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Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 07.11.2001
Aktenzeichen: B 9 SB 1/01 R
Rechtsgebiete: SGG, ErrG
Vorschriften:
SGG § 71 Abs 5 | |
ErrG § 3 |
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil
in dem Rechtsstreit
Az: B 9 SB 1/01 R
Der 9. Senat des Bundessozialgerichts hat ohne mündliche Verhandlung am 7. November 2001 durch den Vorsitzenden Richter Kummer, die Richter Prof. Dr. Bürck und Dau sowie die ehrenamtlichen Richter Bilor und Maier
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 30. Januar 2001 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I
Die Beteiligten streiten über die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG).
Der Beklagte stellte bei dem 1943 geborenen Kläger unter Berücksichtigung einer Heilungsbewährung nach einem Herzinfarkt einen GdB von 50 (Bescheid vom 15. August 1990) und nach Ablauf der Heilungsbewährung einen GdB von 30 fest (Bescheid vom 28. April 1992). Einen Erhöhungsantrag des Klägers lehnte der Beklagte zunächst mit Bescheid vom 19. April 1994 ab, stellte dann aber mit Teilabhilfebescheid vom 8. November 1994 einen GdB von 40 fest. Dabei ging er von einer Herzinfarktnarbe und einer durchgeführten Ballonerweiterung (Einzel-GdB 30) und neu aufgetretenen Durchblutungsstörungen der Beine, Stadium II (Einzel-GdB 20), aus. Den Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit Bescheid vom 11. August 1995 zurück. Das Sozialgericht (SG) hat den Sachverhalt durch Einholung von Befundberichten und eines internistischen Gutachtens weiter aufgeklärt und sodann die Klage mit Urteil vom 18. März 1999 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung des Klägers insbesondere ein internistisches Fachgutachten des Prof. Dr. T eingeholt und die Berufung mit Urteil vom 30. Januar 2001 zurückgewiesen. In den Entscheidungsgründen heißt es im wesentlichen: Der Senat habe in der Sache entscheiden können, obwohl das beklagte Land in der mündlichen Verhandlung des Rechtsstreits nach Auflösung des Landesversorgungsamts (LV) mit Ablauf des Jahres 2000 und Übertragung der Aufgaben des LV gemäß Art 1 § 3 des Zweiten Modernisierungsgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen vom 9. Mai 2000 (GV-Blatt NW S 462) <2. ModernG> auf die Bezirksregierung Münster (Abteilung 10) seither durch diese und nicht mehr durch das (bisherige) LV vertreten war. Trotz Zweifel, ob die Übertragung der Aufgaben des bisherigen LV auf die Bezirksregierung Münster (Abteilung 10) mit § 3 des Gesetzes über die Errichtung der Verwaltungsbehörden der Kriegsopferversorgung (ErrG) vom 12. März 1951 zu vereinbaren sei, könne diese Frage deshalb offen bleiben, weil an § 71 Abs 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht die gleichen Anforderungen wie an § 3 ErrG zu stellen seien. Sinn und Zweck dieser verfahrensrechtlichen Vorschrift geböten es, dem Begriff "Landesversorgungsamt" eine von § 3 ErrG abweichende Bedeutung beizumessen. Bei Schaffung des SGG im Jahre 1953 habe bereits eine Versorgungsverwaltung nach dem ErrG bestanden. Der Gesetzgeber habe damals die fachkundigste Stelle mit der Vertretung der Bundesländer vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit betrauen wollen, dh die LV. Übertragen auf die gegenwärtigen Verhältnisse bedeute dies, daß die Bezirksregierung Münster mit ihrer Abteilung 10 "Arbeit und Soziales, Landesversorgungsamt", als die auf dem Gebiet des sozialen Entschädigungsrechts und des Schwerbehindertenrechts fachkundigste Stelle des Landes Nordrhein-Westfalen, zu dessen alleiniger Vertretung berufen sei. Eine weiterreichende Bedeutung habe § 71 Abs 5 SGG nicht. Das gelte auch, wenn die Auflösung des LV und die Übertragung seiner Aufgaben auf die Bezirksregierung Münster gegen Vorschriften des ErrG verstoßen sollte.
In der Sache hat das LSG die Berufung des Klägers für unbegründet erachtet und im wesentlichen ausgeführt: Zwar seien in den gesundheitlichen Verhältnissen des Klägers, die dem Bescheid vom 28. April 1992 zugrunde gelegen hätten, wesentliche Veränderungen eingetreten. Dem habe der Beklagte aber dadurch hinreichend Rechnung getragen, daß er den Gesamt-GdB des Klägers mit dem Abhilfebescheid vom 8. November 1994 mit 40 festgestellt habe. Die Funktionsbeeinträchtigungen des Herzens des Klägers seien insbesondere aufgrund der Ergebnisse zahlreicher Belastungsmessungen mit einem GdB von 30 zutreffend bewertet worden. Andere wesentliche, den GdB beeinflussende pathologische Erscheinungen des Herz-Kreislauf-Systems lägen nach den Untersuchungen und Meßergebnissen, insbesondere der Blutdruckwerte des Klägers, nicht vor. Auch eine Ballondilatation oder frühere Eingriffe erhöhten den GdB unter Berücksichtigung der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit .... (AHP 1996, S 88) bzw für die Zeit bis 1996 nach den AHP 1983 (S 67) nicht. Prof. Dr. T könne nicht darin gefolgt werden, daß der GdB des Klägers unter dem Gesichtspunkt der Heilungsbewährung 50 betrage, denn für das Maß des GdB sei auf den gebesserten Zustand abzustellen. Da nach allseitiger ärztlicher Beurteilung für die Verschlußkrankheit der Beine ein Einzel-GdB von 20 einzusetzen sei und die begutachtenden Ärzte von einer Wegstrecke, die der Kläger noch zurücklegen könne, von 500 m ausgegangen seien, sei der Gesamt-GdB unter Berücksichtigung dieser Umstände vom Beklagten zutreffend mit 40 festgestellt worden.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger: Das beklagte Land sei vor dem LSG nicht wirksam iS des § 71 Abs 5 SGG vertreten gewesen, denn die Betrauung der Bezirksregierung Münster mit der Vertretung des Landes Nordrhein-Westfalen verstoße gegen § 3 ErrG. Im übrigen sei die Sachentscheidung des LSG falsch. Sein - des Klägers - gesundheitlicher Zustand entspreche dem Bild, daß Prof. Dr. T in seinem Gutachten vom 20. April 2000 geschildert habe. Hinzuweisen sei überdies darauf, daß er bereits seit 1985 unter einer rechtskonvexen Skoliose des Torsionsgrades I im distalen BWS-Bereichs mit beginnender Osteochondrose leide. Sein gesamtes Krankheitsbild rechtfertige einen GdB von 50.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 30. Januar 2001 und das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 18. März 1999 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 8. November 1994 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11. August 1995 zu verurteilen, einen GdB von 50 ab Dezember 1993 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, sie als unbegründet zurückzuweisen.
Er weist darauf hin, daß der erkennende Senat des Bundessozialgerichts (BSG) inzwischen entschieden habe, daß das beklagte Land iS des § 71 Abs 5 SGG ordnungsgemäß von der Bezirksregierung Münster (Abteilung 10) vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit vertreten werde. In der Sache entspreche die Revision des Klägers nicht den Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG. Denn es sei nicht erkennbar, welche Rechtsvorschrift das LSG nach Auffassung des Klägers verletzt habe, soweit es in der angefochtenen Entscheidung zu dem Ergebnis gekommen sei, der GdB betrage beim Kläger nicht mehr als 40.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt, jedoch zur Frage der ordnungsgemäßen Vertretung des Beklagten die Auffassung vertreten, § 71 Abs 5 SGG sei hier nicht verletzt.
II
Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg.
Die vom LSG im Hinblick auf die Auslegung des § 71 Abs 5 SGG zugelassene Revision (§ 160 Abs 1 SGG) ist statthaft und auch im übrigen zulässig. Insbesondere hat der Kläger sie ausreichend begründet, soweit er eine Verletzung des § 71 Abs 5 SGG gerügt hat.
1. Entgegen der in der Revision vertretenen Auffassung des Klägers ist § 71 Abs 5 SGG vorliegend nicht verletzt. Denn der Beklagte wird seit dem 1. Januar 2000 wirksam durch die Bezirksregierung Münster (Abteilung 10) als Landesversorgungsamt iS dieser Vorschrift vor dem LSG Nordrhein-Westfalen und dem BSG vertreten. Dies hat der Senat in seinem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil vom 12. Juni 2001 - B 9 V 5/00 R - entschieden und ausführlich begründet. In der Entscheidung heißt es:
Nach § 71 Abs 5 SGG wird das Land in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung durch das Landesversorgungsamt vertreten. Ob diese Voraussetzung hier erfüllt ist, richtet sich zunächst nach den im ErrG in der Fassung des Art 25 des 2. Zuständigkeitslockerungsgesetzes vom 3. Mai 2000 (BGBl I, 632) enthaltenen Vorgaben.
Die Auffassung des Senats beruht zunächst auf der Auslegung des § 1 ErrG idF des Zweiten Zuständigkeitslockerungsgesetzes vom 3. Mai 2000, mit dem § 1 Abs 2 Satz 1 in seiner ursprünglichen Fassung vom 12. März 1951 (BGBl I, 169) gestrichen und § 1 neugefaßt worden ist. Die Vorschrift lautet nunmehr: "Die Versorgung der Kriegsopfer wird von Versorgungsämtern und Landesversorgungsämtern durchgeführt. Mehrere Länder können ein gemeinsames Landesversorgungsamt errichten". Gestrichen wurde die Regelung, daß die Versorgungsämter und Landesversorgungsämter von den Ländern "als besondere Verwaltungsbehörden errichtet werden". Entgegen der mit dem Gesetzentwurf des Bundesrats (BR) verfolgten Absicht, das Errichtungsgesetz im vollen Umfang aufzuheben (vgl BT-Drucks 14/640, Begründung zu Art 33), wodurch die Bundesländer die volle Organisationsfreiheit für die Einrichtung und Gestaltung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen Behörden erlangt hätten, kam es infolge des Widerstandes der Bundesregierung (vgl BT-Drucks 14/640 zu Art 33 S 19, 20) im Zuge der Beratung der mit der Angelegenheit befaßten Bundestagsausschüsse (federführend war der Innenausschuß) zu der nunmehr geltenden Gesetzesfassung. Die neue Fassung entspricht dem durch den Einigungsvertrag Kap VIII Anl I Sachgebiet K Abschn III Nr 2 Buchst a, c, d in den Beitrittsländern ab 1. Januar 1991 begründeten Rechtszustand (vgl BGBl 1990 II, 885, 1068).
Das bedeutet allerdings nicht, daß ein Bundesland, das seine Versorgungsverwaltung modernisieren will, die Umgestaltung seiner Versorgungsbehörden entsprechend den in den Beitrittsländern entstandenen Strukturen vornehmen muß. Die Länder haben die bundesgesetzlich vorgegebene, das soziale Entschädigungsrecht (SER) betreffende Verwaltung als eigene Angelegenheit auszuführen (vgl Art 83 Grundgesetz <GG>). Sie regeln deshalb die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren selbständig, soweit nicht mit Zustimmung des BR ergangene Bundesgesetze und Verwaltungsvorschriften etwas anderes bestimmen (Art 84 Abs 1 GG).
Nach Art 84 Abs 1 GG steht den Ländern grundsätzlich die Organisationsgewalt für die Landeseigenverwaltung zu (vgl Dittmann in Sachs, GG-Komm, Art 84 RdNr 1). Sie haben das Recht, die für den Gesetzesvollzug erforderlichen Behörden einzurichten, müssen dabei aber die sachgerechte Erledigung des sich aus der Bundesgesetzgebung ergebenden Aufgabenbestandes sicherstellen (vgl BVerfGE 55, 274, 318; s dazu auch BVerfGE 75, 108, 250, 152). Das jeweils mit Zustimmung des BR zustande gekommene bundesgesetzliche "Programm" - eventuell ergänzt um Verwaltungsvorschriften (Art 84 Abs 2 GG) - begrenzt den Umfang der grundsätzlich den Ländern zustehenden Regelungskompetenz. Für den Fall, daß der Bund eine organisatorische Frage zwar geregelt hat, dies aber nicht vollständig geschehen ist, verbleibt dem betroffenen Land eine ergänzende Regelungsbefugnis (vgl dazu Hermes in Dreier, GG-Komm, Bd 3, 2000, Art 84 RdNr 19 ff, 25). Die Einrichtung von Behörden umfaßt sowohl deren Errichtung als auch ihre Ausgestaltung und innere Organisation, einschließlich Übertragung von Aufgaben und Befugnissen (vgl Pieroth in Jarass/ Pieroth, GG 5. Aufl 2000, Art 84 RdNr 3 mwN).
Die bundesrechtlichen Vorgaben für die Einrichtung der Versorgungsbehörden der Länder sind insbesondere durch die Neufassung des § 1 ErrG entscheidend verringert worden. Der Umfang der Organisationsgewalt der Länder hat sich dadurch, daß diese die Versorgungsbehörden nicht mehr als besondere Verwaltungsbehörden errichten müssen, zu Gunsten der Länder verändert. Aus der nunmehr geltenden Fassung des § 1, nach der die Versorgung der Kriegsopfer von Versorgungsämtern und Landesversorgungsämtern durchgeführt wird und mehrere Länder ein gemeinsames Landesversorgungsamt errichten können, folgt: Die Länder müssen einerseits Landesversorgungsämter nicht mehr als selbständige Behörden einrichten. Andererseits dürfen sie aber die für die Kriegsopferversorgung zuständigen Behörden auch nicht gänzlich nach eigenem Ermessen errichten. Die Neufassung des § 1 ErrG stellt - wie sich aus ihrer Entstehungsgeschichte ergibt - einen Kompromiß zwischen den Interessen des Bundes und der Länder im Hinblick auf die Kompetenzabgrenzung des Art 84 Abs 1 GG dar. In dem Bericht des Innenausschusses wird klargestellt, daß neben der Fachaufsicht auch die Dienstaufsicht bei der obersten Landesbehörde, dem Sozialministerium, verbleibt und die Versorgungsämter als kompetente, fachlich eigenständige Sozialbehörden bestehen bleiben müssen (vgl BT-Drucks 14/2797, S 14). Durch die Neuregelung sollten aber auch die Eigenverantwortung und der Spielraum der Länder für Verwaltungsreformen, insbesondere auch bei der Gestaltung der Versorgungsverwaltung, erweitert werden (vgl Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 14. Wahlperiode 1998, Bd 200, Stenografische Berichte 82 bis 91, 90. Sitzung am 24. Februar 2000, S 8414, 8415, 8417).
Ferner müssen die Länder - wie der unveränderten Geltung des § 3 ErrG zu entnehmen ist - die in dieser Vorschrift festgelegte hierarchische Ordnung der Versorgungsbehörden unter Aufsicht der obersten Landesbehörde beibehalten, nicht dagegen die Eigenständigkeit der Versorgungsämter und Landesversorgungsämter. Der Grundsatz, daß die Versorgungsverwaltung nicht anderen Behörden übertragen werden darf, um der großen Bedeutung der Kriegsopferversorgung Rechnung zu tragen und eine fachlich hochqualifizierte Versorgung der Kriegsopfer sicherzustellen, von dem der Gesetzgeber bei Erlaß des ErrG ausgegangen ist (vgl BT-Drucks 1/1729, S 4 sowie § 4 ErrG), gilt nicht mehr. Die Länder dürfen jetzt, auch wenn sie weiterhin verpflichtet sind, eine leistungsfähige und qualifizierte, hierarchisch strukturierte Versorgungsverwaltung zu gewährleisten (vgl Stellungnahme der Bundesregierung zu Art 33 des Entwurfs eines Zuständigkeitslockerungsgesetzes - BT-Drucks 14/640, S 19, 20), die bisherigen Landesversorgungsämter anderen Behörden - gleich ob Mittelbehörden oder Oberbehörden - angliedern (vgl auch Verhandlungen des Deutschen Bundestages aaO, Anlage 4 S 8414, 8415). Dies ist aber nur zulässig, wenn die fachliche Qualität der Versorgungsverwaltung (vgl § 3 ErrG) durch Verwendung entsprechend ausgebildeter, in Versorgungsverwaltung und Versorgungsrecht kompetenter Bediensteter, erhalten bleibt.
Aus der Formulierung "unterstehen" in § 3 ErrG ist zu schließen, daß sich die Zuständigkeit der für die mit der Kriegsopferversorgung betrauten obersten Landesbehörde sowohl auf die Dienst- als auch auf die Fachaufsicht über das Landesversorgungsamt erstrecken muß (s dazu auch die Begründung zum Gesetzentwurf zu § 3, BT-Drucks 1/1729, S 6).
Die Vorgaben des Bundesgesetzgebers sind vom Land NW im 2. ModernG vom 9. Mai 2000 (GVBl NW 2000, 462) und durch die ergänzenden untergesetzlichen Reglungen in derzeit nicht zu beanstandender Weise beachtet worden.
Mit Auflösung des Landesversorgungsamtes des Landes NW durch Art 1 § 3 Satz 2 iVm Art 37 Abs 2 2. ModernG sind dessen Aufgaben auf die Bezirksregierung Münster - eine Landesmittelbehörde der allgemeinen und inneren Verwaltung, die dem Innenministerium (IM) nachgeordnet ist -, übertragen worden (Art 1 § 3 Satz 1 2. ModernG). Nach § 4 Abs 4 der Geschäftsordnung für die Bezirksregierungen idF vom 28. November 2000 (Geschäftsordnung) nimmt die Bezirksregierung Münster neben anderen Aufgaben auch die Funktion eines Landesversorgungsamtes mit landesweiter Zuständigkeit wahr. Die Bediensteten des aufgelösten Landesversorgungsamtes sind in die Abt 10 der Bezirksregierung überführt worden. Diese Abteilung führt die (Zusatz)Bezeichnung "Soziales und Arbeit, Landesversorgungsamt" (Beschluß der Landesregierung vom 28. November 2000, vgl RdErl des IM vom 13. Dezember 2000 - VA -.00/36.00). Gemäß § 12 Abs 2, 3 Landesorganisationsgesetz NW (<LOG>, GVBl 1962, 421), zuletzt geändert durch Art 10 des Gesetzes vom 9. Mai 2000 (GVBl NW, 462), führt das IM die Dienstaufsicht über die Bezirksregierungen. Die Dienstaufsicht erstreckt sich grundsätzlich auf den Aufbau, die innere Ordnung, die allgemeine Geschäftsführung und die Personalangelegenheiten der Behörden (§ 12 Abs 1 LOG). Für die Fachaufsicht (§ 13 LOG) über die Abt 10 der Bezirksregierung ist das Ministerium für Arbeit und Soziales, Qualifikation und Technologie (MASQT) zuständig. Hinsichtlich der Dienstaufsicht gelten für Bedienstete der Abt 10 allerdings Ausnahmen (vgl § 12 Abs 2, 3 LOG). Sie unterliegen, soweit sie als sog "Klammerstelleninhaber" Fachaufgaben im Geschäftsbereich einer bestimmten obersten Landesbehörde wahrnehmen und dafür eine besondere Ausbildung besitzen, als Beamte oder Angestellte (vgl Art 11 § 1 Abs 1 2. ModernG) nicht der Dienstaufsicht des IM, sondern der des MASQT. Gemäß Art 11 § 2 2. ModernG bleibt das MASQT für eine Übergangsphase von fünf Jahren zudem für die Beamten des bisherigen Landesversorgungsamtes, die dem allgemeinen höheren Verwaltungsdienst angehören und vergleichbare Angestellte oberste Dienstbehörde iS des § 3 Abs 1 Landesbeamtengesetz NW. Das MASQT führt danach die Dienstaufsicht über Beamte des mittleren und gehobenen Dienstes und vergleichbare Angestellte insoweit, als diese in der Abt 10 Aufgaben der Versorgungsverwaltung wahrnehmen und dafür eine spezielle Ausbildung besitzen. Die Dienstaufsicht beschränkt sich auf die personalrechtliche Aufsicht über die Pflichterfüllung des Amtsträgers im Innenverhältnis zu seinem Dienstherrn (vgl insoweit auch Straßfeld, aaO, 18, 21). Beamte des höheren allgemeinen Verwaltungsdienstes aus den übrigen Abteilungen der Bezirksregierung sollen nach einem Schreiben des IM vom 12. Dezember 2000 jedenfalls zunächst nicht in Abt 10 eingesetzt werden.
Die Abteilungen der Bezirksregierung werden von Abteilungsleitern als Vorgesetzte aller Beschäftigten geleitet (§ 17 Geschäftsordnung). Sie können sich - ebenso wie der Regierungspräsident/Vizepräsident - gemäß § 11 Geschäftsordnung im Einzelfall in die Bearbeitung von Angelegenheiten einschalten, sich auch Entscheidungen vorbehalten und sachliche Weisungen geben. Personalentscheidungen für den höheren Dienst der Abt 10 werden für eine Übergangszeit von fünf Jahren (ab 1. Januar 2001) nur im Einvernehmen mit dem Leiter dieser Abteilung getroffen (vgl § 16 Nr 6 Geschäftsordnung). Die Bestellung von Abteilungsleitern und ihre Ernennung obliegt im Rahmen seiner Dienstaufsicht dem IM (§ 17 Abs 1 Geschäftsordnung). Bei einer nicht dem IM zuzuordnenden Fachabteilung geschieht dies nach Maßgabe des § 17 Abs 2 im Einvernehmen mit der zuständigen obersten Landesbehörde (§ 17 Abs 2 Geschäftsordnung). Für die Bestellung von Hauptdezernenten gilt ähnliches (vgl § 18 Abs 6 Geschäftsordnung).
Die im 2. ModernG enthaltenen landesrechtlichen Vorschriften über die Eingliederung des früheren Landesversorgungsamtes NW in die Bezirksregierung Münster und die aufgeführten Vorschriften der Geschäftsordnung lassen nach der insoweit gebotenen Gesamtschau nicht den Schluß zu, daß die Abt 10 - das "neue Landesversorgungsamt" - seine in der Art einer Gesamtrechtsnachfolge (vgl Straßfeld aaO, 19 mwN) übernommenen Aufgaben nicht in etwa gleicher Weise und Güte wie das frühere selbständige Landesversorgungsamt erfüllt. Die maßgeblichen Behörden- und Entscheidungsstrukturen und die Gestaltung von Dienst- und Fachaufsicht nach den einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften lassen jedenfalls derzeit nicht die Gefahr erkennen, daß eine dem ErrG einschließlich verfassungsrechtlicher Vorgaben widersprechende, das SER betreffende Verwaltung durch die Bezirksregierung Münster erfolgt oder unmittelbar zu befürchten ist. Dafür sprechen entgegen den von Zeihe (aaO) und Straßfeld (aaO) vorgetragenen Bedenken neben der bereits gewürdigten Änderung des ErrG folgende weitere Überlegungen:
Die der Abt 10 der Bezirksregierung Münster übertragenen Aufgaben (vgl Art 1 § 3 Satz 1 2. ModernG) werden nicht von dieser Abteilung, sondern von der Bezirksregierung als Behörde wahrgenommen. Unter Behörde wird eine in den Organismus der Staatsverwaltung eingeordnete, organisatorische Einheit von Personen und sächlichen Mitteln verstanden. Sie muß - zur Erfüllung der ihr übertragenen staatlichen Aufgaben und Zwecke - zudem mit einer gewissen Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit ausgestattet sein (vgl BVerfGE 10, 21, 48; Stelkens/Bonk/Leonhard, VwVfG-Komm, 3. Aufl 1990, RdNr 124, 127 f; Schroeder-Printzen, SGB X-Komm, 3. Aufl 1996, § 1 RdNr 7, 8). Diese Voraussetzungen treffen nur für die Bezirksregierung selbst, nicht aber für ihre einzelnen Abteilungen zu. Dies steht indessen nicht im Widerspruch zu den bundesgesetzlichen Regelungen des ErrG und des § 71 Abs 5 SGG.
Unbedenklich für eine ordnungsgemäße Prozeßvertretung iS von § 71 Abs 5 SGG und der Erfüllung ihrer sonstigen gesetzlichen Aufgaben ist ferner der Status der Bezirksregierung als Landesmittelbehörde. Denn das ErrG schreibt in § 3 - wie oben bereits dargelegt - nur die hierarchische Struktur zwischen Versorgungsämtern, Landesversorgungsamt und oberste Landesbehörde vor, nicht aber, welchen Status das Landesversorgungsamt im Gefüge der Landesverwaltung haben muß. Daß die Landesversorgungsämter in den einzelnen Bundesländern bisher regelmäßig Landesoberbehörden waren, schränkt die Gestaltungsfreiheit der Länder nicht ein. Ihr Spielraum ergibt sich aus der oben erörterten, in Art 84 Abs 1 GG normierten Kompetenzabgrenzung zwischen Bund und Ländern.
Das Land NW hat mit der Übertragung der Aufgaben des bisherigen Landesversorgungsamtes auf die Bezirksregierung Münster auch nicht das Gebot außer acht gelassen, mit diesen Aufgaben dafür besonders qualifizierte Beamte und Angestellte zu betrauen. Davon kann jedenfalls zur Zeit ausgegangen werden. Das gilt auch im Hinblick auf die zwischen dem IM und dem MASQT geteilte Dienstaufsicht. Dem MASQT ist ein ausreichender Einfluß auf die Bestellung des Personals, auch der Leitungsebene eingeräumt. Soweit zwischen IM und MASQT Einvernehmen verlangt wird, erfordert das übergeordnete Interesse der Qualitätssicherung wenigstens die Aufrechterhaltung dieser Regelung. Solange deshalb Struktur und Gefüge der Abt 10 im Hinblick auf die zu wahrende fachliche und personelle Qualität der Versorgungsverwaltung nicht erheblich verändert werden, kann die Abt 10 der Bezirksregierung Münster unbedenklich als Landesversorgungsamt iS des ErrG wie auch des § 71 Abs 5 SGG angesehen werden.
§ 71 Abs 5 SGG nach dem SGG-ÄndG vom 17. August 2001, der am 2. Januar 2002 in Kraft tritt, sanktioniert die hier vertretene Rechtsauffassung (BGBl I 2001, 2144, 2148 vom 17. August 2001).
Die Vertretung des Landes NW in Versorgungsangelegenheiten gemäß § 71 Abs 5 SGG durch die Bezirksregierung Münster entspricht nach den derzeitigen landesrechtlichen Vorschriften und den damit einhergehenden tatsächlichen Gegebenheiten den bundesgesetzlichen Vorgaben. Daran hält der Senat fest.
2. Soweit der Kläger "aus anwaltlicher Vorsorge hilfsweise zu den weiteren die Entscheidung (des LSG) tragenden Gründen Stellung genommen hat", hat er weder einen durchschlagenden Rechtsfehler gerügt, noch ist ein solcher erkennbar. Der Kläger hat lediglich auf seinen Gesundheitszustand, wie er im Gutachten des Prof. Dr. T geschildert worden ist und außerdem auf eine Skoliose der Brustwirbelsäule hingewiesen, die zusätzlich für die Feststellung des GdB zu berücksichtigen sei, und betont, seiner Auffassung nach bedinge sein Krankheitszustand einen GdB von 50.
Diese Ausführungen zum materiell-rechtlichen Begehren des Klägers genügen für sich genommen zwar nicht den in § 164 SGG vorausgesetzten Anforderungen an eine ordnungsgemäße Revisionsbegründung, denn sie lassen weder eine Prüfung, Sichtung und rechtliche Durchdringung des Stoffes noch eine Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Urteils erkennen (vgl nur Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl § 164 RdNr 9a mit Nachweisen aus der Rechtsprechung). Die ausreichend begründete Rüge der Verletzung der prozeßrechtlichen Vorschrift des § 71 Abs 5 SGG hat jedoch auch eine materiell-rechtliche Überprüfung des angefochtenen Urteils zur Folge, denn eine zugelassene und zulässige Revision führt als Vollrevision grundsätzlich zur Überprüfung des gesamten angefochtenen Urteils (allgemeine Meinung, vgl Meyer-Ladewig, aaO, § 164 RdNr 13).
Das LSG hat den durch den Beklagten festgestellten GdB unter Berücksichtigung der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit (AHP 1996) und der in den Akten enthaltenen wesentlichen Ergebnisse von Untersuchungen und Begutachtungen des Klägers sachgerecht unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Untersuchungsergebnisse überprüft und gewürdigt. Revisionsrechtlich beachtliche Fehler sind nicht erkennbar. Insbesondere hat das LSG nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen.
An dem durch das LSG gefundenen Ergebnis ändert auch der Umstand nichts, daß mit Wirkung vom 1. Juli 2001 das Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch - (SGB IX) in Kraft getreten ist und die Feststellung einer Behinderung nunmehr nach §§ 2, 69 SGB IX erfolgt. Maßgeblich für die Feststellung des GdB ist hier, wie der Senat bereits entschieden hat (vgl Urteil vom 12. April 2000 in SozR 3-3870 § 3 Nr 9), der Sach- und Streitstand im Zeitpunkt der (letzten) mündlichen Verhandlung des Rechtsstreits durch das Tatsachengericht, hier also des LSG Nordrhein-Westfalen am 30. Januar 2001 und - weil es sich um eine Verpflichtungsklage handelt, mit der eine Anfechtung des Verwaltungsaktes des Beklagten einhergeht -, die im Zeitpunkt der Revisionsentscheidung maßgebliche Rechtslage (allgemeine Meinung, vgl Meyer-Ladewig, aaO, § 54 RdNr 34 mwN).
Gegenüber § 3 Abs 1 und 2 SchwbG stellt das SGB IX für die Definition der Begriffe Behinderung und GdB allerdings nicht mehr allein auf Funktionsbeeinträchtigungen als Auswirkungen regelwidriger körperlicher, geistiger oder seelischer Zustände ab, sondern ergänzend als Folge davon als Beeinträchtigung des Betroffenen auf seine Teilhabe am Leben in der Gesellschaft (vgl dazu bereits BSGE 62, 209, 211 ff = SozR 3870 § 3 Nr 26 S 82 f "Salmonellendauerausscheidung"). Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucks 14/5074 S 98 zu § 2) liegt § 2 Abs 1 Satz 1 SGB IX die im Rahmen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) stattfindende internationale Diskussion um eine Weiterentwicklung der internationalen Klassifikation (ICIDH-1) zur "internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit und Behinderung" (ICIDH-2) zugrunde, die nicht mehr die Orientierung an wirklichen oder vermeintlichen Defiziten, sondern das Ziel der Teilhabe an den verschiedenen Lebensbereichen (Partizipation) in den Vordergrund gerückt hat (dazu vgl M.F. Schuntermann, Behinderung und Rehabilitation, Die Konzepte der WHO und des deutschen Sozialrechts, in: Die neue Sonderschule, Zeitschrift für Theorie und Praxis der pädagogischen Rehabilitation, 44 (1999) 5: 342 - 363). Das bedeutet: unter "von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen" ist der Verlust oder die Beeinträchtigung von normalerweise vorhandenen körperlichen Funktionen, geistigen Fähigkeiten oder seelischer Gesundheit zu verstehen. Wirkt sich diese Beeinträchtigung in einem oder mehreren Lebensbereichen aus, dann liegt die Behinderung - ähnlich wie nach der in § 3 Abs 1 Satz 1 des bisherigen SchwbG enthaltenen Definition - in der Auswirkung der Beeinträchtigung. Nach dem Ausschußbericht (BT-Drucks 14/5800 S 11 zu Art 1 § 2) soll mit dieser Definition die funktionelle Beeinträchtigung nicht mehr als ausschließliche Ursache für die Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft bestimmt werden. Sie erscheint lediglich als Ausgangspunkt einer solchen Benachteiligung. Unter Berücksichtigung, daß in § 69 SGB IX inhaltsgleich die bisherige Regelung des § 4 SchwbG übernommen worden ist, zudem § 69 Abs 1 SGB IX auf die entsprechende Anwendung der in § 30 Abs 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) enthaltenen Maßstäbe hinweist, dürfte für den Regelfall davon auszugehen sein, daß das Gesetz jedenfalls keine grundsätzliche Abkehr von der bisherigen Feststellungspraxis enthält. Dafür spricht weiter, daß gemäß § 69 Abs 2 SGB IX bereits in Rentenbescheiden usw enthaltene Feststellungen über Behinderungen und den Grad einer Erwerbsminderung für den GdB zu übernehmen sind und daß nach der Übergangsvorschrift des § 159 Abs 3 SGB IX aufgrund des SchwbG getroffene bindende Feststellungen über das Vorliegen einer Behinderung, eines GdB und das Vorliegen weiterer gesundheitlicher Merkmale als Feststellungen nach dem SGB IX gelten. Schließlich hat das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung die von ihm herausgegebenen Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit .... (AHP 1996) bisher weder geändert noch gar zurückgezogen, so daß die versorgungsrechtliche Praxis auch deshalb bei der Feststellung des GdB in der Regel zu keinen anderen Ergebnissen als bisher kommen wird.
Offen kann bleiben, ob und ggf in welchen Fällen das neue Recht möglicherweise bei der Feststellung des GdB zu anderen Ergebnissen führt als nach dem bisher geltenden SchwbG, denn im Falle des Klägers sind keine Anhaltspunkte dafür zu erkennen, daß nach neuem Recht eine abweichende Feststellung des GdB im Vergleich zum bisherigen Recht zu erfolgen hätte.
Die Revision des Klägers kann danach keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Ende der Entscheidung
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