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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 24.06.1998
Aktenzeichen: B 9 V 47/97 R
Rechtsgebiete: SGG


Vorschriften:

SGG § 103
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

in dem Rechtsstreit

Az: B 9 V 47/97 R

Kläger und Revisionskläger,

Prozeßbevollmächtigte:

gegen

Land Niedersachsen, vertreten durch das Niedersächsische Landesamt für Zentrale Soziale Aufgaben - Landesversorgungsamt -, Gustav-Bratke-Allee 2, 30169 Hannover,

Beklagter und Revisionsbeklagter.

Der 9. Senat des Bundessozialgerichts hat ohne mündliche Verhandlung am 24. Juni 1998 durch den Vorsitzenden Richter Kummer, die Richter Prof. Dr. Bürck und Dau sowie die ehrenamtlichen Richter Prof. Dr. Möllhoff und Böhm

für Recht erkannt:

Auf die Revision des Klägers wird der Beschluß des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 28. Mai 1997 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe:

I

Der Kläger macht Anspruch auf eine Badekur nach § 11 Abs 2 Bundesversorgungsgesetz (BVG) geltend. Bei ihm sind seit 1985 als Schädigungsfolgen anerkannt:

Schwartenbildung in der rechten Brustkorbhälfte nach tuberkulöser Rippenfellentzündung mit ausgeheiltem tuberkulösem Spätempyem, mäßige Einschränkung der Lungenfunktion und anteilige Neigung zu chronischer Bronchitis.

Der Beklagte gewährte dem Kläger deshalb verschiedentlich Badekuren in Davos, zuletzt vom 12. Dezember 1991 bis zum 23. Januar 1992. Den Antrag vom August 1994 auf eine neuerliche Kur lehnte der Beklagte ab, weil nicht die Schädigungsfolgen diesen Bedarf begründeten, sondern schädigungsfremde Leiden wie "Nervenleiden, coronare Herzkrankheit". Klage und Berufung hatten keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat sich auf das im erstinstanzlichen Verfahren eingeholte Sachverständigengutachten gestützt und ist dem Antrag des Klägers, wegen Leidensverschlimmerung ein weiteres Sachverständigengutachten einzuholen, nicht gefolgt, weil keine Anhaltspunkte für eine rechtserhebliche gesundheitliche Verschlechterung vorgelegen hätten (Beschluß vom 28. Mai 1997).

Mit der - vom Senat zugelassenen - Revision macht der Kläger im wesentlichen geltend, das LSG habe seine Pflicht zur Sachaufklärung verletzt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 8. Oktober 1996 und den Beschluß des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 28. Mai 1997 sowie den Bescheid des Beklagten vom 5. Januar 1995 idF des Widerspruchsbescheides vom 23. Februar 1995 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger eine stationäre Behandlung in einer Kureinrichtung (Badekur) nach § 11 Abs 2 BVG zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers zurückzuweisen, hilfsweise, die Sache zur weiteren Beweiserhebung und Entscheidung an das Landessozialgericht Niedersachsen zurückzuverweisen.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) einverstanden erklärt.

II

Die Revision des Klägers ist in dem Sinne begründet, daß der angefochtene Beschluß aufzuheben und die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Die Entscheidung des LSG kann auf einem ordnungsgemäß gerügten Verfahrensmangel beruhen (§§ 162, 164 Abs 2 SGG).

Die vom Kläger für sein Begehren gewählte Klageart (kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage, § 54 Abs 1 SGG) ist zulässig. Insbesondere war der Kläger nicht gehalten, während des Rechtsstreits - in entsprechender Anwendung des § 131 Abs 1 Satz 3 SGG - zur Fortsetzungsfeststellungsklage überzugehen. Denn sein Klagebegehren hat sich nicht durch Zeitablauf oder aus sonstigen Gründen erledigt, etwa weil er die Badekur nur im Antragsjahr 1994 hätte machen können oder wollen. Er ist nach wie vor daran interessiert, eine solche Kur zum nächstmöglichen Zeitpunkt anzutreten.

Der Kläger rügt zu Recht, das LSG habe seine Pflicht zur Sachaufklärung (§ 103 SGG) verletzt, indem es seiner Entscheidung ein im erstinstanzlichen Verfahren eingeholtes Sachverständigengutachten zugrunde gelegt habe, ohne weiter aufzuklären, ob sich der Gesundheitszustand des Klägers - wie von diesem behauptet - in der Zwischenzeit so verschlimmert hatte, daß Anspruch auf eine Badekur bestand. Das LSG hat seine Entscheidung - ohne selbst Beweis zu erheben - auf das im erstinstanzlichen Verfahren eingeholte Sachverständigengutachten des Arztes für Innere Medizin, Lungen- und Bronchialheilkunde, Allergologie Dr. A. vom 24. September 1995 gestützt. Darin liegt zwar nicht ohne weiteres bereits eine Verletzung der Pflicht zur Sachaufklärung von Amts wegen, auch wenn am Tag der Beschlußfassung durch das LSG, am 28. Mai 1997, 1 1/2 Jahre vergangen waren. Das Berufungsgericht muß sich wegen des Zeitablaufs zu weiterer Beweisaufnahme nur dann gedrängt fühlen, wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, daß sich der Gesundheitszustand zwischenzeitlich wesentlich geändert hat. Solche Anhaltspunkte hat das LSG hier zu Unrecht verneint. Weil es ihnen nicht nachgegangen ist, hat es gegen seine Pflicht verstoßen, den Sachverhalt - soweit wie möglich - aufzuklären.

Der Kläger hatte nicht nur behauptet, sein Gesundheitszustand habe sich verschlechtert. Er hatte diese Behauptung auch mit einem Befundbericht des Arztes für Innere Medizin Dr. H. vom 18. November 1996 belegt. Während der Sachverständige Dr. A. in seinem Gutachten vom 24. September 1995 noch ausgeführt hatte:

"... eine chronische Bronchitis führt häufig zu einer obstruktiven Ventilationsstörung, die sich bei Herrn B. jetzt nicht feststellen läßt. Somit besteht bei Herrn B. zur Zeit eine unkomplizierte chronisch rezidivierende Bronchitis."

hatte Dr. H. in seinem 14 Monate später abgegebenen Befundbericht festgestellt:

"Es handelt sich bei Herrn B. um ein Chron.-Bronchit.-Syndrom mit restriktiv obstruktiver Ventilationsstörung ... In letzter Zeit ist es zu vermehrten Infektexacerbationen der Bronchit.-Beschwerden mit entsprechender Beeinträchtigung pulmonaler Funktionen gekommen."

Danach ließ sich nicht länger vom Fehlen einer obstruktiven Ventilationsstörung auf eine unkomplizierte chronisch rezidivierende Bronchitis schließen, denn inzwischen lag eine "restriktiv obstruktive" Ventilationsstörung vor, so daß eine wesentliche Verschlimmerung der anerkannten Schädigungsfolgen eingetreten sein konnte. Das LSG hätte den zur Zeit seiner Entscheidung am 28. Mai 1997 (vgl zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt bei Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen BSGE 73, 25, 27 = SozR 3-2500 § 116 Nr 4 und Senatsurteil vom 2. Juli 1997 - 9 RVs 9/96 - VersorgVerw 1997, 94) bestehenden Gesundheitszustand feststellen und prüfen müssen, ob die ablehnende Entscheidung der Verwaltung aufrechterhalten werden konnte. Das war ohne Hilfe eines medizinischen Sachverständigen nicht möglich und wird nunmehr im wiedereröffneten Berufungsverfahren nachzuholen sein.

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Ende der Entscheidung

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