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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 11.12.2000
Aktenzeichen: 1 BvL 15/00
Rechtsgebiete: BVerfGG, HmbSG, GG


Vorschriften:

BVerfGG § 81 a Satz 1
BVerfGG § 80 Abs. 2 Satz 1
HmbSG § 42
HmbSG § 42 Abs. 1 Satz 1
HmbSG § 42 Abs. 4
GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 6 Abs. 2 Satz 1
GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 100 Abs. 1 Satz 1
GG Art. 20 Abs. 2
GG Art. 7 Abs. 4
GG Art. 7 Abs. 5
GG Art. 7 Abs. 6
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvL 15/00 -

In dem Verfahren

zur verfassungsrechtlichen Prüfung

des § 42 Abs. 1 Satz 1 des Hamburgischen Schulgesetzes vom 16. April 1997 (HmbGVBl S. 97)

- Aussetzungs- und Vorlagebeschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 29. September 2000 (4 VG 3515/99) -

hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Richter Kühling, die Richterin Jaeger und den Richter Hömig gemäß § 81 a Satz 1 BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 11. Dezember 2000 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Vorlage ist unzulässig.

Gründe:

Die Richtervorlage betrifft die Verfassungsmäßigkeit einer landesgesetzlichen Regelung über die Erfüllung der Schulpflicht an der regional zuständigen Grundschule.

I.

1. Die Kläger des Ausgangsverfahrens sind die Eltern dreier Kinder. Sie wohnen in Hamburg. Der Vater, der Kläger zu 1, ist berufstätig, die Mutter, die Klägerin zu 2, beabsichtigt, ihre Berufstätigkeit im Umfang von sechs Stunden täglich wieder aufzunehmen. Ihr Wohnsitz liegt im Einzugsbereich der etwa 700 m entfernten und als Halbtagsschule geführten Grundschule E. Das älteste Kind besucht die außerhalb des Schulsprengels, jedoch in unmittelbarer Nähe des Wohnsitzes gelegene Offene Ganztagsschule H.

Den Antrag auf Einschulung des zweitältesten Kindes in die Offene Ganztagsschule H. lehnte die im Ausgangsverfahren beklagte Freie und Hansestadt Hamburg ab. Die gewünschte Schule sei aus Platzgründen nicht mehr aufnahmefähig. Daher sei das Kind der Grundschule E. zuzuweisen. Der Widerspruch der Kläger blieb ebenfalls erfolglos, desgleichen der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Das Verwaltungsgericht gab dem Antrag zwar statt, das Oberverwaltungsgericht lehnte ihn jedoch ab, weil die Entscheidung der Beklagten Ermessensfehler nicht erkennen lasse.

2. Das Verfahren über die von den Klägern erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht ausgesetzt und beschlossen, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber einzuholen, ob § 42 Abs. 1 Satz 1 des Hamburgischen Schulgesetzes (HmbSG) vom 16. April 1997 (HmbGVBl S. 97) mit Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mmit Art. 1 Abs. 1, mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 und mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland unvereinbar und deshalb ungültig ist.

§ 42 HmbSG hat folgenden Wortlaut: Einschulung, Übergänge, Umschulung

(1) Grundschülerinnen und Grundschüler sind von den Erziehungsberechtigten nach öffentlicher Bekanntmachung in der regional zuständigen Grundschule anzumelden. Die Anmeldung von Schülerinnen und Schülern für die Jahrgangsstufe 5 der weiterführenden Schulen erfolgt in einer der im Anmeldeverzeichnis der zuständigen Behörde aufgeführten Schulen; dabei ist den Erziehungsberechtigten Gelegenheit zur Äußerung eines Zweit- oder Drittwunsches für den Fall zu geben, dass eine Aufnahme in der erstgewünschten Schule nicht möglich ist.

(2) ...

(3) Übersteigt die Zahl der Anmeldungen für eine Schule deren Aufnahmefähigkeit nach § 87 Absatz 4 und stehen in einer anderen Schule der gleichen Schulform in zumutbarer Entfernung Räume zur Verfügung, sollen Schülerinnen und Schüler unter Berücksichtigung des Zweit- und Drittwunsches sowie altersangemessener Schulwege im erforderlichen Umfang dort aufgenommen werden...

(4) Die zuständige Behörde kann Schülerinnen und Schüler nach Anhörung der Erziehungsberechtigten aus schulorganisatorischen Gründen unter Berücksichtigung altersangemessener Schulwege in die gleiche Klasse einer gleichartigen Schule umschulen.

Zur Begründung der Vorlage hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt:

Die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 42 Abs. 1 Satz 1 HmbSG sei entscheidungserheblich, weil die Klage abgewiesen werden müsse, wenn die Norm gültig sei. Das Kind der Kläger sei dann zwingend in die Grundschule E. einzuschulen. § 42 Abs. 1 Satz 1 HmbSG sehe Ausnahmen vom Bezirksgrundschulprinzip nicht vor. Das Gericht könne auch nicht hilfsweise die Verpflichtung aussprechen, das Kind in die Offene Ganztagsschule umzuschulen, weil keine schulorganisatorischen Gründe im Sinne von § 42 Abs. 4 HmbSG vorlägen. Erwiese sich § 42 Abs. 1 Satz 1 HmbSG demgegenüber als verfassungswidrig, müsste das Gericht das Verfahren aussetzen, bis der Gesetzgeber eine verfassungskonforme Neuregelung getroffen habe. Ohne sie könne es nicht die Grundschule bestimmen, in die das Kind der Kläger einzuschulen sei.

§ 42 Abs. 1 Satz 1 HmbSG verstoße gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 sowie gegen Art. 6 Abs. 2 Satz 1 und Art. 3 Abs. 1 GG. Durch den Bezirksgrundschulzwang werde in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Kindes eingegriffen, weil dessen Startchancen dadurch nachteilig berührt würden. Die Pflicht eines Kindes, die gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 HmbSG regional zuständige Grundschule zu besuchen, setze im Hinblick auf sein allgemeines Persönlichkeitsrecht gleiche Grundschulen voraus. Sobald sich Grundschulen - wie hier - unterschieden, also differenzierte Schulangebote existierten, stelle sich die Zuweisung eines Kindes an eine Grundschule, die nicht seinen Wünschen entspreche, als Verminderung seiner Startchancen und somit als Eingriff in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht dar.

Dieser Eingriff werde nicht durch den von der Beklagten damit verfolgten Zweck gerechtfertigt, allen schulpflichtigen Kindern eines Bezirks unabhängig von ihrer sozialen Herkunft in einem einheitlichen Bildungsgang grundlegende Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten zu vermitteln und dadurch für alle eine gemeinsame Grundlage für die weitere schulische Bildung zu ermöglichen. Im Übrigen bestünden in Hamburg so genannte verlässliche Halbtagsgrundschulen, die alle Schüler zu einer (Halbtags-)Präsenz an fünf Wochentagen verpflichteten und dem schulpflichtigen Kind damit weniger Raum für seine Persönlichkeitsentwicklung außerhalb des schulischen Bereichs ließen. Um die Grundrechte des Kindes nicht übermäßig einzuschränken, sei es daher erforderlich, hinsichtlich der konkreten Grundschule Wunschrechte einzuräumen.

Durch die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Kindes werde gleichzeitig gegen das Grundrecht der Eltern aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verstoßen. § 42 Abs. 1 Satz 1 HmbSG sei schließlich mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar. Durch die Anerkennung von Wunschrechten für Erziehungsberechtigte von Schülern weiterführender Schulen habe der Gesetzgeber dieser Gruppe eine Vergünstigung eingeräumt, die er den Erziehungsberechtigten von Grundschülern vorenthalte. Damit liege eine Ungleichbehandlung beider Gruppen vor, die nicht gerechtfertigt sei.

§ 42 Abs. 1 Satz 1 HmbSG sei angesichts seines eindeutigen Wortlauts einer verfassungskonformen Auslegung nicht zugänglich. Im Übrigen sei die Entscheidung, wie das Wunschrecht in einer ausdifferenzierten Grundschullandschaft gleichheitsgerecht auszugestalten sei, dem Gesetzgeber vorbehalten. Hinzu komme, dass dieser auch im Hinblick auf eine rechtsstaatsgemäße Bestimmung der "regional zuständigen Grundschule" im Sinne von § 42 Abs. 1 Satz 1 HmbSG tätig werden müsse, weil die gegenwärtige Zuständigkeitsregelung beliebig erscheine.

II.

Die Vorlage ist unzulässig.

1. Nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG hat ein Gericht, wenn es ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für grundgesetzwidrig hält, das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen. Es muss in diesem Fall gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG in seiner Begründung angeben, inwiefern seine Entscheidung von der Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Regelung abhängt und mit welcher Verfassungsnorm sie unvereinbar sein soll. Der Vorlagebeschluss muss aus sich heraus verständlich sein und hinreichend deutlich erkennen lassen, dass das vorlegende Gericht bei Gültigkeit der Regelung zu einem anderen Ergebnis kommen würde als im Fall ihrer Ungültigkeit (vgl. BVerfGE 78, 1 <5> m.w.N.). Das Gericht muss sich mit der Rechtslage auseinander setzen, die in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Auffassungen berücksichtigen und auf unterschiedliche Auslegungsmöglichkeiten eingehen, soweit diese für die Entscheidungserheblichkeit von Bedeutung sein können (vgl. BVerfGE 79, 245 <249>). Die Darlegungen zur Verfassungswidrigkeit der zur Prüfung gestellten Norm müssen den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab nennen und die für die Überzeugung des Gerichts maßgebenden Erwägungen nachvollziehbar darlegen. Dabei muss sich das Gericht jedenfalls mit nahe liegenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten auseinander setzen. Insbesondere kann es erforderlich sein, die Gründe zu erörtern, die im Gesetzgebungsverfahren als für die gesetzgeberische Entscheidung maßgebend genannt worden sind (vgl. BVerfGE 78, 201 <204>; 81, 275 <277>; 86, 71 <77 f.>).

Für die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit, die ausscheidet, wenn eine verfassungskonforme Auslegung möglich ist (vgl. BVerfGE 90, 145 <170>), ist grundsätzlich die Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts maßgebend (vgl. BVerfGE 2, 181 <190 ff.>; 88, 187 <194>). Das gilt jedoch beispielsweise nicht, wenn dessen rechtliche oder tatsächliche Würdigung offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BVerfGE 86, 52 <56>) oder die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit von der Beantwortung verfassungsrechtlicher Vorfragen abhängt (vgl. BVerfGE 69, 150 <159>).

2. Nach diesen Grundsätzen ist die Vorlage unzulässig.

a) Das Verwaltungsgericht hat nicht hinreichend begründet, dass es im Ausgangsverfahren entscheidungserheblich auf § 42 Abs. 1 Satz 1 HmbSG in der Auslegung durch das vorlegende Gericht ankommt.

aa) Dieses hat sich nicht im gebotenen Umfang mit der Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung auseinander gesetzt. Das Verwaltungsgericht versteht § 42 Abs. 1 Satz 1 HmbSG als eine Vorschrift, die der zuständigen Behörde nur eine gebundene Entscheidung darüber gestattet, in welche Grundschule schulpflichtig gewordene Kinder einzuschulen sind. Ausnahmen vom in dieser Vorschrift niedergelegten Bezirksgrundschulprinzip seien nicht vorgesehen. Einer verfassungskonformen Auslegung sei die Regelung schon angesichts ihres eindeutigen Wortlauts ("Grundschülerinnen und Grundschüler sind ... in der regional zuständigen Grundschule anzumelden.") nicht zugänglich. Außerdem seien die Kriterien dafür, ob und wann ein Kind, abweichend vom Bezirksgrundschulprinzip, in einer gewünschten Grundschule einzuschulen sei, vom parlamentarischen Gesetzgeber zu bestimmen. Bei dieser Argumentation lässt das vorlegende Gericht nicht nur unberücksichtigt, dass eine teleologische Reduktion von Vorschriften entgegen dem Gesetzeswortlaut zu den verfassungsrechtlich unbedenklichen Auslegungsgrundsätzen gehört (vgl. BVerfGE 88, 145 <166 f.>; BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, NVwZ 2000, S. 910). Es bleiben vielmehr auch Erwägungen des Gesetzgebers unerwähnt, die ausweislich der Gesetzesmaterialien der von ihm getroffenen Regelung zugrunde gelegen haben. Schließlich setzt sich das Verwaltungsgericht nicht mit der Rechtsprechung anderer Gerichte auseinander.

(1) Dass § 42 Abs. 1 Satz 1 HmbSG nicht als strikte, Ausnahmen schlechthin ausschließende Regelung zu verstehen ist, ist wohl aus der Begründung zum Entwurf des Hamburgischen Schulgesetzes zu entnehmen, in der zu der dieser Vorschrift entsprechenden Regelung in § 43 des Entwurfs ausgeführt ist:

Welche Grundschule gemäß Absatz 1 regional zuständig ist, wird von der zuständigen Behörde festgelegt. Sollte es sich bei der an sich zuständigen Grundschule um eine Ganztagsschule handeln oder sollte die Aufnahmeklasse an einem Schulversuch teilnehmen, so sind die Grundschülerinnen und Grundschüler auf Wunsch der Eltern in eine andere Grundschule aufzunehmen, die mit altersangemessenen Schulwegen zu erreichen ist (Drucks. 15/5553 der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg, S. 44).

Das Verwaltungsgericht geht auf diese Ausführungen ebenso wenig ein wie auf die Rechtsprechung des ihm im Instanzenzug übergeordneten Oberverwaltungsgerichts, das in der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ergangenen Entscheidung ebenfalls eine strikte Bindung der Schulverwaltung verneint hat. Denn es hat angenommen, dass die Kläger des Ausgangsverfahrens, soweit sie als Erziehungsberechtigte ihr Kind nicht in der regional zuständigen Schule anmeldeten, sondern die Einschulung an einem anderen nahe gelegenen Grundschulstandort wünschten, (nur) verlangen könnten, dass die zuständige Behörde darüber eine fehlerfreie Ermessensentscheidung treffe. Dabei hat es auf seine bisherige Rechtsprechung hingewiesen (vgl. unter anderem die in HmbJVBl 1985, S. 52, und 1988, S. 22, veröffentlichten Entscheidungen), die zwar zur Rechtslage vor dem In-Kraft-Treten des Hamburgischen Schulgesetzes von 1997 ergangen ist, vom Oberverwaltungsgericht aber, wie auch der ausdrückliche Hinweis auf § 42 Abs. 1 Satz 1 HmbSG in seiner Entscheidung zeigt, auf die durch dieses Gesetz geschaffene neue Rechtslage erstreckt wird. Es hätte vor der Vorlage an das Bundesverfassungsgericht auch einer Auseinandersetzung mit dieser Rechtsprechung bedurft, weil danach eine Einschulung in einer anderen als der regional zuständigen Grundschule nicht nur dann in Betracht kommt, wenn es sich bei dieser um eine Ganztagsschule handelt, wenn die Aufnahmeklasse an einem Schulversuch teilnimmt (vgl. Drucks. 15/5553 der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg, a.a.O.) oder wenn die Aufnahmefähigkeit der zuständigen Grundschule erschöpft ist (vgl. Drucks. 15/3595 der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg, S. 2 unter I. und S. 3 zu Nr. 4), sondern entsprechend der Praxis der Beklagten des Ausgangsverfahrens (vgl. dazu vor allem S. 2 des Widerspruchsbescheids der Beklagten) auch dann, wenn weitere Kriterien erfüllt sind. Das Verwaltungsgericht verhält sich nicht dazu, ob es auch gegen eine derartige Regelung verfassungsrechtliche Bedenken hätte.

Es hat im Übrigen auch nicht geprüft, ob der Begriff der schulorganisatorischen Gründe, bei deren Vorliegen nach § 42 Abs. 4 HmbSG Schülerinnen und Schüler in eine an sich unzuständige Schule umgeschult werden können, erforderlichenfalls verfassungskonform so ausgelegt werden kann, dass auch Belange des Grundschülers oder seiner Eltern eine Umschulung zulassen. (2) Soweit sich das Verwaltungsgericht an einer verfassungskonformen Auslegung der für die Einschulung in Grundschulen maßgeblichen Vorschriften des Hamburgischen Schulgesetzes auch deshalb gehindert gesehen hat, weil es eine Entscheidung des parlamentarischen Gesetzgebers über die Kriterien dafür für erforderlich hält, ob und wann ein Kind in Abweichung vom Bezirksgrundschulprinzip in einer gewünschten Grundschule einzuschulen sei, fehlt es darüber hinaus an einer Auseinandersetzung mit der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.

Das Verwaltungsgericht verweist im Vorlagebeschluss zwar auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, nach denen allein der Gesetzgeber aufgerufen ist, die wesentlichen Entscheidungen im Schulwesen zu treffen, und nimmt dabei auch auf den Beschluss des Vorprüfungsausschusses des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Februar 1984 (NVwZ 1984, S. 781) Bezug, dem es Anhaltspunkte dafür entnommen hat, dass die Voraussetzungen für die Entscheidung, in welche von mehreren weiterführenden Schulen ein Kind ab der Jahrgangsstufe 5 aufgenommen wird, der Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber bedürften. Es lässt jedoch unerörtert, dass das Bundesverfassungsgericht im Urteil zur Rechtschreibreform mit Blick auf den Vorbehalt des Gesetzes und seine Geltung im Bereich des Schulrechts auch ausgeführt hat, bei der Bestimmung der Reichweite und Wirkung dieses Vorbehalts sei mit zu berücksichtigen, dass die in Art. 20 Abs. 2 GG als Grundsatz normierte organisatorische und funktionelle Unterscheidung und Trennung der Gewalten auch darauf zielt sicherzustellen, dass staatliche Entscheidungen möglichst richtig, das heißt von den Organen getroffen werden, die dafür nach ihrer Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die besten Voraussetzungen verfügen. Dieses Ziel dürfe nicht durch einen Gewaltenmonismus in Form eines umfassenden Parlamentsvorbehalts unterlaufen werden (vgl. BVerfGE 98, 218 <251 f.> mit Hinweis auf BVerfGE 68, 1 <86 f.>). Das legt - ebenso wie die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zu den von ihm im Rechtschreibreformurteil überprüften Vorschriften des Schleswig-Holsteinischen Schulgesetzes (vgl. dazu BVerfGE 98, 218 <250 ff.>) - die Prüfung nahe, ob nicht die Erwägungen des Verwaltungsgerichts zur Zuständigkeit des parlamentarischen Gesetzgebers zu einer Überdehnung der so genannten Wesentlichkeitstheorie führen. bb) Das Verwaltungsgericht hat auch nicht hinreichend dargetan, dass die Kläger im Fall der Verfassungswidrigkeit des § 42 Abs. 1 Satz 1 HmbSG im Ausgangsverfahren voraussichtlich obsiegen würden. Der Umstand allein, dass in diesem Fall das Verfahren bis zu einer gesetzlichen Neuregelung (weiter) ausgesetzt bleiben würde, entbindet von einer solchen Darlegung nicht. Zwar wäre auch diese Aussetzung eine andere Entscheidung als die, die bei Gültigkeit der Norm zu treffen wäre (vgl. BVerfGE 66, 1 <17> m.w.N.). Unbeschadet dessen muss vom vorlegenden Gericht aber jedenfalls verlangt werden, dass es aufzeigt, welche der möglichen, vom Gesetzgeber bei der Herstellung einer verfassungsgemäßen Rechtslage offen stehenden Optionen der Klage zum Erfolg verhelfen würde (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 20. April 2000 - 1 BvL 18/98 -, Abdruck S. 5). Dazu verhält sich der Vorlagebeschluss jedoch nicht. Auf die nahe liegende Frage, ob das vom Verwaltungsgericht für verfassungsrechtlich geboten erachtete Wahlrecht zwischen mehreren bestehenden Grundschulen den Eltern des schulpflichtig gewordenen Kindes oder diesem selbst auch dann zustehen soll, wenn die Aufnahmeklasse(n) in der gewünschten Schule bereits ausgelastet und deshalb nicht mehr aufnahmefähig ist (sind), ist das Verwaltungsgericht nicht eingegangen. Dessen hätte es jedoch bedurft, weil bei Verneinung dieser Frage die Klage wie im Fall der Gültigkeit des § 42 Abs. 1 Satz 1 HmbSG abzuweisen, die Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift also nicht entscheidungserheblich wäre. Dass hier die Aufnahmekapazitäten der von den Klägern gewünschten Schule noch nicht erschöpft sind und das vorlegende Gericht deshalb zum voraussichtlichen Ausgang des bei ihm anhängigen Rechtsstreits nichts ausgeführt hat, ist nicht anzunehmen. Anders als im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes hat das Verwaltungsgericht im Aussetzungs- und Vorlagebeschluss Feststellungen zur Aufnahmefähigkeit der Offenen Ganztagsschule H. nicht getroffen. Im Tatbestand dieses Beschlusses teilt es im Gegenteil mit, dass der Antrag der Kläger auf Einschulung in diese Schule abgelehnt worden sei, weil sie aus Platzgründen nicht mehr aufnahmefähig sei, und dass der Widerspruch aus demselben Grund keinen Erfolg gehabt habe.

b) Das Verwaltungsgericht hat schließlich auch bei Würdigung der von ihm angenommenen Verfassungswidrigkeit des § 42 Abs. 1 Satz 1 HmbSG einschlägige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht berücksichtigt.

Die Auffassung des vorlegenden Gerichts von der Verfassungswidrigkeit der genannten Vorschrift beruht maßgeblich darauf, dass das sozialpolitische Anliegen der Beklagten, allen schulpflichtigen Kindern eines Bezirks unabhängig von ihrer sozialen Herkunft in einem einheitlichen Bildungsgang grundlegende Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten zu vermitteln und dadurch für alle - unabhängig vom weiteren Bildungsweg - eine gemeinsame Grundlage für die weitere schulische Bildung zu ermöglichen, nicht als Rechtfertigungsgrund für die als vorliegend erachteten Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der schulpflichtigen Kinder und in das Elternrecht sowie für die Differenzierung zwischen Grundschülern und anderen Schülern anerkannt worden ist. Dabei bleibt unerwähnt, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Schulbestimmungen in Art. 7 Abs. 4 bis 6 GG gerade den Zweck verfolgen, die Kinder aller Volksschichten zumindest in den ersten Klassen grundsätzlich zusammenzufassen und private Volks- oder Grundschulen nur zuzulassen, wenn der Vorrang der öffentlichen Schulen aus besonderen Gründen zurücktreten muss. Hinter dieser Zielsetzung steht eine sozialstaatlichem und egalitär-demokratischem Gedankengut verpflichtete Absage an Klassen, Stände und sonstige Schichtungen. Dass solche Bemühungen schon wegen einseitiger sozialer Zusammensetzung der Bevölkerung der jeweiligen Schulsprengel, aber auch aus vielfältigen anderen Gründen häufig nur begrenzten Erfolg haben, nimmt diesem Ziel nicht seine Bedeutung. Auch jüngere pädagogische, gesellschaftliche und verfassungsrechtliche Entwicklungen lassen es nach den Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts nicht als überholt erscheinen. Nach wie vor ist es ein legitimes Ziel auch staatlicher Schulpolitik, soziale Reibungen zu vermeiden, die dadurch entstehen können, dass sich gesellschaftliche Gruppen fremd bleiben (so BVerfGE 88, 40 <49 f.>; zur Ausrichtung des Grundgesetzes auf die für alle gemeinsame öffentliche Grundschule siehe auch schon BVerfGE 34, 165 <187>). Vor diesem Hintergrund erscheint fraglich, ob der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts gefolgt und der sozialpolitischen Zielsetzung der Beklagten des Ausgangsverfahrens von vornherein jede eingriffslegitimierende Wirkung und die Bedeutung eines sachlichen Grundes für die unterschiedliche Ausgestaltung des Schulwahlrechts für Grund- und andere Schüler abgesprochen werden kann. Jedenfalls hätte sich das vorlegende Gericht mit der Bedeutung der Regelungen in Art. 7 Abs. 4 bis 6 GG und deren Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht auseinander setzen müssen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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