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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Beschluss verkündet am 19.09.2007
Aktenzeichen: B 9/9a SB 49/06 B
Rechtsgebiete: SGG, ZPO, FGO


Vorschriften:

SGG § 202
SGG § 130
ZPO § 303
FGO § 99

Entscheidung wurde am 11.01.2008 korrigiert: die Rechtsgebiete, die Vorschriften und der Verfahrensgang wurden geändert, Stichworte und ein amtlicher Leitsatz wurden hinzugefügt
Ein Zwischenurteil nach § 130 Abs 2 SGG, das die Berufung für zulässig erklärt, kann nicht selbstständig, sondern nur mit dem Endurteil angefochten werden.
BUNDESSOZIALGERICHT Beschluss

in dem Rechtsstreit

Az: B 9/9a SB 49/06 B

Der 9. Senat des Bundessozialgerichts hat am 19. September 2007 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Loytved sowie die Richter Dau und Dr. Knörr

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 5. April 2006 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe:

In dem Rechtsstreit des Klägers betreffend die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" (erhebliche Gehbehinderung) hat das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (LSG) durch Urteil vom 5.4.2006 entschieden, dass die vom Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 9.3.2005 eingelegte Berufung zulässig sei. Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger beim Bundessozialgericht (BSG) Beschwerde eingelegt.

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil das Urteil des LSG seiner Art nach nicht mit der Revision angefochten werden kann.

Die berufungsgerichtliche Entscheidung stellt ein Zwischenurteil dar, weil sie nicht über den geltend gemachten Anspruch befunden, sondern nur die Berufung des Beklagten für zulässig erklärt hat. Ein derartiges Zwischenurteil ist zwar zulässig. Das ergibt sich allgemein aus § 202 SGG iVm § 303 ZPO (vgl dazu BSGE 10, 233 = SozR Nr 1 zu § 549 ZPO; BSGE 13, 32 = SozR Nr 6 zu § 160 SGG; BSGE 13, 140 = SozR Nr 1 zu § 590 ZPO; BSG SozEntsch BSG 1/4 § 160 Nr 3; BSG SozEntsch BSG 1/4 § 125 Nr 5; BSG SozR 1500 § 78 Nr 7). Seit dem 2.1.2002 ist insoweit § 130 Abs 2 SGG idF des 6. SGG-ÄndG vom 17.8.2001 (BGBl I 2144) maßgebend. Danach kann das Gericht durch Zwischenurteil über eine entscheidungserhebliche Sach- und Rechtsfrage vorab entscheiden, wenn dies sachdienlich ist. Das vorliegende Zwischenurteil kann jedoch nicht selbstständig, sondern nur mit dem Endurteil angefochten werden (vgl Bolay in Lüdtke, SGG, 2. Aufl 2006, § 130 RdNr 15; Meyer-Ladewig in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl 2005, § 130 RdNr 11; Peters/Sautter/Wolff, Komm zur Sozialgerichtsbarkeit, § 130 SGG RdNr 65; zum alten Rechtszustand vgl BSG SozEntsch BSG 1/4 § 125 Nr 5). Der gegenteiligen Auffassung des LSG, das sich insoweit auf das Urteil desselben Gerichts vom 9.12.2003 (L 13 VG 21/02 - juris) stützt, folgt der erkennende Senat nicht.

Das Argument, anders als § 511 Abs 1 ZPO, wonach die Berufung gegen die im ersten Rechtszuge erlassenen Endurteile stattfindet, enthalte § 143 SGG keine Beschränkung der Berufung auf Endurteile, hat das BSG in seinen früheren Entscheidungen bereits erwogen und zurückgewiesen. Dabei ist darauf abgestellt worden, dass § 202 SGG nicht nur auf einzelne Vorschriften der ZPO betreffend Zwischenurteile verweist, sondern auf das ganze sich aus dem Zusammenhang der ZPO-Vorschriften ergebende System der Zwischenurteile, einschließlich der diesbezüglichen Rechtsmittelbeschränkungen (vgl BSGE 13, 32, 34 = SozR Nr 6 zu § 160 SGG).

Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht daraus, dass ein auf eine reine Leistungsklage ergehendes Grundurteil vom BSG (SozR 3-1500 § 199 Nr 1 S 5) als Zwischenurteil angesehen worden ist, das hinsichtlich der Rechtsmittel einem Endurteil gleichsteht (vgl dazu auch BSG SozR 4-3100 § 18c Nr 2 RdNr 13). Dabei handelt es sich nämlich nicht um ein Zwischenurteil iS von § 303 ZPO, sondern nach § 304 ZPO (vgl dazu zB BSGE 61, 217 = SozR 3100 § 19 Nr 18), der in seinem Abs 2 ausdrücklich bestimmt, dass es in Betreff der Rechtsmittel als Endurteil anzusehen ist.

Ebenso wenig gibt die Einfügung des § 130 Abs 2 SGG Veranlassung zu einer Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung des BSG. Da diese Regelung keine Aussage zur Anfechtbarkeit solcher Zwischenurteile trifft, liegt es nahe, dass es der Gesetzgeber bei dem Grundsatz belassen wollte, dass Zwischenurteile nur mit dem Endurteil angefochten werden können. Jedenfalls lässt sich nicht ohne weiteres von der selbstständigen Anfechtbarkeit der Grundurteile nach § 130 Abs 1 SGG auf eine entsprechende Rechtsmittelmöglichkeit bei den Zwischenurteilen nach § 130 Abs 2 SGG schließen. Erstere stehen nämlich Endurteilen gleich, weil die Erteilung eines rechtsbehelfsfähigen Ausführungsbescheides des Leistungsträgers ein sog gerichtliches Nachverfahren entbehrlich macht (vgl BSG SozR 3-1500 § 199 Nr 1 S 5).

Die Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung zu § 130 Abs 2 SGG deutet daraufhin, dass sich der Gesetzgeber eine Verfahrensbeschleunigung insbesondere dadurch versprach, dass dann, wenn erkennbar nur über eine bestimmte Sach- oder Rechtsfrage gestritten wird, ein diesbezügliches Zwischenurteil zu einer Beilegung des Rechtsstreits führen kann (BT-Drucks 14/5943 S 26). Die Frage einer selbstständigen Anfechtbarkeit derartiger Zwischenurteile wird in diesem Zusammenhang nicht angesprochen. Es ist auch fraglich, ob eine solche Rechtsmittelmöglichkeit wirklich der Prozessökonomie und Verfahrensbeschleunigung dient (so jedoch Pawlak in Hennig, SGG, § 130 RdNr 99). Dies gilt insbesondere dann, wenn - wie hier - vorab über die Zulässigkeit eines Rechtsmittels entschieden wird. Denn bei Bestätigung dieser Entscheidung hat ein Endurteil zu ergehen, das seinerseits wieder angefochten werden kann (ebenso zB Bolay in Lüdtke, SGG, 2. Aufl 2006, § 130 RdNr 15).

Es trifft zwar zu, dass § 130 Abs 2 SGG weitgehend mit dem bereits seit dem 1.1.1993 anwendbaren § 99 Abs 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) übereinstimmt (vgl dazu auch BT-Drucks 12/1061 S 18) und dass der Bundesfinanzhof (BFH) danach ergangene Zwischenurteile der Finanzgerichte für selbstständig anfechtbar hält (vgl zB BFHE 173, 40; BFHE 187, 418). Diese Rechtsprechung beruht jedoch auf einem anderen Gesetzeszusammenhang. Anders als das SGG (in § 130 SGG) enthält die FGO mehrere Vorschriften über Zwischenurteile (§ 67 Abs 3, §§ 97, 99 FGO). Insofern kommt der in § 155 FGO geregelten Verweisung auf die ZPO im vorliegenden Zusammenhang eine geringere Bedeutung zu als dem § 202 SGG im sozialgerichtlichen Verfahren. Vor diesem Hintergrund hat der BFH aus dem Umstand, dass nach der ausdrücklichen Bestimmung des § 67 Abs 3 FGO die Entscheidung, dass eine Änderung der Klage nicht vorliegt oder zuzulassen ist, nicht selbstständig anfechtbar ist, gefolgert, alle anderen in der FGO vorgesehenen Zwischenurteile könnten unmittelbar mit Rechtsmitteln angegriffen werden (vgl BFHE 187, 418, 420).

Die Verwerfung der Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 2 iVm § 169 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

Ende der Entscheidung

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