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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 14.02.2001
Aktenzeichen: B 9 V 10/00 R
Rechtsgebiete: BVG


Vorschriften:

BVG § 10 Abs 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

in dem Rechtsstreit

Az: B 9 V 10/00 R

Kläger und Revisionsbeklagter,

Prozeßbevollmächtigter:

gegen

Land Niedersachsen, vertreten durch das Niedersächsische Landesamt für Zentrale Soziale Aufgaben - Landesversorgungsamt -, Domhof 1, 31134 Hildesheim,

Beklagter und Revisionskläger.

Der 9. Senat des Bundessozialgerichts hat ohne mündliche Verhandlung am 14. Februar 2001 durch den Vorsitzenden Richter Kummer, die Richter Dr. Kocher und Prof. Dr. Bürck sowie die ehrenamtlichen Richter Söldner und Thome

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Aurich vom 25. Mai 2000 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Gründe:

I

Der 1915 geborene Kläger bezieht vom Beklagten seit Jahrzehnten Versorgungsrente nach einer "medizinischen" Minderung der Erwerbsfähigkeit um 80 vH, die wegen besonderer beruflicher Betroffenheit auf 90 vH erhöht ist. Als Schädigungsfolgen sind bei ihm ua anerkannt:

Narben am linken Oberschenkel mit Beinverkürzung und starker Bewegungseinschränkung im Hüftgelenk, Fußgelenk und den Zehen sowie Versteifung im Kniegelenk in unvollständiger Streckstellung, Verformung der linken Kniescheibe nach Kniescheibenbruch, Nervenschädigung am linken Bein mit Sensibilitätsstörungen und Schwellungsneigung.

Im Januar 1997 wurde der Kläger im Rahmen der orthopädischen Versorgung mit einem Elektrorollstuhl für den Straßengebrauch ausgestattet. Dieser besitzt einen Akkumulator zum Wiederaufladen. Im April 1999 beantragte der Kläger beim Beklagten vergeblich die Erstattung der ihm durch den Ladestrom für das Wiederaufladen des Akkus entstandenen Kosten.

Mit Urteil vom 25. Mai 2000 hob das Sozialgericht (SG) die ablehnenden Bescheide des Beklagten auf und verurteilte diesen dem Grunde nach, die dem Kläger durch den Betrieb des Elektrorollstuhls entstandenen Kosten ab April 1999 zu erstatten und die zukünftigen Stromkosten zu übernehmen. In den Entscheidungsgründen führt das SG im wesentlichen aus: Der dem Kläger gemäß § 10 Abs 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zustehende Anspruch auf Heilbehandlung umfasse auch die Versorgung mit Hilfsmitteln. Dieser Anspruch erstrecke sich nicht nur auf das Hilfsmittel selbst, sondern auch auf alles, was erforderlich sei, um dem Versicherten den bestimmungsgemäßen Gebrauch des Hilfsmittels zu ermöglichen. Somit habe der zuständige Leistungsträger auch eine etwa notwendige Energieversorgung des Hilfsmittels zu übernehmen. Dies entspreche der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) für den Bereich der Krankenversicherung. Der Umfang der Heilbehandlung nach dem Versorgungsrecht dürfe auch hinsichtlich der Versorgung mit Hilfsmitteln nicht geringer sein als derjenige der Krankenbehandlung nach den für die gesetzliche Krankenversicherung geltenden Vorschriften.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Sprungrevision des Beklagten, die dieser wie folgt begründet hat: Das Aufladen der Batterien des Rollstuhls verursache nur verhältnismäßig niedrige Stromkosten von durchschnittlich nur ca 22,00 DM im Monat. Der Kläger habe daher für die Aufbringung der Stromkosten die Grundrente einzusetzen, die ua für den Ausgleich eines schädigungsbedingten Mehrbedarfs vorgesehen sei.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Aurich vom 25. Mai 2000 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision des Beklagten zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung des SG für zutreffend.

Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes <SGG>) einverstanden erklärt.

II

Die zulässige Revision des Beklagten ist unbegründet. Zu Recht hat das SG den Beklagten verurteilt, die dem Kläger durch den Betrieb des Elektrorollstuhls entstandenen Kosten ab April 1999 zu erstatten und die zukünftigen Stromkosten zu übernehmen.

Gemäß § 10 Abs 1 BVG hat der Beschädigte Anspruch auf Heilbehandlung für Gesundheitsstörungen, die als Folge einer Schädigung anerkannt oder durch eine anerkannte Schädigungsfolge verursacht worden sind. Der Anspruch auf Heilbehandlung schließt gemäß § 11 Abs 1 Satz 1 Nr 8 BVG auch die Versorgung mit Hilfsmitteln ein. Diese umfaßt wiederum gemäß § 13 Abs 1 BVG die Ausstattung mit Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, Blindenführhunden und mit dem Zubehör der Hilfsmittel, die Instandhaltung und den Ersatz der Hilfsmittel und des Zubehörs sowie die Ausbildung im Gebrauch von Hilfsmitteln. In der gemäß § 24a Buchst a BVG erlassenen Orthopädieverordnung vom 4. Oktober 1989 (BGBl I S 1834) idF der 1. Verordnung zur Änderung der Orthopädieverordnung vom 17. Oktober 1994 (BGBl I S 3009) ist in § 12 Abs 1 und 3 bestimmt, unter welchen Voraussetzungen ein Rollstuhl als Hilfsmittel zu gewähren ist. Zwischen den Beteiligten steht zu Recht unstreitig fest, daß diese Voraussetzungen erfüllt sind.

Wie in § 13 Abs 1 BVG ist in § 33 Abs 1 Satz 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) bestimmt, daß der Anspruch (auf Versorgung mit Hilfsmitteln) ua die notwendige Instandsetzung und Ersatzbeschaffung von Hilfsmitteln umfaßt. Abweichend von § 13 Abs 1 BVG hat der Berechtigte nach § 33 Abs 1 Satz 2 SGB V auch Anspruch auf die notwendige Änderung eines Hilfsmittels. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, daß insoweit der Leistungsumfang der Heilbehandlung nach dem BVG geringer wäre als derjenige der Krankenbehandlung nach dem SGB V. Vielmehr besteht auch im sozialen Entschädigungsrecht ein Anspruch auf notwendige Änderungen des Hilfsmittels. Dieser Anspruch ergibt sich aus der Verpflichtung des Versorgungsträgers, das Hilfsmittel instand zu halten, (vgl Dahm in Rohr/Sträßer, Bundesversorgungsrecht mit Verfahrensrecht, Stand Mai 2000, Anm 7 zu § 13 BVG). Vom Ersatz der für den Betrieb des Hilfsmittels erforderlichen Energiekosten ist in § 33 Abs 1 SGB V so wenig wie in § 13 BVG ausdrücklich die Rede. Trotzdem hat der 3. Senat des BSG in seiner Entscheidung vom 6. Februar 1997 (Az: 3 RK 12/96 = SozR 3-2500 § 33 Nr 24) mit überzeugenden Gründen für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung entschieden, daß der Anspruch auf Versorgung mit dem Hilfsmittel "Elektrorollstuhl mit Akku" auch das Wiederaufladen des Akkus bzw die Erstattung entsprechender Stromkosten umfaßt.

Ist somit von den Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung die Übernahme der Stromkosten für elektrisch betriebene Rollstühle im Rahmen der Versorgung mit Hilfsmitteln zu leisten, so hat auch der Versorgungsträger diese Kosten im Rahmen der Heilbehandlung nach § 10 Abs 1 BVG zu übernehmen. Dies ergibt sich aus § 11 Abs 1 Satz 2 BVG. Danach gelten die Vorschriften für die Leistungen, zu denen die Krankenkasse ihren Mitgliedern verpflichtet ist, für die Leistungen nach § 11 Abs 1 Satz 1 BVG (Heilbehandlung einschließlich der Versorgung mit Hilfsmitteln) entsprechend. Daraus ergibt sich, daß - mangels entgegenstehender Vorschriften im Rang eines förmlichen Gesetzes - die Versorgung mit Heilbehandlung (und damit auch mit Hilfsmitteln) nicht an strengere Voraussetzungen geknüpft werden darf, als sie für die gesetzliche Krankenversicherung gelten (vgl Entscheidungen des Senats SozR 3-3100 § 11 Nrn 2 und 3). Im übrigen existiert im Kriegsopferrecht auch keine im Rang unterhalb eines formalen Gesetzes stehende Bestimmung, aus welcher ein Ausschluß von Betriebskosten für elektrisch betriebene Rollstühle von der Versorgung mit Hilfsmitteln gefolgert werden könnte, insbesondere findet sich in der Orthopädieverordnung keine derartige Regelung.

Aus dem vom Beklagten ins Feld geführten Grundsatz, daß die Versorgungsrente ua der Bestreitung von schädigungsbedingtem Mehraufwand dient (vgl dazu auch Entscheidungen des Senats vom 11. Dezember 1992 <SozR 3-3100 § 35 Nr 4> und vom 2. Juli 1997 <SozR 3-3100 § 35 Nr 6 auf S 11 mwN>), läßt sich ein solcher Ausschluß ebenfalls nicht herleiten. Denn dieser Grundsatz gilt nicht für Aufwendungen, die im Rahmen der Heilbehandlung anfallen. Beschädigte haben für ihre im Rahmen der Heilbehandlung zu leistende Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln - trotz des Bezugs einer Grundrente - nicht etwa eine höhere Kostenbeteiligung zu tragen als Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung (vgl dazu § 31 Abs 3 SGB V), sondern sind im Gegenteil von einer Kostenbeteiligung gänzlich freigestellt (vgl Dahm aaO Anm 3 zu § 11 BVG). Mit Recht weist die Revision auch darauf hin, daß die Grundrente in erster Linie eine Leistung darstellt, die die Allgemeinheit zum ideellen Ausgleich des von den Beschädigten erbrachten Opfers erbringt. Die ihr insoweit innewohnende ideelle Funktion hat im Lauf der Jahrzehnte eher noch an Gewicht gewonnen (vgl BVerfG, Urteil vom 14. März 2000 - 1 BvR 294/96 ua - NJW 2000 S 1855, 1857 mwN) und rechtfertigt es, daß die Allgemeinheit für einzelne Lebensbereiche des Versorgungsberechtigten, insbesondere für seine Heilbehandlung, schädigungsbedingte Mehraufwendungen in vollem Umfang übernimmt, ohne ihn deswegen auf die der Entschädigung für das erbrachte Sonderopfer dienende Grundrente zu verweisen.

Nach allem muß das Rechtsmittel des Beklagten erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.



Ende der Entscheidung

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