vorschriften über die Neuregelung des Bemessungsrechts auf Grund des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 (BGBl I 2848) iVm mit der Übergangsvorschrift des § 434j Abs 5 SGB III (eingefügt durch das Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt). Mit Wirkung ab 1. Januar 2005 hat das Bemessungsrecht des Alg aus Vereinfachungsgründen (vgl BT-Drucks 15/1515 S 71) wesentliche Änderungen gegenüber dem früheren Recht erfahren. Insbesondere wurden die Regelungen über die Bestimmung des Bemessungsentgelts (= durchschnittliches Bruttoentgelt im Bemessungszeitraum), aus dem sich das Leistungsentgelt (= pauschaliertes Nettoentgelt) und danach der prozentuale Leistungssatz des Alg errechnet, stark vereinfacht. Daneben wurde die bisherige Orientierung am Wochenprinzip aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung, und zwar angleichend an die übrigen Sozialversicherungszweige, auf Tagesbetrachtungsweise umgestellt; Alg wird mithin seither nicht für die Woche, sondern für den Tag berechnet, andererseits jedoch im Monat lediglich gleichbleibend für 30 Tage gezahlt (§ 134 SGB III nF). Schließlich wurde auf die jährliche Anpassung auf Grund der Leistungsentgeltverordnung (§ 136 SGB III aF iVm § 151 Nr 2 SGB III aF), in der pauschalierend das Leistungsentgelt (= um die gesetzlichen Entgeltabzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, vermindertes Bemessungsentgelt) festgelegt wurde, mit Wirkung ab 1. Januar des jeweiligen Jahres verzichtet. An deren Stelle trat eine einmalige (außer bei Steuerklassenänderung bzw -wechsel) Festlegung des Leistungsentgelts nach § 133 Abs 1 SGB III (in der Fassung des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt und des 4. SGB III-Änderungsgesetzes vom 19. November 2004 - BGBl I 2902 <4. SGB III-ÄndG>), in dem als Abzüge vom Bemessungsentgelt eine einheitliche Sozialversicherungspauschale von 21 % und die Steuern vorgesehen sind; deren Höhe ist unmittelbar der Lohnsteuertabelle des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist, zu entnehmen (ohne Berücksichtigung von Freibeträgen, die nicht jedem Arbeitnehmer zustehen, und der Kirchensteuer, aber unter Berücksichtigung des Solidaritätszuschlags in Höhe von 5,5 % der Lohnsteuer). Als Übergangsregelung wurde in § 434j Abs 5 SGB III angeordnet, dass (allerdings) das Bemessungsentgelt nach dem vom 1. Januar 2005 an geltenden Recht für einen Anspruch auf Alg, der bereits vor dem 1. Januar 2005 entstanden ist, nur neu festzusetzen sei, soweit dies auf Grund eines Sachverhalts erforderlich sei, der nach dem 31. Dezember 2004 eingetreten ist (vgl zu den Grundzügen des neuen und alten Bemessungsrechts: Behrend in Eicher/Schlegel, vor §§ 129 bis 134 Rz 3 ff, Stand Juni 2005).

Vorliegend hat die Beklagte die Neuregelungen jedenfalls nicht zum Nachteil des Klägers unrichtig angewandt; gemäß § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X hat sie das dem Kläger ab Januar 2005 zustehende Alg zu Recht der neuen - grundsätzlich auch für den Kläger geltenden - Rechtslage angepasst (s insoweit zum so genannten Geltungszeitraumprinzip: Eicher in Eicher/Schlegel, SGB III, Vor §§ 422 ff Rz 1 ff mwN, Stand Oktober 2005). Danach beträgt das Alg für den Kläger 60 % (allgemeiner Leistungssatz) des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt), das sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, das der Kläger im Bemessungszeitraum erzielt hat - Bemessungsentgelt - (§ 129 SGB III). Da sich vorliegend nach dem 31. Dezember 2004 kein Sachverhalt ergeben hat, der eine Neubemessung dieses Bemessungsentgelts erforderlich machte (s dazu Becker in Eicher/Schlegel, SGB III, § 434j Rz 34, Stand Oktober 2006), ist nach § 434j Abs 5 SGB III vom Bemessungsentgelt des Jahres 2004 in Höhe von 1.175,00 € auszugehen; insoweit hat der frühere Bescheid Feststellungswirkung (vgl dazu Becker, aaO, Rz 34b).

Allerdings macht bereits die oben bezeichnete Umstellung des Bemessungsentgelts von einem wöchentlichen auf einen täglichen Betrag trotz der Regelung des § 434j Abs 5 SGB III eine Neubestimmung des Bemessungsentgelts insoweit erforderlich, als das Bemessungsentgelt von 1.175,00 € auf ein tägliches Bemessungsentgelt (1.175 € : 7 = 167,86 €) umzustellen ist (vgl hierzu Becker, aaO, Rz 34a). Aus Gründen der vom Gesetzgeber gewollten Praktikabilität und dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes ist entgegen der Praxis der Beklagten, die vom ungerundeten wöchentlichen durchschnittlichen Bruttoentgelt ausgeht, der Betrag des wöchentlichen (= gerundeten) Bemessungsentgelts durch sieben zu teilen (näher dazu Becker, aaO, mwN zum Streitstand). Diese Vorgehensweise liegt auch deshalb nahe, weil das Bemessungsentgelt unmittelbar dem früheren Bewilligungsbescheid zu entnehmen ist und somit die Umrechnung den geringsten Aufwand verursacht. Auf diese Weise ergibt sich dasselbe Bemessungsentgelt wie früher, nur berechnet auf den Tag. Nicht zuletzt § 434j Abs 5 SGB III selbst macht im Wege eines Umkehrschlusses deutlich, dass wegen der Umstellung der jährlichen Leistungsentgeltberechnung mittels Leistungsentgeltverordnung zur einmaligen Berechnung nach § 133 Abs 1 SGB III nF darüber hinaus auch eine Neubestimmung des Leistungsentgelts erforderlich wird. Hierfür sieht § 434j Abs 5a SGB III (angefügt durch das 4. SGB III-ÄndG) vor, dass bei Ansprüchen, die vor dem 1. Januar 2005 entstanden sind, einheitlich die Lohnsteuer nach der Lohnsteuertabelle des Jahres 2004 - nicht des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist - zu errechnen ist. Nach diesen Kriterien hat die Beklagte das dem Kläger ab 1. Januar 2005 zustehende Alg sogar mit 49,70 € um etwa 5 Cent zu hoch berechnet (Differenzen bei der Auf- bzw Abrundung auf einen vollen Centbetrag einbezogen).

Entgegen der Ansicht des Klägers verstößt die Herabsetzung des Alg nicht gegen Art 14 Abs 1 GG oder Art 3 Abs 1 GG. Gründe der Verwaltungspraktikabilität rechtfertigen auch unter Beachtung des Vertrauensschutzes und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eine Absenkung des Alg in der vorliegenden Höhe. Der Gesetzgeber wollte ab 1. Januar 2005 eine wesentlich einfachere Berechnung des Alg nach einheitlichen Berechnungsprinzipien normieren. Dem widerspräche es, wenn auf Jahre hinaus für bestehende Alg-Ansprüche das alte Recht - wenn auch nur im Rahmen einer Vertrauensschutzregelung bzw in Teilen - gelten würde, für neue Ansprüche jedoch das neue Recht maßgebend wäre. Der Gesetzgeber hat im Rahmen des ihm zustehenden Entscheidungsfreiraums bei der Zielsetzung der Norm eine möglichst schonende Regelung getroffen, die den Kläger bei einem täglichen Zahlbetrag von 49,86 € im Jahre 2004 vorliegend mit 0,16 € nur unwesentlich belastet. Dahinstehen kann deshalb, ob Art 14 GG überhaupt einschlägig ist; zweifelhaft ist dies, weil der Kläger im Jahre 2004 den Alg-Anspruch bereits mit der "Belastung" der Umstellung ab 2005 durch das schon im Dezember 2003 verkündete Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt erworben hat und ohnedies auch nach altem Recht nicht darauf vertrauen konnte, dass sein Alg-Anspruch ab 1. Januar 2005 in gleicher Höhe fortbestehen würde. Dies war nämlich nach früherem Recht abhängig von der Entwicklung der gewöhnlich anfallenden Entgeltabzüge, die in der jährlichen Leistungsentgeltverordnung pauschalierend umgesetzt wurde.

Die Neuberechnung des Alg verstößt schließlich schon deshalb nicht gegen Art 3 Abs 1 GG, weil der Kläger gegenüber anderen Leistungsempfängern nicht ungleich behandelt wird. Im Grunde begehrt der Kläger eine Ungleichbehandlung, für die rechtfertigende Gründe nicht erkennbar sind. Nach dem ab 1. Januar 2005 geltenden Recht sind die Steuern als Abzüge vom Bemessungsentgelt der Lohnsteuertabelle des Jahres zu entnehmen, in dem der Anspruch als Stammrecht entstanden ist. Der Anspruch des Klägers resultiert ohnedies aus dem Jahr 2004, so dass nach der Systematik des Bemessungsrechts kein Grund ersichtlich ist, die Lohnsteuer eines anderen Jahres zu Grunde zu legen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ende der Entscheidung

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