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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 24.07.2002
Aktenzeichen: B 9 VS 5/01 R
Rechtsgebiete: SVG, BVG


Vorschriften:

SVG § 81 Abs 1
BVG § 31 Abs 1 und 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

Az: B 9 VS 5/01 R

in dem Rechtsstreit

Der 9. Senat des Bundessozialgerichts hat ohne mündliche Verhandlung am 24. Juli 2002 durch den Richter Dr. Kocher als Vorsitzenden, die Richter Prof. Dr. Bürck und Masuch sowie den ehrenamtlichen Richter Dr. Roos und die ehrenamtliche Richterin Döhnert

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 22. Mai 2001 wird als unzulässig verworfen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I

Der Rechtsstreit betrifft die Anerkennung der Gesundheitsstörungen: spastischer Schiefhals, Schmerz-Syndrom der Halswirbelsäule bei erheblichen muskulären Dysbalancen nach Schiefhalsoperation und Funktionsbehinderung beider Schultergelenke ab März 1973 als weitere Schädigungsfolgen und - darauf gestützt - die Gewährung höherer Leistungen nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) im Zugunstenverfahren nach § 44 Abs 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X).

Bei dem am 15. Oktober 1942 geborenen Kläger sind als Folgen nach einem Verkehrsunfall am 5. August 1963 während einer Dienstfahrt als wehrpflichtiger Soldat der Bundeswehr anerkannt: Verschiebung des vierten Halswirbelkörpers nach vorn nach Subluxation mit geringfügiger Deformierung der betroffenen Wirbel sowie Bewegungseinschränkung der Halswirbelsäule, die eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 25 vH bedingen (Bescheid des Beklagten vom 21. Februar 1966). Am 9. Oktober 1972 erlitt der Kläger einen Wegeunfall; sein Antrag bei der Maschinenbau- und Metall-Berufsgenossenschaft auf Anerkennung eines spastischen Schiefhalses als Folge dieses Unfalls blieb erfolglos. Auf seinen Antrag vom 22. Januar 1974 erteilte das Versorgungsamt Bielefeld dem Kläger am 28. Januar 1974 für seine Behandlung im Versorgungskrankenhaus Bad Pyrmont eine Kostenzusage nach § 10 Abs 1 iVm § 18c Abs 3 BVG, die am 13. Mai 1974 verlängert wurde; dort wurde der Kläger am 29. März 1974, 26. April 1974 und 14. Mai 1974 wegen des spastischen Schiefhalses operiert.

Sein am 26. März 1974 gestellter Verschlimmerungsantrag blieb erfolglos (Bescheid vom 13. Mai 1975, Widerspruchsbescheid vom 12. April 1976 und Urteil des Sozialgerichts <SG> Detmold vom 8. Juli 1977); nachdem durch drei neurologische Gutachten auch ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Wehrdienstbeschädigung von 1963 und dem spastischen Schiefhals verneint worden war, nahm der Kläger am 30. Oktober 1980 die Berufung zurück. Ein weiterer, am 26. August 1983 gestellter Verschlimmerungsantrag wurde mit Bescheid vom 23. Juli 1985 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Oktober 1988 abgelehnt. Das anschließende sozialgerichtliche Verfahren endete mit Klagerücknahme im Berufungsverfahren am 9. November 1994.

Auch der letzte Überprüfungsantrag vom 7. März 1992 blieb erfolglos (Bescheid des Beklagten vom 7. April 1995, Widerspruchsbescheid vom 15. August 1995, Urteil des SG Detmold vom 9. Dezember 1999, Urteil des Landessozialgerichts <LSG> Nordrhein-Westfalen vom 22. Mai 2001). Das LSG hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, auf Grund des orthopädischen Gutachtens des gerichtlichen Sachverständigen Dr. T. vom 16. März 1998 sei überzeugend dargelegt, dass zwar in Einzelfällen eine traumatische Genese eines spastischen Schiefhalses möglich, hier aber wegen des großen zeitlichen Abstandes von zehn Jahren zwischen dem Unfall von 1963 und dem erstmaligen Auftreten von Symptomen eines spastischen Schiefhalses ein ursächlicher Zusammenhang nicht wahrscheinlich sei. Hierin stimme der Sachverständige mit den in den Vorprozessen eingeholten Gutachten von Prof. Dr. K. vom 12. Oktober 1979, Prof. Dr. S. vom 25. Juli 1980 und Dr. O. vom 4. Februar 1993 sowie dem für den Beklagten erstellten Gutachten des Prof. Dr. M. vom 13. Mai 1985 und mit dem im Berufungsverfahren von Dr. Kl. erstatteten Gutachten vom 28. Dezember 2000 überein. Dies gelte auch für die geltend gemachten weiteren Schädigungsfolgen. Die Operationen 1974 im Versorgungskrankenhaus Bad Pyrmont bedingten unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt die Anerkennung von (mittelbaren) Schädigungsfolgen.

Der Kläger rügt mit der Revision die Verletzung des § 81 Abs 1 SVG und des § 31 Abs 1 und 2 BVG. Die stationäre Behandlung im Versorgungskrankenhaus Bad Pyrmont sei durch wehrdiensteigentümliche Verhältnisse geprägt gewesen. Der Beklagte habe erkennen müssen, dass der Kläger den spastischen Schiefhals für eine Folge des Wehrdienstunfalles gehalten habe. Deshalb habe der Beklagte auch die Kosten der stationären Behandlung des spastischen Schiefhalses erstattet. Die Kostenübernahme und die Operationen seien aus der Sicht des Beklagten allein zu dem Zweck erfolgt, den irrtümlich als Schädigungsfolge angesehenen spastischen Schiefhals zu beseitigen und eine weiter gehende Versorgung zu vermeiden. Die eingetretenen weiteren Gesundheitsstörungen seien als mittelbare Schädigungsfolgen anzuerkennen.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Detmold vom 9. Dezember 1999 und des Urteils des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 22. Mai 2001 sowie des Bescheides vom 7. April 1995 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. August 1995, den Bescheid vom 23. Juli 1985 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Oktober 1988 und den Bescheid vom 13. Mai 1975 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. April 1976 zurückzunehmen und einen spastischen Schiefhals, ein Schmerz-Syndrom der Halswirbelsäule bei erheblichen muskulären Dysbalancen nach Schiefhalsoperation sowie eine Funktionsbehinderung beider Schultergelenke ab März 1973 als weitere Schädigungsfolgen anzuerkennen und Versorgungsleistungen ab 1. Januar 1991 entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen nach einer MdE um wenigstens 50 vH zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Revision als unzulässig zu verwerfen,

hilfsweise, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Der Beklagte, der sich die Entscheidungsgründe des Berufungsgerichts zu Eigen macht, macht geltend, die Revisionsbegründung genüge nicht den gesetzlichen Anforderungen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.

II

Die statthafte, vom LSG gemäß § 160 Abs 1 SGG zugelassene Revision ist unzulässig, denn ihre Begründung entspricht nicht den formalen Erfordernissen des § 164 Abs 2 Satz 3 SGG. Nach dieser Bestimmung muss die dort in Satz 1 vorgeschriebene Revisionsbegründung einen bestimmten Antrag enthalten und die verletzte Rechtsnorm bezeichnen. Das Erfordernis der Antragstellung umfasst auch eine ausreichende Kennzeichnung des prozessualen Zieles der Revision. Diese setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) voraus, dass der Revisionsführer seinen Antrag sorgfältig begründet. Dafür muss er - für das Revisionsgericht erkennbar - den Streitstoff sichten und die im Revisionsverfahren (noch) entscheidungserheblichen Gesichtspunkte herausarbeiten (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 164 Nr 9; Senatsurteile vom 9. August 1995 - 9 RVs 3/95 -, br 1996, 50; 19. September 2000 - B 9 SB 4/99 R -, NZS 2001, 222). Das erfordert ua die Darlegung, aus welchen Gründen die Entscheidung der Vorinstanz angegriffen und ihre Aussagen als unrichtig angesehen werden (vgl BSG SozR 1500 § 164 Nr 20, 25). Es muss nach Umfang und Zweck zweifelsfrei mit rechtlichen Erwägungen und in Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung dargelegt werden, weshalb eine Vorschrift des materiellen Rechts vom LSG nicht oder nicht richtig angewandt worden ist (BSG vom 9. Juli 1998 - B 4 RA 13/98 R, HVBG-INFO 1998, 2105; BSG SozR 1500 § 164 Nr 12 mwN). Der Revisionskläger braucht zwar die Revisionsentscheidung nicht im Einzelnen vorweg zu nehmen; notwendig sind aber Rechtsausführungen, die zumindest einen der das angefochtene Urteil tragenden Gründe in Frage zu stellen geeignet sind (BSG SozR 3-1500 § 164 Nr 11 mwN). Insbesondere ist das Rechtsmittel dann nicht ausreichend begründet, wenn der Revisionskläger der Rechtsansicht des LSG lediglich seine eigene gegenüberstellt, ohne auf die Argumentation des LSG einzugehen (BSG vom 26. November 1997 - 2 RU 8/97 -, HVBG-INFO 1998, 1175; zusammenfassend BSG vom 30. Januar 2001 - B 2 U 42/00 R -, unveröffentlicht, mwN; vgl auch BSG vom 18. Juni 2002 - B 2 U 34/01 R -, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

Das LSG hat auf Grund von Feststellungen, die der Revisionsführer nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffen hat (§ 163 SGG) - und die somit das Revisionsgericht binden -, erkannt, dass der beim Kläger vorliegende spastische Schiefhals einschließlich der damit zusammenhängenden weiteren Gesundheitsstörungen keine Wehrdienstbeschädigung darstellt. Es hat einen - unmittelbaren - ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Unfall 1963 und dem - möglicherweise traumatisch bedingten - spastischen Schiefhals ebenso verneint wie es - unter eingehender Auswertung der einschlägigen Rechtsprechung - ausgeschlossen hat, dass die Folgen der ärztlichen Behandlung des spastischen Schiefhalses iS des § 81 Abs 1 Dritte Alternative SVG "durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt" oder als mittelbare Schädigungsfolgen anzusehen sind. Nach den bindenden Feststellungen des LSG erfolgte die ärztliche Behandlung des Klägers in dem Versorgungskrankenhaus B. auf Wunsch und Antrag des Klägers in Ausübung seiner freien Arztwahl - und nicht etwa im Rahmen truppenärztlicher Versorgung. Ferner hat das LSG das Vorliegen einer mittelbaren Schädigungsfolge iS der Rechtsprechung des BSG zu den Fällen verneint, in denen den Ärzten bei der versorgungsrechtlich gebotenen Behandlung ein Kunstfehler unterlaufen ist oder in denen die Eingriffe dazu gedient haben, Art, Umfang und Ausmaß von Schädigungsfolgen festzustellen. Abschließend hat es das LSG für die Begründung des Versorgungsschutzes nicht genügen lassen, wenn die Versorgungsverwaltung - wie hier - irrtümlich antragsgemäß eine Kostenzusage nach § 10 Abs 1 iVm § 18c Abs 3 BVG erteilt und verlängert, weil sie zu Unrecht davon ausgeht, dass die zu behandelnde Gesundheitsstörung eine Schädigungsfolge sei.

Welche Gründe demgegenüber für die Annahme sprechen sollen, mit der Kostenübernahme für die Operationen des Schiefhalses im Jahre 1974 als vermeintliche Schädigungsfolge sei ein (mittelbarer) Kausalzusammenhang zwischen dem Wehrdienstunfall von 1963 und den hier geltend gemachten Gesundheitsstörungen begründet worden, wird nicht dargelegt. Die Revisionsbegründung erschöpft sich in der bloßen Behauptung dieser Verbindung, ohne dass der Kläger sich - wie geboten - näher mit den Urteilsgründen der angegriffenen Entscheidung des LSG und der von diesem herangezogenen Rechtsprechung (zB BSGE 17, 60, 62; LSG Baden-Württemberg, Breith 1957, 150; RVA AN 1927, 232 Nr 3251 und - zu der verwandten Problematik im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung - BSG SozR 3-2200 § 548 Nr 13) auseinandergesetzt hätte. Soweit vorgetragen wird, der Beklagte habe mit der Kostenübernahme vermeintlich drohende weiter gehende Versorgungsansprüche des Klägers vermeiden wollen, handelt es sich lediglich um die Darlegung von weiteren Überlegungen des Beklagten, die offensichtlich auf der irrigen Annahme einer behandlungsbedürftigen Schädigungsfolge und somit auf der irrtümlichen Bejahung der Anspruchsvoraussetzungen für eine Krankenbehandlung nach § 10 Abs 1 Satz 1 BVG fußen. Warum diese Überlegungen und der ihnen sowie der Kostenzusage vom 28. Januar 1974 zu Grunde liegende Irrtum - zusätzlich zu der objektiv zu Unrecht vom Beklagten erbrachten Leistung - dem Kläger einen Anspruch auf Anerkennung von Folgen der irrtümlich gewährten Heilbehandlung als Schädigungsfolgen verschaffen sollen, ist nicht dargelegt, ebenso wenig, welche rechtlichen Gesichtspunkte gegen die auf die zitierte Rechtsprechung gestützte Ablehnung solcher Rechtswirkungen durch das LSG sprechen könnten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.



Ende der Entscheidung

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