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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 27.02.2002
Aktenzeichen: B 9 SB 6/01 R
Rechtsgebiete: SGG


Vorschriften:

SGG § 71 Abs. 5
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

in dem Rechtsstreit

Az: B 9 SB 6/01 R

Der 9. Senat des Bundessozialgerichts hat ohne mündliche Verhandlung am 27. Februar 2002 durch den Vorsitzenden Richter Kummer, die Richter Prof. Dr. Bürck und Masuch sowie die ehrenamtlichen Richter Böhm und Manzewski

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 3. April 2001 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Grad der Behinderung (GdB) der Klägerin mit mehr als 60 festzustellen ist und bei ihr die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" vorliegen.

Der Beklagte hatte 1993 bei der 1930 geborenen Klägerin unter Berücksichtigung der gesundheitlichen Einschränkungen

1. Psychovegetatives Syndrom, Herz-Kopf-Beschwerden, rezidivierende Gefühls- störungen linke Körperhälfte, Depressionen,

2. Chronisch rezidivierende Zystitis, doppelte Nieren-Harnleiteranlage links,

3. Chronische Gastritis,

4. Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule, rheumatische Beschwerden, Neuralgien, Schulter-Arm-Syndrom,

5. Verlust der Gebärmutter,

6. Narbe nach operativer Entfernung eines Magenpolypen, einen GdB von 50 festgestellt. Den im Dezember 1995 gestellten Antrag der Klägerin, einen höheren GdB festzustellen und ihr das Merkzeichen "G" zuzuerkennen, lehnte der Beklagte ab (Bescheid vom 7. März 1996). Im Widerspruchsverfahren stellte er wegen der nachfolgend aufgeführten weiteren gesundheitlichen Funktionsbeeinträchtigungen

1. Psychovegetatives Syndrom bei Chemikalien-Intoleranz-Syndrom mit Immunschwäche und konsekutiv hoher Infektfrequenz und wechselnder Funktionsstörung multipler Organe bei Amalgamüberempfindlichkeit,

2. Wirbelsäulensyndrom bei degenerativen Veränderungen, Schulter-Arm- Syndrom, Belastungsinsuffizienz der Hüft- und Kniegelenke,

3. Nieren-Harnleiter-Fehlanlage links, rezidivierende Harnwegsinfekte, Verlust der Gebärmutter, Blasenentleerungsstörung,

4. Chronische Gastritis, Reizmagen, Narbe nach operativer Entfernung eines Magenpolypen, den GdB mit 60 fest. Im Übrigen wies er den Widerspruch zurück (Teilabhilfebescheid vom 11. Dezember 1996 und Widerspruchsbescheid vom 14. Februar 1997).

Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Während des Berufungsverfahrens hat der Beklagte es auf den Änderungsantrag der Klägerin mit Bescheid vom 5. April 2000 nach Auswertung ärztlicher Unterlagen abgelehnt, einen höheren GdB als 60 festzustellen und ihr die Merkzeichen "G" und "B" zuzuerkennen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Klage gegen den entsprechenden Bescheid, der Gegenstand des Verfahrens war (§ 96 Sozialgerichtsgesetz <SGG>), abgewiesen.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, es habe in der Sache entscheiden können, denn der Beklagte sei durch die Bezirksregierung Münster als Landesversorgungsamt ordnungsgemäß iS des § 71 Abs 5 SGG vertreten. Die angefochtenen Bescheide hat es für rechtmäßig erachtet: Es sei keine wesentliche Änderung in den gesundheitlichen Verhältnissen der Klägerin nachgewiesen, so dass unter Berücksichtigung der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit (AHP) 1996 kein höherer GdB als 60 festgestellt werden könne. Unter Würdigung des Inhalts der beigezogenen medizinischen Unterlagen sowie des eingeholten nervenärztlichen Gutachtens von Dr. K sei die Rechtsauffassung des Sozialgerichts (SG) voll zu bestätigen. Die Zuerkennung des Merkzeichens "B" komme bereits deshalb nicht in Betracht, weil dafür die Zuerkennung des Merkzeichens "G" Voraussetzung sei, es aber daran fehle.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision hat die Klägerin ausschließlich die Verletzung des § 71 Abs 5 SGG gerügt und ausgeführt, das beklagte Land müsse sich in Versorgungsangelegenheiten weiterhin durch eine eigenständige Behörde vertreten lassen. Eine Abteilung der Bezirksregierung Münster erfülle diese Voraussetzungen nicht, so dass das beklagte Land nicht ordnungsgemäß vertreten sei.

Die Klägerin beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 3. April 2001 und des Sozialgerichts Köln vom 1. Februar 2000 sowie die Bescheide des Beklagten vom 7. März 1996 und 11. Dezember 1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14. Februar 1997 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, ab Antragstellung einen GdB von 80 festzustellen sowie ihr das Merkzeichen "G" zuzuerkennen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).

II

Die Revision der Klägerin hat keinen Erfolg.

Die vom LSG im Hinblick auf die Auslegung des § 71 Abs 5 SGG zugelassene Revision (§ 160 Abs 1 SGG) ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Die Klägerin hat sie ausreichend begründet, soweit sie eine Verletzung des § 71 Abs 5 SGG gerügt hat. Sie hat geltend gemacht, das beklagte Land werde durch die Bezirksregierung Münster nicht ordnungsgemäß gesetzlich vertreten. Denn die Vertretung könne gemäß § 71 Abs 5 SGG nur durch ein Landesversorgungsamt - was die Bezirksregierung Münster nicht sei - erfolgen. Zwar hätte es dieser Rüge nicht bedurft, denn die Prozessfähigkeit des Beklagten, auch dessen ordnungsgemäße Vertretung vor Gericht, war in jeder Lage von Amts wegen zu prüfen. Ihr Fehlen kann hier jedoch auch von der Klägerin gerügt werden (vgl Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 6. Auflage 1998, § 71 RdNr 9). Sie rügt damit nicht allein das nicht ordnungsgemäße Auftreten des Beklagten vor Gericht, sondern macht zugleich als Beschwer geltend, dass die dafür vorgesehene Behörde nicht die im öffentlichen Interesse einer funktionierenden Versorgungsverwaltung in jeder Hinsicht erforderliche sachliche Qualifikation für die Bearbeitung und Erledigung von versorgungsrechtlichen Angelegenheiten besitze, deshalb das beklagte Land auch nicht im Prozess vertreten könne.

1. Entgegen der in der Revision vertretenen Auffassung der Klägerin ist § 71 Abs 5 SGG vorliegend jedoch nicht verletzt. Denn der Beklagte wird seit dem 1. Januar 2000 wirksam durch die Bezirksregierung Münster (Abteilung <Abt> 10) als Landesversorgungsamt (LV) iS dieser Vorschrift vor dem LSG Nordrhein-Westfalen und dem Bundessozialgericht (BSG) vertreten. Dies hat der Senat in seinem Urteil vom 12. Juni 2001 - B 9 V 5/00 R - (veröffentlicht in SozR 3-3100 § 5 Nr 9) sowie in seinem Urteil vom 7. November 2001 - B 9 SB 1/01 R - entschieden und ausführlich begründet. In den Entscheidungen heißt es:

Nach § 71 Abs 5 SGG wird das Land in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung durch das LV vertreten. Ob diese Voraussetzung hier erfüllt ist, richtet sich zunächst nach den im Gesetz über die Errichtung der Verwaltungsbehörden der Kriegsopferversorgung (ErrG) in der Fassung des Art 25 des 2. Zuständigkeitslockerungsgesetzes vom 3. Mai 2000 (BGBl I, 632) enthaltenen Vorgaben.

Die Auffassung des Senats beruht zunächst auf der Auslegung des § 1 ErrG idF des Zweiten Zuständigkeitslockerungsgesetzes vom 3. Mai 2000, mit dem § 1 Abs 2 Satz 1 in seiner ursprünglichen Fassung vom 12. März 1951 (BGBl I, 169) gestrichen und § 1 neugefasst worden ist. Die Vorschrift lautet nunmehr: "Die Versorgung der Kriegsopfer wird von Versorgungsämtern und Landesversorgungsämtern durchgeführt. Mehrere Länder können ein gemeinsames Landesversorgungsamt errichten". Gestrichen wurde die Regelung, dass die Versorgungsämter und Landesversorgungsämter von den Ländern "als besondere Verwaltungsbehörden errichtet werden". Entgegen der mit dem Gesetzentwurf des Bundesrats (BR) verfolgten Absicht, das Errichtungsgesetz im vollen Umfang aufzuheben (vgl BT-Drucks 14/640, Begründung zu Art 33), wodurch die Bundesländer die volle Organisationsfreiheit für die Einrichtung und Gestaltung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen Behörden erlangt hätten, kam es infolge des Widerstandes der Bundesregierung (vgl BT-Drucks 14/640 zu Art 33 S 19, 20) im Zuge der Beratung der mit der Angelegenheit befassten Bundestagsausschüsse (federführend war der Innenausschuss) zu der nunmehr geltenden Gesetzesfassung. Die neue Fassung entspricht dem durch den Einigungsvertrag Kap VIII Anl I Sachgebiet K Abschn III Nr 2 Buchst a, c, d in den Beitrittsländern ab 1. Januar 1991 begründeten Rechtszustand (vgl BGBl 1990 II, 885, 1068).

Das bedeutet allerdings nicht, dass ein Bundesland, das seine Versorgungsverwaltung modernisieren will, die Umgestaltung seiner Versorgungsbehörden entsprechend den in den Beitrittsländern entstandenen Strukturen vornehmen muss. Die Länder haben die bundesgesetzlich vorgegebene, das soziale Entschädigungsrecht (SER) betreffende Verwaltung als eigene Angelegenheit auszuführen (vgl Art 83 Grundgesetz <GG>). Sie regeln deshalb die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren selbständig, soweit nicht mit Zustimmung des BR ergangene Bundesgesetze und Verwaltungsvorschriften etwas anderes bestimmen (Art 84 Abs 1 GG).

Nach Art 84 Abs 1 GG steht den Ländern grundsätzlich die Organisationsgewalt für die Landeseigenverwaltung zu (vgl Dittmann in Sachs, GG-Komm, Art 84 RdNr 1). Sie haben das Recht, die für den Gesetzesvollzug erforderlichen Behörden einzurichten, müssen dabei aber die sachgerechte Erledigung des sich aus der Bundesgesetzgebung ergebenden Aufgabenbestandes sicherstellen (vgl BVerfGE 55, 274, 318; s dazu auch BVerfGE 75, 108, 250, 152). Das jeweils mit Zustimmung des BR zustande gekommene bundesgesetzliche "Programm" - eventuell ergänzt um Verwaltungsvorschriften (Art 84 Abs 2 GG) - begrenzt den Umfang der grundsätzlich den Ländern zustehenden Regelungskompetenz. Für den Fall, dass der Bund eine organisatorische Frage zwar geregelt hat, dies aber nicht vollständig geschehen ist, verbleibt dem betroffenen Land eine ergänzende Regelungsbefugnis (vgl dazu Hermes in Dreier, GG-Komm, Bd 3, 2000, Art 84 RdNr 19 ff, 25). Die Einrichtung von Behörden umfasst sowohl deren Errichtung als auch ihre Ausgestaltung und innere Organisation, einschließlich Übertragung von Aufgaben und Befugnissen (vgl Pieroth in Jarass/ Pieroth, GG 5. Aufl 2000, Art 84 RdNr 3 mwN).

Die bundesrechtlichen Vorgaben für die Einrichtung der Versorgungsbehörden der Länder sind insbesondere durch die Neufassung des § 1 ErrG entscheidend verringert worden. Der Umfang der Organisationsgewalt der Länder hat sich dadurch, dass diese die Versorgungsbehörden nicht mehr als besondere Verwaltungsbehörden errichten müssen, zu Gunsten der Länder verändert. Aus der nunmehr geltenden Fassung des § 1, nach der die Versorgung der Kriegsopfer von Versorgungsämtern und Landesversorgungsämtern durchgeführt wird und mehrere Länder ein gemeinsames Landesversorgungsamt errichten können, folgt: Die Länder müssen einerseits Landesversorgungsämter nicht mehr als selbständige Behörden einrichten. Andererseits dürfen sie aber die für die Kriegsopferversorgung zuständigen Behörden auch nicht gänzlich nach eigenem Ermessen errichten. Die Neufassung des § 1 ErrG stellt - wie sich aus ihrer Entstehungsgeschichte ergibt - einen Kompromiss zwischen den Interessen des Bundes und der Länder im Hinblick auf die Kompetenzabgrenzung des Art 84 Abs 1 GG dar. In dem Bericht des Innenausschusses wird klargestellt, dass neben der Fachaufsicht auch die Dienstaufsicht bei der obersten Landesbehörde, dem Sozialministerium, verbleibt und die Versorgungsämter als kompetente, fachlich eigenständige Sozialbehörden bestehen bleiben müssen (vgl BT-Drucks 14/2797, S 14). Durch die Neuregelung sollten aber auch die Eigenverantwortung und der Spielraum der Länder für Verwaltungsreformen, insbesondere auch bei der Gestaltung der Versorgungsverwaltung, erweitert werden (vgl Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 14. Wahlperiode 1998, Bd 200, Stenografische Berichte 82 bis 91, 90. Sitzung am 24. Februar 2000, S 8414, 8415, 8417).

Ferner müssen die Länder - wie der unveränderten Geltung des § 3 ErrG zu entnehmen ist - die in dieser Vorschrift festgelegte hierarchische Ordnung der Versorgungsbehörden unter Aufsicht der obersten Landesbehörde beibehalten, nicht dagegen die Eigenständigkeit der Versorgungsämter und Landesversorgungsämter. Der Grundsatz, dass die Versorgungsverwaltung nicht anderen Behörden übertragen werden darf, um der großen Bedeutung der Kriegsopferversorgung Rechnung zu tragen und eine fachlich hoch qualifizierte Versorgung der Kriegsopfer sicherzustellen, von dem der Gesetzgeber bei Erlass des ErrG ausgegangen ist (vgl BT-Drucks 1/1729, S 4 sowie § 4 ErrG), gilt nicht mehr. Die Länder dürfen jetzt, auch wenn sie weiterhin verpflichtet sind, eine leistungsfähige und qualifizierte, hierarchisch strukturierte Versorgungsverwaltung zu gewährleisten (vgl Stellungnahme der Bundesregierung zu Art 33 des Entwurfs eines Zuständigkeitslockerungsgesetzes - BT-Drucks 14/640, S 19, 20), die bisherigen Landesversorgungsämter anderen Behörden - gleich ob Mittelbehörden oder Oberbehörden - angliedern (vgl auch Verhandlungen des Deutschen Bundestages aaO, Anlage 4 S 8414, 8415). Dies ist aber nur zulässig, wenn die fachliche Qualität der Versorgungsverwaltung (vgl § 3 ErrG) durch Verwendung entsprechend ausgebildeter, in Versorgungsverwaltung und Versorgungsrecht kompetenter Bediensteter, erhalten bleibt.

Aus der Formulierung "unterstehen" in § 3 ErrG ist zu schließen, dass sich die Zuständigkeit der für die mit der Kriegsopferversorgung betrauten obersten Landesbehörde sowohl auf die Dienst- als auch auf die Fachaufsicht über das LV erstrecken muss (s dazu auch die Begründung zum Gesetzentwurf zu § 3, BT-Drucks 1/1729, S 6).

Die Vorgaben des Bundesgesetzgebers sind vom Land Nordrhein-Westfalen im Zweiten Modernisierungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen vom 9. Mai 2000 (GV-Blatt NW S 462) <2. ModernG> und durch die ergänzenden untergesetzlichen Reglungen in derzeit nicht zu beanstandender Weise beachtet worden.

Mit Auflösung des LV des Landes Nordrhein-Westfalen durch Art 1 § 3 Satz 2 iVm Art 37 Abs 2 2. ModernG sind dessen Aufgaben auf die Bezirksregierung Münster - eine Landesmittelbehörde der allgemeinen und inneren Verwaltung, die dem Innenministerium (IM) nachgeordnet ist -, übertragen worden (Art 1 § 3 Satz 1 2. ModernG). Nach § 4 Abs 4 der Geschäftsordnung für die Bezirksregierungen idF vom 28. November 2000 (Geschäftsordnung) nimmt die Bezirksregierung Münster neben anderen Aufgaben auch die Funktion eines LV mit landesweiter Zuständigkeit wahr. Die Bediensteten des aufgelösten Landesversorgungsamtes sind in die Abt 10 der Bezirksregierung überführt worden. Diese Abteilung führt die (Zusatz)Bezeichnung "Soziales und Arbeit, Landesversorgungsamt" (Beschluss der Landesregierung vom 28. November 2000, vgl RdErl des IM vom 13. Dezember 2000 - VA -.00/36.00). Gemäß § 12 Abs 2, 3 Landesorganisationsgesetz NW (<LOG>, GVBl 1962, 421), zuletzt geändert durch Art 10 des Gesetzes vom 9. Mai 2000 (GVBl NW, 462), führt das IM die Dienstaufsicht über die Bezirksregierungen. Die Dienstaufsicht erstreckt sich grundsätzlich auf den Aufbau, die innere Ordnung, die allgemeine Geschäftsführung und die Personalangelegenheiten der Behörden (§ 12 Abs 1 LOG). Für die Fachaufsicht (§ 13 LOG) über die Abt 10 der Bezirksregierung ist das Ministerium für Arbeit und Soziales, Qualifikation und Technologie (MASQT) zuständig. Hinsichtlich der Dienstaufsicht gelten für Bedienstete der Abt 10 allerdings Ausnahmen (vgl § 12 Abs 2, 3 LOG). Sie unterliegen, soweit sie als sog "Klammerstelleninhaber" Fachaufgaben im Geschäftsbereich einer bestimmten obersten Landesbehörde wahrnehmen und dafür eine besondere Ausbildung besitzen, als Beamte oder Angestellte (vgl Art 11 § 1 Abs 1 2. ModernG) nicht der Dienstaufsicht des IM, sondern der des MASQT. Gemäß Art 11 § 2 2. ModernG bleibt das MASQT für eine Übergangsphase von fünf Jahren zudem für die Beamten des bisherigen Landesversorgungsamtes, die dem allgemeinen höheren Verwaltungsdienst angehören und vergleichbare Angestellte oberste Dienstbehörde iS des § 3 Abs 1 Landesbeamtengesetz NW. Das MASQT führt danach die Dienstaufsicht über Beamte des mittleren und gehobenen Dienstes und vergleichbare Angestellte insoweit, als diese in der Abt 10 Aufgaben der Versorgungsverwaltung wahrnehmen und dafür eine spezielle Ausbildung besitzen. Die Dienstaufsicht beschränkt sich auf die personalrechtliche Aufsicht über die Pflichterfüllung des Amtsträgers im Innenverhältnis zu seinem Dienstherrn (vgl insoweit auch Straßfeld, Die Versorgungsverwaltung 2001, 18, 21). Beamte des höheren allgemeinen Verwaltungsdienstes aus den übrigen Abteilungen der Bezirksregierung sollen nach einem Schreiben des IM vom 12. Dezember 2000 jedenfalls zunächst nicht in Abt 10 eingesetzt werden.

Die Abteilungen der Bezirksregierung werden von Abteilungsleitern als Vorgesetzte aller Beschäftigten geleitet (§ 17 Geschäftsordnung). Sie können sich - ebenso wie der Regierungspräsident/Vizepräsident - gemäß § 11 Geschäftsordnung im Einzelfall in die Bearbeitung von Angelegenheiten einschalten, sich auch Entscheidungen vorbehalten und sachliche Weisungen geben. Personalentscheidungen für den höheren Dienst der Abt 10 werden für eine Übergangszeit von fünf Jahren (ab 1. Januar 2001) nur im Einvernehmen mit dem Leiter dieser Abteilung getroffen (vgl § 16 Nr 6 Geschäftsordnung). Die Bestellung von Abteilungsleitern und ihre Ernennung obliegt im Rahmen seiner Dienstaufsicht dem IM (§ 17 Abs 1 Geschäftsordnung). Bei einer nicht dem IM zuzuordnenden Fachabteilung geschieht dies nach Maßgabe des § 17 Abs 2 im Einvernehmen mit der zuständigen obersten Landesbehörde (§ 17 Abs 2 Geschäftsordnung). Für die Bestellung von Hauptdezernenten gilt ähnliches (vgl § 18 Abs 6 Geschäftsordnung).

Die im 2. ModernG enthaltenen landesrechtlichen Vorschriften über die Eingliederung des früheren LV Nordrhein-Westfalen in die Bezirksregierung Münster und die aufgeführten Vorschriften der Geschäftsordnung lassen nach der insoweit gebotenen Gesamtschau nicht den Schluss zu, dass die Abt 10 - das "neue Landesversorgungsamt" - seine in der Art einer Gesamtrechtsnachfolge (vgl Straßfeld aaO, 19 mwN) übernommenen Aufgaben nicht in etwa gleicher Weise und Güte wie das frühere selbständige Landesversorgungsamt erfüllt. Die maßgeblichen Behörden- und Entscheidungsstrukturen und die Gestaltung von Dienst- und Fachaufsicht nach den einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften lassen jedenfalls derzeit nicht die Gefahr erkennen, dass eine dem ErrG einschließlich verfassungsrechtlicher Vorgaben widersprechende, das SER betreffende Verwaltung durch die Bezirksregierung Münster erfolgt oder unmittelbar zu befürchten ist. Dafür sprechen entgegen den von Zeihe, SGb 2001, 116 ff und Straßfeld (aaO) vorgetragenen Bedenken neben der bereits gewürdigten Änderung des ErrG folgende weitere Überlegungen:

Die der Abt 10 der Bezirksregierung Münster übertragenen Aufgaben (vgl Art 1 § 3 Satz 1 2. ModernG) werden nicht von dieser Abteilung, sondern von der Bezirksregierung als Behörde wahrgenommen. Unter Behörde wird eine in den Organismus der Staatsverwaltung eingeordnete, organisatorische Einheit von Personen und sächlichen Mitteln verstanden. Sie muss - zur Erfüllung der ihr übertragenen staatlichen Aufgaben und Zwecke - zudem mit einer gewissen Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit ausgestattet sein (vgl BVerfGE 10, 21, 48; Stelkens/Bonk/Leonhard, VwVfG-Komm, 3. Aufl 1990, RdNr 124, 127 f; Schroeder-Printzen, SGB X-Komm, 3. Aufl 1996, § 1 RdNr 7, 8). Diese Voraussetzungen treffen nur für die Bezirksregierung selbst, nicht aber für ihre einzelnen Abteilungen zu. Dies steht indessen nicht im Widerspruch zu den bundesgesetzlichen Regelungen des ErrG und des § 71 Abs 5 SGG.

Unbedenklich für eine ordnungsgemäße Prozessvertretung iS von § 71 Abs 5 SGG und der Erfüllung ihrer sonstigen gesetzlichen Aufgaben ist ferner der Status der Bezirksregierung als Landesmittelbehörde. Denn das ErrG schreibt in § 3 - wie oben bereits dargelegt - nur die hierarchische Struktur zwischen Versorgungsämtern, Landesversorgungsamt und oberste Landesbehörde vor, nicht aber, welchen Status das Landesversorgungsamt im Gefüge der Landesverwaltung haben muss. Dass die Landesversorgungsämter in den einzelnen Bundesländern bisher regelmäßig Landesoberbehörden waren, schränkt die Gestaltungsfreiheit der Länder nicht ein. Ihr Spielraum ergibt sich aus der oben erörterten, in Art 84 Abs 1 GG normierten Kompetenzabgrenzung zwischen Bund und Ländern.

Das Land Nordrhein-Westfalen hat mit der Übertragung der Aufgaben des bisherigen Landesversorgungsamtes auf die Bezirksregierung Münster auch nicht das Gebot außer Acht gelassen, mit diesen Aufgaben dafür besonders qualifizierte Beamte und Angestellte zu betrauen. Davon kann jedenfalls zurzeit ausgegangen werden. Das gilt auch im Hinblick auf die zwischen dem IM und dem MASQT geteilte Dienstaufsicht. Dem MASQT ist ein ausreichender Einfluss auf die Bestellung des Personals, auch der Leitungsebene eingeräumt. Soweit zwischen IM und MASQT Einvernehmen verlangt wird, erfordert das übergeordnete Interesse der Qualitätssicherung wenigstens die Aufrechterhaltung dieser Regelung. Solange deshalb Struktur und Gefüge der Abt 10 im Hinblick auf die zu wahrende fachliche und personelle Qualität der Versorgungsverwaltung nicht erheblich verändert werden, kann die Abt 10 der Bezirksregierung Münster unbedenklich als Landesversorgungsamt iS des ErrG wie auch des § 71 Abs 5 SGG angesehen werden.

§ 71 Abs 5 SGG idF des SGG-Änderungsgesetzes vom 17. August 2001, der am 2. Januar 2002 in Kraft getreten ist, hat die Rechtsauffassung des Senats sanktioniert (vgl BGBl I 2001, 2144, 2148). Die Vertretung des Landes Nordrhein-Westfalen in Versorgungsangelegenheiten durch die Bezirksregierung Münster entspricht gemäß § 71 Abs 5 SGG in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden Fassung wie in der nunmehr geltenden Fassung dem Gesetz (vgl auch Kummer, SGb 2001, 705, 710).

2. Zwar hat die Klägerin das Berufungsurteil nicht mit materiell-rechtlichen Rügen angegriffen, bei einer zulässigen Revision hat das Revisionsgericht das angefochtene Urteil jedoch in jeder Hinsicht auf seine Richtigkeit zu überprüfen. Die Entscheidung des Berufungsgerichts, dass die Klägerin weder einen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 60 noch auf Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das von ihr begehrte Merkzeichen "G" hat, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das LSG hat unter Berücksichtigung der AHP 1996 und insbesondere der umfangreichen Beweiswürdigung durch das SG auf der Grundlage der zum Zeitpunkt seiner Entscheidung noch geltenden §§ 3, 4 und 60 Schwerbehindertengesetz (SchwbG) ohne Verstoß gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze aufgezeigt, dass entscheidend für die Feststellung eines GdB nicht getroffene Diagnosen, sondern vielmehr das tatsächliche Ausmaß festgestellter Funktionsbeeinträchtigungen seien und schlüssig dargelegt, dass die von Dr. S vorgenommene Bewertung des GdB nicht zu überzeugen vermöge. Nicht zu beanstanden ist ferner die Auffassung des LSG, als Vergleichsmaßstab für die Bewertung von "Umweltkrankheiten" - wie ua Multiple Chemical Sensivity-Syndrom -, die mit vegetativen Symptomen, gestörter Schmerzverarbeitung, Leistungseinbußen und Körperfunktionsstörungen, denen kein oder primär kein organischer Befund zu Grunde liegt, einhergehen, komme hier am ehesten die in Ziffer 26.3 S 60f AHP unter neurologische Persönlichkeitsstörungen genannten psychovegetativen oder psychischen Störungen mit Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit und eventuellen sozialen Anpassungsschwierigkeiten in Betracht. Soweit das Berufungsgericht den nervenärztlichen Ausführungen des Dr. K gefolgt ist und keine schweren neurologischen oder psychischen Störungen festgestellt hat, die den von Dr. S vorgeschlagenen GdB von 70 bis 90 rechtfertigen könnten, finden sich ebenfalls keine Rechtsfehler. Unter Berufung auf erhobene Befunde und deren einheitliche Bewertung durch medizinische Sachverständige hat es auch keine Funktionsbeeinträchtigungen feststellen können, die eine Zuerkennung des Merkzeichens "G" zur Folge gehabt hätten.

An dem durch das LSG gefundenen Ergebnis ändert auch der Umstand nichts, dass mit Wirkung vom 1. Juli 2001 das Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch (SGB IX) in Kraft getreten ist und die Feststellung einer Behinderung nunmehr nach §§ 2, 69 SGB IX erfolgt. Maßgeblich für die Feststellung des GdB ist hier, wie der Senat bereits entschieden hat (vgl Urteil vom 12. April 2000 in SozR 3-3870 § 3 Nr 9), der Sach- und Streitstand im Zeitpunkt der (letzten) mündlichen Verhandlung des Rechtsstreits durch das Tatsachengericht, hier also des LSG Nordrhein-Westfalen am 3. April 2001 und - weil es sich um eine Verpflichtungsklage handelt, mit der eine Anfechtung des Verwaltungsaktes des Beklagten einhergeht -, die im Zeitpunkt der Revisionsentscheidung maßgebliche Rechtslage (vgl Senatsurteil vom 7. November 2001 - B 9 SB 1/01 R - sowie Meyer-Ladewig, aaO, § 54 RdNr 34 mwN).

Der Senat hat in seinem genannten Urteil vom 7. November 2001 bereits im Einzelnen dargelegt, dass § 69 SGB IX inhaltsgleich die bisherige Regelung des § 4 SchwbG übernommen hat und davon auszugehen ist, dass das Gesetz grundsätzlich keine Abkehr von der bisherigen Feststellungspraxis für die Ermittlung des GdB enthält.

Nichts anderes gilt bezüglich der Zuerkennung des von der Klägerin beanspruchten Merkzeichens "G". Die bisher in §§ 59, 60 SchwbG geregelten Voraussetzungen finden sich nunmehr in den §§ 145 und 146 SGB IX. Auch nach diesen Vorschriften ist die vom LSG vertretene und begründete Auffassung, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Zuerkennung des Merkzeichens "G", nicht zu beanstanden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ende der Entscheidung

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