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Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 20.10.1999
Aktenzeichen: B 9 V 21/98 R
Rechtsgebiete: BSchAV, BVG
Vorschriften:
BSchAV § 9 Abs 3 Satz 1 | |
BVG § 30 Abs 14 Buchst a |
BUNDESSOZIALGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
in dem Rechtsstreit
Az: B 9 V 21/98 R
Kläger und Revisionskläger,
Prozeßbevollmächtigter:
gegen
Land Niedersachsen, vertreten durch das Niedersächsische Landesamt für Zentrale Soziale Aufgaben -Landesversorgungsamt-, Domhof 1, 31134 Hildesheim,
Beklagter und Revisionsbeklagter.
Der 9. Senat des Bundessozialgerichts hat ohne mündliche Verhandlung am 20. Oktober 1999 durch den Vorsitzenden Richter Kummer, die Richter Dau und Dr. Kocher sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. Roos und Dr. Stahl
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 17. Juli 1998 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I
Die Beteiligten streiten über die Zahlung von Berufsschadensausgleich (BSchA).
Der schwerkriegsbeschädigte Kläger bezog bis zu seinem 65. Lebensjahr BSchA. Von da an ruhte der Anspruch. Das Bruttoeinkommen des Klägers (Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung und von der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder) lag zwar weiterhin unter dem - auf 75 % abgesenkten - Vergleichseinkommen. Der aus dieser Differenz errechnete BSchA wurde aber durch den Mehrbetrag an Grundrente aufgezehrt, den der Kläger wegen besonderer beruflicher Betroffenheit erhält. Im Oktober 1988 wurde der Kläger geschieden. Sein Bruttoeinkommen verminderte sich, weil durch Versorgungsausgleich Rentenanwartschaften auf seine geschiedene Ehefrau übertragen wurden. Der Beklagte berücksichtigte diese Änderung der Verhältnisse in den nachfolgenden Bescheiden nicht, auch nicht im Bescheid vom 27. September 1990, mit dem der Anspruch auf Versorgung ab 1. Januar 1990 neu festgestellt wurde. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 27. Juni 1994).
Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 24. Oktober 1996). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 17. Juli 1998). Zwar ergebe sich ein Anspruch auf BSchA in Höhe von 213 DM monatlich ab 1. Januar 1990, wenn das durch Versorgungsausgleich geminderte Einkommen des Klägers zugrunde gelegt werde. Gerade dies aber verbiete § 9 Abs 3 Satz 1 der Berufsschadensausgleichsverordnung (BSchAV).
Mit seiner Revision weist der Kläger auf die Entscheidung des Senats vom 24. November 1988 (BSGE 64, 194, 197 = SozR 3100 § 44 Nr 16) hin und macht geltend, § 9 Abs 3 Satz 1 BSchAV sei durch die Ermächtigungsnorm des § 30 Abs 14 Buchst a Bundesversorgungsgesetz (BVG) nicht gedeckt. Das BVG enthalte keine Rechtsgrundlage für die Erhöhung des derzeitigen Bruttoeinkommens um fiktive Beträge. Das durch Versorgungsausgleich übertragene Einkommen gelte als durch eigene Leistung der ausgleichsberechtigten Ehefrau erworben und lasse sich nicht zugleich als Einkommen des ausgleichspflichtigen Klägers behandeln.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 17. Juli 1998 und das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 24. Oktober 1996 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 27. September 1990 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 1994 sowie sämtliche von 1991 bis zum 10. Juni 1998 ergangenen Folgebescheide zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, ab 1. Januar 1990 unter Zugrundelegung eines infolge des Versorgungsausgleichs geminderten derzeitigen Bruttoeinkommens BSchA in gesetzlicher Höhe zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) einverstanden erklärt.
II
Die Revision des Klägers ist nicht begründet.
Die Instanzgerichte haben zu Recht entschieden, daß der Kläger keinen Anspruch auf Zahlung von BSchA hat. Soweit ein solcher Anspruch auch nach dem vom Beklagten zugrunde gelegten fiktiven Alterseinkommen ohne Versorgungsausgleich besteht, ruht er gemäß § 30 Abs 13 BVG.
Nach § 9 Abs 3 Satz 1 BSchAV ist Einkommen aus früherer Tätigkeit, das infolge eines Versorgungsausgleichs in seiner Höhe verändert ist, stets mit dem Betrag anzurechnen, der sich ohne den Versorgungsausgleich ergäbe. Diese Vorschrift ist von der Ermächtigungsgrundlage in § 30 Abs 14 Buchst a BVG gedeckt. Sie widerspricht auch nicht der Konzeption des 1. Ehereformgesetzes vom 14. Juni 1976 (BGBl I 1421), wonach alle in der Ehezeit erworbenen Versorgungsanrechte beider Ehegatten als Ergebnis einer partnerschaftlichen Lebensleistung anzusehen und deshalb bei Auflösung der Ehe unter den Eheleuten gleichmäßig aufzuteilen sind (vgl BT-Drucks 7/4361, S 18 ff; BGHZ 74, 38 ff mwN; BSGE 64, 194, 196 f = SozR 3100 § 44 Nr 16). Widerspruchsfrei paßt § 9 Abs 3 Satz 1 BSchAV in diese Konzeption allerdings nur insoweit, als sich - wie hier - Einkommen des Ausgleichspflichtigen aus früherer Tätigkeit durch den Versorgungsausgleich verringert, nicht für den entgegengesetzten Fall des Einkommenszuwachses beim ausgleichsberechtigten Beschädigten.
§ 30 Abs 14 Buchst a BVG ermächtigt die Bundesregierung, mit Zustimmung des Bundesrates zu bestimmen, welche Vergleichsgrundlage zur Ermittlung des in § 30 Abs 3 und 4 BVG beschriebenen Einkommensverlustes heranzuziehen ist und in welcher Weise das zu geschehen hat. Der Verordnungsgeber ist somit nicht berechtigt, frei zu bestimmen, was Einkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit ist (BSG aaO; vgl auch Hansen, Der Berufsschadensausgleich, 1996, 18 f). Der Verordnungsgeber darf deshalb Einkommen aus übertragenen Anwartschaften, welches nach der Konzeption des Versorgungsausgleichs auf früherer Erwerbstätigkeit des Ausgleichsberechtigten beruht, nicht so behandeln, als sei es Unterhalt. Mithin hat der Verordnungsgeber seinen Gestaltungsspielraum überschritten, indem er in § 9 Abs 3 Satz 1 BSchAV allgemein ("stets") verboten hat, Einkommensveränderungen durch Versorgungsausgleich zu berücksichtigen. Erhöht sich das Einkommen des ausgleichsberechtigten Beschädigten, so wird dies entgegen § 9 Abs 3 Satz 1 BSchAV als zusätzliches Einkommen des ausgleichsberechtigten Beschädigten aus früherer Erwerbstätigkeit anzurechnen sein. Hier liegt es aber umgekehrt. Der Kläger war ausgleichsverpflichtet. Sein derzeitiges Bruttoeinkommen hat sich gemindert. Dies durfte beim BSchA unberücksichtigt bleiben, weil trotz Versorgungsausgleich auch das Vergleichseinkommen unverändert geblieben ist.
Dem Recht des BSchA liegt die Annahme zugrunde, daß ein nach Versorgungsrecht auszugleichender Einkommensverlust während des Erwerbslebens mit dem Ausscheiden des Beschädigten aus dem Erwerbsleben bei Erreichen des 65. Lebensjahres nicht wegfällt, sondern im Alter fortdauert. Der BSchA ist für die Zeit nach Vollendung des 65. Lebensjahres aber neu zu berechnen, denn regelmäßig ändert sich außer dem derzeitigen Bruttoeinkommen des Beschädigten von diesem Zeitpunkt an allgemein auch das Einkommen der Vergleichsgruppe, der er als Nichtbeschädigter angehört hätte (Vergleichseinkommen). Dem allgemeinen "Einkommensknick" beim Eintritt in den Ruhestand trägt die BSchAV durch eine Herabsetzung des Vergleichseinkommens auf 75 % mit Ablauf des Monats Rechnung, in dem der Beschädigte das 65. Lebensjahr vollendet hat (§ 8 Abs 1 Nr 1 BSchAV). An die Stelle des Erwerbseinkommens aus gegenwärtiger Tätigkeit tritt regelmäßig solches aus früherer Tätigkeit, in den meisten Fällen also die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung und sonstige Altersbezüge.
Dieses System zur Ermittlung eines schädigungsbedingten Einkommensverlustes mußte nach der 1976 erfolgten Einführung des Versorgungsausgleichs modifiziert werden. Denn es war nicht länger gerechtfertigt, bei Nichtbeschädigten allgemein ein Alterseinkommen in Höhe von 75 % des Vergleichseinkommens zu unterstellen. Ein solches Versorgungsniveau erreichten nahezu alle diejenigen Nichtbeschädigten nicht mehr, deren Ehe geschieden wurde. Abhängig von der Ehedauer und der Rollenverteilung in der Ehe konnte das Alterseinkommen Nichtbeschädigter durch den Versorgungsausgleich - im Extremfall - halbiert werden. Der Verordnungsgeber hätte auf die veränderte Situation etwa durch eine (weitere) Absenkung des Vergleichseinkommens um den Prozentsatz reagieren können, um den sich das derzeitige Bruttoeinkommen des Beschädigten aus früherer Erwerbstätigkeit nach Scheidung wegen des damit verbundenen Versorgungsausgleichs minderte. Der Verordnungsgeber hat sich statt dessen entschlossen, das Vergleichseinkommen unverändert zu belassen und für das derzeitige Bruttoeinkommen einen - überhöhten - fiktiven Wert einzusetzen: Die vollen statt der durch Versorgungsausgleich geminderten und tatsächlich nur noch gezahlten Bruttobezüge. Diese systemfremde Lösung ist unbedenklich, weil sie der im BVG für den Nachschadensfall angeordneten Regelung folgt und den Beschädigten gegenüber einer - systemgerechten - Absenkung des Vergleichseinkommens besserstellt.
Im Nachschadensfall sieht § 30 Abs 11 Satz 1 BVG nicht etwa vor, daß an die Stelle des von einem Nichtbeschädigten erzielten Vergleichseinkommens nunmehr das Vergleichseinkommen einer im Umfang des Nachschadens betroffenen Person tritt. Zur Kompensation des durch den Nachschaden zusätzlich herbeigeführten Einkommensverlustes wird vielmehr das derzeitige Bruttoeinkommen verändert. Anstelle des tatsächlich erzielten Einkommens tritt ein fiktiver Betrag, der sich nach dem Durchschnittseinkommen der Berufs- oder Wirtschaftsgruppe richtet, der der Beschädigte ohne den Nachschaden angehören würde. Die Berechnung des fiktiven Betrages im einzelnen regelt § 7a BSchAV. An dieses gesetzlich vorgegebene Modell durfte der Verordnungsgeber mit § 9 Abs 3 Satz 1 BSchAV anknüpfen.
Verglichen mit der - systemgerechten - Alternativlösung einer Absenkung auch des Vergleichseinkommens um den Prozentsatz der Einkommensminderung infolge eines Versorgungsausgleichs ergeben sich höhere Einkommensverluste des Beschädigten und damit ein höherer BSchA-Anspruch, weil prozentual gleichhohe Einkommensdifferenzen absolut um so größer ausfallen, je höher das Einkommensniveau ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Ende der Entscheidung
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