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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 28.10.2008
Aktenzeichen: B 8 SO 21/07 R
Rechtsgebiete: BSHG


Vorschriften:

BSHG § 93 Abs 1
BSHG § 93 Abs 2
BSHG § 93 Abs 2 Satz 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT

Im Namen des Volkes

Urteil

Verkündet am

28. Oktober 2008

in dem Rechtsstreit

Az: B 8 SO 21/07 R

Der 8. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 28. Oktober 2008 durch den Vorsitzenden Richter Eicher, die Richter Dr. Koloczek und Coseriu sowie die ehrenamtliche Richterin Klein und den ehrenamtlichen Richter Lübking

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 24. Mai 2007 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Gründe:

I. Im Streit sind die Übernahme und Zahlung weiterer Heimkosten für die Zeit vom 6. August bis 22. September 2004 in Höhe der Differenz (27,60 Euro kalendertäglich) zwischen der vom Kläger mit der "Klinikum W GmbH" (im Weiteren: Einrichtung) vereinbarten (134,86 Euro) und der von der Beklagten an die Einrichtung gezahlten (107,26 Euro) geringeren Vergütung.

Der 1964 geborene Kläger leidet an einer leichten Intelligenzminderung mit selbstgefährdendem Verhalten unter Alkoholeinwirkung in Kombination mit einer Alkoholabhängigkeitserkrankung. Er wurde am 6. August 2004 in den Heimbereich der Einrichtung aufgenommen.

Zwischen dem Kläger und der Einrichtung ist vertraglich ein Heimentgelt in Höhe von kalendertäglich 134,86 Euro vereinbart (Vertrag vom 9. August 2004). Auf der Basis einer vorläufigen Vergütungsvereinbarung zwischen der Einrichtung und dem Niedersächsischen Landesamt für zentrale soziale Aufgaben, dem überörtlichen Sozialhilfeträger, die auf Grund einstweiliger Anordnung zustande gekommen war, hat die Beklagte die Kosten nur in Höhe von 107,26 Euro für die Zeit vom 6. August bis 22. September 2004 durch Zahlung an das Heim übernommen (Bescheid vom 27. Juli 2005; Widerspruchsbescheid vom 14. November 2005); dies hat sie der Einrichtung mitgeteilt. Höhere Heimentgelte hat auch der Kläger selbst an die Einrichtung nicht gezahlt.

Klage und Berufung blieben ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts [SG] Hannover vom 28. Juli 2006; Urteil des Landessozialgerichts [LSG] Niedersachsen-Bremen vom 24. Mai 2007). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, bei der dem Kläger gewährten Eingliederungshilfe handele es sich zwar nicht um eine Sach-, sondern um eine Geldleistung, sodass dem Anspruch nicht schon der Gesichtspunkt der tatsächlichen Bedarfsdeckung in der Einrichtung entgegengehalten werden könne. Eine Vergütungspflicht des zuständigen Sozialhilfeträgers bestehe bei Erbringung der Leistungen in stationären Einrichtungen jedoch grundsätzlich nur, soweit mit der Einrichtung die in § 93 Abs 2 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) genannten Vereinbarungen (Leistungs-, Vergütungs- und Prüfungsvereinbarung) abgeschlossen seien. Wenn diese Vereinbarungen fehlten, komme eine Verpflichtung des Trägers der Sozialhilfe zur Übernahme der zwischen dem Heimbewohner und der Einrichtung vertraglich vereinbarten Vergütung nicht in Betracht, solange die Beteiligten noch über entsprechende Vereinbarungen verhandelten und die Vereinbarungen für den betreffenden Zeitraum noch wirksam getroffen werden könnten, wie dies hier der Fall sei (so genannte Sperrwirkung). Einem späteren rückwirkenden Abschluss von Vereinbarungen stehe nicht der Grundsatz der Prospektivität entgegen, weil dieser lediglich den Abschluss von Vereinbarungen für zukünftige Wirtschaftsperioden gebiete, nicht aber das rückwirkende Inkrafttreten später geschlossener, zunächst nicht zustande gekommener Vereinbarungen untersage. Ein Anspruch auf Übernahme eines höheren Entgeltes könne auch nicht auf die Vereinbarungen des Klägers mit der Einrichtung im Heimvertrag gestützt werden, weil die jeweiligen Entgelte nach dem Heimgesetz (HeimG) den auf Grund des Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) getroffenen (vorläufigen) Vereinbarungen zu entsprechen hätten. Die bislang nur vorläufige Vergütungsvereinbarung wird in entsprechender Anwendung des § 93b Abs 2 Satz 4 BSHG bis zum Inkrafttreten einer neuen Vergütungsvereinbarung weiter.

Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 93 Abs 1 und 2 BSHG. Es liege bereits ein endgültig vertragsloser Zeitraum vor, weil § 93 Abs 2 Satz 3 BSHG ein gesetzliches Rückwirkungsverbot für die Vereinbarungen vorsehe. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) sei damit die Sperrwirkung bereits beendet.

Der Kläger beantragt,

die Urteile des LSG sowie des SG aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 27. Juli 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. November 2005 zu verurteilen, für die Zeit vom 6. August bis 22. September 2004 weitere 27,60 Euro täglich zu übernehmen und an die "Klinikum W GmbH" zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.

II. Die Revision des Klägers ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Das Berufungsurteil leidet an einem von Amts wegen zu berücksichtigenden wesentlichen Verfahrensmangel; das LSG hätte die Einrichtung nach § 75 Abs 2 1. Alt SGG notwendig beiladen müssen (echte notwendige Beiladung), weil das angestrebte Urteil schon wegen der beantragten Zahlung an die Einrichtung unmittelbar die Rechtsbeziehungen im Dreiecksverhältnis zwischen dem Kläger, der Beklagten und der Einrichtung betrifft.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 27. Juli 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. November 2005 (§ 95 SGG), soweit die Beklagte für den allein streitbefangenen Zeitraum vom 6. August bis 22. September 2004 die Übernahme höherer Kosten der Eingliederungshilfe für den Aufenthalt in der Einrichtung abgelehnt hat. Richtige Klageart ist die kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage nach §§ 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4, 56 SGG. Die Notwendigkeit einer zusätzlichen Verpflichtungsklage ergibt sich daraus, dass der Kläger nicht nur die Änderung des Bewilligungsbescheides und die Zahlung weiterer Heimkosten an die Einrichtung, sondern außerdem die ausdrückliche Übernahme der Kosten durch Verwaltungsakt begehrt, durch den eine Mitschuld der Beklagten gegenüber der Einrichtung begründet werden soll.

Die Region Hannover ist die richtige Beklagte. Nach § 100 Abs 1 Nr 1 BSHG iVm §§ 2, 3, des Niedersächsischen Gesetzes zur Ausführung des BSHG (Nds AG BSHG) in der Normfassung vom 20. März 1997 (Niedersächsisches Gesetz und Verordnungsblatt [GVBl] 86) ist das Land als überörtlicher Träger sachlich zuständig für die Gewährung von stationären und teilstationären Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen. § 4 Abs 2 Nds AG BSHG ermächtigt jedoch das zuständige Fachministerium dazu, die örtlichen Träger der Sozialhilfe, zu denen nach § 96 Abs 1 Satz 1 BSHG iVm § 2 des Gesetzes über die Region Hannover vom 5. Juni 2001 (Nds GVBl 348) die Region Hannover gehört, zur Durchführung von Aufgaben des überörtlichen Trägers dergestalt heranzuziehen, dass diese im eigenen Namen entscheiden (§ 5 Abs 1 Satz 3 Nds AG BSHG). Von dieser Ermächtigung ist in § 1 der Verordnung über die Heranziehung kommunaler Körperschaften für Aufgaben des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe vom 25. August 2001 (Nds GVBl 599) Gebrauch gemacht worden. Nach der vom LSG vorgenommenen Auslegung ist allerdings durch die Heranziehung die sachliche Zuständigkeit auf den örtlichen (zuständigen) Sozialhilfeträger, die Beklagte, delegiert worden (vgl aber Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 17. Juni 2008 - B 8 AY 5/07 R; eine vom Rechtsträgerprinzip abweichende Regelung der Beteiligtenfähigkeit [Behördenprinzip, vgl § 70 Nr 3 SGG] sieht das niedersächsische Landesrecht nicht vor). Hierbei handelt es sich um die Auslegung von irrevisiblem Landesrecht, mit der Folge, dass das Revisionsgericht gemäß § 202 SGG iVm § 560 Zivilprozessordnung und § 162 SGG nicht nachprüfen darf, ob die Vorschriften des Landesrechts richtig angewandt worden sind (BSGE 3, 77, 80; 7, 120, 125). Die auf der Basis der Auslegung des LSG für die sachliche Zuständigkeit maßgebliche örtliche Zuständigkeit der Beklagten ergibt sich aus § 97 Abs 2 BSHG.

Das LSG hätte die Einrichtung nach § 75 Abs 2 1. Alt SGG notwendig beiladen müssen (echte notwendige Beiladung), weil das angestrebte Urteil im vorliegenden Verfahren unmittelbar die Rechtsbeziehungen auch der Einrichtung betrifft. Die Entscheidung kann ihr gegenüber daher nur einheitlich ergehen; denn der Kläger begehrt Zahlung an die Einrichtung. Außerdem stellt sich die beantragte Übernahme zusätzlicher Heimkosten als Schuldbeitritt zu einer behaupteten Zahlungsverpflichtung des Klägers gegenüber der Einrichtung dar.

Die Frage der Beiladung musste das früher für das Sozialhilferecht zuständige BVerwG in Fällen vorliegender Art nicht problematisieren (vgl aber BVerwGE 97, 53 ff, in der eine Beiladung erfolgt war). Zwar hat das BVerwG in der Vergangenheit zu Recht angenommen, dass unmittelbare Ansprüche des Leistungserbringers gegen den Sozialhilfeträger im Sozialhilfebereich grundsätzlich nur entstehen, soweit dies gesetzlich vorgesehen ist. Zu Unrecht hat es jedoch daraus in einem obiter dictum den Schluss gezogen, selbst bei Vereinbarungen nach § 93 Abs 2 BSHG könnten keine Ansprüche des Leistungserbringers entstehen und es seien nur Geldleistungen zu erbringen (BVerwG, Beschluss vom 10. August 2007 - 5 B 179/06). Beiden Ansichten kann der Senat nicht folgen. Ausdrücklich hat sich das BVerwG jedenfalls, soweit ersichtlich, mit der Problematik des Schuldbeitritts nicht befasst; es ist auch nicht überschaubar, ob es sich künftig im Rahmen seiner Zuständigkeit für Altfälle (vor dem 1. Januar 2005 eingegangene Klagen, so genannte perpetuatio fori) damit befassen muss. Der Senat sieht sich jedenfalls - abgesehen davon, dass die Zurückverweisung mangels Beiladung ohnedies schon auf Grund des Klageantrages des Klägers erfolgt - nicht an einer von der Rechtsansicht des BVerwG abweichenden rechtlichen Bewertung der Verhältnisse zwischen dem Kläger, der Beklagten und der beizuladenden Einrichtung gehindert.

Das Leistungserbringungsrecht der Sozialhilfe ist im Bereich der stationären und teilstationären Leistungen, namentlich bei der Eingliederungshilfe, durch das so genannte sozialhilferechtliche Dreiecksverhältnis geprägt, das die wechselseitigen Rechtsbeziehungen zwischen dem Träger der Sozialhilfe, dem Leistungsberechtigten und dem Leistungserbringer (Einrichtungsträger) sinnbildlich darstellt. In diesem Verhältnis gehen die Aufgaben der Sozialhilfeträger weit über das reine Reagieren auf individuelle Bedürftigkeit durch Gewährung von Geldleistung hinaus; die gesetzlichen Regelungen statuieren vielmehr ein Sachleistungsprinzip in der Gestalt einer Sachleistungsverschaffung in einem vorgegebenen gesetzlichen Rahmen, der zwar nicht wie im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung ausgestaltet ist, sich dem aber nähert. Der Sozialhilfeträger erklärt dabei durch Übernahme der Unterbringungskosten im Bewilligungsbescheid den Schuldbeitritt zu der Zahlungsverpflichtung des Heimbewohners gegenüber dem Heim in Höhe des bewilligten Betrages (vgl dazu näher das Senatsurteil vom 28. Oktober 2008 - B 8 SO 22/07 R). Daraus erwächst zum einen ein unmittelbarer Anspruch der Einrichtung gegen den Sozialhilfeträger, zum anderen ein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Zahlung des übernommenen Betrags an die Einrichtung (näher dazu BSG aaO).

Das Unterlassen einer notwendigen Beiladung nach § 75 Abs 2 1. Alt SGG ist bei einer zulässigen Revision von Amts wegen als Verfahrensfehler zu beachten (vgl BSG SozR 1500 § 75 Nr 21; BSG, Urteil vom 12. Februar 2003 - B 9 VS 6/01 R -, USK 2003-90; anders bei der unechten notwendigen Beiladung nach § 75 Abs 2 2. Alt SGG, vgl zuletzt BSG SozR 4-4200 § 7 Nr 4 und BSG, Urteil vom 26. Januar 2005 - B 12 P 9/03 R -, USK 2005-3 mwN). Zwar kann nach § 168 Satz 2 SGG die Beiladung noch im Revisionsverfahren nachgeholt werden. Davon macht der Senat jedoch keinen Gebrauch; er ist hierzu nicht verpflichtet (s BSGE 93, 283 ff = SozR 4-3250 § 14 Nr 1 mwN; vgl auch BSG, Urteil vom 2. November 2000 - B 11 AL 25/00 R). Gegen eine Beiladung im Revisionsverfahren spricht, dass der Beizuladenden gerade wegen der von der Tatsacheninstanz getroffenen tatsächlichen Feststellungen Gelegenheit zur Wahrnehmung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör gegeben werden soll.

Hinsichtlich der vom LSG nach der Zurückverweisung zu beurteilenden Rechtslage wird auf die - das LSG nicht bindenden - Ausführungen im Senatsurteil vom 28. Oktober 2008 (B 8 SO 22/07 R) verwiesen. Das LSG wird bei seiner Entscheidung ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.



Ende der Entscheidung

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