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Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 16.10.2007
Aktenzeichen: B 8/9b SO 16/06 R
Rechtsgebiete: SGG
Vorschriften:
SGG § 164 Abs 2 S 3 |
Entscheidung wurde am 27.08.2008 korrigiert: die Rechtsgebiete und die Vorschriften wurden geändert, Stichworte und ein amtlicher Leitsatz wurden hinzugefügt
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil
in dem Rechtsstreit
Verkündet am 16. Oktober 2007
Az: B 8/9b SO 16/06 R
Der 8. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 16. Oktober 2007 durch den Vorsitzenden Richter Eicher, die Richter Masuch und Coseriu sowie die ehrenamtlichen Richter Simon und Tesar
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 29. September 2006 wird als unzulässig verworfen.
Der Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe:
I
Der Rechtsstreit betrifft die Zahlung höherer Leistungen (154 € pro Monat) nach dem Grundsicherungsgesetz (GSiG) für den Zeitraum vom 1. September 2003 bis 30. Juni 2004 unter Korrektur bestandskräftiger Bewilligungsbescheide.
Der 1966 geborene, schwerbehinderte Kläger bezog Leistungen zur Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem GSiG, bei denen der Beklagte das dem Vater des Klägers gezahlte Kindergeld als Einkommen in Höhe von 154,00 € monatlich berücksichtigte (bestandskräftige Bewilligungsbescheide vom 1. Oktober 2003, 16. Februar 2004, 18. Februar 2004 und 24. März 2004). Mit Schreiben vom 17. Juni 2005 beantragte der Kläger die Korrektur der früheren Bescheide. Der Beklagte lehnte den Antrag auf Korrektur dieser Bescheide und Gewährung höherer Grundsicherungsleistungen für den streitigen Zeitraum ab (Bescheid vom 24. Oktober 2005; Widerspruchsbescheid vom 27. Dezember 2005).
Das Sozialgericht (SG) hat den Beklagten "unter Aufhebung des Bescheides vom 24.10.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27.12.2005 verurteilt, dem Kläger unter entsprechender Rücknahme der Bewilligungsbescheide vom 01.10.2003, 16.02.2004, 18.02.2004 und 24.03.2004 für die Zeit vom 01.09.2003 bis zum 30.06.2004 weitere Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung in Höhe von 1.540,00 EUR zu zahlen" (Urteil vom 29. September 2006). Zur Begründung hat es ausgeführt, der Beklagte habe das an den Vater des Klägers gezahlte Kindergeld zu Unrecht als Einkommen des Klägers berücksichtigt. Der Kläger habe daher Anspruch auf Nachzahlung von Grundsicherungsleistungen in Höhe von monatlich 154,00 €. Im streitigen Zeitraum seien die ursprünglichen Bewilligungsbescheide gemäß § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) abzuändern. Soweit das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) § 44 SGB X auf die Sozialhilfe für nicht anwendbar gehalten und dies mit der Eigenart der Sozialhilfe begründet habe, sei diese Rechtsprechung auf die Grundsicherung nicht übertragbar.
Mit der Sprungrevision rügt der Beklagte die Verletzung von Bundesrecht. Zur Begründung bezieht er sich auf den Vortrag im Parallelverfahren B 8/9b SO 8/06 R.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält die Entscheidung des SG für zutreffend.
II
Die Revision ist unzulässig (§ 169 Sozialgerichtsgesetz <SGG>). Der Beklagte hat sein Rechtsmittel nicht ausreichend begründet (§ 164 SGG).
Gemäß § 164 Abs 2 Satz 1 und 3 SGG ist die Revision fristgerecht und unter Einhaltung bestimmter Mindesterfordernisse zu begründen. Die Begründung muss danach einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben. Diese gesetzlichen Anforderungen hat das Bundessozialgericht (BSG) in ständiger Rechtsprechung dahin präzisiert (vgl nur: BSG, Urteil vom 23. November 2005 - B 12 RA 10/04 R -, juris RdNr 10, BSG SozR 3-1500 § 164 Nr 12 S 22 und BSG SozR 1500 § 164 Nr 12, jeweils mwN), dass in der Begründung sorgfältig sowie nach Umfang und Zweck zweifelsfrei dargelegt wird, weshalb eine Vorschrift des materiellen Rechts im angefochtenen Urteil nicht oder nicht richtig angewendet worden ist. Die Revisionsbegründung muss insbesondere erkennen lassen, dass sich der Revisionsführer mit der angefochtenen Entscheidung befasst hat und inwieweit er bei der Auslegung der vom Gericht angewandten Rechtsvorschriften anderer Auffassung ist.
Dafür bedarf es der Darlegung, in welchen Punkten und aus welchen Gründen die angefochtene Entscheidung angegriffen wird (BSG, Urteil vom 11. November 1993 - 7 RAr 94/92 -, DBlR Nr 4086a zu § 117 AFG = juris RdNr 15 mwN; BSGE 70, 186, 187 f = SozR 3-1200 § 53 Nr 4 S 17; BSG SozR 1500 § 164 Nr 5, 12, 22 und 28). Betrifft die Revision mehrere Ansprüche, ist für jeden von ihnen die gesetzlich vorgeschriebene Begründung erforderlich (BSG, Urteil vom 5. September 2006 - B 7a AL 66/05 R -, juris RdNr 14 mwN; BSG, Urteil vom 11. November 1993, aaO; BSGE 65, 8, 11 = SozR 1300 § 48 Nr 55 S 159). Entsprechendes gilt bei einem nur teilbaren Streitgegenstand: Wenn sich die Begründung nicht auf alle Teile des angefochtenen Urteils erstreckt, deren Abänderung verlangt wird, ist die Revision für den nicht begründeten Teil unzulässig (vgl BSG, Urteil vom 11. November 1993, aaO, und BSG SozR 3-1500 § 164 Nr 12 S 23, jeweils mwN).
Dieses Formerfordernis soll im Interesse der Entlastung des Revisionsgerichts sicherstellen, dass der Revisionsführer bzw der Prozessbevollmächtigte das angefochtene Urteil im Hinblick auf einen Erfolg des Rechtsmittels überprüft und hierzu die Rechtslage genau durchdacht hat (vgl: BSG, Urteil vom 23. November 2005, aaO; BSG, Urteil vom 3. Juli 2002 - B 5 RJ 30/01 R -, HVBG-INFO 2002, 2641 ff = juris RdNr 10 mwN), bevor er durch seine Unterschrift die volle Verantwortung für die Revision übernimmt, und so ggf von der Durchführung aussichtsloser Revisionen absieht (BSG, Urteil vom 20. Januar 2005 - B 3 KR 22/03 R -, USK 2005-95 = juris RdNr 16 mwN).
Auf der Grundlage dieser an die Revisionsbegründung gestellten Anforderungen kann es in aller Regel nicht ausreichen, wenn die Bezugnahme auf andere Schriftsätze an die Stelle der konkreten Begründung selbst tritt (vgl BSG SozR 3-2400 § 28p Nr 1 S 3; BVerwG, Beschluss vom 6. Oktober 1958 - V C 378.56 -, MDR 1959, 60 f; zur Berufungsbegründung vgl Bundesgerichtshof <BGH>, Beschluss vom 17. Dezember 1965 - IV ZR 290/64 -, MDR 1966, 665 f; Albers in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung <ZPO>, 64. Aufl 2006, § 520 RdNr 28). Demgemäß hat der Bundesfinanzhof (BFH) die bloße Bezugnahme auf die Revisionsbegründung in einer parallel liegenden Revisionssache als in der Regel unzureichend angesehen (vgl BFH, Beschluss vom 26. März 1985 - VIII R 168/84 -, BFH/NV 1987, 303 f mwN). Die Verweisung auf andere Schriftsätze im selben Rechtsstreit (Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde) ist nur ausnahmsweise ausreichend, wenn diese Schriftsätze selbst den inhaltlichen Anforderungen bezogen auf die konkrete Revision genügen (BSG SozR 3-1500 § 164 Nr 9 S 16; BSG SozR 1500 § 164 Nr 4). Eine Ausnahme wird auch angenommen bei einem Schriftsatz, der die Begründung für mehrere Rechtsstreitigkeiten enthält (vgl Meyer-Ladewig in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl 2005, § 164 RdNr 9c mwN). Entsprechendes gilt, wenn es sich in verschiedenen Verfahren um die gleiche Rechtsfrage sowie dieselben Prozessbeteiligten handelt, eine Abschrift des in Bezug genommenen Schriftsatzes eingereicht und ausdrücklich zum Gegenstand des Vortrags gemacht wird (BFH, Beschluss vom 30. Juni 1987 - VIII R 104/83 -, BFH/NV 1988, 306 mwN).
Die vorliegende Revisionsbegründung genügt nicht den gestellten Anforderungen. Zwar hat der Revisionskläger einen Revisionsbegründungsschriftsatz eingereicht, in dem er ausdrücklich auf die Revisionsbegründung in einem Parallelverfahren (B 8/9b SO 8/06 R) Bezug nimmt; dazu hat er auch eine Abschrift der in Bezug genommenen Revisionsbegründung beigefügt. Jedoch handelt es sich bereits nicht um ein Verfahren derselben Beteiligten; denn die Kläger sind nicht identisch. Hinzu kommt, dass Streitgegenstände in vollem Umfang auf unterschiedlicher Rechtsgrundlage betroffen sind. Während im vorliegenden Verfahren die Anwendbarkeit von § 44 SGB X auf Verwaltungsakte (Bewilligung von Grundsicherungsleistungen) streitig ist, die auf der Grundlage des GSiG (bis 31. Dezember 2004) ergangen sind, betrifft das in Bezug genommene Parallelverfahren Grundsicherungsleistungen ab 1. Januar 2005 auf der Grundlage des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII). Die angefochtene Entscheidung des SG setzt sich insoweit ausdrücklich und eingehend damit auseinander, dass und warum die Rechtsprechung des BVerwG zur Nichtanwendung des § 44 SGB X auf Verwaltungsakte der Sozialhilfe nicht auf die eigenständigen Regelungen im GSiG übertragbar sei. Die vom Beklagten in Bezug genommene Revisionsbegründung im Parallelverfahren hat dagegen ausschließlich die Leistungen der Grundsicherung nach dem 4. Kapitel des SGB XII zum Gegenstand; schon deshalb enthält jene Begründung keine Auseinandersetzung mit dem vorliegend angefochtenen Urteil. Dies gilt selbst dann, wenn man die Anwendbarkeit von § 44 SGB X - unbeschadet der verschiedenen Kodifizierungen der Grundsicherungsleistungen - gleich behandelt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Ende der Entscheidung
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