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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Beschluss verkündet am 20.04.2009
Aktenzeichen: B 9 SB 63/08 B
Rechtsgebiete: SGG


Vorschriften:

SGG § 62
SGG § 109
SGG § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Beschluss

in dem Rechtsstreit

Az: B 9 SB 63/08 B

Der 9. Senat des Bundessozialgerichts hat am 20. April 2009 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Loytved sowie die Richter Kruschinsky und Dr. Knörr

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 23. September 2008 wird als unzulässig verworfen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Durch Urteil vom 23.9.2008 hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) einen Anspruch des Klägers auf Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) als 30 verneint. Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im angefochtenen Urteil macht der Kläger Verfahrensmängel geltend.

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Ihre Begründung entspricht nicht den gesetzlichen Anforderungen (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Der Kläger hat den Zulassungsgrund des Verfahrensmangels nicht ordnungsgemäß dargetan.

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde - wie vorliegend - darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels die diesen (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 34, 36). Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 36). Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 (Anhörung eines bestimmten Arztes) und 128 Abs 1 Satz 1 SGG (freie richterliche Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Diesen Kriterien hat der Kläger nicht hinreichend Rechnung getragen.

Die Rüge der Verletzung des § 109 SGG kann nach der zitierten Vorschrift des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG nicht zur Zulassung der Revision führen.

Soweit der Kläger die Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör in mehrfacher Hinsicht rügt, hat er die behaupteten Verletzungen des § 62 SGG nicht hinreichend dargelegt. Diese Vorschrift konkretisiert den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG). Sie soll verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten (s § 128 Abs 2 SGG; vgl BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 1; BVerfGE 84, 188, 190), und sicherstellen, dass ihr Vorbringen vom Gericht zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen mit einbezogen wird (BVerfGE 22, 267, 274; 96, 205, 216 f). Das Gericht muss jedoch nicht ausdrücklich jedes Vorbringen der Beteiligten bescheiden. Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Berücksichtigung von Vorbringen ist nur dann anzunehmen, wenn sich dies aus den besonderen Umständen des Falles ergibt (BVerfGE, aaO), zB wenn ein Gericht das Gegenteil des Vorgebrachten - ohne entsprechende Beweisaufnahme - annimmt, den Vortrag eines Beteiligten als nicht vorgetragen behandelt (vgl BVerfGE 22, 267, 274; 42, 364, 368) oder wenn es auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, nicht eingeht, sofern der Tatsachenvortrag nach der Rechtsauffassung des Gerichts nicht unerheblich ist (BVerfGE 86, 133, 146).

In diesem Rahmen besteht insbesondere gegenüber rechtskundig vertretenen Beteiligten weder eine allgemeine Aufklärungspflicht des Gerichts über die Rechtslage noch die Pflicht, bei der Erörterung der Sach- und Rechtslage bereits die endgültige Beweiswürdigung darzulegen. Es gibt keinen allgemeinen Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichten würde, die Beteiligten vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit den Beteiligten zu erörtern (BSG, Beschlüsse vom 31. August 1993 - 2 BU 61/93 - HVBG-Info 1994, 209; vom 13. Oktober 1993 - 2 BU 79/93 - SozR 3-1500 § 153 Nr 1 und vom 17. Februar 1999 - B 2 U 141/98 B - HVBG-Info 1999, 3700; BVerfGE 66, 116, 147; 74, 1, 5; 86, 133, 145). Art 103 Abs 1 GG gebietet vielmehr lediglich dann einen Hinweis, wenn das Gericht auf einen Gesichtspunkt abstellen will, mit dem ein gewissenhafter und kundiger Prozessbevollmächtigter nicht zu rechnen brauchte (vgl BVerfGE 84, 188, 190).

Soweit der Kläger es als Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör rügt, das LSG habe sich in einem Schreiben über die - fehlenden - Erfolgsaussichten der Berufung geäußert, obwohl eine Berufungsbegründung noch nicht vorgelegen habe, macht er eine einschlägige Beeinträchtigung seines rechtlichen Gehörs nicht geltend. Das Gericht wäre von vornherein nicht verpflichtet gewesen, dem Kläger seine Auffassung über die Erfolgsaussichten der Berufung mitzuteilen. Dass es dies trotzdem getan hat, kann schon im Ansatz das rechtliche Gehör des Klägers nicht beeinträchtigen. Im Gegenteil hat der richterliche Hinweis dem Kläger die Möglichkeit eröffnet, sein weiteres Vorbringen darauf auszurichten. Im Übrigen hat es der Kläger versäumt, darauf einzugehen, dass er bereits bei Einlegung der Berufung mit Schriftsatz vom 14.3.2008 zu deren Begründung auf das gesamte erstinstanzliche Vorbringen Bezug genommen und dieses Vorbringen wiederholt hat, also eine Berufungsbegründung durchaus vorlag.

Soweit der Kläger als Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend macht, dass das Sozialgericht (SG) diesen Anspruch verletzt habe und daher das LSG das Urteil des SG habe aufheben müssen, hat er ebenfalls eine einschlägige Beeinträchtigung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör durch das LSG nicht dargelegt. Auch eine Verletzung von § 159 Abs 1 SGG hat der Kläger damit nicht hinreichend dargetan. Er hat unberücksichtigt gelassen, dass eine Zurückverweisung nach dieser Vorschrift ausgeschlossen ist, wenn der erstinstanzliche Verfahrensmangel vor dem LSG behoben werden kann (vgl dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG Komm, 9. Aufl 2008, § 159 RdNr 5b mwN). Dem Vorbringen des Klägers ist nicht zu entnehmen, warum es nicht ausreichen soll, wenn das LSG die Äußerung des Hausarztes Dr. S. berücksichtigt hat.

Auch soweit der Kläger seinen Anspruch auf rechtliches Gehör dadurch als verletzt behauptet, dass das LSG nicht über die erforderliche medizinische Sachkunde zur Beurteilung der dem Rechtsstreit zugrunde liegenden medizinischen Fragen verfügt habe, ist ein entsprechender Verfahrensmangel nicht ordnungsgemäß bezeichnet worden. Es wird insbesondere nicht deutlich, für welche medizinischen Fragen sich die Berufsrichter für sachkundig gehalten haben sollen, ohne die Beteiligten davon zuvor in Kenntnis zu setzen. Ist hingegen - wie der Beschwerdebegründung entnommen werden kann - ein Hinweis auf vorhandene Sachkunde erfolgt, so kann insoweit das rechtliche Gehör des Klägers nicht verletzt sein. Denn die Beteiligten hatten dann die Möglichkeit, darauf ggf durch entsprechende Beweisanträge zu reagieren.

Unterlässt ein Gericht eine wegen Fehlens eigener Sachkunde gebotene Beweisaufnahme, so kann darin ein Verstoß gegen §§ 103, 128 Abs 1 Satz 1 SGG liegen. Die Geltendmachung eines solchen Verfahrensmangels unterliegt im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren den Beschränkungen des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG, denen der Kläger nicht Rechnung getragen hat. Es fehlt insbesondere an der Bezeichnung eines bis zuletzt aufrechterhaltenen Beweisantrages, dem das LSG zu Unrecht nicht gefolgt sein könnte.

Soweit der Kläger schließlich geltend macht, dass das LSG es ohne nachvollziehbare Gründe abgelehnt habe, den auf den 23.9.2008 anberaumten Verhandlungstermin zu verlegen, ist eine Verletzung des im sozialgerichtlichen Verfahren entsprechend anwendbaren § 227 ZPO und damit eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (s dazu BSG, Urteil vom 10.8.1995 - 11 RAr 51/95 - SozR 3-1750 § 227 Nr 1, Urteil vom 21.8.2002 - B 9 VJ 1/02 R - SGb 2002, 732; BVerwG, Beschluss vom 23.1.1995 - 9 B 1/95 - NJW 1995, 1231) nicht schlüssig dargetan. Zwar ist bei nachgewiesener oder glaubhaft gemachter Verhinderung des Prozessbevollmächtigten eines Beteiligten der anberaumte Verhandlungstermin regelmäßig aufzuheben. Die Verhinderung des sachbearbeitenden Rechtsanwalts einer - wie hier - insgesamt bevollmächtigten Sozietät ist jedoch nur dann erheblicher Grund für eine Terminaufhebung, wenn einem anderen Rechtsanwalt der Sozietät keine ausreichende Einarbeitungszeit mehr bleibt oder ein sonstiges besonderes Interesse an der Wahrnehmung des Termins durch den sachbearbeitenden Rechtsanwalt gegenüber dem Interesse des Gerichts an der Beschleunigung des Verfahrens überwiegt (Roller in Lüdtke, SGG-Komm, 3. Aufl 2009, § 110 RdNr 15 mwN; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG-Komm, 9. Aufl 2008, § 110 RdNr 5 mwN).

Mit seiner Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde hat der Kläger zwar dargestellt, dass sein sachbearbeitender prozessbevollmächtigter Rechtsanwalt B. wegen eines anderweitigen Termins vor dem Oberlandesgericht Oldenburg verhindert gewesen sei, am Verhandlungstermin des LSG am 23.9.2008 teilzunehmen. Er hat es indes versäumt darzulegen, dass keiner der ebenfalls bevollmächtigten Rechtsanwälte der Kanzlei B. und Kollegen in der Lage gewesen wäre, ihn in der mündlichen Verhandlung des LSG zu vertreten. Zu einer entsprechenden Darlegung scheint der Kläger im Übrigen auch nicht in der Lage gewesen zu sein, denn in seinem an das LSG mit Schriftsatz vom 1.9.2008 gerichteten Antrag auf Terminaufhebung hat er lediglich dargetan, dass auch eine Terminwahrnehmung durch einen Kollegen nicht möglich sei, da der unterzeichnende Rechtsanwalt B. der alleinige Sachbearbeiter sei. Diese pauschale Begründung reicht indes angesichts des nicht erheblichen Umfangs der Sache und der bis zur mündlichen Verhandlung am 23.9.2008 noch verbliebenen Zeit nicht aus, zumal ein besonderes Interesse des Klägers an der Wahrnehmung des Termins gerade durch den sachbearbeitenden Rechtsanwalt nicht ersichtlich ist.

Die Beschwerde ist daher ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Ende der Entscheidung

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