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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundessozialgericht
Urteil verkündet am 30.11.2006
Aktenzeichen: B 9a VS 1/05 R
Rechtsgebiete: SVG, SGG


Vorschriften:

SVG § 85
SVG § 88 Abs 3
SVG § 81 Abs 1 3. Alt
SGG § 75 Abs 2 Regelung 1
SGG § 168 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESSOZIALGERICHT

Im Namen des Volkes

Urteil

in dem Rechtsstreit

Az: B 9a VS 1/05 R

Der 9a. Senat des Bundessozialgerichts hat ohne mündliche Verhandlung am 30. November 2006 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Loytved, den Richter Dau und die Richterin Knickrehm sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. Roos und Dr. Simon

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 19. Oktober 2004 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe:

I

Streitig ist die Gewährung von Beschädigtenrente nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz wegen der Folgen eines Sturzes aus einem Kasernenfenster.

Der Kläger leistete vom 1. Oktober 1992 bis zum 31. Dezember 1993 Grundwehrdienst. Am 14. September 1993 hielt er sich in seiner Freizeit bis ca 20:00 Uhr in der Kantine der S. kaserne in L. auf. Anschließend besuchte er bis in die frühen Morgenstunden des 15. September 1993 eine Diskothek und danach zusammen mit anderen Kameraden die Gaststätte P. . Sodann kehrte er in die Kaserne zurück.

Gegen 4:15 Uhr bemerkte der Gefreite vom Dienst (GvD) Klopfen und Klinkedrücken an der Eingangstür zu dem Kompaniegebäude (Block 7). Er fand den Kläger lediglich mit einer Unterhose bekleidet, mit Abschürfungen im Gesicht und an der Ferse stark blutend, vor der Tür sitzen. Spätere Ermittlungen ergaben, dass der Kläger kurz zuvor aus dem Fenster (Brüstungshöhe: 93 cm) seiner im 2. Stockwerk des Gebäudes gelegenen Stube (Zimmer 202) neun Meter tief gestürzt war. Es wurden Brüche des 1. und 4. Lendenwirbelkörpers, der Handwurzel links, des Fersenbeins rechts und des Daumengrundgelenks rechts sowie ein Einriss der Harnblase festgestellt.

Der Beklagte lehnte durch Bescheid vom 29. September 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Januar 1996 den Antrag des Klägers auf Versorgungsrente im Wesentlichen mit der Begründung ab, wehrdiensteigentümliche Verhältnisse seien nicht wesentlich mitwirkende Bedingung für den Fenstersturz gewesen. Die bauliche Beschaffenheit des Fensters, insbesondere die Brüstungshöhe, entspreche den bayerischen Bauvorschriften. Dort sei eine Mindestbrüstungshöhe von 90 cm vorgesehen.

Nach Einholung einer Auskunft von der Verwaltungsberufsgenossenschaft zur Mindestbrüstungshöhe nach der Arbeitsstättenverordnung (1 m bei Absturzhöhe über einem Meter), hat das Sozialgerichts Landshut (SG) dem Begehren des Klägers durch Urteil vom 2. Mai 2000 für die Zeit ab 1. Januar 1994 stattgegeben. Es führt ua aus: Da die Brüstungshöhe nicht dieser Vorgabe entsprochen habe und der Kläger lediglich angetrunken gewesen sei, hätten die baulichen Mängel an dem Kasernengebäude als wesentlich mitwirkende Bedingung zu dem Unfall geführt.

Auf die Berufung des Beklagten hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) den Kläger zu den näheren Umständen des Geschehens befragt, Auskunft zu den baulichen Verhältnissen bei dem Verteidigungskommando 66 sowie ein Sachverständigengutachten dazu eingeholt, ob ein Sturz des Klägers aus dem geöffneten Fenster möglich gewesen sei und welchen Grad der Alkoholisierung der Kläger nach medizinisch-wissenschaftlichen Berechnungen zu dem Zeitpunkt des Sturzes gehabt habe. Der Rechtsmediziner Prof. E. führt in dem Gutachten vom 8. März 2004 aus: Eine Ursächlichkeit der Höhe der Fensterbrüstung für den Sturz des Klägers sei angesichts dessen Körpergröße und der Fenstermaße zu verneinen. Das Geschehen sei nicht mit Wahrscheinlichkeit durch die baulichen Beschaffenheiten des Kasernenblocks, die Stockbetten oder das offene Fenster verursacht worden. Hieran ändere die errechnete Alkoholisierung des Klägers nichts. Das Aufkommen des Klägers primär mit den Füßen und der unteren Körperhälfte spreche dafür, dass das Sturzgeschehen auch initial mit den Füßen voran erfolgt sei.

Das LSG hat durch Urteil vom 19. Oktober 2004 die Berufung des Beklagten ua mit der Begründung zurückgewiesen: Der Unfall des Klägers sei zwar nicht durch eine Wehrdienstverrichtung oder während der Ausübung des Wehrdienstes eingetreten. Er sei jedoch den wehrdiensteigentümlichen Verhältnissen, also dem Umstand der Kasernierung in ungewohnter Umgebung an sich, zur Last zu legen. Weder die baulichen Gegebenheiten, noch der Alkoholkonsum des Klägers hätten den Unfall mit Wahrscheinlichkeit verursacht. Es sei nach den polizeilichen Ermittlungen und den Angaben des Klägers nicht geklärt, welche Umstände genau zu dem Fenstersturz geführt hätten. Eine nochmalige Einvernahme der Stubenkameraden des Klägers verspreche keine weitere Aufklärung, da deren Angaben bereits unmittelbar nach dem Geschehen unbestimmt gewesen seien. Die Folgen der Beweislosigkeit habe zwar grundsätzlich der Kläger zu tragen. Bei Abwägung aller Interessen erscheine es jedoch unzumutbar, den Kläger auf die Beweislastregeln zu verweisen, zumal der Verletzte unmitelbar nach dem Unfallgeschehen keinerlei Einfluss auf die Ermittlungen der Polizei oder Bundeswehrverwaltung gehabt habe. Im Wege des Anscheinsbeweises und in Abkehr von den bisherigen Beweislastregeln sowie unter Berücksichtigung dessen, dass ein Wehrpflichtiger wegen des Unfallgeschehens lediglich über das SVG abgesichert sei, müsse daher die Kasernierung selbst als Ursache für das Unfallgeschehen angesehen werden.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Beklagte die Verkennung der Beweislastregeln durch das LSG. Eine Umkehr der Beweislast sei hier nicht zulässig. Da bauliche Mängel als Ursache für den Sturz ausschieden, der Kläger jedoch nach den Angaben des Sachverständigen alkoholisiert gewesen sei, müsse davon ausgegangen werden, dass die Alkoholisierung die maßgebliche Ursache für den Unfall gesetzt habe.

Der Beklagte beantragt,

die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 19. Oktober 2004 und des Sozialgerichts Landshut vom 2. Mai 2000 aufzuheben sowie die Klage abzuweisen,

hilfsweise

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 19. Oktober 2004 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision des Beklagten zurückzuweisen.

Er bezieht sich auf den Inhalt der Entscheidungen von SG und LSG. Die baulichen Beschaffenheiten seien Ursache des Unfalls gewesen. Die vom LSG vorgenommene Beweislastumkehr werde zudem durch die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 13. Juli 1988 (SozR 3200 § 81 Nr 31) gestützt. Der Sturz sei nach allgemeiner Lebenserfahrung eine typische Folge des Verstoßes der Bundeswehr gegen die Unfallverhütungsvorschriften. Sein Alkoholgenuss habe den Unfall nicht verursacht; dieses sei durch das Sachverständigengutachten bewiesen. Der Unfall habe sich während des Wehrdienstes ereignet; er, der Kläger, habe sich nicht aus privaten Gründen in der Kaserne aufgehalten, sondern in Ausübung des Wehrdienstes auf Grund der Kasernierungspflicht.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>).

II

Die Revision ist im Sinne der Zurückverweisung an das LSG begründet.

Das Berufungsurteil leidet an einem wesentlichen Mangel. Das LSG hat die notwendige Beiladung der Bundesrepublik Deutschland unterlassen. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG ist zum Rechtsstreit eines (ehemaligen) Soldaten auf Versorgung wegen einer Wehrdienstbeschädigung für die Zeit nach Beendigung des Wehrdienstes gegen ein Land die Bundesrepublik Deutschland und umgekehrt zu einem Rechtsstreit gegen Letztere auf Ausgleich für die Zeit des Wehrdienstverhältnisses das für die Versorgung zuständige Land nach § 75 Abs 2 SGG notwendig beizuladen (vgl BSG, Urteil vom 31. Mai 1989 - 9 RV 36/88 - und Beschluss vom 3. August 1994 - 9 BV 20/94, beide JURIS). Gesichtspunkte, die hier gegen eine derartige Notwendigkeit sprechen könnten, sind nicht ersichtlich. Die gesundheitlichen Schäden sind im vorliegenden Fall während der Ableistung des Wehrdienstes eingetreten, sodass grundsätzlich ein Anspruch auf Ausgleich nach § 85 SVG bestehen könnte. Die Entscheidung, ob eine Wehrdienstbeschädigung vorliegt, für die Entschädigungsleistungen begehrt werden, entfaltet daher gegenüber beiden Trägern Wirkung; sie ist nach § 88 Abs 3 SVG für die Behörde des jeweiligen anderen Trägers bindend.

Das Unterlassen einer notwendigen Beiladung nach § 75 Abs 2 Regelung 1 SGG ist bei einer zulässigen Revision von Amts wegen als Verfahrensfehler zu beachten (vgl BSG SozR 1500 § 75 Nr 21; Urteil vom 12. Februar 2003 - B 9 Vs 6/01 R, JURIS; anders bei § 75 Abs 2 Regelung 2 SGG: vgl zuletzt BSG, Urteil vom 26. Januar 2005 - B 12 P 9/03 R, mwN, JURIS). Zwar kann nach § 168 Satz 2 SGG die Beiladung noch im Revisionsverfahren nachgeholt werden. Davon macht der Senat jedoch im vorliegenden Fall keinen Gebrauch; er ist hierzu nicht verpflichtet (s BSGE 93, 283 = SozR 4-3250 § 14 Nr 1, mwN, vgl auch BSG, Urteil vom 2. November 2000 - B 11 AL 25/00 R, JURIS; anders Redeker/von Oertzen, Verwaltungsgerichtsordnung <VwGO> 14. Aufl, § 142 RdNr 4 für die entsprechende Regelung der VwGO; dort ist allerdings die Zurückverweisung bei berechtigtem Interesse des nach § 142 Abs 1 Satz 2 VwGO Beigeladenen gemäß § 144 Abs 2 Nr 2 VwGO zwingend vorgeschrieben). Gegen eine Beiladung im Revisionsverfahren spricht, dass der Beizuladenden gerade in der Tatsacheninstanz Gelegenheit zur Wahrnehmung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör im Hinblick auf die nachfolgenden Erwägungen des Senats gegeben werden sollte:

Es bestehen Zweifel, ob nach den bisher vom LSG festgestellten Tatsachen wehrdiensteigentümliche Verhältnisse als ursächlich für das Unfallgeschehen angesehen werden können. Nach den Feststellungen und der rechtlichen Würdigung des LSG ist insoweit Beweislosigkeit gegeben. Diese ginge grundsätzlich zu Lasten des Klägers (1). Eine abschließende Beurteilung nach Beweislastregeln ist allerdings erst nach Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten zulässig. Dieser Punkt dürfte hier noch nicht erreicht sein (2). Die Anwendung der Grundsätze des Beweises des ersten Anscheins oder der Beweislastumkehr könnten in einem Fall wie dem vorliegenden bereits aus Rechtsgründen zweifelhaft sein (3).

(1) Das LSG ist im ersten Teil seiner Begründung davon ausgegangen, dass weder der Alkoholkonsum des Klägers in der Nacht des Unfalls, noch eine etwaige suizidale Absicht ursächlich für den Sturz aus dem Fenster gewesen seien. Auch die baulichen Verhältnisses, also die Brüstungsmaße, seien nach dem Sachverständigengutachten Prof. E. , angesichts der Körpergröße des Klägers sowie der weiteren baulichen Beschaffenheiten, keine wesentlich mitwirkende Bedingung für den Unfall gewesen. Das LSG vermochte keine Ursache für das Geschehen festzustellen. Die Kasernierung für sich genommen kann nach der Rechtsprechung des Senats, der das LSG offenbar folgen will, nicht wesentlich mitwirkende Ursache iS des § 81 Abs 1 3. Alt SVG sein. Erforderlich sind besondere, aus der Kasernierung herrührende Umstände. Ob solche Verhältnisse hier vorgelegen und zum Sturz des Klägers beigetragen haben, bleibt nach den Feststellungen des LSG - im Gegensatz zu dem vom Senat 1988 entschiedenen Fall (SozR 3200 § 81 Nr 31) - offen. Das LSG ist insofern von Beweislosigkeit ausgegangen. Diese geht nach den Regeln der objektiven Beweis- oder Feststellungslast grundsätzlich zu Lasten desjenigen - hier des Klägers -, der eine Schädigung durch wehrdiensteigentümliche Verhältnisse geltend macht.

(2) Fraglich erscheint allerdings, ob vorliegend bereits alle Beweismöglichkeiten ausgeschöpft worden sind. So haben die Stubenkameraden des Klägers zwar gegenüber der Polizei angegeben, nichts von den Ereignissen der Nacht zwischen dem Schlafengehen und dem Wecken nach dem Sturz zu wissen. Es mag auch zutreffend sein, wenn das LSG die damaligen Aussagen der Stubenkameraden als unbestimmt bewertet. Hieraus folgt jedoch nicht zwangsläufig, dass es überflüssig wäre, diese sowie den GvD und den Dienst habenden Unteroffizier nochmals einzuvernehmen. Zeitablauf, Ablauf von strafrechtlichen Verjährungsfristen oder nur das Bewusstsein um die Konsequenzen für den Kläger können durchaus Triebfedern für ein jetzt möglicherweise anderes Aussageverhalten sein. Bemerkenswert ist jedenfalls, dass die Angaben des Klägers und seiner Kameraden hinsichtlich der Personen, die in der Nacht vom 14. auf den 15. September 1993 gemeinsam ihre Freizeit verbracht haben, sowie über die Orte und Zeiten zT deutlich voneinander abweichen. Aufklärungsbedürftig erscheint ferner, welche genauen Feststellungen die wachhabenden Soldaten nach dem Sturz in der Stube des Klägers gemacht haben, in welchem Zustand sie insbesondere die Stube und die Stubenkameraden angetroffen haben. Bei den weiteren Befragungen könnte auch ein Vorhalt der neuen Erkenntnisse aus dem Sachverständigengutachten Prof. E. - danach ist der Kläger mit den Füßen zuerst aus dem Fenster gestürzt - von Bedeutung sein.

(3) Sollten sich hieraus keine näheren Erkenntnisse zum tatsächlichen Geschehensablauf ergeben, insbesondere auch keine Indizien, die eine andere Beweiswürdigung rechtfertigen könnten (vgl hierzu BSGE 24, 25 = SozR Nr 75 zu § 128 SGG; SozR 3-1500 § 128 Nr 11), wird es wohl bei einer Entscheidung nach den Regeln der Beweislast verbleiben müssen. Zumindest gilt: Allein die Kasernierung des Klägers rechtfertigt die Annahme eines prima-facie-Beweises nicht (3.1). Beweisschwierigkeiten oder möglicherweise unzulängliche Ermittlungen des Beklagten führen grundsätzlich nicht zu einer Beweislastumkehr (3.2).

(3.1) Der im Zivilrecht entwickelte Grundsatz vom Beweis des ersten Anscheins (§ 118 iVm § 202 SGG) ist auch im sozialgerichtlichen Verfahren anwendbar (BSGE 8, 245, 247; 10, 46, 50; 12, 242, 246 = SozR Nr 27 zu § 542 aF RVO; BSGE 19, 54 = SozR Nr 62 zu § 542 aF RVO). Bei dem Beweis des ersten Anscheins handelt es sich um eine Tatsachenvermutung. Das ist der auf Lebenserfahrung beruhende Schluss, dass gewisse typische Sachverhalte bestimmte Folgen auslösen oder dass umgekehrt bestimmte Folgen auf einen typischen Geschehensablauf hindeuten (BFHE 156, 66). Der Anscheinsbeweis setzt also einen Sachverhalt voraus, der nach der Lebenserfahrung regelmäßig einen bestimmten Verlauf nahe legt, und es rechtfertigt, besondere Umstände des Einzelfalls in ihrer Bedeutung zurücktreten zu lassen (BVerwG NVwZ-RR 2000, 256; BSGE 63, 270 = SozR 1500 § 128 Nr 34). Es muss ein Hergang zugrunde liegen, der erfahrungsgemäß gleichmäßig abläuft und zwar vom menschlichen Willen unabhängig, gleichsam mechanisch (BSGE 81, 288 = SozR 3-3800 § 1 Nr 12; BVerwG NJW 1980, 252). Hiervon kann im vorliegenden Fall nach den berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen nicht ausgegangen werden.

Gerade, wenn das Geschehen nicht aufklärbar ist, es sich also um einen völlig unklaren Ablauf handelt, liegt kein typischer Sachverhalt vor, dem bestimmte Folgen entspringen, oder aus dessen Folgen auf einen bestimmten typischen Ablauf geschlossen werden kann. Nach den bisherigen Feststellungen des LSG ist nur nachgewiesen, dass der Kläger aus dem Fenster gestürzt ist. Dabei handelt es sich jedoch nicht um einen typischen, aus der Kasernierung folgenden Geschehensablauf, zumal hier nach den Feststellungen des LSG die baulichen Verhältnisse nicht für den Unfall verantwortlich sind. Selbst ein Verstoß gegen die Verkehrssicherungspflicht könnte im konkreten Fall die Annahme eines typischerweise hieraus folgenden Geschehensablaufs nicht rechtfertigen. Zwar ist im Regelfall davon auszugehen, dass Gegebenheiten, bei denen Verkehrssicherungspflichten verletzt worden sind, ursächlich für einen mit ihnen im Zusammenhang stehenden Unfall sind. Nach der im Revisionsverfahren nicht angegriffenen Beweiswürdigung des LSG sind die baulichen Verhältnisse jedoch gerade nicht ursächlich für den Sturz gewesen. Es ist mithin keine Typik, sondern - da ohne Erklärungsansatz - eine untypische Abfolge von Ereignissen anzunehmen.

(3.2) Die Nichterweislichkeit eines bestimmten Unfallherganges, die - wie das LSG ausführt - auf mangelhaften, vom Kläger nicht zu beeinflussenden Ermittlungen beruht, rechtfertigt für sich genommen wohl keine Entscheidung zu Gunsten des Klägers im Wege der Beweislastumkehr. Dabei dürfte von dem sozialrechtlichen Grundsatz auszugehen sein, dass bei einem Beweisnotstand, allenfalls dann, wenn er auf einer schuldhaft unterlassenen bzw unvollkommenen Beweiserhebung oder sogar auf einer Beweisvereitelung durch denjenigen beruht, dem die Unerweislichkeit der Tatsachen zum prozessualen Vorteil gereicht, eine Umkehr der Beweislast eintritt (vgl hierzu BSGE 24, 25 = SozR Nr 75 zu § 128 SGG; BSGE 41, 297, 300 = SozR 2200 § 1399 Nr 4; BSGE 14, 298 = SozR Nr 60 zu § 128 SGG; SozR 3-1500 § 128 Nr 11; SozR 4-2500 § 44 Nr 7; Beschlüsse vom 13. September 2005 - B 2 U 365/04 B - und vom 6. Juli 2006 - B 9a SB 52/05 B, beide JURIS; weitergehend BSG SozR 3-1750 § 444 Nr 1 und BSGE 83, 279, 281 = SozR 3-3900 § 15 Nr 2 S 4).

Der Gesetzgeber hat den typischerweise in der sozialen Entschädigung vorkommenden Beweisschwierigkeiten bereits durch begrenzte Regeln zu Gunsten der Geschädigten Rechnung getragen. Vor allem braucht der ursächliche Zusammenhang nur wahrscheinlich zu sein (§ 1 Abs 3 Satz 1 BVG , § 81 Abs 6 Satz 1 SVG; s dazu BSGE 60, 58 = SozR 3850 § 51 Nr 9). § 15 Satz 1 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) regelt im Kriegsopferrecht und dem folgend auch in der Soldatenversorgung, dass "die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen", bei bestimmten Beweisschwierigkeiten "der Entscheidung zu Grunde zu legen sind, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen". Aus diesen Sonderregelungen folgt nach der bisherigen Rechtsprechung zugleich, dass es im sozialen Entschädigungsrecht eine weitere Beweiserleichterung, die sich auf alle zweifelhaften, aber nicht beweisbaren Tatsachen erstreckt, grundsätzlich nicht gibt (BSGE 63, 270 = SozR 1500 § 128 Nr 34).

Diese Erleichterungen helfen dem Kläger im vorliegenden Fall wohl nicht weiter. Es mangelt hier bislang an der Feststellung wehrdiensteigentümlicher Verhältnisse, die für das weitere Geschehen verantwortlich zu machen sein könnten. Die Anwendung von § 15 KOVVfG scheidet ebenfalls aus. Der Kläger hat - auch im Verfahren vor dem LSG - angegeben, keine Erinnerung mehr an das Geschehen in den frühen Morgenstunden des 15. September 2003 zu haben, wobei offen bleibt, ob sich eine solche Erinnerungslücke medizinisch erklären lässt. Im Übrigen dürfte das LSG bei Bejahung eines Beweisnotstandes jedenfalls nicht gehindert sein, die Umstände, die dazu geführt haben, bei der Beweiswürdigung zu berücksichtigen (vgl BSG SozR 3-1500 § 128 Nr 11).

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.



Ende der Entscheidung

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