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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 11.08.2000
Aktenzeichen: 1 BvQ 22/00
Rechtsgebiete: BVerfGG, HbgPresseG


Vorschriften:

BVerfGG § 32 Abs. 1
BVerfGG § 93 d Abs. 2
HbgPresseG § 11
GG Art. 5 Abs. 1 Satz 1
GG Art. 5 Abs. 1 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvQ 22/00 -

In dem Verfahren

über

den Antrag,

die Vollziehung des Beschlusses des Landgerichts Hamburg vom 17. Juli 2000 - 324 O 391/00 - einstweilen, bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde der Antragstellerin, auszusetzen.

Antragstellerin: SPIEGEL-Verlag Rudolf Augstein GmbH & Co. KG, vertreten durch ihre Komplementärin, die Rudolf Augstein GmbH, diese vertreten durch ihre Geschäftsführer Rudolf Augstein und Karl-Dietrich Seikel, Brandstwiete 19, Hamburg,

- Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Alfred-Carl Gaedertz und Koll., Warburgstraße 50, Hamburg -

hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Papier, den Richter Hömig und die Richterin Hohmann-Dennhardt gemäß § 32 Abs. 1 in Verbindung mit § 93 d Abs. 2 BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 11. August 2000 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betrifft die Verpflichtung zum Abdruck einer Gegendarstellung.

1. Die Antragstellerin verlegt das wöchentlich erscheinende Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL. In der Ausgabe 23/2000 veröffentlichte die Zeitschrift auf den Seiten 98 ff. einen Artikel unter der Überschrift "Aktien, Aktien, Aktien". Er befasste sich kritisch mit der Berichterstattung der Zeitschrift FOCUS in der Rubrik Geldanlage und den finanziellen Aktivitäten des Gegners des Ausgangsverfahrens, der von 1993 bis Anfang 1999 der für Geldanlagen zuständige Redakteur der Zeitschrift FOCUS war.

Auf den Antrag des Gegners des Ausgangsverfahrens gab das Landgericht der Antragstellerin mit Beschluss vom 17. Juli 2000 im Wege der einstweiligen Verfügung auf, in dem gleichen Teil der Zeitschrift DER SPIEGEL, in dem der oben genannte Artikel erschienen ist, und mit gleicher Schrift unter Hervorhebung des Wortes Gegendarstellung als Überschrift durch drucktechnische Anordnung und Schriftgröße in der nächsten für den Druck noch nicht abgeschlossenen Nummer eine Gegendarstellung zu veröffentlichen, die - soweit für den vorliegenden Antrag erheblich - den folgenden Text enthält:

Gegendarstellung

In Heft 23/2000 schreibt DER SPIEGEL unter der Überschrift "Aktien, Aktien, Aktien" über mich, Marian von Korff, ehemaliger Redakteur des FOCUS:

1. DER SPIEGEL erklärt: "Der für Geldanlagen zuständige Redakteur Marian von Korff war anderthalb Jahre lang auch Chef einer Investmentfirma und arbeitete nebenbei monatelang als Berater eines Luxemburger Aktienfonds." ... Nach den Standesregeln des Deutschen Presserats "dürfen Journalisten ihre privat gekauften Aktien nicht durch positive Berichte in ihren Blättern befördern ... Er kaufte geschäftlich und privat Aktien, deren Kauf seine Zeitschrift den Lesern empfahl ... Die Arbeit des Journalisten Korff und die Tätigkeit als Aktienberater und Investor hatten erkennbar Berührungspunkte."

Soweit hierdurch der Eindruck erweckt wird, ich hätte Artikel im FOCUS veröffentlicht, um dadurch Vorteile als Berater oder Investor zu erzielen, stelle ich fest, dass dieser Eindruck unzutreffend ist. Zu keinem Zeitpunkt haben persönliche Interessen Einfluss auf meine Tätigkeit als Wirtschaftsredakteur bei FOCUS gehabt.

(2. - 6. ...)

Illmünster, den 17. Juli 2000 Marian von Korff

Auf den Widerspruch der Antragstellerin bestätigte das Landgericht seine einstweilige Verfügung mit Urteil vom 21. Juli 2000, das der Antragstellerin zum Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht vorlag.

Die Antragstellerin wird inzwischen im Zwangsmittelwege dazu angehalten, die Gegendarstellung abzudrucken. Ein Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung blieb ohne Erfolg.

2. Mit ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrt die Antragstellerin, die Vollziehung des Beschlusses des Landgerichts vom 17. Juli 2000 einstweilen, bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde der Antragstellerin, auszusetzen.

Sie rügt eine Verletzung der Grundrechte auf Meinungs- und Pressefreiheit, Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 GG. Sie werde Verfassungsbeschwerde erheben, sobald der Rechtsweg erschöpft sei. Die Antragstellerin ist der Auffassung, die Instanzgerichte hätten die in der Gegendarstellung angeführte Passage richtigerweise als Meinungsäußerung qualifizieren müssen, die nach § 11 HbgPresseG nicht gegendarstellungsfähig sei.

Aber auch wenn man von einer Tatsachenäußerung ausgehe, habe der beanstandete Artikel bei sorgfältiger Auslegung nicht den Eindruck erweckt, der Gegner des Ausgangsverfahrens habe den Artikel in der Absicht veröffentlicht, um dadurch Vorteile als Berater oder Investor zu erzielen. Hiermit werde der Antragstellerin eine "versteckte" Tatsachenbehauptung in den Mund gelegt, von deren Vorliegen man unter Berücksichtigung des Grundrechts der Meinungsfreiheit nur dann ausgehen könne, wenn sie dem Leser als unabweisliche Schlussfolgerung nahe gelegt bzw. aufgezwungen werde. Dies sei bei dem genannten Artikel nicht der Fall.

II.

Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.

1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG gegeben sind, sind die Erfolgsaussichten der Verfassungsbeschwerde nur insoweit relevant, als diese sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet erweist. Bei offenem Ausgang des Verfassungsbeschwerde-Verfahrens haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes angeführt werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Das Bundesverfassungsgericht muss die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 71, 158 <161>; 80, 360 <363 f.>; 85, 94 <95 f.>; 88, 185 <186>; 91, 252 <257 f.>; stRspr). Wegen der meist weit tragenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung in einem verfassungsgerichtlichen Verfahren auslöst, ist bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerfGE 87, 107 <111>; stRspr).

2. Die angekündigte Verfassungsbeschwerde ist bei derzeitigem Verfahrensstand weder als von vornherein unzulässig noch als offensichtlich unbegründet anzusehen, da eine abschließende Beurteilung nicht möglich ist.

3. Die demnach gebotene Beurteilung und Abwägung der Folgen, die im Falle des Erfolgs oder Misserfolgs des Antrags einträten, führt im vorliegenden Verfahren zu einem Überwiegen derjenigen Gründe, die gegen den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechen.

a) Erginge die beantragte einstweilige Anordnung nicht und würde sich die Verfassungsbeschwerde im Hauptsacheverfahren als begründet erweisen, hätte die Antragstellerin in der Zeitschrift DER SPIEGEL eine Gegendarstellung abgedruckt, die ihr in dieser Form nicht hätte auferlegt werden dürfen.

Für die Antragstellerin bedeutete dies sicherlich einen Eingriff in ihre redaktionellen Auswahlmöglichkeiten. Außerdem könnte durch die Gegendarstellung ein gewisser Imageschaden eintreten. Bei einem etwaigen Erfolg ihrer Verfassungsbeschwerde hätte es die Antragstellerin, die unmittelbar die Möglichkeit publizistischer Äußerung hat, allerdings auch in der Hand, diesen zum gegebenen Zeitpunkt öffentlich wirksam herauszustellen.

b) Erginge die einstweilige Anordnung, erwiese sich die Verfassungsbeschwerde aber später als unbegründet, würde die Antragstellerin vorläufig keine Gegendarstellung abdrucken. Diese Verzögerung kann unter Umständen bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde dauern. Eine Gegendarstellung ist aber auf Zeitnähe zur Erstmitteilung angewiesen. Erscheint sie erheblich später, hat sie eher gegenteilige Wirkung, indem sie an die Erstmitteilung erinnert und das Thema erneut aktualisiert. Für den Gegner des Ausgangsverfahrens bedeutete dies, dass seine Gegendarstellung ihren Sinn nicht mehr erfüllen könnte. Der Effekt der Gegendarstellung ginge damit verloren oder würde sogar konterkariert (vgl. die Kammerbeschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 19. November 1993, NJW 1994, S. 1948 <1949> und vom 7. Mai 1996, NJW-RR 1996, S. 980).

c) Beurteilt man die Folgen, wiegen die Nachteile, die der Antragstellerin im Falle der Ablehnung des Erlasses der begehrten einstweiligen Anordnung drohen, weniger schwer als die Nachteile, die für den Gegner des Ausgangsverfahrens im Falle eines Anordnungserlasses entstünden.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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