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Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 12.06.2003
Aktenzeichen: B 9 VG 8/01 R
Rechtsgebiete: OEG
Vorschriften:
OEG § 1 Abs 1 |
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil
in dem Rechtsstreit
Verkündet am 12. Juni 2003
Az: B 9 VG 8/01 R
Der 9. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 12. Juni 2003 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Loytved, den Richter Masuch und die Richterin Knickrehm sowie die ehrenamtlichen Richter Fiedler und Maier
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 11. Juli 2001 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander auch für das Revisionsverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe:
I
Streitgegenstand ist die Gewährung von Versorgungsleistungen nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten - Opferentschädigungsgesetz (OEG) - wegen eines Schockschadens - psychische Belastung - nach dem Tod des Ehemannes und Vaters der Kläger.
Die Kläger sind die Ehefrau und die Kinder des am 12. Juni 1996 nach einer neuntägigen Bewusstlosigkeit im Krankenhaus verstorbenen H J (J). Nach den Feststellungen des Sozialgerichts (SG), übernommen aus der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Frankfurt am Main vom 7. April 1997, ist J auf folgende Weise zu Schaden gekommen: Am 4. Juni 1996 trat der spätere Angeschuldigte W B (B) mit dem Fuß gegen ein vorüberfahrendes Taxi, das von J geführt wurde. Der hielt daraufhin den Wagen an, stieg aus und stellte B wegen dessen Verhaltens zur Rede. Es kam zu einer Rangelei zwischen den beiden, in deren Verlauf B dem J einen Schlag gegen den Kopf versetzte. Dieser stürzte und schlug mit dem Kopf auf die Bordsteinkante. Dadurch verlor er das Bewusstsein und erlangte es bis zu seinem Tod nicht wieder.
Am 15. Mai 1997 beantragten die Kläger die Gewährung von Versorgungsleistungen nach dem OEG wegen eines Schockschadens nach dem Tod des J. Der Beklagte lehnte die Leistungsgewährung durch Bescheide vom 23. Juni 1998 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 18. März 1999 mit der Begründung ab, es fehle ein örtlicher Zusammenhang zwischen dem Schädigungstatbestand und dem Schaden der Dritten. Die Todesnachricht allein sei nicht ausreichend, um einen unmittelbaren Zusammenhang im Rahmen der Kausalitätsbetrachtung herzustellen.
Die hiergegen beim SG Frankfurt am Main erhobenen Klagen sind nach Verbindung zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung durch Urteil vom 11. Juli 2001 abgewiesen worden. Das SG hat im Wesentlichen ausgeführt: Eine Leistungsgewährung nach dem OEG an Dritte könne nur dann erfolgen, wenn diese unmittelbar geschädigt worden seien, nicht jedoch, wenn die Schäden auf den wegen der Folgen der Gewalttat geänderten Lebensumständen beruhten. Eine psychische Beeinträchtigung nach dem Gewalttod eines nahe stehenden Menschen allein führe nicht zwangsläufig zu einer Anerkennung von gesundheitlichen Schäden nach dem OEG. Im vorliegenden Fall sei J durch eine einfache Körperverletzung geschädigt worden. Die Körperverletzung an sich habe keine posttraumatischen Störungen bei den Klägern hervorgerufen, sondern erst der spätere Tod, der als fahrlässig durch die vorsätzliche Körperverletzung verursacht zu qualifizieren sei.
Mit ihrer vom SG zugelassenen Sprungrevision rügen die Kläger einen Verstoß gegen § 1 Abs 1 OEG. Sie tragen ua vor: Das angefochtene Urteil sei unvereinbar mit den Entscheidungen des Senats vom 7. November 1979 (BSGE 49, 98) und 8. August 2001 (Bundessozialgericht <BSG> SozR 3-3800 § 1 Nr 20). Tatsächlich habe sich das SG der (damaligen) Rechtsauffassung des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung angeschlossen und grundsätzlich die Möglichkeit eines Schockschadens auf Grund einer Benachrichtigung von der an einem nahen Angehörigen verübten Gewalttat verneint. Für sie, die Kläger, sei es im Übrigen ohne Bedeutung, ob der Tod des Opfers unmittelbar nach der Tat oder mit zeitlicher Verzögerung eingetreten sei. Gewalttat und Todeseintritt seien eine Einheit. Schockauslösend sei die Nachricht von dem Tod des J als direkte Folge einer Gewalttat gewesen.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 11. Juli 2001 sowie die Bescheide des Beklagten vom 23. Juni 1998 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 18. März 1999 aufzuheben und diesen zu verurteilen, ihnen wegen der gesundheitlichen Folgen der Gewalttat vom 4. Juni 1996 Beschädigtenrente nach dem OEG zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält die Ausführungen des SG in dem angegriffenen Urteil für zutreffend.
II
Die Sprungrevision der Kläger ist zulässig (§ 161 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>), jedoch nicht begründet. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Leistungen der Opferentschädigung. Sie sind nicht unmittelbar durch eine Gewalttat iS des § 1 Abs 1 OEG psychisch geschädigt worden, sondern ggf durch die weiteren Folgen der gegen das Primäropfer gerichteten Gewalttat.
Gemäß § 1 Abs 1 OEG erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen Versorgung, wer ... infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person ... eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Das die Leistungspflicht nach dem OEG auslösende schädigende Ereignis ist demnach der tätliche Angriff auf das Opfer. Solange dieser fortwirkt, die Ereignisse also durch die Gewaltanwendung geprägt sind, ist von einem schädigenden Vorgang iS des § 1 Abs 1 OEG auszugehen (vgl BSG Urteil vom 12. Februar 2003 - B 9 VG 2/02 R -, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen; zur Abgrenzung s auch BSG Urteil vom 24. September 1992 - 9a RVg 5/91 -). Dieses gilt gleichermaßen für Primär- wie für Sekundäropfer. Bei letzteren handelt es sich insbesondere um Personen, die infolge des gegen einen nahen Angehörigen gerichteten tätlichen Angriffs einen Schockschaden erlitten haben. Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats sind diese zwar auch in den Schutzbereich des § 1 Abs 1 OEG einbezogen (vgl dazu BSGE 49, 98 = SozR 3800 § 1 Nr 1; BSG SozR 3-3800 § 1 Nr 20; so nunmehr auch Rundschreiben des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung vom 26. November 2002, IVc 2 62039/3, BArbBl 2003, Nr 1, 111; zuletzt Urteil vom 10. Dezember 2002 - B 9 VG 7/01 R -, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen = VersorgVerw 2003, 27). Eine Erweiterung des Begriffs des schädigenden Vorganges ist damit jedoch nicht verbunden. Sekundäropfer erhalten dementsprechend nur dann Leistungen nach dem OEG, wenn sie als Augenzeugen des das Primäropfer schädigenden Vorganges oder durch eine sonstige Kenntnisnahme davon geschädigt worden sind. Hingegen reicht es nicht aus, wenn es bei ihnen zu einer initialen Schädigung erst auf Grund von Ereignissen gekommen ist, die das Primäropfer nach Abschluss des betreffenden schädigenden Vorganges erfasst haben (vgl dazu BSG, Beschluss vom 17. Dezember 1997 - 9 BVg 5/97 -; Urteil vom 12. Februar 2003 - B 9 VG 2/02 R -, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). So verhält es sich hier.
Das SG hat in seinem Urteil - für den Senat bindend, weil nicht mit zulässigen Rügen angegriffen - festgestellt, dass die Kläger erst auf Grund des im Krankenhaus eingetretenen Todes des Primäropfers psychisch beeinträchtigt worden sind. Dieses Ereignis gehört nicht mehr zu dem schädigenden Vorgang, der durch die Gewalttat gegen J ausgelöst worden ist. Selbst wenn die Todesfolge bei dem Primäropfer als im konkreten Fall strafrechtlich nicht von der Körperverletzung abtrennbare Verwirklichung eines Gefahrenzusammenhanges zu bewerten sein sollte (vgl dazu Tröndle/Fischer, Strafgesetzbuch, 51. Aufl, § 227 RdNr 2 ff), kann sie entschädigungsrechtlich nicht als Teil eines einheitlichen mit der Gewalttat unmittelbar zusammenhängenden Geschehensablaufs angesehen werden. Es kommt nämlich nicht auf den Erfolg der Tat im strafrechtlichen Sinne, hier also den Tod, sondern auf den schädigenden Vorgang als solchen an. Dieser war während des Krankenhausaufenthaltes des Primäropfers J bereits beendet. Insoweit war das den J betreffende Geschehen nämlich nicht mehr wesentlich durch die erfolgte Gewaltanwendung, sondern durch die ärztlichen Behandlungsmaßnahmen geprägt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Ende der Entscheidung
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